010315 – Mit dem zerlegbaren Reisedampfer durch Flandern: Maastricht 200
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Der 200er gilt unter Langstreckenfahrern eigentlich nicht als bemerkenswerte Distanz, aber für alle, die in die unbekannten Weiten der endlosen Radabenteuer vorstoßen wollen, ist es die Schwelle, die überschritten werden muß.
Anfang März aber sind 200km immer ein Formtest und oft ein ungemütliches Abenteuer, für das es in diesem Jahr aber handfeste Gründe gibt. Die Anmeldung zu Paris-Brest-Paris setzt eine Mindestzahl erfolgreich gefahrener Brevets voraus. Der 200er ist der Beginn der Qualifikationsserie.
Maastrichts 200er ist, mit dem in Twisteden, der früheste Einstieg in die Brevet-Saison. Seit Oktober gibt es eigentlich keine Gelegenheit, gemeinsame Ausfahrten zu unternehmen, jeder bewegt sich über den Winter, wie er kann – oft allein. Je früher desto besser, dachte ich darum und entschied mich für die Fahrt an die Maas.
Am Stayokay Hotel im Süden der Stadt sammeln sich die Räder, es wird gerade hell. Ivo, der freundliche Helfer und Organisator hat im Vorraum – nennen wirs lounge – eine kleine Kaffeetafel aufgesetzt. Die fünf Kannen müssen mehrfach nachgefüllt werden.
Die Teilnehmerzahl kann im Paris Brest -Jahr kann auch ein Wetterbericht, der uns Sturmböen und 200% Regenwahrscheinlichkeit verspricht, nicht reduzieren.
Aus Köln sehe ich Roy und Ingo eintreffen, die meisten hier sind natürlich Beneluxer, einige Räder (und Fahrer) sind noch vom 400er im Frühherbst bekannt.
Es wird die erste Probe für mein Gepäckträger-Krautscheid, dessen Rahmen ja am Tretlager aufgegangen war, da nicht sauber verlötet. Nun ist es mit Nickel bombensicher gefügt und gerade rechtzeitig mit einer Campagnolo 3fach Kurbel ausgestattet. Ich fahre darauf 50/40/30, hinten 6 Ritzel, von 13 bis 23. Alles wird gerastert am Unterrohr geschaltet.
Das Tal der Maas ist bald verlassen, die Wolken aufgerissen der Tag beginnt mit Sonne. Schon frsicht der Wind auf und es wird wichtig sein, eine Gruppe zu bilden. Zu siebt oder 8 haben wir uns gefunden, ein junger Holländer macht ordentlich Tempo – wie ein Hund, der zum erstenmal Auslauf bekommt – – sagt er mir. Gemach, denke ich nur, und ab km 20 kommen wir auf ein hohes Plateau ohne jede Deckung. Felder und Wind und ein einsamer Feldweg, dessen auf-und-ab mit einzelnen Fahrern man auf mehrere Kilometer vorhersehen kann. Die Gruppe rückt zusammen.
Rudi Altig gab einmal als Anhaltspunkt fürs Hinterradfahren vor, man solle die Vorderradnabe des Vormannes im Blick haben, dann stimme der Abstand. Hier mache ich es so und es ist ein ausgezeichneter Hinweis für gleichmäßiges, schnelles Fahren in der Gruppe. Schwierig wird es nur, wenn sich die Fahrstile unterscheiden. Nicht alle treten ruhig und rund und gerade bei Randonneuren gibt es viele Freiheiten.
Nur noch zu viert bilden wir einen kleinen Zug, fächern leidlich, aber wir bleiben zusammen. Es ist ein guter Test für die Form und mir wird bewusst, warum die Belgier als Erfinder des Fächers und des Kreisels gelten. Hier oben, am östlichen Rand Flandriens bläst es gnadenlos über die schlammigen Wege. Kaum das es Knicks, Hecken oder Deiche gibt. Ich danke meinem 40er und bitte an jeder Gabelung, um ein wenig Seitenwind. Es ist eine Mauer aus Wind.
