1709 Meter Respekt für den Aubisque

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Die Heckklappe fällt zu. Das Rad ist aufgebaut, die Laufräder stehen schön in der Mitte, die Bremsen sind zu. Die Sonne scheint  auf das langarmige Trikot, gerade genug für ein wenig Wärme. Der kühle Fluß rauscht über die runden, glatten Steine unter der Brücke hindurch. Ein E bike summt vorbei. Dem Fluß werde ich folgen, bis er nur noch ein Bächlein ist.

ab1Gleich hinter der Brücke spüre ich den Wind, der von den Bergen herunterkommt, ein leichter Wind, nicht schwül. Es könnte nicht besser sein und ich kann jede Ermunterung gebrauchen. In einer Viertelstunde werde ich am kleinen Supermarkt in Laruns sein, mir noch ein, zwei frische Kalorien einstecken. Gestern am kleinen Ispeguy bekam ich gerade genug Luft, heute spüre ich die 100 Kilometer von gestern nicht, also vorsichtig.

ab9Der Aubisque hat 15 Kilometer Anstieg, eine Pause macht er nur ganz kurz in Gourette, der Skistation auf etwa 1400 Metern. Hinter Laruns – es gibt hier ein Kino –  schwingt sich die Route noch einmal  hinunter zum Gave und dann in einer großen Kehre hinauf nach Eaux Bonnes. Bald ist die kleine Stadt hinter einem Vorhang von großen Lärchen verschwunden.

ab3Auf dem Weg hierher bin ich die Strecke immer wieder durchgegangen, ich kenne sie ja gut, umso größer deshalb mein Respekt: es ist der erste Paß in diesem Jahr, und der erste seit fast einem Jahr und jedes Jahr im Leben des alten grauen Mannes macht ein neues Fragezeichen. Mein weiß eigentlich nicht warum.

Die vier Kilometer bis Eaux-Bonnes sind von der Steigung harmlos – in diesem Rhythmus wäre der Paß vermutlich 30km lang, aber gerade hier bin ich vorsichtig. Die Luft ist frisch, nicht kühl.

ab4Eaux-Bonnes und seine vor sich hinwelkenden Prachthotels (Tennisplätze im Hof) markieren das Ende der Ouvertüre. Kaum eine Seele auf dem Marktplatz, nicht ein geöffnetes Café. Die goldene Zeit des Casinos, die silberne Zeit der Familienpensionen und Kurhotels. Es sollen bessere Zeiten kommen für die 100 Einwohner.

ab84Gleich nach dem Torbogen zwischen der Häuserreihe beginnt der zweite  Abschnitt des Passes. Über 8 Prozent auf der Schattenseite lassen sich aushalten, auch die kommenden Serpentinen führen durch angenehmen Laubwald. Ich atme tief und regelmäßig, keine Probleme, immer auf dem größten Ritzel. Alles sehr malerisch, auch wenn der kleine Nebenfließ kurz vor dem Felstor nur noch ein Rinnsal ist. Dann wird der Gegenhang in seiner ganzen Dimension sichtbar, hier deckt der Paß seine Karten auf.

ab5Ein letztes mal über den Bach, die Talkerbe hat sich geöffnet, die Strecke geht in den Sonnenhang hinüber, unendlich entfernt kommt  einem die betonstruktur der ersten Tunnelpassage weit oben vor, so ist es vielleicht besser, den Kopf gesenkt zu halten für die unangenehm steilen Kurven, vorbei an letzten Hütten. Nur ein kurzer, aber knackiger Aufstieg, besser im Wiegetritt zu nehmen.

Damit beginnt die eigentliche Prüfung

ab6Der April ist ein gnädiger Monat,gegen 11h ist die Luft noch frisch und leicht , auch mir fällt das Atmen nicht allzuschwer – noch, ich bin vorsichtig, fast mißtrauisch. Der Schweiß rinnt langsam unter dem Helm durch, die Position ist gut, ich muß nicht zu heftig am Lenker ziehen, der Rücken schmerzt nicht. Konzentriert bleiben, Kraft sparen, der Weg zur ersten Tunnelgalerie ist lang, der zum zweiten noch länger. Sie bilden im Sommer den einzigen Schutz vor der Sonne. Im Ohr plötzlich die kleine Melodie des Pianisten Riopy, aus dem Nichts fliegt sie zu.

ab8Dies ist das Kilometerschild vor dem zweiten Tunnel, keine 2 Kilometer vor der Skistation Gourette. Zehn Prozent im Schnitt und das über zwei Kilometer, mit einer kleinen Zugabe ganz kurz vor der Ortseinfahrt. Der Schatten des Tunnels ist sehr willkommen. Noch ein wenig Wiegetritt, danke, es geht, der Formtest läuft.

Vielleicht geht es sogar besser als gedacht, ich muß immer noch nicht hecheln, als ich in Gourette einfahre, die 3 prozent Steigung im Ort ist eine Belohnung. Apartmenthäuser und Läden warten auf mich.

ab82Gourette gleicht einer Geisterstadt, das gleißende Sonnenlicht verbrennt die Fassaden . Die Skilifte stehen still,  nur ganz hoch oben glänzt der Schnee weiß. Wie wird dieser Ort in zehn Jahren aussehen, falls hier kaum mehr Schnee fällt? Die Straße bleibt, die Karawane der Räder zieht weiter. Noch 300 Höhenmeter zum Paß, die Beine sagen ok, der Kopf auch, die Lunge auch, nur im Rücken zieht es jetzt stärker.

ab83Die Baumgrenze liegt kurz vor dem Hotel am Felsvorsprung, das wie ein großer weißer Block die Kulisse überragt, ein stummer Zeuge aller Aufstiege. Auf seiner Höhe kommt die Kehre zu den letzten Almen, mal erlöst sie von der stehenden, brutalen Hitze  am steinigen Südhang, mal beginnt aber hier auch das Reich der Rinderbremsen, denn es weiden Pferde und Rinder auf diesen Hängen.

Heute nicht, letzte Schneewehen und die Luft ist für Insekten zu frisch. Sie ist frisch und dünn, viel dünner als dort unten, wo sie blaugrün schimmert. Dort, wo ich vor einer Stunde noch war, wo ich gleich wieder sein werde. Ich kann es kaum glauben, der kleine Ispéguy gestern hat mir  die Lunge geöffnet, jetzt steht sie mir zur vollen Verfügung .

ab92Dieser letzte Abschnitt ist nur deswegen schön, weil alles bald vorbei ist. Ich kann lächeln  und aus lauter Übermut einmal den zweiten Gang aufgelegt. Auf dem Asphalt  verdichten sich die aufgemalten Lobeshymnen,  die anderen Fahrern gelten. Wir sind in einer kirche, die Gebete gelten den Heiligen, nicht den unbedeutenden Pilgern. Vor mir sind gerade zwei angekommen,  die mattschwarzen carbonrahmen schlucken das grelle Licht,

Die Herberge am Paß ist geschlossen, der weitere Weg gesperrt – das heißt, wenn man als Radfahrer will, kommt man schon durch. Aber es reicht, auch drüben am Soulor wird es keinen heißen Kakao geben. Ich muß wieder hinunter.

ac1Das alte rostige Snel steht an der Stele aus Beton, ein Relikt der Millionen  Meilensteine, die früher französische Straßen säumten. Inzwischen ist sie von alllen Aufkleber befreit, die wie Insekten darauf verstreut waren…

Es kommt kein Auto vorbei – der Weg hinunter wird frei und leicht sein.

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Peter Fox sucht seinen Großvater – Ispeguy 2023

ad1Hinter dem Hügel kommt ein Hügel, der aussieht wie der Hügel neben ihm und irgendwo dahinter liegt die Hütte meines Großvaters. Bevor es hier Strom gab, verließen jedes Jahr Männer, die keinen Hof hatten ihr Land. So auch die Brüder meines Großvaters, wie so viele Großonkel und Uronkel davor. Sie  nahmen ihre Sprache und ihre Lieder mit.

DSCF5484Sie kamen aus den Dörfern ringsum, den verstreuten Höfen in den Wiesen und an den Hängen dazwischen. Sie sprachen kaum ein Wort französisch. Frankreich war für Basken ein Ausland wie die anderen, Französisch eine Verwaltungssprache. Und so heuerten sie in Bayonne an oder schifften in Bordeaux ein, weil die satten grünen Wiesen unter den Hügeln nur einer Familie reichten. Gleich an der Kirche in Hasparren steht ihr Denkmal: den Männern, die nach Amerika auswanderten.

ab1Von hier muß ich genau nach Süden, um meinen Großvater zu finden. Ein kleiner steiler Weg, von denen es hier so viele gibt, führt gleich aus der Stadt hinaus.

Vielleicht ist es derselbe Weg, den er zurücklief, wenn er einen Verwandten zum Markt begleitet hatte, denn oft sah man sich zum letzten mal. Zwei Koffer und einen Mantel. warten auf den Bus, der sie zum Hafen bringt. Heute  träumt niemand mehr von Argentinien oder Kanada.

