Paris Brest Paris Teil 2 – die Rückfahrt (Poker für den Anfänger)

PBP 2015 Teil 2

Dienstag, 18. August

3h25, wir befinden uns in Brest

Der Zimmerservice ist pünktlich und läßt die Neonlampe aufleuchten. Eigenartigerweise habe ich nicht die geringste Schwierigkeit, zu erwachen. Der von wasserbombenartigen Spülungsgeräuschen punktierte Schlaf hat gereicht. Vorsichtig betaste ich achtern angeschlagene Partien. Positiv dank 1x Dr Wolff.

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Inzwischen hat der routinierte Andy Schlafmaske und Ohrstöpsel abgelegt. Die Fahrt beginnt er  im finisher-jersey des Carolina 1200ers. Ich bleibe in gelb. Wir stolpern durchs Treppenhaus, an dem immer noch Fahrer auf die Zuteilung ihrer Ruhestätte warten. Im Hof haben es sich Randonneure auf dem Rasen bequem gemacht. Metallisch schimmern die Rettungsfolien über ihren Körpern. Das Koga Miyata erwartet mich unversehrt neben einem Mercian. Luftdruck stimmt –  und ab auf die Ausfallstraßen von Brest, die natriumgelb schimmern.

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Bald liegt die große dunkle Stadt hinter uns. Hinab ins Tal des Elorn, dem Fluß, der durch Landernau zieht und dessen Name von JR Tolkien stammen könnte. Ein letztes Mal rieche ich Algen, dann geht es hinauf ins Landesinnere. Eine Gruppe Jugendlicher erblickt uns hier um kurz vor fünf und beginnt einen Willkommenstanz: „Le Paris Brest!“ schreien sie immer wieder in die Morgenstille, während wir möglichst würdevoll grüßen. Dann ein flotter kleiner Franzose, dessen Frau mit dem Wohnmobil begleitet. Nicht sein erstes PBP, (beim letzten mußte er sogar aussteigen), aber heute geht es ihm gut. Rund und leicht ist der Tritt auf dem weißen Carbon-Lapierre.

Schon erreichen wir die Kreuzung von le Queff, die Verpflegung ist auf dem Posten und diesmal wünscht Andy sich einen Café und fünf minuten. Gespenstische Lichterketten nähern sich aus dem Dunkeln, werden zu einzelnen Radfahrern, die hier mehr oder weniger sicher die Kurve nach Brest nehmen. Einige verpassen die Abzweigung,  laut und armwedelnd werden sie wieder auf den rechten Weg gebracht.

Es sind die Starter vom zweiten Tag, die um ungefähr 6 Uhr Brest erreicht haben werden. Das lautlose Ballett der Stirnlampen und Leuchten setzt sich endlos fort – wir müssen weiter, denn Café mit Frühstück wartetn schon seit 5h30.

Die Croissants von Sizun

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Wahrscheinlich ist Sizun ein netter kleiner bretonischer Ort ohne besondere Eigenschaften. Aber jetzt, da alle Cafés, Restaurants und Bäckereien hell erleuchtet sind, unablässig Radfahrer eintrudeln und weiterziehn und der Dorfplatz in Morgennebel getaucht ist, wird es ein magischer Ort.

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Im Café finden wir noch einen Platz, entdecken das Trikot der Randonneure Japan und genießen den Vorzug einer ofenfrischen Palette Croissants, direkt vom Blech des Bäckers, der um die Ecke im Akkord abeitet. Die Bretagne ist für ihre Butter berühmt, wenn diese in Croisssants kommt, kann ein Wunder geschehen. Ich schwöre beim Molteni Trikot von Eddy Merckx, das diese drei knusprigen Blätterteigstücke zu den besten gehören, die ich in meinem Leben gegessen habe. Knusprig von außen, fest und doch innen elastisch und so mit Butter getränkt, daß Zeitungspapier davon sofort durchsichtig würde . Der Café stark und gut, darauf gleich einen weiteren – es hätte nicht viel gefehlt und wir wären hier geblieben. Jetzt kommen zwei Kiwi Randonneure aus Neuseeland und versuchen ein Omelette auf französische zu bestellen.