Auf einmal befinde ich mich in einem Pulk sauberer Trikots : ein Radsportverein bei der Sonntagsausfahrt. Da geht es flott zu, und für 10 Minuten mischen wir uns unter und genießen die Windfreiheit im Peloton. Wir sind nicht die einzigen aus Maastricht, wie ich an einigen gesprenkelten Trikots erkenne. Und es wird nicht der letzte Verein sein, den wir an diesem Sonntag sehen und alle haben einen Besenwagen, der sie begleitet. Rennräder haben in diesem Land eindeutig einen hohen Stellenwert.
Nach der Überquerung der Lütticher Autobahn, deren futuristisches Brückencafé uns stumm grüßt, keimt Hoffnung: denn bald geht es bergab ins Tal der Maas, zwar gegen den Wind, aber bergab nach J : Verlaine – ein Gedicht. Dann im Maastal, dem wir bis Namur folgen. Und wir haben Nachwuchs bekommen: neue, schnelle Fahrer, die nach uns gestartet sein müssen. Nun führen sie und an jeder kleinen Steigung gibt es einen Sprint, bevor die Gruppe wieder zusammenfindet. Einige Kilometer vor Namur die ersten Industriebauten des vorletzten Jahrhunderts.
Dann wird, wie immer vor einer größeren Schwierigkeit, das Tempo unmerklich herausgenommen.
Die Schwierigkeit wartet am anderen Ende der Stadt – es ist die Auffahrt zur Zitadelle. Die Rampen sind gleichmäßig, nicht allzu steil, aber der Pflasterstein macht mürbe, es rollt nicht gleichmäßig. Ein Torbogen, aber das ist noch nicht das Ende, mit einer letzten Rampe muß die Zitadelle genommen werden.
Von hier oben ist der alte Glanz dieser Stadt gut zu sehen: Justizpalast, Casino, Kadettenanstalt und schöne Häuserzeilen der belgischen Gründerzeit geben eine gute Vorstellung davon, wieviel Reichtum diese Stahl, Erz und Porzellanstadt (mit Eisenbahnknotenpunkt) einmal erzeugt hat. Altes Europa.
Auf dem großen windigen Plateau die Kontrolle. Gelbe Karte zücken, Stempel empfangen. Harte Eier, Haribo, Wasser, Milchreis in drei Geschmacksrichtungen, alles ist willkommen.
Die Schnellreisenden fahren sehr bald weiter, während nach und nach die Gruppe eintröpfelt. Leidensgenossen tauschen sich aus. Unterwegs habe ich mich mit Tobit zur gemeinsamen Weiterfahrt verabredet. Tobit kommt aus Dortmund, wo er die Radbude betreibt . Sein kleines, praktisches multitool hilft mir, mein kopfstehendes GPS in die richtige Richtung zu drehen – jetzt geht es vorwärts. Daß ich ein Rad aus Bochum fahre, stört ihn als Dortmunder nicht weiter.
Bild: katalog
Er dagegen führt heute einen zerlegbaren amerikanischen Reisdampfer in hellblau aus. Es ist ein Modell von Surly und hört auf den Namen Trucker. Zum Transport ist der Rahmen an mehreren Stellen teilbar, eine aufwendige, luxuriöse Sache – die Übergänge müssen sehr stabil sein. Das Rad rollt auf kleineren und dickeren Reifen, sogenannten 650ern, was für den Komfort auf unserer Wirtschaftswege-Tour natürlich sehr zupaß´kommt. Die glänzenden, geklöppelten Schutzbleche und das violette Lenkerband sind eine Augenweide für Radkenner.
Namur bröckelt und Belgien feiert den bald 70ten seiner Legenden, Jacky und Eddy, der Rennfaher und der Rennfahrer.
Wir setzen jetzt unsere Reise über eine ehemalige, überteerte Kleinbahntrasse fort, einen sogenannten Ravel. Für Radfahrer ein Paradies – Sträucher und Bäume rundum als Deckung, zieht sich die Bahnlinie als Baumlinie gerade durchs weite Land. Kein Autoverkehr auf den zu achten ist, keine Kanaldeckel und Schlaglöcher, nur dann und wann die tiefe Rinne oder Stufe einer querenden Straße. Gib mir Wind, geb ich Dir Meilen: wir segeln durch Belgien und können bei flottem Tempo erzählen, während der Asphalt unsere Reifen singen läßt. Ich entdecke einen riesigen Himmel an dem sich Wolken ballen, auflösen, dahintreiben und die Sonne läßt den nassen Asphalt blau leuchten.