Die Grundstücke sind immer teurer geworden, je mehr Autos kamen, je mehr es Autos gab, desto besser ging es uns, sagte mein Großvater, der nie ein Auto hatte. Ich habe ein Rad und muß gleich den allerkleinsten Gang nehmen, um durch dieses kleine Waldstück  zu den Höfen hinauf zu kommen.

Die Höfe liegen oben, in den Wiesen verstreut und  in Sichtweite voneinander, über hundert Kilometer im Umkreis verstreut, diesseits und jenseits der Grenze

ab2Die kleine Landstraße hat keinen Namen, keine Schilder. Sie führt einfach von Dorf zu Dorf, immer am Hang entlang. Dahinter der nächste Hügel, das nächsten Tal und immer höhere grüne Berge. Überall fließt Wasser, überall weiden Schafe und Kühe. Ohne Karte unterwegs und die D22 verpasst.

Weiter unten ein anderes Tal  – ich muß mich einfach nach der Sonne richten: mein Kompaß. Das Gras ist schon gemäht  und doch wieder lang. Es leuchtet stark und frisch. Wiesen überall, unser Gold, denn so ein Gras gibt es nirgends. Die Milch der Schafe und Kühe gibt den besten Käse, ein graugelbliches Gold, hart und fein. ab3Mein Großvater weiß es, er war halb Schäfer, halb Schreiner und ein Stück Wein hatte er auch. Ich suche seine Hütte.

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Ein Dorf kommt. Wie frisch gewaschen leuchten die Fassaden in der Sonne. Viele Häuser gehören jetzt Fremden, die den Sommer oder die Wochenenden  oder ihre Rente genießen: so verfällt nichts.

ac7Unsere Farben sind das Grün der Wiesen, das Weiß der Häuser, das Ochsenblutrot der Eichenbalken, aus denen sie gebaut sind. Der Schatten auf dem kleinen Weg ist noch leicht, mir wird gerade so warm wie nötig. Immer der Sonne nach, der nächste kleine Paß wartet hinter der Kurve. Neben mir ruft ein Kuckuck – sehr laut. Er muß in einem dieser Bäume sein und da fliegt er davon: ein schlanker grauer Vogel, etwas kleiner als ein Falke, schmale Flügel, es soll Glück bringen, wenn man einen zu Gesicht bekommt.

Von weitem rieche ich die Milch, den strengen Duft der Käserei. Schafsmilch –  das fette Gold.

ac3Gleich geht es hinunter zum großen Tal er Nive. Fluß, Straße und Eisenbahn machen sich den Platz streitig. Die große Landstraße nach Bayonne, der Fluß bricht durch die Felsen Richtung Meer.  Daneben die Eisenbahnline, mit der die Dörfer die große Stadt Bayonne entdeckte. Die Hauptstadt der Basken.Warm strömt die Luft in mein Gesicht, wie ein Gruß aus Afrika. Rechts unter mir die Rafting Gruppe im Fluß. Nicht mehr weit bis zu meinem Dorf, nicht mehr weit bis zum ersten Paß des Jahres.

Jetzt kann  ich weiter sehen. Weinberge und dahinter, linkerhand der Schnee in den hohen Pyrenäen. Bei uns geht kein Gipfel über 1000 Meter, bis ganz oben wächst Gras und der rostrote Wegerich, der die Hänge abtönt –  und die Robinien blühen schon.

ab4Da sehe ich den Namen, den Namen unseres Dorfes, den Namen meiner Mutter, den Namen meines Großvaters.

ab5Die Pilger und Touristen kommen und kaufen hier ein wenig Wein, dort ein Mittagessen. Die Pilger wollen nach Santiago und müssen hinter Aldudes über den Paß, wenn sie sich für diese Route entscheiden. Die Motorradkolonnen kommen, die Oldtimerveranstaltungen. Und natürlich die Wohnmobile.  Für ein Leben im Dorf, ein Café und einen Bäcker reicht es. Niemand muß mehr  für eine Woche zu den Schafen, niemand muß 10 Kilometer für ein Brot fahren.

ab6Da ist die alte Brücke und darunter glitzert der Bach. Hier sitzen die Forellen im Schatten, wenn man lange genug hinsieht.

ac6Hinter der Kirche geht es rechts hinauf zum Ispeguy. Dort oben war mein Großvater unterwegs mit seiner Herde, dort ist seine Hütte, die ich suche. Dabei kenne ich meinen Großvater eigentlich gar nicht, meine  Mutter erzählt mir von ihm, so oft erzählte sie mir in der großen Stadt, wenn Sirenen mir Angst machten, wenn Lichter böse Schatten auf die Zimmerwand warfen. Ich war höchstens zwei, aber ich suche ihn dennoch, ich suche den Geruch, das Geräusch der Erinnerung, das Grundrauschen, ganz tief unten auf der Festplatte meiner Existenz.

ab7Ein Postauto hat mich überholt. Sie hält am nächsten Hof, springt hinaus und wieder hinein, bevor ich sie einhole. Die französische Post hat  Briefträgern einen festen Takt vorgegeben. Früher, als sie auch andere Nachrichten überbrachten gab es ein Gläschen. Das Gläschen hat man ihnen gestrichen. Sie wollen nicht, daß wir miteinander reden. Amazon verteilt keine Gläschen.

Die ersten Kilometer noch frisch und dann eine lange, gleichmäßige Steigung am Hang entlang.Das Tal öffnet sich, Bäume spenden mir Schatten, es kommt noch ein letzter Hof, ich weiß es genau.

ab9Da ist er und macht Werbung, auf der Wand verblasst der Name eines Motoröls, das nirgends mehr zu kaufen ist. Gleich beginnt das Stück ohne Schatten – aber es ist ja Frühling.

ab87 Prozent. Das ist nicht enorm, aber es zehrt und die warme Luft macht mir mehr zu schaffen als die Steigung. Hinten schon ist der Paß sichtbar, eine blaue Linie hinter den Bäumen.

Den Rhythmus finden.  Es dauert, das ist der erste Anstieg über 3 Kilometer in diesem Jahr. Schon der letzte Baum, ringsum sind die Hänge kahl und mein Blick schweift auf und ab, gleich muß die Hütte kommen. Wiesenduft, viel zu warm. Tiefer Atem.

ac1Nicht hart, aber zäh dieser kleine Paß, von 3 auf Gang 2, Luft finden. Ging es im letzten Jahr nicht leichter?

Ein Fahrer holt mich ein – er kam aus Bayonne. Wir unterhalten uns , am letzten Kilometer lasse ich ihn ziehen, gleich kommt sie

ad2ad2Die Hütte meines Großvaters, in der er als Junge auf die Schafe achten musste. Über die Woche. Der Geruch der kleinen Feuerstelle, der alten Balken. Die Suche nach den ersten starken Empfindungen des Lebens, was als Erstes da war und nie fortgeht und Du immer wiedererkennst. Dein inneres zuhause, obwohl du längst schon viele Flugstunden in einer anderen Stadt einer anderen Welt lebst, Du alter Stadtaffe.

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Dann geht es hinunter auf die andere Seite, wo das gemähte Gras nach Süßholz duftet.

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Das Notlaufprogramm – Gießen 200

a06„Ist er schon im Notlaufprogramm“ ? Eingerahmt von zwei Berner Sennehunden sitzt Ben von Ben’s Oldtimerservice hinter seinem Schreibtisch. Die  Anzeige „Einspritzung prüfen“ hatte mich beunruhigt. Woran merkt man ein Notlaufprogramm ?  „Das Auto fährt nur noch 50, 60km/h.“ Nein, brummte nur etwas lauter. „Ich kümmer mich drum.“  Es ist gut, wenn der Werkstattchef das gleiche Auto fährt, weil er damit Berner Sennehunde chauffieren will. Ohne Notlaufprogramm  kann ich darum am nächsten Tag mein bronzenes Koga Gents-Tourer zum Gießener 200 transportieren.

a 00Der Gießener 200 hat inzwischen drei Streckenvarianten und die neueste steht heute am 25 März 2023 an. Es sind 2300 Meter an Anstiegen zu bewältigen, die sich rund um Gießen mittelgebirgig verteilen.

Thus quoth the Raven

ac91Zehn Stunden später: Hohensolms, nur noch diesen, letzten, allerletzten Anstieg; der Abendhimmel hat rosige und graue, phantastische  Wolkenberge gemalt, das letzte Himmelsblau dunkelt nach und in der Dämmerung erkenne ich gleich neben mir einen massiven Kolkraben auf der Wiese.  Kolkraben sind definitiv keine Vegetarier und dieses Reh muß wirklich gut schmecken, denn er lässt sich kaum von meinen Rufen beeindrucken.