Doch ein (wahrscheinlich) verrückter Schotte erinnert uns an die Pflicht: er wird sich gleich mit einem echten Fixie auf Carbonlaufrädern zurück auf den Weg nach Paris machen – durch den Triumphbogen von Sizun hinaus

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Schmerzfrei, wach und satt beginnt der sanfte Anstieg auf den Roc’h Trevezen. Aus dem Morgennebel stechen kleine Lampen hervor, neben der Strecke liegen Fahrer im Gras ,die es nicht bis Sizun oder Brest schafften. Es ist kühl Freunde! Endlos gleiten Nebelfahrer an uns vorbei.

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Vor uns ein Lieferwagen. Der Fahrer steht am Straßenrand und beugt sich über den Graben. Ganz unten eine Warnweste zu sehen – aber die Glieder regen sich und man spricht – wir passieren. Oben der Blick auf die Bretagne, Bäume ragen unten aus den Nebelflecken. Eine Glocke läutet.

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Der Verkehrauf der breiten Straße nach Carhaix gleicht einer Amesienkolonne. Wie gestern, nur ist diesmal das Gefälle auf unserer Seite und dann sieht die Welt schon anders aus. Nach einem armlangen Baguette vom Bäcker rollen wir kurz rein-raus in die Kontrolle Carhaix. Die 90h Gruppen sind durch und/oder treffen ein, der Sportplatz gleicht einem Heerlager.

back6„Du willst lieber nicht wissen, wie es da drinnen ausssieht. .“ sagt mir Andy. Nein, ich will diesen frischen, schon sonnigen Tag in der Bretagne genießen im erhebenden Gefühl, gewisse Passagen zum letzten mal gesehen zu haben. Es ist erstaunlich, wie sich eine Strecke einprägt. Ein kleiner byway führt uns an einer Galopprennbahn vorbei (die Fantasie eines Milliardärs?), in einem Dorf gibt es eine „Geheimkontrolle“, die ich mir gern gespart hätte: denn wenns rollt. . . .

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Wenigstens wissen wir jetzt, wie weit es jetzt noch bis zum Tagesziel „Villaines-la Juhel“ ist,  –300. Dann bilden wir wieder kleinere Gruppen, Rostrenen, St. Nicolas, es wird wärmer und geht voran. Flaschen füllen. Ein gutes Stück „Nationale“, immer schön ducken, wenn uns der 40 Tonner entgegenrauscht. Der 2Rädrige Gegenverkehr hat stark abgenommen und irgendwann hat Andy gesagt:

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“Everyone who is crossing us now is in deep shit.” Was auffälligerweise Chinesen nicht daran hindert, uns lächelnd entgegenzukommen. Go Thailand Go!

Allmählich liegen die Schlafenden auf unserer Seite, bunte Flecken im Gras.

Auf der Schmerzskala bin ich achtern inzwischen bei 6, die Meidhaltungen häufen sich, aber es gibt eine gute Nachricht: ich kann nach 850km wieder im Wiegetritt fahren. Auf den Abfahrten greife ich den Cinelli „campione del mondo“ am Unterlenker – so gewinne ich an Tempo ohne zu leiden.

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Den Merinopulli habe ich oben auf die Apidura „Schultüte“ gebunden, da kann er in aller Ruhe bis zur Nacht auslüften. Wind? Ganz ganz schwaches Lüftchen – ein Bretonischer Kapitän würde es als Flaute bezeichnen. Wir nehmen es als win -win situation, denn nach Windstille folgt der Western.

Der frühe Start macht sich bezahlt, denn die vielen kleinen Pausen, das gemächlichere Tempo bringen uns dennoch nicht in Zeitnot. Die 80h , mein Pokerstück sind also drin. Innerlich würde ich diese Distanz, die mir neu ist, als „drei 400er“ beschreiben. Aber Vergleiche sind ganz schwierig, denn die Umstände verhindern mentale Probleme, da ging es mir in diesem Jahr schon schlechter.

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Ein Bretone bläst uns an den letzten Steigungen vor Loudéac ein Ständchen auf der Schalmei. Der Walliser Nebenmann wähnt sich daheim: – die keltische Seele schwingt. Ein deutscher Fahrer spricht mich an, wies denn so liefe, daß es das erste aber auch letzte mal sei , usw. Er meint noch, sein Bruder sei ja längst durch, jedoch sei sein Bruder ja auch leicht bekloppt , was auf rheinisch gesprochen ja nicht immer abwertend gemeint ist. Sein Namensschild verrät mir: Dein Bruder muß Axel König sein. Erstaunt wird bejaht und das Gespräch nimmt neue Fahrt auf.

