Auch bei dieser Mayener RTF konnte ich es sehen: Rennräder, die mehr als zehn jahre alt sind, (geschweige denn 20), tauchen auf der Strecke nur in gesundheitlich unbedenklicher Dosis auf. Auf hundert vielleicht eins.
Das liegt nicht daran, daß Männer über 40 keinen Sport mehr treiben. Im Gegenteil, wenn diese jungen Hüpfer es tun, dann wird oft neuestes Material ausgepackt, material, das durchaus heutigen professionellen Ansprüchen genügt. Aero-Speziallaufräder auf Eifelfeldwegen, das hat schon was.
Am konsequentesten aber folgt dem Ruf des Fortschritts das Publikum von 30+. ich rede nicht von Vereinsfahrern – die ja zum Teil auf Jedermannrennen mitfahren, sondern von all denen, die uns zeigen, wie ein rosanes Raphatrikot mit rosa Gamaschen in der Realität eines mittleren Eifeldorfes aus grauem Basalt wirkt. Konsequent.
natürlich wird mein altes Koga Miyata auf den Pausenhöfen wahrgenommen, jedoch eher ind der Verwunderung über den verschollen geglaubten Expeditionsteilnehmer, der vor 50 jahren aufgebrochen war, einen Nebenlauf des Amazonas zu erforschen.
die Abwesenheit von Carbonfelgen, Schalt/Bremshebeln und Ergolenkern sowie krudem Rohr, wird als ein enormes handicap wahrgenommen. Dabei sind es eher 5000 Trainingskilometer, die den Unterschied machen.
Es ist ja eben nicht ganz so, daß ein Stahlrennrad von 1980 die Rückkehr zu Talglicht und Sense bedeutet, dessen Wohltaten von einem zotteligen alten Mann in härenem Gewand verkündet wird. Die wirklichen Nachteile eines solchen Rades gegenüber einem Rodrigo Faszanatas 3.0 aus handlaminiertem carbonium mit 13 facher telekinese ™ Schaltung gehen im Sog der Fortschrittsideologie völlig unter. Wiederhole ich mich? Gerne.
Da ist einmal das Anwendungsgebiet. RTFs oder Radmararathons sind keine Rennen – zumindest keine offenen. Es gibt keine Ausreißversuche, keine stetigen Rhythmuswechsel. Es gibt keine Rundkurse , auf denen um die Ecke geballert wird, es gibt nicht einmal regelrechtes Windschattenfahren. Die Ankünfte werden nicht in Sekundenbruchteilen entschieden , in einem Verschalter.
Da braucht es keine blitzschnelle Schaltung , noch Laufräder die „Vortrieb generieren“, noch den entscheidenden halfstep in der Übersetzung, mit dem meine brennenden Beine gerade die Frequenz in der Ausreißergruppe halten können.
Als echtes handicap lasse ich das Gewicht am Berg gelten, da sind die drei Kilo Unterschied ein direkter Wettbewerbsnachteil. Mit der Einschränkung, daß sich dieser Wettbewerbsnachteil auf 99% der Körper aller Altersklassen ausgleicht. na gut: 95%. Zu einem echten Radsport-leistungsgewicht bringt es kaum keiner der Teilnehmer. Da sind locker mehr als 3 kilo luft nach unten, bei mir sicher 8, und mit dem Umstand, ein ganzes Rad zuviel herumzutragen, kann ich immer noch ordentlich rollen.
Wir wollen das vielleicht nicht ganz offen aussprechen: was ich hier beschreibe ist eigentlich nichts anderes als ein Zeichen, daß es Deutschen Männern und Frauen gut geht. Sie haben genug zu essen und zu trinken, ihre Einkommen reichen für das schöne Hobby (welches durchaus auch teuer sein kann) aus. Wir leisten uns eben die Räder der Saison, weil wir es können.