Erst als ich wende, um ihn näher zu Gesicht zu bekommen, macht er sich unwillig stelzend davon. Wenn ich es schon kaum mehr schaffe, die Kamera zu ziehen, sollte ich mich besser auf die letzten 25km konzentrieren, um nicht als Osterschmaus dieses klugen Tieres in der Wiese  zu landen. . . . . .

a 01175 km zuvor ahnte vor der Bäckerei Künkel keiner der 80 Starter (bei 110 Meldungen) , was sie erwarten würde. Nun gut, der ein oder andere Schauer. Aber es war angenehm, fast zweistellig warm und die Vorfreude auf die Landschaften spiegelte sich in der Stimmung an den Frühstückstischen.

a02Kurze Ansprache und ab 8h30 ging es in 5min Abständen los.

Ein freundlicher Wind drückt uns aus Gießen ostwärts, die bekannte Straße Richtung Grünberg muß niemand mehr auf dem Navi suchen. Mit  M&M (ein Avatar für zwei Freunde aus der Frankfurter Selbsthilfegruppe) beginnt die Fahrt. Die speedgravelreifen neben mir singen bei knapp 40kmh ein helles Lied.

a2Ein einzelnes Velomobil zieht seine Spur : wind – und -wasserdicht.

a3An den ersten Steigungen zieht es das Feld in die Länge, die Leuchtpunkte verteilen sich über noch kahle Waldstücke. Man strampelt sich warm, findet in ersten Gruppen zusammen.

Oben zeigen die Rotoren nach West: da kommt der Wind her. Falte um Falte ostwärts, ein Knie zwickt, ich ändere die Fußhaltung, jetzt nicht überziehen. Alle Parameter stimmen.

a05Dann endet der Hochwald und gibt den Blick auf das Amöneburger Becken frei. Hinten der kleine Vulkankegel, davor Schweinsberg. Eine rasante Abfahrt, eine Schnellkontrolle an der Kirche. Bald 40 Kilometer, die Homberger Falte wird überwunden.

Der Frühling macht ernst

a4Die Sonne bricht  kurz durch und bringt die ersten Schlehen im Ohmtal zur Geltung.

a7Dahinter aber wartet eine dunkle Wand . Es ist ein ungleicher Kampf, auch wenn der Wind uns schiebt, werden wir ihnen nicht entkommen den hochschwangeren Wolken. Quer unter der umstrittenen A45 hindurch steigt der Weg weiter an, das schöne Bachtal wird bald verlassen, Fachwerkdörfer ruhen in sich.

a8es geht ganz allmählich Richtung Vogelsberg. Dort, in der kleinen Stadt Ulrichstein liegt die erste Kontrolle. Der Höchste Punkt der Strecke bei 550Metern ist auch Wendepunkt. Über 80 Kilometer anschließend nach Westen, aber davon wird noch zu sprechen sein.

Überraschungen  am Weg

a9Einige Mitfahrer haben kurz gehalten, um ihr Regenzeug auszupacken. Dieser Schirm bleibt die absolute Ausnahme. Sicher ist nur: aus dem leichten Nieseln wird allmählich ein handfester Regen.

Die geschmeidigen Lederhandschuhe packe ich unter die dicke Pelle, einmal durchnäßt nutzen sie mir nicht mehr.  Plötzlich kann ich meinen Atem sehen, die Temperatur fällt mit jedem Höhenmeter. Wir haben kurz die Bundesstraße Grünberg – Alsfeld gekreuzt und machen uns in den nächsten Anstieg.

ab1Noch 10 Kilometer bis Ulrichstein, und es kommt dicke. Der Wind bläst in Böen von der Seite immer neue Gischt, wir suchen die noch halbwegs trockene Spur auf der schönen Landstraße. Dann zerreißt ein Blitz die graue Wand über dem sanften Tal und sehr schnell folgt krachend der Donner. Beim nächsten Blitz habe ich kaum Zeit, bis zwei zu zählen.

Wieder eine Bö und diesmal mischen sich weiße Hagelkörner darunter, die unsere Gesichter von rechts einpeitschen. Ich ziehe meinen Schlauchschal höher und ducke mich über den Lenker. Ein Traktor mit fettem Anhänger voller Heu  überholt und gibt ganz kurz willkommenen, duftenden Windschatten. Diese Strecke könnte sehr schön sein. Es blitzt rundum, schweigend arbeiten wir uns die sanfte Steigung hinauf. Noch 4 km. Jeder hält jetzt das Tempo hoch, um nicht völlig durchweicht zu werden.

ab2Der Hagel legt eine knuspernde Schicht Glasur unter den Reifen, eine Gelee durch die wir pflügen; bei Ulrichstein geht er in Schnee über.

ab3Ein kleines Schild weist zur Kontrolle Vulkanbäcker, Räder scharen sich dicht um den Eingang.  11h10 in Ulrichstein, der Winter schlägt ein letztes mal zurück.

Der Vorraum ist zum Refugium geworden, Radfahrer bilden die große Mehrzahl der heutigen Kunden. Mit dem Kaufbeleg für eine Mandarinenschecke mache ich mich 5 Minuten später auf: ein Cappuccino wartet unweit in einem festen, warmen Gebäude. In Ulrichstein wohnen die unglaublichsten Leute. Sammler alter Rennräder beispielsweise. Sie heißen mich kurz am Ofen willkommen. 20 Minuten später verlasse ich meinen Freund den Sammler und Café-gourmet. Die Sonne ist durchgebrochen.

ab4Mit einem kleinen Trupp, den ich kurz bei km 30 sah, beginnt die Ausfahrt aus der höchsten Stadt Hessens, vorbei an der Kulisse des Bücherladens, der bei besserem Wetter einem Film als Muster authentischen Dorflebens diente.

Was man von hier aus sehen kann?

ab5Der Blick geht endlos weit über einen völlig freigeblasenen Himmel, weit hinter Gießen sieht man den Telekommunikationsmasten auf dem Dünsberg, an der wir bei km 190 vorbeikommen. . . Futur 2.

Etwas tiefer liegen die kleinen Dörfer und die  Talfalten auf dem Weg nach Westen. Was man nicht sehen kann, ist der Wind. Bergab fällt er kaum auf und auch die ersten steilen Hügel liegen in seinem Schatten. Zum ersten mal greife ich auf mein drittes, kleines Blatt.

ab51Kilometer um Kilometer geht es wogend auf und ab, hin und wieder sammle ich einen Mitfahrer auf, den ich lange vor der Pause sah. M&M sollten irgendwo weit vor mir sein.

Der nächste Kontrollpunkt, Rockenberg, ist es auch. Der Effekt des doppelten Cappucinos ist allmählich dahin und auch eine Banane plus Cremeschnitte hält nicht allzulang vor; noch einen Riegel und trinken, denn jetzt heißt es in der Ebene drücken, drücken, drücken. Der Wind kommt genau von vorn, nur kurz vermindern Waldpartien die Durchschlagskraft. Wieder Fahrer in Sicht.

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ab61Bei Laubach (hübsch, Fachwerk, Pflasterstein) weiß niemand, wie weit Rockenberg entfernt ist. 20? 30? Der Fluch der Landstraße senkt sich über uns,  immer weiter auf dem Damm.  Kurz noch ein Hinterrad, dann wieder allein. Die Sonne ist kein großer Trost mehr. Danke, ich bin wieder trockengeblasen, die Lederhandschuhe schützen mich, aber mein Körnerrechner macht Probleme. Stechende Kopfschmerzen, dabei sitzt der Helm perfekt.

Wind 2

Da erkenne ich das herbstorange leuchtende Trikot von M&M, keine 100 meter vor mir. Wie von Zauberhand plötzlich da. Aber der Zauber des Windes ist ein Fluch. Ich komme mal auf 70, mal auf 50 Meter heran, an den Baken kann man es erkennen. Ich versuche es über 5 lange Minuten und weiß doch: nichts  zu machen.  Die ganze Mühe hätte ich mir sparen können: in Lich (hübsch, Fachwerk, Pflasterstein) treffen wir an der erstbesten Ampel aufeinander.

ab6Ich genieße meine Ferien im Rücken der beiden Großen, aber ich muß nah am Hinterrad bleiben, sonst hilft es nicht. Jeder kleine Knick des Radwegs ist eine Qual, die Autbahnbrücke vor Münzenberg eine einzige Pein: mein linker Oberschenkel zuckt und sticht. Ich kann ihn wiegend besänftigen.

Im Anstieg durch Münzenberg hat sich alles beruhigt.Warnzeichen. Wo bleibt die Kontrolle?

ab8Weit vor uns die Krone des Feldbergs, freigepeitscht vom Wind, der jeden über den Lenker zwingt. Die Galeere rudert im steten Takt. Ich trinke,  aber der komische, bittere Geschmack im Mund will nicht gehen. Ich trinke nochmal, ich sauge. Da ist dieses winklige Rockenberg.