Axel König führt im internet Buch – seine Fahrten sind verzeichnet , seit 2009 steigert er sich regelmäßig und sein erster Paris-Brest 2011 ging schon mit unter 50h über die Bühne! Wer also sehen will, mit welchem Pensum man rechnen sollte, um diese Strecke flott und ohne Schlaf zu meistern, der sehe sich Axels Radsportseiten an.

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Mit einer Stunde Verspätung empfängt mich der Salon de Thé von Loudéac. Aber heute ist es Ziegenkäse mit Tomate, Nachtisch wie gehabt. Dann rolle ich ins Stadion, und wieder erkenne ich Räder, mit denen ich gestartet bin. Nachschlag, Körperpflege.

Ein Colnago, dessen Fahrer in einem Radsportmagazin vorgestellt wurde – das Ding mit dem doppelten Unterrohr. Und da ist Andy – noch im Gespräch vertieft. Ab in die Mittagssonne und auf den langen Törn nach Tinténiac.

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Irgendwann sind wir der endlosen Geraden auf rauhem Asphalt doch etwas müde und ich brauche neue Linderung. Radfahrer zeihen vorbei. Ein slowenisches Paar , das mal vor, mal hinter uns ist: man grüßt sich immer wieder gern. Dann ein Schnellzug, der von einem Paar auf einem Tandem angeführt wird. British Columbia führt vor Seattle.

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Zwei Samurai, die neue Kraft tanken. Immer wieder Zuschauer , die vom Picknick aus anfeuern. Nächste Erfrischung in St. Méen le Grand., d.i.:

Noch 400 bis paris! Klingt wie nix….

1 Kleiner Supermarkt, schöne, reife Nektarinen, Mineralwasser, Cashewkerne. Wie wir, kriecht dieser nachmittag voran. Und plötzlich schießt das Tandem wieder vorbei – diesmal ohne follower. British Columbia: er vorn,  &sie: schmal und braungebrannt – seine Pocahontas. Ich gehe ans Hinterrad und genieße eine kurze Weile den paradiesischen Anblick gut geschnittener Radsporthosen. Es wirkt alles so schmerzfrei.

Ich lasse mich zurückfallen und entschuldige mich bei Andy für das vergessene Foto. Andy hat die Technik des fahrenden Paares beobachtet und sagt als Kenner: „ein Tandem im Wiegtritt zu fahren will gelernt sein“ . .

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So wie der parcours sich wellt, kommt und geht auch die Kraft. 20km vor Tinténiac ist sie wieder da, in einer kleinen Gruppe erreichen wir flott um halb7 die Schule dort. Dabei bemerkt: einen britischen Fahrer mit Seilzug-Scheibenbremsen, einen deutschen fahrer mit op-art Trikot auf einem dunkelroten Crossrad, dessen indexierte Dura Ace sauberer schaltete, als das meiste, was jetzt zu hören ist.

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Dort steht der Mann vom ABC: Altonaer Bicycle Club – Lars Amenda – wir begrüßen uns und er zeigt zufrieden auf seinen Brooks Sattel. Alles prima dort. Weiter in den frühen Abend, Weiden und Knicks im weichen Abendlicht. Ein Einheimischer vom ersten Tag „Du machst mir mut mit deiner alten Kiste..“taucht auf :Nr 188 – seine Vereinskameraden aus Mayenne haben aufgegeben: Kälte und Knieschmerzen.

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Kühe mit Goldrand – zum Abendessen sind wir in Fougères. Genauer: im Gewerbegebiet von Fougères, hinter dem Kreisverkehr

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und selbst eine E Leclerc Schachtel oder eine McD Hütte wirken jetzt verheißungsvoll. Das etwas andere Restaurant ist gut besucht, die Bestellung erfolgt per touch screen, worauf nach Kartenzahlung ein bon ausgespuckt wird. Das war mir neu.

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Die junge Frau am Tresen wundert sich folglich über meinen Wunsch nach persönlicher Ansprache. Ob sie weiß, was dieser touchscreen am Ende für ihren Job bedeutet? Die hygienische Frage des Gerätes stelle ich mal nicht.

Wir ziehen unter befremdeten Blicken des Publikums schonmal die Wärmelagen über und genießen den kalorienreichen Standard. Fougères liegt vor uns, die Umrisse der Festungsstadt sind nur noch zu erahnen und in einer Allee begleitet mich kurz der Duft blühender Magnolien.