Wir sind froh zeigen zu können, daß es mit uns nicht bergab geht und in der richtigen Richtung unterwegs sind. Wir freuen uns genauso über den Golf 7, 8 ,9 n+1, wieviele Generationen dieses Autos unserer generation da noch kommen mögen, denn wir wissen: das Wachstum ist zwar nur eine kleine ideologische Lüge, aber sie ist der Maßstab an dem wir uns und die Vorgärten unserer Nachbarn messen.
Auch wenn einige dieser Nachbarn für dieses Wachstum eindeutig zuviel fremdes Kapital aufgenommen haben. Aber hier schweife ich ab.
Damit ist klar: das Angebot, den Radsport mit einer Rahmenschaltung auf 6 Ritzeln zu betreiben, nimmt hier niemand an. Mit 50 und grauem Haar und noname Trikot gehe ich als Exot durch, Würde ich aber jetzt und hier als 30 jähriger neben den Kameraden daherrollen, die ein, nein eher zwei Monatsgehälter an die Leistungsgrenze treiben, wäre mir eine kritische Distanz sicher. Gruppenkompatibel
Was schade ist; denn meine Botschaft lautet: Räder gibts in Mengen, nimm 500 Euro in die Hand und Du bist dabei. Laß dich gut beraten, bitte nicht von einem Special Interest Magazin, nimm gut erhaltenes Material (es gibt reichlich) , daß Du selber warten und zu einem Witzpreis unterhalten kannst und fahre, soviel Du kannst. Fahre so schnell Du willst aber keine „offiziellen“ Rennen, das tun ohnehin nur Menschen, die ihre halbe Kindheit und ganze Jugend diesem Sport geopfert haben.
Finde Leute, die den Radsport aus gleicher Perspektive betreiben und auch Zeit für längere Ausfahrten haben. Suche solche, denen das Fahren im Morgennebel mehr wert ist, als die Erwartung eines upgrade ihrer Systemräder. Nennen wir es nicht heroisch, denn es ist nichts übermenschliches dabei, nennen wir es Granturismo, schnelles, großartiges Reisen . Dieser Spaß ist von Dauer.. .
Schöner und prägnanter hätte ich selber es nicht ausdrücken können, was für mich das Essenzielle ist bei meiner Radlerei. Ich sollte mir diesen Beitrag ausdrucken und ein paar Kopien immer griffbereit im Rucksack oder Pannentäschchen haben. Grad neulich fragte mich ein jungdynamischer Cérvelot auf einer gemeinsamen Morgenrunde, was mich denn davon abhielte, „ein richtiges Rennrad“ anzuschaffen. Ich ahnte, worauf er hinauswollte, tat aber erst mal so, als verstünde ich die Frage nicht, bis er sich korrigierte in „zeitgemäßeres Rennrad“. Ich entgegnete, für meine Art des Fahrens brächte das keinen entscheidenden Zusatznutzen. Und da ich ja manchmal die Gelegenheit ergreife, zeitgemäßeres Material zu fahren, sei es bei einem internetbekannten Sammler in Süddeutschland oder einem Radverleih im 17. Bundesland, weiß ich, wovon ich rede.
Ansonsten bleibt aber auch festzuhalten, dass es hier (auch jenseits der Freundeskreise rund um Klassikerausfahrt und schicke Mütze) eine ansehnliche Stahlradquote gibt, auch bei ganz normalen RTFs. Zum Teil trägt der Trend auch ganz absurde Blüten, wenn irgendwelche Werbeagenturmanager, die vor lauter Auto-Oldtimern kaum noch Platz in den Garagen haben, dann ihr Herz für alte Rennräder entdecken…
In meinem Sinne.Danke. ich will niemanden davon abhalten, sich jährlich ein neues Rad zu kaufen, davon leben die Vereine, die solche Rundfahrten veranstalten und gut veranstalten.