Der Fluch des Edeka

ab81Dieser schnöde Edeka soll die Erlösung bringen. Km 106! Keine Distanz. Ich stelle das Koga in den Windschatten,  es wird sonst fortgeblasen. 13 Uhr irgendwas, ich knalle die feuchte Brevetkarte einfach aufs Kassenband und durchstreife den alten, ranzigen Edeka neukauf (haha!) nach Beute. Irgendwo, ganz hinten unter dem niedrigen Dach stapeln sich die Sprudelkästen. Der Laden ist nicht gerade nach den neuesten erkenntnissen der Kundenführung gestaltet. Es gibt wenig Frisches oder ich finde es nicht.

Ein Königreich für ein gutes ChickenSandwich, besser noch Lachs und dann ein Körnerbrot mit Käse und frischem Salat. Stattdesssen nur diese erbärmliche Nougatrieglscheiße die ich draußen kaum aus der Plastikpelle ziehen kann. Dieser Edeka Neukauf ist ein Modell für die Verachtung, mit der dieser Laden die Bewohner von Rockenberg, Bellersbach, Obernhofen, Ober- Hörgern und alle anderen in ihrem Dasein abstraft, deren ärmlicher Horizont nicht übers Gambacher Autobahnkreuz reicht. Denn es gibt hier von allem nur das Allerschlechteste. Jeder Aral Tankstellenshop hat eine menschenwürdigere Auswahl.  Jede dreimal abgeschriebene  Pachtbude an einem räudigen Campingplatz. Dann eben wieder Trockenobst  aus der Hecktasche und die Literflasche Rosbacher leeren,  und das war der nächste Fehler. In Gerolsteiner Medium sind eindeutig mehr Mineralien,  ich  sollte es besser wissen. Aber das interessiert den Mann nicht, der draußen den Einkaufswagen mit Abfallflaschen  aus dem überquellenden Mülleimer füllt, deren Pfand er gleich einlösen wird……

Draußen scheint die Sonne, ich will von hier fort, während M&M klugerweise in aller Ruhe weiterpicknicken, wie können sie es nur eine Minute hier aushalten? und wieder ein Fehler: Allein aus Rockenberg hinaus, in voller Sonne, bei allerblauestem Himmel mit stechendem Kopfschmerz, bergan und auf einen ungewissen Horizont zu. Das weiß ich aber jetzt erst, wo es definitiv zu spät ist, umzukehren.

Wind 3

ab82Denn mittlerweile bläste der Wind mit Beauf 7 über die baumlosen, aber fruchtbaren Wellen des Butzbacher Landes.  Erst dieses Gestrüpp über der Autobahn erlöst kurz von der Folter. Verloren kriecht ein radfahrender Punkt nach dem nächsten über die Felder,  man kann es wunderbar erkennen, während sich in der Ferne dieses Butzbach abzeichnet, in dem Menschen immerhin würdiges Essen vorfinden. Vermutlich gibt es dort sogar in der Sicherungsverwahrung besseres Essen als in diesem infamen Rockenberger Gelaß.

Und es folgt die nächste Strafe.

Eigentlich ist es ein schöner Ansteig,der unter dem Heidelbeerberg hinauf nach Espa führt. Kaum 100 Höhenmeter auf 3 Kilometer verteilt, zum großen Teil durch den Wald, der endlich dem Feind den Weg versperrt. Im steten Takt kämpfe ich mit dem Anstieg, vor allem aber dem widerlichen Klumpen in meinem Magen, dieses Amalgam schlechter Kalorien, völlig übersättigter Fettsäuren, toter Vitamine und Invertzuckermasse. Meine Fingerspitzen verlieren Gefühl, dabei trage ich Handschuhe. Immer tiefer rutsche ich in den Spalt der Ohnmacht. Zum Glück überholt mich niemand. Wenn ich erbrechen könnte, ginge es mir besser. In Espa ist es geschafft, die Freude der Abfahrt wartet.

Plötzlich ruft es neben mir: komm mit! Es sind drei Mitfahrer von weither bekannt und eigentlich sollte ich mein Glück nicht fassen können. Gegen den Talwind im Windschatten bergab, jetzt kommen zehn goldene Minuten, in denen ich endlich wieder aus der Spalte herauskrieche, in die ich gerade rutsche, dem schwarzen Loch des Radfahrers.

Doch die Oberschenkel. Durch beide gleichzeitig zieht ein Stechen, das keinen Wiederspruch duldet. der kurze Wiegetritt kann sie nicht beschwichtigen, ein anderer Gang vertreibt sie nicht,  es ist nichts zu machen  – der Windschatten zieht davon, davon, davon.  Du und Dein Rad. Allein.

Das Notlaufprogramm

In der Talsohle habe ich die Krämpfe besiegt, wenigstens vorläufig. Aber es ist das Notlaufprogramm, wie mir Ben (von Ben’s Oldtimerservice) versichert, dessen Kennerblick ich über meinen Motor gebeugt sehe.  Von den Dreien vor mir ist ebenfalls einer abgeplatzt, ich nehme ihn als rote Boje wahr, die mir halt zwischen den Leitplanken gibt.

ac93Plötzlich treffen wir Christian Schulz , der seine alte Digicam umherschwenkt. Offenbar sieht man mir mein Leid nicht an, sonst hätte er den Hubschrauber gerufen. Weiter zum Braunfelser Anstieg, den ich jetzt mehr hasse als Kopfschmerzen und den  bitteren Geschmack im Mund,  den gleich kehren die Krämpfe zurück, das steht fest. Und so fahre ich ihn mit der einzigen Methode hinauf, die mir bleibt hinauf: dicker Gang, Wiegetritt, im Stehen aufwärts.

a braunfelsGeschafft: hier der Beweis, eine schnöde Parkuhr bei km 140, eine Handvoll Fahrer, die sich  alsbald wieder zerstreut. Nun bergab, nächste Chance zur Erholung. Das alles sind nur 20 Kilometer in einem kleinen 200er Brevet gewesen,  aber Zeit wird eine völlig elastische Größe , manchmal scheint ein Kilometer ein Lichtjahr zu sein. Lord, bring me my Mojo back!

Der Lord hat aber noch zwei kapitale Prüfungen auf den letzten 60km im Gepäck. Der Anstieg nach Ehringshausen und der Anstieg hinter Sinn, der große Unbekannte. 60 km, das ist nichts!

ab72Ich könnte auch die vielen Blumen, den Sternanis,Schlehen, die ersten Tulpenbäume bewundern. Die schönen kleinen Gärten am Wegesrand mit ihren leuchtenden narzissen. Stattdessen muß mein Geist unentwegt über den Gang nachdenken, mit dem jetzt der kleine Pass bezwungen wird. Hier schon auf das 28er wechseln? Nein, besser nicht. Ohne Krampf ist es nur noch eine Kopfsache. Oder eine Bauchsache. Nur noch ein, zwei Serpentinen. Oben eine ganze Gruppe, fast zum greifen nah. Eben waren sie an mir vorbeigezogen, darunter auch die, die mich noch in Espa mitziehen wollten. Ein Lichtjahr ist das her und ich arbeite mich weiter aus dem schwarzen Loch heraus. Denn so will es das Gesetz – hinter dem schwarzen Loch gelten die physikalischen Gesetze von Zeit und Raum wieder.

Da steht ein Fahrer mit blauem Canyon in der Kurve und steigt auf. Es geht ihm gerade schlecht – dabei war er mit Tempo neben mir nach Ulrichstein hochgezogen. Aber das war in einem anderen Leben, vor 90 Kilometern. Es ist sein erstes Brevet und er braucht eine Gruppe, an der er sich ohne Navi orientieren kann. Zusammen leiden wir aufwärts-  für ein erstes Brevet hat er sich eins der härteren ausgesucht.

ac2Gemeinsam   ins vorvorletzte Tal einrollen: die Dill, ein rauschender, sehr breiter Bach, an dem sich die einst stolze B277 entlangzog, bevor die Autobahn fast alle Tankstellen und viele Bäckereien überflüssig machte.

Der leise Tod an der Dill

ac1Ich kenne den Weg, fast bin ich hier zuhause, aber noch bin ich mir selbst ein Unbekannter. Die nächste graue Wand baut sich vor mir auf und über dem Schloß Greifenstein ziehen dichte Schleier hinab. Und immer noch Notlaufprogramm, auch wenn die Hände wieder zu spüren sind. Ein Schauer kommt näher.

ac3Fünf Minuten später stehe ich in einem Netto an der Landstraße, während der Regen die großen Panoramascheiben zerfließen läßt. Ein schöner moderner Netto und der alte Volvo fügt sich wunderbar ins Bild der aufgeklärten Konsumenten, die mehrheitlich Alkoholika für den gelungenen Samstagabend hinausschieben.  Ich kann ihre Körper riechen, während sie an mir vorbeigleiten. Das gehört zum Notlaufprogramm, wenn auf einmal alles riecht, was man sonst überriecht. Auf hundert, zweihundert Meter rieche ich draußen, ob das Fett im Edelrestaurant Regenerierfett Marke „Kippschmelz“  ist oder Frischware. Gastronomie ist eine einzige Betrugsmaschine für Übersättigte.