 

Dienstag, 17. August  – die letzte Nacht

Der Arzt ,der mich vor 600km so gut betreute ist nicht im Dienst. Meinen Gruß (bin schließlich dank ihm wieder hier) werde ich also in Villaines übermittteln. Nochmal heißen Kakao, nochmal Hände und Gesicht waschen. Der Hauptsaal wirkt nun etwas desorganierter als beim Hinweg. Einige schlafen im Sitzen, einige zwischen den Tischen, andere haben sich die Bänke der Umkleide ausgesucht, wieder entdecke ich einen Liegenden im Schatten der Willkommenstafel. Viele haben wie ich einen leicht schwankenden Gang und blicken leicht dejustiert durch die Gegend. Die Dr Wolff Salbe ist wie ein Eisbad. In einer stillen Ecke lasse ich wirken.

Ein wallisischer Mitfahrer und Genosse vom Cardiff Ajax wird angesprochen, wir beschließen die Fahrt zu dritt fortzusetzen, damit das Müdigkeitsrisiko kleiner bleibt. Die Kontrolle in Villaines hat bis 8h geöffnet, erinnert mich Andy: wenn wir es in dieser Nacht schaffen, haben wir die 80h wohl im Sack.

Lars Amenda trifft gerade ein , er ist auf der Suche nach Coca Cola. Der letzte Stint des Tages – 80km bis Villaines-  beginnt nach 23 Uhr mit einem deftigen Anstieg aus Fougères. Die Walliser unterhalten sich über Gott und die Welt, französische Kunst am Bau, Punktesysteme über Strava und was einem sonst noch nach Mitternacht auf einem Rad nach bald 60 Stunden einfällt. ….Now he goes now he stops, now he sings now he stops…. Es geht sanft auf und ab, der Milchlaster überholt, dann der Schweinetransporter mit den roten LED Girlanden unter kernigem v8 Bollern.

Kommt ein Espace mit Blaulicht vorbei. Unwillkürlich denke ich an einen Unfall auf der Strecke, die ja viele Kreuzungen hat. Wir zockeln durch absolutes Dunkel, mal taucht ein Rücklicht am Horizont auf, mal zwei, dann, im nächsten Wellental, sind sie wieder verschwunden. Es ist ruhig und mild, die Gespräche werden einsilbiger, dann, im Straßengraben, meine ich ein Licht schwanken zu sehen. Ein Rücklicht in rot dazu. Dann erkenne ich die Umrisse des Autowracks neben der Straße, ich sehe einen Arm der sich aus einer Öffnung streckt. Mein Magen zieht sich zusammen, warum steht der Espace nicht hier? Jetzt die Umrisse eines bärtigen Mannes, der hinter der Motorhaube auftaucht. Es ist kein randonneur.

Mit einer Taschenlampe untersucht er die Eingeweide eines Ford Mondeo nach verwertbarem.Wir grüßen den Wracktaucher, ich atme wieder. Die Polizei hingegen steht mitten in der nächsten Ortschaft vor einem kleinen Haus. Natürlich sehe ich in die halboffene Tür und es ist eine dunkelhaarige Frau in langem weißen Kleid . . .

Wieder der Milchlaster, sein riesiger Edelstahlzylinder etwas voller, wir ein bisschen leerer. La Tannière: ein ritueller stop für Paris Brest Hier macht eine Familie seit Jahren Crèpes und Café rund um die Uhr. An einer Pinnwand hängen unzählige Postkarten, dankesgrüße der bewirteten Fahrer aus aller Welt. Meine Ansicht von Hadamar, Barockkirche und Konvikt vor dem Elbbach,  -die habe ich dabei und spende gern.

Bald zwei Uhr und noch 40km bis Villaines. Wir rauschen in einem großen S ins Tal. Von der letzten Tour de France steht ein riesiges Dekorationsrennrad am Brückenparkplatz. Dahinter ein Café. Unser Mitfahrer ist zurückgefallen, wir stoppen. Hinten im Tal von Ambrières bullert wieder der Viehlaster vorbei.

In einer umgebauten Garagegegenüber, von einem langen Tisch, prosten uns rotbackige Normannen trunken zu: auf einen Calvados. Ich genehmige mir einen weiteren Café und eine schöne, heiße Kartoffelsuppe. Die wirkt wunder. Zehn Minuten später fahre ich rote Rücklichter einsammeln.