Nur sollte eine (möglicherweise) bestehende Schwellenangst genommen werden, daß es ohne ein „richtiges Rennrad“ gar nicht gehe, weil ja auch eine Art Schamzone unbewußt errichtet wird, die einfach absurd ist.
Ich sehe noch den Sozialpädagogen (der auch marathon lief) im schwäbisch/ badischen Sulzfeld. Der hatte eine 150km runde auf einem rostigen enik in Sandalen absolviert und fragte sich, welche Schuhe besser fürs radfahren geeignet wären . . .
Ich wäre ja auch der letzte, der anderen ausreden wollen würde, permanent am bizyklischen Fortschritt teilzunehmen – und wenn es die gedankengesteuerte 14-Ritzel-Schaltung sein muss. Ich entscheide für mich, brauche ich oder brauche ich nicht. Die Entscheidung etwa, nicht mehr am Unterrohr rumzuwürgen zwecks Gangwechsel, habe ich ganz bewusst getroffen und nie bereut bisher. Ich fühle mich da keiner heroisch-klassischen Ära verpflichtet.
Und eins kommt noch hinzu: Auf Monsieur Mercier, der seine Herkunft und Marke ja nicht mit der Shift-Taste in die Landschaft megaphont, werde ich sicher viel öfter angesprochen als die vielen Zeitgenossen, die das aktuelle Sortiment von „Schlucht“, „Würfel“, „Gefühlt“, „2Gefahr“ oder gar „Rindviecher“ fahren. 😉
MONSIEUR MERCIER!
Es wäre eine sehr interessante und fruchtbare zeitstudie, über die vergänglichkeit, herkunft und Konnotation von markennamen zu diletieren. Das Lehrbuch zur „marke“ habe ich leider verspendet, es stammte aus den 1930ern, doch die Gedankenpsychologie der Warenwelt hat sich so gut wie nicht verändert, vielleicht beschleunigt, vielleicht fragmentiert. Weshalb wir an den „guten“ alten marken gern festhalten. Familie Peugeot lebt schließlich noch und am Urpunkt der Fahrradherstellung dteht ja auch der name des Erzeugers. Grüßen sie Herrn Gios bitte von mir.
Mit Markenverantwortlichen und ihren diversen Dienstleistern habe ich ja fachjournalistisch bisweilen zu tun, von daher ist die neudeutsch „branding“ genannte Disziplin für mich kein ganz böhmisches Dorf. Ich erinnere mich noch an meine Irritation, wie ich vor Jahren beim Schwiegervater im Keller ein Red Bull-Rennrad an der Kellerwand sah. Nun wusste ich zwar noch aus einem Markenrechtstreit zwischen einem Autohersteller und einem Illustriertenverlag, dass ein Ford Focus mangels Verwechslungsgefahr von Helmut Markworts Faktenfaktenfaktenheftchen nicht ausgebremst werden konnte, aber ein Red-Bull-Fahrrad wollte mir nie so recht einleuchten, und inzwischen hat sich beim Versender die Erkenntnis wohl Bahn gebrochen, dass das Image von überkoffeinierten flüssigen Gummibärchen nicht unbedingt auf den Markenkern eines Rennrads positiv einzahlt.
dillettieren?
Eure Kommentare zu lesen, macht mir große Freude! Da kann ich mich ja geradezu dran „delektieren“. Besonders, wenn „diletieren“ dann mit dem genauso falsch geschriebenen „dillettieren“ wetteifert. Dilettieren! So muss es sein! ( kommt nicht von mir – mein Ghostwriter ist meine Frau, die Lektorin ist) Und da habe ich es besonders schwer, rechtschreiberisch für voll genommen zu werden. Nach diesem kleinen Ausflug delektiere ich mich wieder an euren vorzüglichen Beiträgen 😉
Wohl dem, der eine so begnadete Hilfe an seiner Seite weiß . . . ich dilettriere dann fröhlich und ungeprüft weiter. !
nur zu! Zu meiner Freude!