Fünf Sorten Olivenöl, mehrere Keimöle führt dieser Netto: sie geben sich alle Mühe,  aber gegen die Preissenkung bei RedBull-Imitaten ist kein Kraut gewachsen. In meinem Gaumen prickelt der Bio Kefir und spült das Salz der Erdnüsse hinunter. Von den vier Flaschen waren drei um 30% im Preis gesenkt, dieser Notkauf wird das hervorragende Produkt vor der Auslistung bewahren. Noch ein Apfel und raus, der Schauer ist durch

ab83Mal sehen, ob ich jetzt genug Benzin im Tank habe.

Sinn!

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Hinter dieser Ecke kommt er, der Sinn dieser Fahrt. Hier, im Ort gleichen namens beginnt die definitive, ultimative Herausforderung des Brevets, wenn die Messe fast schon gelesen ist bei km 160 und alles nur noch auf das Läuten der Zielglocke wartet.

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Und zufällig beginnt diese Prüfung gleich neben der alten Glockengießerei Rincker. Anders als die benachbarte Firma Doering https://www.industriekultur-lahn-dill.de/eisengiesserei-doering, die seit November 22 definitiv Pleite ist (anders als für Karstadt finanziert man kein Insolvenzgeld), überlebt Rincker dank der Spezialisierung auf Glocken und andere Kunstgüsse, wie Statuen von Elvis und Gerd Müller…eine Figur des anonymen Randonneurs fehlt noch.

Ganz diskret geht es nun rechts hinter  Werksgebäuden hinauf in den Hang. Der Hang ist mit alten Werkswohnungen eines Einheitstyps bebaut, die  Zeugnis der bei Doering beschäftigten Ostvertriebenen ablegen. Schleichend verlasse ich den kleinen, leise sterbenden Industriestandort.ac5

Denn hinter Sinn kommt die alpinistische Sahnehaube der Tour, ein schnurgerader Anstieg von hundert Höhenmetern, den ich vorsichtig auf 13 % schätze. Genau dafür habe ich das Rad mit dem kleinen 28er gewählt.

Doch es gibt zwei Zeichen: das eine sind andere Radfahrer in lächerlich geringer Geschwindigkeit (       einen sehe ich schieben).

ac6Und über allem dieser Regenbogen, der wirklich geradewegs aus der Bergkuppe emporzustrahlen scheint. Der fetteste, klarste Regenbogen, an den ich mich erinnern kann taucht alles in ein erlösendes Licht. Ich fahre ihm entgegen, ich steige nicht ab, ich drehe gleichmäßig und stetig meiner Auferstehung entgegen. Es gelingt.

Noch bin ich nicht erlöst, aber einen Schritt weiter, als ich zu den anderen an der letzten Kontrolle aufschließe. Km 171 Da stehen auch M&M und sagen, ihnen sei kalt geworden ist in der Abfahrt. Jetzt ziehe ich die Not – Cola, aus der Total Energies Bude. Die übrigen Frankfurter stehen auch dort und wir reden kurz über die interessante Erfahrung, die allen in den Knochen steckt. Ich ziehe weiter, brauche jetzt nichts mehr außer mein Mojo.

ac7Hier ist das Aartal, die Holzstapel dampfen erwartungsvoll vor iherer Zerkleinerung. Sie riechen großartig. Der Rabe am Hohensolms kann kommen,

bring me my mojo back

Einmal noch zuckt es ganz kurz und allmählich löst sich der Klumpen im Bauch auf, die Beine kurbeln kraftlos, aber ohne Schmerz. Noch widert mich der Dunst des Restaurant am Aarsee an, doch ganz, ganz langsam kommt mein Mojo wieder. Die nächste Steigung ist fast mein Freund. Der Rabe ist mein Freund: heute frißt er mich nicht. Der blassgelbe Renault Espace in historischer Ausführung ist mein Freund und dann überholen mich M&M auf dem letzten Anstieg zum Hohensolms. Ich sehe sehnsüchtig ihren Rücklichtern nach – 2 Minuten auf einen Kilometer, mein Mojo muß noch an sich arbeiten.

ac91Mit dem Dünsberg und seinem Telekomturm grüße ich das letzte Tageslicht, von hier geht es immer weiter hinunter nach Gießen, in einer letzten Gerade durch Heuchelheim und da macht es auch nichts mehr, daß mit trockenem Pling hinten eine Speiche reißt. Ich öffne die bremse in der Fahrt und rolle unbeirrt

ad01Einen Preis zahlst Du immer.

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Bike is over – if you want it

ah1Essay über eine Messe, auf der ich nie war und eine Pressemeldung, die ich hier weiterreiche

https://www.cyclingelectric.com/news/in-germany-electric-bike-sales-set-to-surpass-pedal-cycle-sales-this-year

(Habe die englische Variante gewählt, damit ein internationales Publikum angesprochen wird)

Der Frühling ist pünktlich. Die Sonne startet ihren Lauf jeden Tag etwas früher, Temperaturen zweistellig. Am Montag zeigen die letzten gedruckten Zeitungen bunte Blüten oder glückliche Radfahrer auf den Titelseiten. Die elektronische Ausgabe wählt identische Bilder.

ah6Es ist schön, wenn Räder wieder rollen. Ich finde es auch wunderbar eine Frühjahrsmesse kurz zu kommentieren, die ich nie besucht habe. Dankbar nehme ich dazu aus dem Netz die Bilder.  (hier: Rennrad – News).

Besucht habe ich das Ausstellungsgelände vor Jahren,als noch nicht sicher war, welche der Hallen der Böhlerwerke denn am Ende stehen blieben. Der Schornstein war jedenfalls gesetzt. Böhler ist ein altes Österreichisches Unternehmen, immer noch unter den Fittichen der VoestAlpine lebendig als Produzent hochvergüteter Stahlsorten.

aHR0cHM6Ly9mb3Rvcy5yZW5ucmFkLW5ld3MuZGUvZjMvNS81NzQvNTc0MzU5LTV4OWdldGUyYmhscy1jeWNsaW5nd29ybGRfMjAyM19oaWdobGlnaHRzX2ltcHJlc3Npb25lbi1vcmlnaW5hbC5qcGcNoch in den 1970ern arbeiteten am Rand von Meerbusch bei Düsseldorf 6000  Beschäftigte an der Verarbeitung und Herstellung von Edelstahl. Unter Schützen war Böhler Stahl für Gewehrläufe bekannt, ein kleines Panzerabwehrgeschütz wurde zum weltweiten Verkaufsschlager . Je besser der Stahl für den Lauf, desto häufiger kann man präzise treffen . . . .  hochvergütete Stahle sind auch das Material, aus dem die langlebigsten und besten Fahrräder gefertigt sind und damit schließt sich der Kreis zur cyclingworld 2023, auch wenn Präzisionsstahl eher die Ausnahme als die Regel geworden ist. In der letzten großen Werkhalle trifft sich ein bunter Ausschnitt der Branche, um dem Publikum zu zeigen, was es Neues zu fahren gibt.

Für Aussteller hat eine solche „junge“ Messe den Vorzug, eigenen Produkten ein günstiges Schaufenster zu bieten. Für Kunden ist eine kleine Publikumsmesse etwas, bei dem er und nicht der Ordervertrag mit dem Großhändler im Mittelpunkt steht. Dazu kommt in Zeiten der online platformen die physische Präsenz – je virtueller der Vertrieb, desto wichtiger  das direkte Anfassen und erproben. ah4Soweit zum Hoffnungsschimmer für den Maßfertiger von Rennradschuhen.

Bei allem Spaß an der Technik und den weiteren Erfindungen rund ums Rad, bestätigt die Cyclingworld eine Entwicklung, die zum Gesetz des Marktes geworden ist: in automobilzentrierten Gesellschaften mit entsprechenden Einkommen ist das neue Rad elektrisch. Und was kommt von diesem Erfolg auf der Straße an? In der Verkehrswende?

ah5Nach einem weiteren Winter auf meinen Wegen unterwegs, kann ich da draußen kaum Veränderung erkennen. Zweiräder (aller Art) verschwinden für fünf Monate tief in der Garage. Motorisiert gibt es sie vereinzelt als verbrennende Roller für Arme und Jugendliche, dann manchmal etwas sportlicher. Ich will nicht leugnen, hin und wieder so etwas wie ein Fahrrad gesehen zu haben, aber wirklich nur im allerurbansten Kontext.  Der Rest sind Automobile,  Automobile und lange LKW Ketten. Sie scheinen nicht auf dem absteigenden Ast der Mobilität zu sein. Sie kommen wie Ebbe und Flut, jeden Morgen, jeden Abend.

aHR0cHM6Ly93d3cucmVubnJhZC1uZXdzLmRlL25ld3Mvd3AtY29udGVudC91cGxvYWRzLzIwMjMvMDMvY3ljbGluZ3dvcmxkLTIwMjMtaGlnaGxpZ2h0cy1pbXByZXNzaW9uZW4tNzQuanBn Bild: Rennrad- News  – eines der stärksten Lastenräder.

