70414 Breakin‘ in: mit Roy durch Kölsch-Sibirien (ein erster Brevet)

070414  A 59 Troisdorf –  Spich

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Je näher ich dem Start komme, desto sicherer bin ich mir, das falsche Rad dabei zu haben- die weiße Gazelle ohne jeden Regenschutz mit ihren gelbgesäumten Slicks auf vintage = ungedichteten dura ace naben. Alles Dinge, die gleich der Feuchtigkeit schutzlos preisgegeben sind …

Und als ich auf dem Parkplatz Spich die Tür öffnete, war klar, daß es hier mindestens 10 Grad weniger „hat“ als gestern,  als ich noch verzückt bei knapp 20 Grad meine Runden drehte. Der Parkplatz am Waldstadion ist gut gefüllt, hier und da stehen Räder – allzeit bereit. Spich liegt gleich an den erswten Hängen des Bergischen Lands.

Was sofort auffällt ist die Ruhe – keine Eile des Auspackens, des hektischen Pumpens und Klickern der Sohlen, wie ich es auf RTFs erlebe. Eine zielstrebige Ruhe: Am weißen Vereinsheim, neben dessen Eingang ein unbeschreibliches Fußball- Fresko prangt (Verteidiger foult Mittelstürmer), hat sich eine Schlange gebildet, die treppauf zur Anmeldung führt .

Gelb sind die Karten die am Ende der Schlange verteilt werden. Das sind die Leistungsbelege, Existenzbeweise der Brevetfahrer. Es sind nicht nur Erinnerungen, sondern auch Urkunden, eine weltweit gültige Währung .

MeinExemplar werde ich in 11 Stunden, sehr feucht aber lesbar dem Mann zurückgeben, der sie uns verteilt, Mr. Paffrath. Diese Karte geht dann zur Zentrale der Randonneure, wahrscheinlich ein leicht chaotisches Bürozimmer in Paris mit vergilbten Postern des Touring Club de France. Der erste Baustein meiner Qualifikation für Paris-Brest 2015.

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Hier steht mir ein kleiner Brevet durchs Bergische Land (Sibirien)bevor, im Vergleich zur 400 oder gar 600km Prüfung eine Spazierfahrt bei Tageslicht, . Will aber erst einmal gefahren sein und ohne  Mitfahrer wäre ich hier in der Bredouille. Es gibt als Wegbeschreibung nichts anderes auf den Weg als ein kleines Routenblatt mit Kilometerangaben, Orts- und Landstraßenbezeichnungen. Bei Regen sehr unangenehm und, mal ehrlich bleiben: jedes Mal die Lesebrille auspacken …..

Lektion: Wer kein kleines GPS Navi hat ist klar im Nachteil.

Als Notlösung habe ich mir die Strecke einmal von der Generalkarte abfotografiert und mühsam die kleinen Ortsnamen markiert: Dhünn, Benolpe, Halver, jesses…… draußen aber sitzt Roy und Roy ist meine Bank heute. Er hat alles: Erfahrung, Licht am Rad, ein Navi am Lenker und ein Lächeln auf den Lippen. Und ich habe nur abgeknipste Kartenausschnitte.

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Einweisung um 7h55: Ansprache des Organisators, der die Strecke kartiert, neu abfährt und aktualisiert. Wir sind um die 40 Teilnehmer und werden, sicher ist sicher, in zwei Gruppen aufgeteilt. Bonne Route und ab in die diesige kühle Luft. Fühlt sich ein wenig dünn an, was ich anhabe, also nehme ich gleich die Regenjacke darüber, die ich in meiner Lenkertasche mit Socken, Riegeln und einer Luftpumpe verstaut hatte. Zügig geht’s in den Tag.

Eine Fahrt ohne Drama oder Leistungsstreß- über 100 Kilometer blieben wir in Kontakt mit der Startgruppe, je nach Ampelpause, Bäckerpause oder Laune. Es geht auf, es geht ab – an Tankstellen werden lächelnd unsere Karten entgegengenommen, sorgfältig die Uhrzeit eingetragen.

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Landschaft? Viel sehe ich nicht: wir stecken mitten in einer Wolke, deren Durchmesser hundert Kilometer beträgt. Mal ist sie feuchter, mal trockener. Keine Überschuhe, keine lange Wolle, langsam zieht die Nässe in mich ein. Im Anstieg lege ich einen Zahn zu, allein um wieder Wärme zu produzieren.

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Es ist ein ruhiges Land, die meisten Autofahrer sind höflich und grüßen hupend, die Bäcker, die wir gruppenweise bestürmen, leicht überfordert. Sturm und Drang in den Landbackstuben, zuviel für einen grauen Morgen, an dem ein Mensch nur mit viel Willenskraft den Weg zum Carport findet.

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Wieder dünner Regen. Warum denn nur dieses Rad? Und dann fällt mir der Grund ein :-

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Zum Sattel des Tages

Da gibt es Totgesagte, da gibt es Mythen. Coppi fuhr angeblich kein anderes Fabrikat (B17) , Anquetil (Professional) ebenso, erst mit dem großen Belgier endete die Ära der ledernen Rennsättel. Kernleder war out , outer gings nicht: schwer, pflegeintensiv, hart, die Ti-Raleigh Mannschaft soll ihn nur auf  Werbephotos angeschraubt haben.