Ringsum glänzt frisch gepflügte Erde, dann wieder Weideland mit Pappelreihen. Bei Tuin verlassen wir den wallonischen Teil Belgiens und als wir nach gut 50km die Zwischenstation Drieslinter erreichen, hören wir in der kleinen Gaststube flämisch, sehen uns auf flämisch die belgische Fußballiga an.
Es herrscht sehr entspannte Stimmung, hin und wieder tauchen eilige Radler auf, der nette Inhaber zeichnet die Kontrollkarten ab und wir genießen erst die Frische eines Bieres und dann die Wärme des Kakaos von Drieslinter. Es ist Punkt 3 und es geht weiter.
Nach einem weiteren dutzend Kilometern verlassen wir den „spoorweg“ und durchfahren das mittelalterliche St. Truiden, eine schöne Kleinstadt mit mehreren Kirchen und dem kleinen Fußballstadion, das wir eben noch im Fernsehen erlebten. Aus dem Stadion dringt ein Raunen und herüber wir fahren im Slalom durch die Barrieren des Sponsors. Vom Portal der Kirche St Martin grüßt ein bekannter Reiter im Mantel das fahrende Volk.
Unmerklich wird das Land welliger und die sonntagsruhigen Orte wirken immer aufgeräumter. Der Feldwegschlamm an den Rädern ist jetzt trocken, aber alles läuft geräauchlos und auf den dicken Reifen von Tobit dürften die typischen Fugen der Straßen und Gehwegplatten kaum spürbar sein –
Die grüne Linie des GPS- Navigators kennt keine Hindernisse, nur ab und zu verpassen wir eine plötzliche Abfahrt, einen winzigen Feldweg zwischen zwei Häusern, ein Loch in der Hecke, das einen neuen Ravelabschnitt freigibt. Langsam gewöhne ich mich an die Bedienung dieser magischen Kiste, die einen durchs Unbekannte führt und zirpt, wenn man zu weit vom Wege abkommt.
Die Wolken werden grauer, die Sonne sinkt, doch das Ziel rückt näher, auch wenn Höfe, Obstbaumplantagen und Wegekreuze kaum vermuten lassen, daß wir keine 20km von Maastricht entfernt sind. Die Häuser am Weg sprechen eine Sprache, die immer holländischer und urbaner wirkt. Hier ist ein Architekt erfolgreich, der quaderförmige Ziegelbauten mit schlitzartigen Fenstern in die Orte pflanzt. Mehrfach stoßen wir auf eine Variante dieses eigenartig defensiven Haustyps.
Plötzlich sind wir an der roten Kanalbrücke mit dem Bunker vorne links, der die Grenze zu Holland markiert. Es ist geschafft. Grüße, Hallo, Stempel und gelbe kontrollkarte abgeben, bevor uns der Hunger wieder hinaustreibt.
Maastrichts Innenstadt ist eine große shopping mall und relativ upgradet. Die sehnlichst gesuchte Friture finden wir endlich am Großen Markt No 75 in einer windgeschützten Ecke.
2x Speziaal und eine klitzkleine Bierdose später sind wir sehr zufrieden mit dem kleinen Glockenspiel vom Rathausturm, das uns zur Vesper Mozart spielt.
„der frühe Vogel fängt den Wurm“ – Du hast das 200er gefangen! Gratuliere zur Frühtat. Deinen Bericht habe ich mit Genuss gelesen – die Fotos sind klasse. Bei uns in Berlin ist das 200er für den 21. März geplant. Dann vielleicht mit dem ersten, zarten Grün in der Landschaft.
all the best
Dietmar
Dank für das Kompliment – ich freue mich auf den Bericht aus Berlin und wünsche Grün statt Schneestürme. Und natürlich eine schöne Fahrt!
Ein ganz klase Bericht, ich konnte die Pommes und sogar das Bier am Ziel fast schmecken. Glückwunsch !
…ach ja und danke für den Hinweis auf Radbude in Dortmund. Die kenne ich noch gar nicht, und ich kenne hier im Pott so einige Läden.
17qm im Norden:Kleiststraße.
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