10415 Für die Surfer
Es gibt andere Sportarten in diesen Breiten. Auf dem Rad begegnen mir meistens Männer, grau wie ich, sie durchstreifen das Hinterland, die Küstenstraßen, einige wagen sich in die Berge. Die meisten scheinen unterwegs zu sein, um sich später mit mehr Appetit über ihr déjeuner herzumachen.
Als ich in Labastide-Clairence, einem Idyll zwischen grünene Hügeln, eine Pause einlege sprechen sie am Tresen vom großen RipCurl Outlet im Städtchen am Meer. Das Meer ist nicht weit (60km) und lockt. RipCurl heißt eine lokale Beachwear-marke. Der große Atlantik mit seinen riesigen Wellen ist ein Jungbrunnen und das Surfen sein Sport, sein Emblem. Dieser Ort ist mein Ziel, ich kenne ihn nur zu gut.
In seinen Läden tauchen allgegenwärtig Erinnerungsstücke und Devotionalien auf. Bedruckte T-Shirts, Landkarten und emaillierte Schilder erinnern an die Wonnen der Brandung, dem Leitmotiv einer Freizeitkultur, die vielleicht irgendwo in Kalifornien oder Hawaii erfunden wurde. Ewige Jugend, sonnengegerbte Haut und ausgebleichtes, strähniges Haar.
Wellen und Sonne sind schon da aber das Wasser ist kalt, maximal 16 Grad. Eine kleine Gruppe Surfschüler liegt in Neoprenanzügen auf den Boards und lauscht (andächtig) den Anweisungen ihres Lehrers. Mein Sohn schleicht sich mit seinem Bodyboard an und beobachtet sie. Die Dünung ist schwach , aber sie ermöglicht Versuche, sich aufs Brett zu schwingen. Nach einer Stunde sind alle wieder aus dem Wasser.
An den Stränden zwischen Seignosse und St.Jean (de Luz) begann eine europäische Tradition des Surfens. Die ersten Wagemutigen, die sich vor Ostern auf in den kalten Atlantik stürzten, waren in meiner Erinnerung Engländer. Sie kamen tatsächlich in umgebauten Bussen, und lebten dort, zwischen die Häuser geparkt, mit Blick auf die Wellen. Die Busse waren rostig, ihre Besatzungen wirkten primitiv, schlecht genährt und wild. Sie hatten Sonnenbrand und tatächlich schon im April ausgebleichtes strähniges Haar.
Wohnmpobile existierten noch nicht, ebenso wenig wie kostenpflichtige Stellplätze, RipCurl Outlets oder Neoprenanzüge.
Die Dörfer an der Küste lagen im Winterschlaf, die Läden der Ferienvillen waren geschlossen und warteten auf einen neuen Anstrich: es roch nach Kaminfeuer. Alles was wir damals brauchten, waren neue Schaufeln oder Eimer für den Strand, wenn die alten durchbrochen waren. Der Sand war naß und schwer und voller angeschwemmter Schätze, die uns ebenso exotisch vorkamen wie der japanische Van mit dem australischen Kennzeichen und den elliptischen Brettern auf dem Dach.
Heute, über 40 Jahre, danach ist die äußere Gestalt des Ortes von dem ich schreibe kaum verändert, vieles sogar hübscher, sauberer und frischer. Ursprünglich als Gartenstadt für eher begüterte Gäste angelegt, hat er sich geschickt an den explodierenden Freizeitmarkt angepasst, ohne seine Hülle abzulegen. : Bikinis kosten durchaus 100 Euro, Sonnencremes erreichen schwindelerregende LSF und mitten im kleinen Zeitungsladen kurz vor der Brücke, an dem man die Postkarten und eine deutsche Zeitung bekam, hängt ein pompöser Lüster aus Kristall. Ich erfahre, daß die hier produzierte Kleidermarke Ripcurl mehere Hektar Wiese abgezäunt hat, damit die spanischen Touristen, die in der Semana Santa vor Ostern hier ihre Ferien verbringen, genug Platz zum verfrachten der Schnäppchen finden. Nachher sehen wir sie im Tire-Bouchon zum Aperitif anstoßen
Im Eisladen, der ausgezeichnet ist, gibt es TShirts im Surf-Aloha Look. Über den Smoothies entdecke ich ein Bild, das mich 80 Jahre zurückversetzt.
Die große Esplanade über dem Strand ist dicht gefüllt, noch lange konnten Autos, wie hier, bis an den Strand fahren – ein Privileg, das auf die Radler überging. Die Damen tragen Hüte, Herren Anzüge.
Und die Bar Rock-Food, an deren Eingang jetzt zwei polynesische Gottheiten wachen, ist das alte Hotel de la Plage, das sicher niemand je im Bikini betreten hat.
Den ersten Surfern, die jetzt über 70 Jahre zählen dürften ist ein Gemenge von Clubkultur, Familienwellness und sanften Drogen gefolgt.
Die Kinder spielen wie immer im Sand, Schaufel und Eimer in der Hand. Die Wellen brechen tosend vor ihnen zusammen, während die Sandmauern wachsen. Bald geht Sonne unter und wie gestern, wird am nächsten Tag von der Burg nichts mehr zu sehen sein. Ich bewundere die schäumende Brandung, die irisierende Gischt und sehe einem Mann zu, der sich von einem Gleitschirm über den Strand ziehen läßt.
‚ . . . cause castles made of sand melt in the sea, eventually.