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Nach 950 km, mitten in der Nacht ist mein Tritt plötzlich locker, flüssig, rund. Ich bin im Nirwana der Schmerzfreiheit und genieße diesen eigenartigen Rausch. Die Walliser sind irgendwo hinter mir, wir werden uns ohnehin in Villaines sehen. Es geht auf, es geht ab, ich grüße die Fahrer im dutzend und rausche durch. Erst auf  einer längeren Abfahrt , einer lichtlosen Départementale, lasse ich es gut sein und schließe mich einer Gruppe an.

Darin. . .  Lars Amenda . . wir schnacken und nehmen den letzten längeren Anstieg vor Villaines in Angriff. Ein Franzose sprintet in der Dunkelheit um die Bergwertung, aber ich bin noch wahnsinniger als er: ich stürze mich ins völlige Dunkel der Abfahrt zwischen Charchigné und Loupfougères, ich rieche die Kurven, ich fühle, daß mein größter Gang drin ist . . .

Um kurz nach 4 liege ich auf einem Massagetisch in Villaines, km 1000. „Deine Muskeln sind doch ok“, sagt der Masseur, ein Ex-PBP. Nur oben links wars etwas hart,  die Gegenleistung für das dumme rechte Knie, dessen Schmerz der Vergangenheit angehört. Ich bestelle über ihn dem Arzt viele Grüße und beziehe meine Schaumstoffmatte : reiner, nackten Schaumstoff. Mein Kopf ruht auf dem Merinopullover , eine Uhr tickt an der Wand, mit mir liegen in diesem Raum ein dutzend anonymer Schnarcher und drei Stunden später weckt uns ein kleiner Hund. In der Mitte des Saals hat er sein Häufchen gemacht.

Hosenwechsel bringt Gewissheit: Schwellung , die Creme brennt sich ein, wie ein Nadelkissen (in das ich mich die nähsten 220km setzen darf)., Sehr vorsichtig ziehe ich die EHose hoch, hole mir Bananen und Tee. Ein sanfter grauer morgen weckt Villaines-la-Juhel. Mütter bereiten mit ihren Töchtern das Frühstück: ich proste dem Teegenießer Lars A zu, der mit seinem Copiloten Lars B sitzend frühstückt, was ich tunlichst unterlasse.

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Mittwoch 19.August:  der letzte Tag

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Kurz vor 8 mache ich mich mit 3 Croissants aus dem Städtele hinaus, das den großen Andrang in den Mittagsstunden erwartet. Sehr langsam beginnen die ersten Kilometer in der Morgenröte. Die Normandie ist ein stilles Land.Nach einer Stunde beim Café nochmals nachlegen.

Das „Bon Coin“ liegt in einer Haarnadelkurve. Auf einem großen Laken wird die Richtung nach Paris gezeigt. Trotzdem rauschen einige durch, worauf der Cafébesitzer hinausstürmt und laut ruft. Die zwei Gäste sind neugierig zu hören, was ich von der Strecke berichten kann – wie ein Reisender aus der Vorzeit, der den Siedlungen Nachrichten bringt und Märchen erzählt

Endlose Geraden erwarten mich jetzt, die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten in der Normandie. Die Steigungen nehme ich im Wiegetritt, so lang es geht und lasse mich dann sehr sehr vorsichtig auf meinem Sattel nieder. Immer wieder Gruppen, die einen Hauch zu flott sind. Zahle ich nun für den Nacht-Ritt? Wo jetzt die Walliser stecken?

In Villaines habe ich keinen gesehen –

Nach einer langen Abfahrt, in der die frische Brise mein Heck kühlt, erreichen wir ein Städtchen,  dessen Verein 5 oder 6 Mitfahrer stellt. Direkt neben der alten Markthalle stehen die Vereinsmitglieder vor einer Tafel, auf der die Zeiten der Kameraden verzeichnet sind, daneben locken Speisen und Getränke und ich werde wieder schwach: ein Stück Apfelkuchen und zwei Himbeertörtchen werden mir geradezu aufgedrängt. Sie sind köstlich und eigentlich wäre bald ein Schnaps angebracht. Doch ich bleibe stark, denn die kulinarische Station Mortagne erwartet mich.

Allmählich fühle ich mich besser, gleichzeitig schwindet das Zeitgefühl. Wärme und Windstille, totale Landschaft. Nach Mortagne führt eine lange Steigung, ich erinnere mich an den ersten Abend und diese hübsche Stadt auf einem Hügel. Ich ziehe an einem Österreicher Randonneur vorbei und unter Applaus und Anfeuerungen gehe ich für die letzte Spitze zur Kontrolle nochmal aus dem Sattel. Man hat seine Würde.