Daran ändert auch der Erfolg einer Cyclingworld nichts, da können die neuen Akkus noch so viel Reichweite haben, noch so viel Gewicht transportieren. Die Verkehrswende bleibt sehr potentiell, das eBike erfüllt vermutlich ganz andere bedürfnisse – convenience, lifestyle, status und ein bisschen unbeschwerte „Freude an der Natur“.

Trotz Nischenanbieter bestätigt sich: König Kunde honoriert  die umwelt- und meschenverachtende Ausbeutung seltener Erden für die Akkuproduktion seines neuen 2 Rades immer mehr. Nebenwirkung: das ursprüngliche Fahrrad bleibt bei deiser Entwicklung auf der Strecke. Hoppela. Es ist nicht das Auto, sondern das Bio-Rad, das verschwindet. Not car is over – ya‘ olde bike is!

Ausgerechnet das nachhaltige , maximal umweltgerechte Mobilitätsprodukt (Nur Kickboards dürften besser abschneiden als BioRäder) wird von der E –Mobilität kannibalisiert. Da mögen noch so bunte Farben und Schaltungen und Scheibenbremsen auftauchen – das Fahrrad entfernt sich weiter von einem (relativ) unkomplizierten Universalprodukt zu einem Spezialprodukt mit geringer Querkompatibilität.

Nur wenige Teile aus EBikes sind für Bio Räder verwendbar. Für Hersteller „herkömmlicher“ Räder wird es immer schwieriger, ein gutes Produkt überhaupt anzubieten, es gehen einfach ihnen die Komponenten wie Laufräder, Bremsen oder Schaltungen aus.

Das alte Rad landet mit übrigen Relikten der primitiven Technik auf dem Dachboden der Heimatmuseen, wenn es so weiter geht. .

Einen Nischenabieter, der den Weg nach Düsseldorf auch aus Umweltgründen gescheut hat, lasse ich darum hier sein Garn spinnen:

ah2

 „This is the challenge, the fight, the inspiration or whatever. There’s no ongoing co-existence between new and old. New always wins. New hates old. New managers hate things that remind them that a business was around before them. Shimano is quitting mechanical components. SRAM hates them too, and if you think Campy will grandfather them in and protect them, no chance. Tektro is getting into complete groups, not just brakes, and everything is electronic.“

„I wonder if I’m violating that when I denigrate carbon in general, or electronic shifting. When you aren’t big and trendy, you have to sing a little louder when you’re  introducing something that isn’t mainstream. And, it’s helpful to differentiate what you have against what they have, especially if what they have is outselling what you have 20,000-to-1 (we sell one in every 20,000 bicycles sold in a year in the US, for example).“

„You can say or think Oh shut up, what’s the big deal, it’s just progress and it’ll be fine, but there’s more to it than that. What if you couldn’t buy a plain hammer–only an electronic nail gun? You couldn’t buy a kitchen knife, only a Cuisinart? No pencils and pens, only computers?“

„When I look at our bikes, or any modernly made steel bike, and then turn the corner and look at the bazillions of carbon bikes made by the ginormous makers, I know which ones will be around in 10, 25, and 50 years.  From that point of view, any steel bike that anybody buys now is an investment in somebody else’s future, decades and decades away.“

„By 2026, Rivendell WILL be the only bicycle company outside of Richard Sachs’s business that doesn’t have an eBike.“

So weit Grant Petersen aus Walnut Creek, CA im März –  Rivbike.com .

Bike is not over – if you want it.

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Heavy Weather (Americana III)

Wenn etwas den Saxophonisten Wayne Shorter unter allen auszeichnete, dann war es der gelungene Sprung über musikalische Gräben, die Bereicherung des Jazz über Jahrzehnte; und das allein mit einem schlichten, akustischen Instrument. Mehr als nur ein herausragender Saxophonist, haben seine Kompositionen und Aufnahmen das Spielfeld des Jazz (und Rock) erweitert.  Mit seinem Tod verläßt über ein halbes Jahrhundert Genialität die Galaxie der Musik.

a w1Bevor Jazz „merkwürdig zu riechen“ begann und eine Nischenveranstaltung wurde (bis heute), war er Unterhaltungsmusik für Clubs und Restaurants, wie nicht nur damalige Charts, sondern auch die Livegeräusche vieler Aufnahmen der 1950er beweisen. Im Hintergrund wird getafelt, getrunken, serviert und nebenbei auch geraucht. Die Musik war wie Elektrizität, seitdem Charlie Parker als Ahnherr des Bop dem Jazz über das hochvirtuose Saxophon einen unerhörten Drall gab. Alle spielten daraufhin wie Parker: temporeich, voller Energie, virtuos. Tenor battles fanden in den Clubs statt.

a w11Wayne Shorters Karriere beginnt um 1960 weit oben, als junger Mann schließt er sich der hart swingenden band von Art Blakey an, einem Schlagzeuger mit großem Drive, unternimmt mit dessen Jazz Messengers Welttourneen und schreibt erste Kompositionen, bevor ein gewisser Miles Davis auf ihn aufmerksam wird. Unter einem Dutzend Welt-Saxophonisten aus denen er wählen konnte, traf es den jungen Shorter.

Miles Davis hatte einen untrüglichen Qualitätssinn und zugleich ein brutal scharfes Gespür für musikalische Veränderungen. Die Zeit mit John Coltrane kann man als große klassische Zeit seiner Quintette bezeichnen, doch das Saxophon Coltranes wird sich nur noch weiter in ein dichtes, uferloses Spiel melodischer Linien auswachsen und einen eigenen Kult begründen.

a w 01Wayne Shorter beherrscht Vokabular und Technik der Bop Saxophonisten, doch Davis hat anderes im Sinn. Shorters Spiel ist variabel. Es kann endlose Bop Linien ausführen, aber auch überraschend pausieren, blitzartige Phrasen schleudern, Wendungen nehmen und er kann komponieren und zwar in einem eigenen Stil, jenseits des Standardrepertoire, dem alten Fundament aller Jazz Improvisationen. in der handvoll Alben, die er mit dem Miles Davis Quintett einspielt sind es besonders seine Balladen, die den Ruhm begründen.

a w espMit dem ersten Album, ESP, das genau an meinem Geburtstag eingespielt wird,  ändert sich etwas, so wie die Straßenkreuzer längst schon ihre Flossen und barocken Ornamente abgelegt haben. Shorter, der ab 1964 eigene Alben veröffentlicht, bereichert das Quintett entschieden. Die Moderne ist da, kantig, vielschichtig, explosiv – aber auch lyrisch. Shorters Balladen sind Geniestreiche.

Aber im space age rennt die Zeit und mit dem Aufkommen elektrischer Instrumente, neben der Gitarre das Fender Rhodes piano, steigen gamechanger in den Ring. Interessanterweise fällt Wayne Shorters nächste Etappe ziemlich genau mit seiner Wahl  des Sopransaxophons auf „in a silent way“ zusammen.  Dieses Werk bildet ein ähnliches Scharnier wie zehn Jahre vorher „All Blues“ – doch diesmal ist die Abspaltung von der Tradition definitiv, Instrumente und Aufnahmetechnik voran. Diese Platte von 1969 gleicht den vorherigen in keiner Hinsicht. Sie ist introspektiv, ätherisch, cool – und vor allem klingt sie wie kein Album zuvor, ja der Jazz insgesamt wird nie wieder klingen wie früher.

Und mit dem Keyboarder Joseph Zawinul (einem Wiener), der sich als Sounddesigner und Komponist auf in a silent way profiliert, überträgt Wayne Shorter dieses Experiment in die erste eigene Gruppe. Die Stunde von Weather Report hat geschlagen.

a w 12Über die nächsten zehn Jahre werden die verschiedenen Besetzungen von Weather Report ausloten, was zwischen den Genres und an ihren Rändern möglich ist. In den Weather Report-Jahren geht Jazz wieder auf Welttourneen und füllt Hallen. Shorters Höhenflüge auf dem Sopran werden zum Markenzeichen.  Mit Milton Nascimento entsteht zwischendurch ein Album, das die Symbiose zwischen Kompositionen eines brasilianischen Liedermachers und den Phrasierungen des Jazz herstellt – ein Rezept, an das wir uns vermutlich über so viele Alben und Jahre gewöhnt haben (erinnern wir uns an Stings Welttournee?) und im mainstream aufgegangen ist.

a w2Wayne Shorter, der vor ein paar Tagen starb, hatte sein Spielfeld umrissen, das Spielfeld eines Titanen, der sich bis vor kurzem nach Belieben darauf tummelte.

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Rückenwind

aa1Es kommt nicht oft vor, aber manchmal ist die Wirklichkeit ein wenig wie ein Buch. Ich greife vorweg, wenn ich hier schon eine Stelle aus Paul Fournel zitiere, die sich in seinem sehr amüsanten „Peloton Maison“ findet.