Doch Brooks ist inzwischen (nach buyouts und Rettungsschirm) wieder eine Firma mit Designshops in London, Paris und Tokyo… und

Abseits einer eher modisch orientierten Kundschaft, die sich vielleicht auch am Rad über Leder definiert gibt es eine bekennende Anhängerschaft: viele Langstreckenfahrer schwören auf ihren persönlichen Sattel.  Die Neugier ist stark. Eine glückliche Fügung machte mir nun ein Angebot , das ich weder ausschlagen noch verhandeln wollte. Einige Stunden später nahm mein Bruder den Sattel in Empfang.

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„Bitte“, sagte ich ihm am Telefon, „geh bitte zur Küchenwaage.“ – inzwischen wusste ich, es gibt zwei Ausführungen – die eine 100 Gramm leichter… „384 g“……………er war es also , ein swift mit Titangestell. Titan ist leichter, Titan federt besser und Titan rostet nicht. Jetzt mußte der Sattel mir nur noch richtig passen.Das kann in dem Fall dauern.

Deshalb heute 200km am Stück mit Sommer-Gazelle auf Sommerreifen meinen swift spazierenfahren, denn immer nur 3h Probefahrten lassen keine wirkliche Aussage zu.

600 oder 800 km, sagt Brooks, nehme das Breaking-in in Anspruch. Breaking in, das ist der blumige Ausdruck für die Zeit, die es braucht, damit sich die Sitzknochen ins Leder prägen, was je nach Fahrergewicht verschieden lange dauern kann. Eine mysteriöse Sache, aber wichtig, damit der Kunde nicht vor Schreck nach der ersten Probefahrt „abspringt“.

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Und irgendwann mittendrin im Brevet , spürte ich tatsächlich, das er auf einmal „saß“ Unter dem Eindruck der Dauerfeuchte hatte sich die Prägung wohl beschleunigt – vielleicht kamen auch die einige unsanfte bergischen Sträßchen dazu. Das Gefühl lässt sich Beschreiben damit, daß ich plötzlich im Sattel saß, statt nur darauf. Nicht dramatisch, aber spürbar.

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Grant Petersen, einer der größten Brooks Abnehmer der USA, hat die Firma in ihren dunkelsten Zeiten, Anfang der 1990er, immer verfochten, vielleicht sogar gerettet, aber den swift führt er heute (rivbike.blug.tumblr.com) nicht im Programm. Die dünnen Brooks Sättel gefallen ihm nicht recht, sagt er ganz offen: da sie schmal sind, verlangen sie ein entsprechendes Becken und üben stärkeren Druck auf den Dammbereich aus.

Ich denke, die Sache liegt doch anders.

Ein Rennsattel von ca 14/5 cm Sitzbreite wird mit einer anderen Position gefahren, als ein Tourensattel von 17 und mehr cm. Je stärker vorgeneigt die Position ist, (und der Lenker einen größeren Teil des Gewichts aufnimmt), desto schmaler sitzen wir auf. Da bietet sich in einem Trekking/Touren Sport-sortiment (wie bei Rivendell) eher die komfortable Seite des Brooks Programms an, da der aufrechtere Sitz eine andere Gewichtsverteilung auf dem Sattel bewirkt.

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Das hier ist meine ganz persönliche Erfahrung  – und bei Sätteln zählt am Ende nur diese – der swift ist kein gemütlicher Sessel, aber er macht mir keine Probleme und also behalte ich ihn gern und empfehle ihn jedem, der viel fährt und mit einem Rolls oder Regal gut zurechtkommt.

Meine teilsynthetische  Rolls – Armee behalte ich natürlich .

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Reset

Roy gibt in den Abfahrten richtig Gas, die Straßen haben sich für die letzten 2 Stunden trocken gemacht, der Regen ist gewandert, erste Rapsfelder blühen. Rechts herum auf den heroischen letzten Berg, den sie hier den col du télégraphe nennen. Schön wärs.

Wir haben einen kleinen Bücherkasten in Drolshagen angefahren  – eine geht immer .

Wir gönnen uns bei km 120 einen sehr üppigen Dönerteller.

Kurz vor Ende suchen wir uns nochmal ein karamalz in einem Rewe und blicken auf eine graue Kölner Ebene. Wir reden von buddhistischen Inschriften in kleinen Tempeln, 12oookm von hier.

Aus dem Vereinsheim kommen mir die ersten geduscht entgegen, geben mir die Hand und fragen nach dem Befinden. Das ist bei einem Radmarathon mir nicht oft passiert. Ein gezapftes Hefeweizen auf das Wohl der Randonneure und auf das spezielle von Roy.

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………… der schon wieder zu anderen Zielen unterwegs ist.

(hier umgehen wir eine Brückenbaustelle, tragen die Räder einfahc durch den Fluß – wir sind ja schon naß).

Es war eine gute, abwechslungsreiche Partie, eine feine Erfahrung, die eine Fortsetzung will.

 

 

 

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