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Die belegten Baguettes stammen vom lokalen Fleischer, der Radklub Mortagne läßt sich nicht lumpen. Wer hier Hunger hat (wie ich, denn es ist nun Mittagszeit), dem empfehle ich Rillettes, die normannische Spezialität, eine Art heller Streichwurst. Danach ist der Schinken nicht zu verachten. Der Perche, das darf ich hier als Fleischfresser erwähnen, ist heimat des Percheron und einiger sehr sehr wohlschmeckender Rinderrassen.

Viele Fahrer machen hier eine längere Pause vor den letzten 140km. Da steht auch das hellblaue BobJackson meines Cardiff Ajax Mitfahers, doch weder von ihm noch von Andy eine Spur.

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Auf nach Dreux! Und ab jetzt werden die Kilometer rückwärts gezählt.

Es geht durch große alte Wälder, wieder ist es wellig und ich leide in den Anstiegen, so schön das leuchtende Grün und die Straße auch sind. Riesige Bäume schützen mich vor dem Mittagslicht. Ein Tandem kommt mir entgegen: „Cheri, „ sagt er „Du brauchst einfach ein besseres Fahrrad .“

Wundervolle Stille hier, im kleinen Gang hinauf.

SEHR SEHR LAUTE STIMMEN VON HINTEN hallen durch die Waldeinsamkeit. Eine Bande Italiener überholt mich und verletzt meine romantische Seele. Ich schließe mich ihnen trotzdem bis zur Kuppe an, doch die unverständlichen Sätze die sie einander zurufen (vielleicht um sich wachzuhalten) machen es nicht leichter. Dann „überschalte“ ich mich – die Kette fällt hinter das kleine Ritzel – kurz mit dem kleinen Finger rausgeholt und wieder auf den surrenden Dura Ace Schraubkranz aufgelegt. Achtung _müde.

Immerhin: etwas schneller könntest du ja mal. Das Land ändert sich.

Es wird flach, eintönig, weizenfeldig straight nach Osten. Ich rolle mit einem Kanadier, das riesige Ahornblatt auf seinem Trikot verkündet es – leider kennt er Mariposa Bikes nicht. Kanada ist groß, Frankreich kleiner: noch 40 bis Dreux, also 100 bis ins Ziel! Himmelarsch, ich werde es schaffen, sogar noch bis zum Abendessen, geht es mir durch den Kopf – dieser Gedanke ist die Peitsche des Jockeys. Heute noch werde ich mich an einen Tisch setzen, aus einem Glas trinken, in einem Bett liegen.

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Eine kleine Brise weht von hinten, rotiere los, ich lege sogar das 16er auf. ! Ab geht’s, lang an der Schloßmauer, Unterlenker, Unterlenker, la selle dans le cul, nichts ist jetzt angenehmer. Die kleinen Punkte am Horizont werden zu Fahrern, die in der kleinen Blase ihrer Einsamkeit für immer voneinander getrennt sind. Ein Grieche blickt mich ungläubig an, wie ein Kind, das ich geweckt habe. Andere schlafen noch: im Graben, an Mäuerchen, im Sitzen – als hätte die Hexe einen Spruch getan. Weiter: 30, kleine Kreuzung, kleine Orte, Wasser trinken, tempo halten: 20. Eine riesige Ebene und immer noch Wind von hinten – wieder ein Fahrer am Horizont: 10. und Dreux in Sicht, !die allerletzte Kontrolle.

Die letzten km durch Vor-Dreux allerdings sind eine kleine Gesäßstrafe und führen ganz sicher nicht direkt zum Stadion. Zahllose Flicken, Rinnen, Fugen. „Zahlt ihr in Dreux keine Steuern, oder was?“ ruft später einer.

Bitte erwarten sie mich gegen 19h

Gebe ich meinem Supporter durch. Dreux, die riesige Sporthalle, das üppige Buffet – 1Boursin, 1Orangina und 1 Jogurth = 4,80Eur liegen hinter mir. Die Marterstrecke (aus der Stadt hinaus) auch. In der Abfahrt, keine 2km vom riesigen Krankenhaus entfernt, hat es einen erwischt: ein BMC Rad wird in einen Kombi verstaut, jemand schreit uns zu: „Seid vorsichtig ihr radfahrer!“. in der großen Kehre bergab steht die polizei neben einem Auto, dessen Seite verbeult ist. Gegenverkehr? Kurve falsch eingeschätzt? 60km vor dem Ziel ist das schon eine heftige sache, die alle zusammenzucken läßt.