Ich sehe sie von hier aus Tempo bolzen wie die Ochsen, mit unbeweglichem Kopf und unverwüstlichen Oberschenkeln. Nie werde ich die Lücke schließen können, jetzt tut es einfach zu weh. Ich gebe alles und sehe den Schwanz der Meute, der sich dehnt und entfernt. Zwei Jungs werden abgehängt, die sind erledigt. Wieder reinfahren, alles, an woran ich denken kann, ist wieder reinzufahren, selbst wenn ich meine Quadrizeps sprengen muss, nur wieder reinfahren! Wenn ich das hintere Feld erreiche, bin ich gerettet; nur noch über die Schwelle meines Hauses, das letzte Hinterrad erwischen, dann steige ich wieder in mein Wohnzimmer hoch, zurück in Sicherheit.“

aa5Als ich diese Worte übersetze kann ich nicht wissen, wie es mir in den Feldern entlang der Maas ergehen sollte. Die Halteschlaufe meiner sonst so vollkommenen kleinen Hecktasche war zu lose,  alles drohte herauszupurzeln und auf den Feldwegen zwischen Venlo und Kessel in alle Winde zerstreut zu werden. Denn er blies, der kräftige Nordwest, der alle Wolken gesprengt hatte und uns nun auf dem Rückweg nach Maastricht vor sich hertrieb.

aa3Ich stoppe an einer kleinen Brücke. „ich sag den anderen, sie sollen Tempo rausnehmen,“ ruft mir der Kollege noch zu . Und 30 Sekunden später sitze ich wieder im Sattel, lege das große Blatt auf und den 15er, während der Wind dreiviertel von hinten schiebt. Sie sind am Horizont, manchmal blitzt etwas auf.

Aber sie nehmen kein Tempo raus. Im Gegenteil, seitdem sie zwei weitere Fahrer eingerollt hatten, wurden sie keineswegs langsamer. Ich habe keinen Tacho, aber mein Gefühl trügt nicht, ich muß nur nach unten sehen und meine Umdrehungen zählen. Locker 90 und ich kann ab und die Zwiebeln schmecken, die mein Magen eigentlich verarbeiten möchte..

aa4Dann sehe ich sie wieder, sie nähern sich einem Fahrer auf einem Hollandrad, auf dem Deich ist das schön zu sehen, ein ungewöhnlich schnelles Hollandrad. Ich gehe in den Unterlenker, schneide die Kurven, fahre fünf Umdrehungen schneller als vorhin,  als wir noch alle gemeinsam aus Venlo herausgerollt sind. In den rechtwinkligen Knicks kann ich etwas Boden gut machen, nur noch 200 Meter – aber kein Dorf in Sicht, das Einhalt gebietet.

ac92Was ist da nur los? Jetzt überhole ich einen, dem das Tempo zu hoch war – habe mich also nicht getäuscht. Dann erkenne ich ein kleines Schild am Hollandrad – es fährt weiter an der Spitze. Die Holländer tunen ihre Elektrobikes und alle hängen gerade in seinem Windschatten. Hopp, über die Absenkung, wieder ein paar Meter geschunden, jetzt schaffe ich es, jetzt werde ich das Rätsel lösen, was die Irren vorne befeuert. Das Hollandrad biegt in einen Hinterhof,  ich schließe auf und erkenne die Lage: zwei junge Mädchen stecken in der Gruppe. Cherchez la femme, wie der Batave sagt.

 Paul Fournels Buch  erscheint im Mai 2023 beim Covadonga Verlag.

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Monolog des alten weißen Mannes beim Einstecken des Zündschlüssels (Americana II)

Nachdem der Vietcong unsere Zahlen boostet tat es gut, den Bonus in etwas Hübsches und Elegantes zu stecken. Der Riviera aus dem showroom hat mich schon seit Wochen angelacht. Höchste Zeit.

63 RivieraWenn man genau hinsieht, entdeckt man, weiviel Realität in einer Werbeillustration steckt. Graue Schläfen, tadelloser Anzug, white collar Kollegen verlassen das Verwaltungsgebäude und es ist kurz nach 18 Uhr – jeder kann es sehen. Einen sportlichen Zweitürer, aber gediegen. Ein Spielzeug für den erfolgreichen weißen, floridagebräunten Mann. Oder vielleicht hat er es wirklich im Sommer an die Riviera geschafft, oder nach Neapel ,wo er 20 Jahre zuvor ein Patrouillenboot kommandierte.

Im Hintergrund die schwachen Umrisse der Sheddächer und etwas, das wie ein rieisger Luftballon aussieht. Industrie 1.0, USA, 1964.

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Amerika in einer Nußschale (Americana I)

64 rivieraDie kleinen Leuchten am weinroten Buick Riviera leuchteten schon, obwohl es noch lange nicht dämmert. Flüsternd war das lange Coupé an mir vorbeigeglitten, und in einer langen Kurve über dem nächsten Hügel verschwunden-  vorbei an mir und meinem candyapple – roten Rad. Der flüsternde Achtzylinder – beinahe mein Jahrgang.

02 FeldDer Feldberg zieht sie magisch an, die Achtzylinder aller Klassen, so wie New York Lulamae Barnes magisch anzog. Aber die Achtzylinder haben sich stark verändert. Statt zu flüstern brüllen sie nun durch den Wald, die Deutschen Sonntagssportler.

01 feldIch  bin nur ein alter Traktor mit Hänger und habe auf der roten 1 eine harte Stunde hinter mir, vielleicht auch, weil ich seit Weilmünster das sehr gute Chicken Sandwich verdaue, das nach 2 Stunden bei 3 Grad einfach fällig war. Ich werde es brauchen,  ein Hungerast am Feldberg ist das Ende.

05 FeldMal gang 3 mal Gang 4, gleichmäßig. Jetzt spüre ich, was ich in den letzten Wochen nicht trainiert habe: lange Anstiege. Sie erfordern ihre eigene Technik. Hundert Höhenmeter, auch 200, lassen sich in gewisser Weise mit kraft vorbeidrücken. Man ist nachher warm und  die Lunge hat mit vollem Volumen gearbeitet. Sind es mehr Höhenmeter 300, 500, 1000 . . .  dann zählt Drehmoment.

An den fünf oder sechs kilometern ab Schmitten  halte ich mich lieber zurück, sonst platze ich.  Aber ich habe ein Ziel – bis oben den Gang nicht mehr zu wechseln, also dick treten und Wiegetritt, nicht kürzer. Torqueflite. Die rasierten Wälder sind vorbeigezogen, Sandplacken. Hier dichter Tann – wie lang noch.  Nach dem kurzen Flachstück die zwei, drei Rampen. Zwei AMGs und ein Audi R8 wirbeln das trockene Salz vom Parkplatz auf und hüllen mich in eine weiße Wolke von 5000 Umdrehungen.

04 feldNicht schalten, ich kann widerstehen, nach der letzten Kehre sehe ich es. Überall noch Eis und Reste von Schnee,  ein Wintertag im März. Resilienz, du schönes Wort 21 Zähne – die Pflicht ist geschafft.

Jetzt heißt es geduckt hinunter, vielleicht noch einmal vor Seelbach halten, Handschuhe reiben. Sich über die vielen vielen Bäume wundern, die gerade noch gefällt wurden.

06 FeldDanach cruisen wie ein Buick Riviera, 1964. Auch ein Riviera ist groß, aber schlank. er weiß nichts von Krise und Stau und Verbrennerinfarkt. Slick n‘ Cool. Den Motor gleichmäßig drehen lassen, das kleine Rücklicht einschalten, falls der nächste Sonntagspilot mich in seinem 6,3 Liter AMG übersieht, fetter als ein Traktor mit Güllefass.

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Hymne auf den Burger King 25 02 2023

Ich habe kurz nachgesehen. Es waren 110 Kilometer. Nach den Limburger (NL) Bergen kam der Gegenwind, der Februarhagel und die Sonne. Die ersten Krokusse blühen am Straßenrand, der letzte Fruchtriegel ist längst im Blut versickert –

a1Da war der Kreisverkehr gleich an der Grenze nach Holland, ununterbrochen strömten Fahrzeuge mit gelbem Nummernschild heran, um ihre wochenendlichen Arbitragegewinne zu machen. Weniger als 10 Kilometern bis zur Kontrolle in Venlo, dort ein schönes, holzgetäfelten Café. Aber hier scheint die Sonne und ich bin allein, die Mitstarter des Maastricht 200 Brevets kamen mir abhanden. Und ich brauche Kalorien, Brennstoff, Batteriesäure (Cola) – quick and dirty.

Und der Burger King lag in voller Sonne. Kilometer 110 Man kann sagen was man will, gegen Lockvogelangebote an einem drive-in kommt das kulinarische Gewissen nicht an

a2Gedanken an Tierwohl, Co2 Fußabdruck oder die Arbeitsbedingungen im fastfood Gewerbe – hinfort mit euch. Der geschundene Kleinwagen hinter mir darf jetzt ein paar Sekunden länger warten, ich klopfe an die Scheibe. Ein erstaunter junger Mann, dem ich gerade 18 Jahre und möglicherweise eine afghanische Biographie gebe öffnet sie.

Drei Minuten später wärmt das Menü des Tages (ohne Sonderwünsche) meine Hände. Die geliebten, zerschlissenen Lederhandschuhe (noch feucht) trocknen auf dem Fensterblech in der Sonne, Fahnen flattern im Wind, die Cola erzeugt im Abstinenzler den erwünschten Zuckerflash. Ganz für mich genieße ich den kunstvoll verzierten Vorgarten des Schnellrestaurants in voller Sonne, während am Kreisverkehr die Autos wieder ein Stück vorgerückt sind. Das Amalgam zwischen den weichen Pappebrothälften besteht aus saftigem Rinderhack, geschmolzenem Käse, vielleicht noch etwas anderem und ist wunderbar scharf.  Die kleine Pommestüte werde ich ,mir auf dem Rad einverleiben . Nein, es ist kein Rennen,  aber hier entscheidet sich mein Brevet. . . . .

ab2

Der Maastricht 200 eröffnet die Brevetsaison, und wie in allen Paris – Brest Jahren ist der Andrang merklich höher als sonst. Das renovierte Stayokay Maastricht hat seine Tore wieder geöffnet  und erwartet uns. Frische Setzlinge stehen dort, wo einst die große Platane herrschte.Die Randonneure halten die Vorhalle besetzt, gönnen sich Kaffee und Tee, während sie sich für den Brevet einschreiben.

ab1 Gleichzeitig zieht es Sportlerinnen vom Ruderclub Triton Utrecht an die Morgensonne vor dem Stayokay, wo sie eine kleine Armada alter und neuer Rennmaschinen erwartet.

Es ist plötzlich frisch geworden und der seit gestern wehende Nordnordwest fegt auch die Gassen von Maastricht leer. Wir verlassen die Stadt und ihre massiven Häuser, um bald die ersten scharfen Anstiege in die Brabanter Alpen zu nehmen.

ab3Der Weg nach Venlo verläuft in diesem Jahr gegen den Uhrzeigersinn, zuerst kommen die Höhenmeter, danach der Wind. Die Morgensonne hat sich wieder verzogen, wir müssen es akzeptieren.

ab5Es hängen noch Karnevalsdekorationen in den Dörfern, fröhlich grüßen uns Prinzen und Prinzessinnen von den Häusern her und wir schlucken die letzten idyllischen Meter entlang der belgischen Grenze. Das Eldorado aller holländischen Radsportler ist noch recht leer, als  Vorhut grüßen wir erstaunte Wanderer.

ab6Dann hinüber ins alte Bergbaugebiet um Heerlen und Kerkrade –  die holländischen Ausläufer des Aachener Beckens, ein etwas grüneres, hügeligeres Ruhrgebiet.

ab7Und darum ist dieses merkwürdige Turmgebäude, das an eine Burg oder ein Portal erinnert, nichts anderes, als der alte Förderturm eines Schachtes. Das Mittelalter der fossilen Energie. Der Niederlande gelang der Abschied von der Kohle ohne den Verfall ganzer Regionen. Alles wirkt bewohnt und gepflegt, etwas eintönig, aber nicht verfallen oder aufgegeben. Erst auf der Deutschen Seite erwarten uns wieder Flickenteppiche auf allen Straßen.

ab8An der Gegenseite hinunter ins Tal der Wurm, den Grenzbach. Die Hügel und das Kohlebecken liegen hinter uns, jetzt kommt die Etappenstadt Geilenkirchen.

ab71Wir halten kurz am Rathaus der ehemaligen Kreisstadt,  aus der der Sohn eines Kirchenmalers zum vermutlich erfolgreichsten Kunstfälscher unserer Zeit wurde: Wolfgang-Beltracchi.

Mit Geilenkirchen beginnt der nächste Abschnitt. Jetzt wird der Wind mit uns spielen. Und der Wind bringt eine Wolkenmauer, die ungehindert über die Felderlandschaft zieht. Die Windräder sprechen eine deutliche Sprache.

ab8Ich berechne schon den Moment, an dem es mich trifft, sehr wahrscheinlich wird es am Rurgraben, eine kleinen Kante von 50 Höhenmetern ungemütlich. Nur noch wenige Kilometer.

ac2Ich bin fast zuhause, hunderte mal schon bin ich die Strecken gefahren, die hier vor mir liegen. Hunderte mal über den unscheinbaren Feldweg gekommen, der nur in meinen Augen ein besonderer ist.Diana Oberbruch, die Zielgerade der alten Trainingsstrecke – der Wind wird böiger.

ac3Schon stichelt es auf den Wangen – es ist also Hagel, dann Schneegriesel und in der nächsten Minute habe ich einen Unterstand, den ich mir mit einem Nachfolger teile.  Dicht prasselt der Kaltregen auf das Vordach eines kleinen Betonwerks, während im Minutenabstand Mitfahrer vorbeiziehen: ich sehe auf die Uhr, mehr als 10 Minuten wird der Zauber wohl nicht dauern. 10 9  8 7 etc. .

ac4Countdown, 8 Minuten – die dunkle Wand lichtet sich, wird grau und, strahlend blau.  Der Wind bleibt, ein steifer Nordnordwest, aber die Sonne nimmt ihm den Stachel. Es bleibt warm unter der Jacke, und schön gleichmäßig spule ich die Kilometer auf der Maschine ab. Die rote 1 passt,  ich kann mich strecken und flach in den Wind legen, ohne daß es den Tritt stört. Die Straße glänzt blau.

ac5

Ich habe die Umgehung ignoriert und Lande auf einem kleinen Trail im Dickicht. Nur wenige Meter trennen mich von der neuen Straße.Über einen Wildtunnel, in dem sich Fahrradspuren finden,  gelange ich auf die richtige Seite. Hier kein Weg mehr, nur noch Wildzaun. Ich muß ihn überwinden und schmeiße das Rad hinüber. Die Gruppe vom Beginn werde ich wohl erst in Venlo wiedersehen, es sind nur wenige feuchte Streifen auf dem Asphalt zu erkennen. Den Pommesbräter von Brüggen lehne ich dankend ab:10min für eine Pommes Weiter durch den Wind und die ungeschützten Wege der Gemüsefelder. Der Tank leert sich und dann kommt der Kreisverkehr.

Burger KING !

Ich habe hier über 50 km allein im Wind hinter mir. Die Handvoll Kilometer bis zur „Controlpunt“ sind nicht das Problem – doch der Stempel macht nicht satt. Die Cola fließt ein wie prickelnd süße Gummibärchen. Was ich hier einfahre, wird mir bis km 160 nutzen.

ac7So komme ich nicht mit den anderen, hungrigen und abgekämpften Randonneuren in eine völlig überfordertes Café, das zu einem Taubenschlag geworden ist. Die Gruppe ist noch nicht wieder unterwegs. Die Tische sind besetzt, es ist angenehm warm hier, die Lautsprecher streamen Lenny Kravitz und ich sage meinen Namen.

ac9Sie tragen ihn ein, stempeln und nach drei Minuten sitze ich wieder auf dem Rad – die alte Gruppe ist gerade los, ich werde sie bald einholen.

ac92Der Rest sind Rückenwind, ein Kakao mit Schlagsahne, viel Sonne und hohes Tempo.

ac94Die Maas ist ein langer, ruhiger Fluß, wenn Dein Tank voll ist.

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Der glorreiche Bastard – die Rote 1 holt ihren Segen

A rot1

Molsberg, 19. 2. 2023

Für die Chronik , der aktuelle Stand des Rades, das für mich eine perfekte Rennmaschine darstellt, wie sie ca 1983 ein Belgischer Amateur gefahren wäre. Mit ein, zwei neueren Modifikationen… der Schlußpunkt  in der Entwicklung für Rennräder mit Friktionsschaltung.

Rahmen

aus 531 Reynolds Rohr, vermutlich Martens, Belgien ca. 1981 RH 62 X 58cm (m-m).

Innenlager RGB Gußmuffe

Bremsbrücke Gipiemme

Ausfallenden Campagnolo 1010

Gabel Zeus 2000 aus Reynolds 531

Anbauteile

Sattelstütze Laprade SR 27,0 , Sattel Rolls SanMarco

Vorbau Cinelli 1R,110mm, Lenker Cinelli CdM 46cm a-a

Bremsen Shimano 600/ 6208

Bremshebel Shimano 1056

Flaschenhalter Zefal (neu)

Schalthebel Simplex SLJ

Umwerfer Shimano 6210, Schaltwerk Shimano 7200 „Dura Ace“

Kurbel Shimano 6210  50/38Z , Pedale Shimano 1055

Laufräder Mavic MA 40 mit 6fach UG Steckkassette 13 – 26

Reifen Pirelli zero 4s  23 mm

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