Eine zeitlang fahre ich noch in der Gruppe, doch dann läßt die Körperspannung nach. Ich blicke über die abgeernteten Felder, der Himmel ist nun grau, der Regen wird mich nicht mehr erwischen, ich fühle ich mich wie ein Rentner, der einmal ums Dorf fährt und die Minuten zählt bis zu den Nachrichten, dem Krimi . . . ..

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Hinter mir höre ich das bekannte Geräusch rollender Fahrräder.

Ich sehe mich um und sehe in der ersten Reihe ein bekanntes Grinsen über einem bekannten Trikot :“ cardiff byways“. Andy hatte in Villaines wohl nur kurz geschlafen oder war durchgefahren, um später zu schlafen – einerlei . Ich freue mich und die Gruppe beendet die Tagträume, die sich in der Ile de de France verliefen.

Schon geht es flotter, aber die letzten 20km werden es nochmals in sich haben. In der Nähe von Rambouillet treffen wir wieder auf die Strecke des Hinwegs, dann kommen ein paar knackige Steigungen, die jetzt richtig weh tun und als ich mich zu einem kühlen Saft verleiten lasse, sehe ich Lars Amenda zum letzten male. – bis HH-B, min Jong.

Mit Andy und einem Franzosen, dessen Vater zum 8ten oder 9ten mal !! diese Reise macht, fahren wir die letzten Meilen, auf denen immer wieder Passanten bravo rufen, oder die Lichthupe benutzen. Ein Radsportverein überholt uns auf seiner Ausfahrt, ich rieche die frischgeölten Beine, es gibt Klapse auf unsere Schultern. Wenn etwas glücklich macht, dann das.

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Die zehn Kilometer Marke ist passiert und damit erreichen wir die Vororte, ihre Kreisverkehre und Bodenwellen, die noch letzte Grüße an meinen Sattel senden. Wie Seeleute sprechen wir von den Dingen, auf die wir uns „an Land“ freuen. Ein letztes mal passiert uns ein Zug Italiener in vollem Tempo (möglicherweise gibt es eine Tagesprämie?). Wir nähern uns dem Stadion über einen neu angelegten Park in dem Familien Drachen steigen lassen, Grillen und der Duft von Holzfeuern liegt in der Luft. Dann die letzte Kurve, Rufe, Schreie Händeklatschen, wir durchfahren das Tor der Zeitnahme und stellen unsere Räder (mit Quittung) ab. Brevet erfüllt!

Andy reicht mir die Hand und blickt mich an: „thanks mate“ . Und das wars, –

Jedenfalls für die nächsten vier Jahre.

Und dann kommt König senior hinein, sein Bruder Alexander wartet auf ihn. Wir gratulieren alle einander und knipsn: Hier ist das Bild

könig u könig

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7 Antworten zu Paris Brest Paris Teil 2 – die Rückfahrt (Poker für den Anfänger)

  1. alex schreibt:

    Ein schöner langer Bericht ( auch wenn da einige schnelle Vertipper drin sind ), danke !

  2. mark793 schreibt:

    Jetzt, wo auch die Arbeit mit dem Abschlussbericht getan ist, kannst Du Dir die kleine Finisher-Prämie getrost zu Gemüte führen. Prösterchen!

  3. Daniel schreibt:

    Toller Schreibstil und interessanter Bericht, wie auch die vorherigen!

  4. Takeshi schreibt:

    Angesichts der Streckenlänge traue ich mich ja kaum, einen Kommentar zu hinterlassen. Ist so hautnah beschrieben, da bin ich weg aus dem Alltag und fahre direkt mit. Schön! Vielen Dank dafür!

    • crispsanders schreibt:

      Jeder darf kommentieren, jeder darf fragen und jeder soll sich daran erfreuen. Im Gegenteil: gerade die, die es (noch) nicht erlebten sollen kommentieren, der Austausch von Erfahrung ist das schönste am Randonneur-Leben.
      PS: Der record-man lenhard aka schibiker hat seine Fahrt auf rennrad-newes unter brevets und randonneure beschrieben. Sehr interessant.

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