Der Geist aus der Flasche

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Es war ein merkwürdiges Gefühl. Eines, bei dem das Staunen einem Entsetzen weicht, das von hinten über den Nacken kriecht. Aber eigentlich versank nur ein Strohhalm.

Das Interview stand diesen Sonntag in der Frankfurter Zeitung. Es geht um Leistungssport und Doping, wieder einmal. In fast jeder Woche kommen ja unschöne Meldungen über Korruption, Kriminalität und Betrug vom großen Sport. Nur zu wahr.

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Natürlich hatte ich kein wirklich gutes Gefühl, wenn ich mir Radrennen ansah, die mit den gleichen Geschwindigkeiten abgespult wurden, wie zu den angeblich überwundenen Zeiten von Epo.  Zeiten, die seit der Austreibung des Alphateufels Armstrong Geschichte waren. Es lief eher so, daß in den Ergebnistabellen nach Indizien gesucht wurde, die die Verdächtigen entlasteten. Das war der Strohhalm.

Jetzt also kam ein Kriminologe zu Wort , der auch mit der Aufarbeitung der Epo-Politik im Verbund Uniklinik Freiburg/Team Telekom befaßt ist, und reißt den Vorhang beiseite. Er zeigt einen globalen markt der synthetischen Drogen. Einen Markt, der  davon lebt, verbotene Substanzen, neue Substanzen und unbekannte Substanzen tailor made herzustellen und „unter dem Radar“ einzusetzen.

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Ab einem bestimmten Einkommensniveau (kann) muß ich mir als Leistungssportler meine Steroide, Mein Epo, Meine Amphetamine  – was auch immer exklusiv fertigen lassen. Diese Substanzen stehen in dieser Form auf keiner Liste, die Möglichkeit sie zu variieren macht sie, anders als standardisierte Medikamente der amtlichen Pharmaproduktion, kaum erkennbar. Wir sind in einer neuen Epoche, auf dem nächsten Plateau.

Mit Fabrikationsstandorten wie Indien oder China greifen die Vorstellung von freiwilliger Selbstkontrolle oder Selbstanzeige wahrscheinlich nicht, zumal es einen weltweiten privaten und eher legalen Markt für diese Substanzen im Bereich des Bodybuildings schon seit langem gibt, der von todesverachtender Experimentierfreude ist.

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Wer sich noch daran erinnert, daß schon in den 80er Jahren Herzstillstände zum Tod von Ausdauersportlern führte und weiß, wie noch in den letzten Jahren junge Fußballer tot auf dem Platz umfielen, der braucht keine anderen Erklärungsansätze mehr.

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Epo war der Stoff , der aus dem berühmten Gaul ein Rennpferd machte. Er tut es heute noch, ganz unvermindert, denn Epo war nie weg. Es taucht nur unter dutzenden neuer Formen auf, das ist mir eben klar geworden. Zusammen mit (Eigen)Blutkonserven, die nun anders präpariert werden. Vergeßt die Lippenbekenntnisse:

Keine Beweisführung mehr, keine Indizienprozesse und deshalb  so erschütternd –  weil es diese unbegrenzten Möglichkeiten gibt, kommen sie wo immer es nutzt zum Einsatz. Alle gegenteiligen Behauptungen sind EigenPR zum Schutz der Vermarktungsrechte.

Da schwimmt er, mein Strohhalm und stürzt den Wasserfall hinunter.  Jean-Giraud-10_905

 

 

 

 

 

 

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4 Antworten zu Der Geist aus der Flasche

  1. randonneurdidier schreibt:

    Hallo Christoph, mein Strohhalm ist auch „den Bach runter“. Seit ich gesehen habe, wie auch im Amateursport nachgeholfen wird. Nur da ohne kompetente ärztliche Begleitung. Und ohne Doping-Kontrollen. Danke für Deine wohl formulierten Gedanken und die schönen Bilder.

    • monnemer schreibt:

      Hallo zusammen,
      mit der Einschränkung, dass dem Konsumenten auch im Profibereich ärztliche Begleitung wohl nicht viel nützt, wenn das Zeug noch nicht mal die Tierversuchsphase durchlaufen hat.
      Hier ein Artikel, auf den ich im letzten Jahr gestossen bin:
      „A Drug Hits Cycling Before It Hits The Market“
      http://www.nytimes.com/2015/07/30/sports/cycling/fabio-taborre-and-carlos-oyarzun-drug-tests-suggest-use-of-chemical-meant-for-research.html?_r=0
      Was bleibt, ist die deprimierende Erkenntnis, dass Prof. Franke mit seinem seit Jahrzehnten recht drastisch geäusserten (und von vielen heftig widersprochenem) Mantra vom dopingverseuchten Leistungssport richtiger lag, als man (zumindest ich) gehofft hat.

      • crispsanders schreibt:

        Danke für diese zusätzliche Quelle – wir stimmen absolut überein. Was die klinischen Versuche angeht, so war seinerzeit ca 1987 die Charité Berlin/O damit beauftragt, das Ur-EPO im Versuch mit „freiwilligen“ Patienten zu prüfen – für ein Schweizer Unternehmen. Wenn wir von der gleichen kriminellen Energie ausgehen, die im Leistungssport wohl immer schon geherrscht hat, dann schätze ich die ersten Selbstversuche im Radsport auf (Ende) 1988, organisierte Anwendung West frühestens in der Vorbereitung 1989, Einsatz ab 1990 . . . Ist eine reine Mutmaßung. Ein Sachbuch über die Karrieren einzelner Substanzen im Leistungssport – medizinisch fundiert, historisch korrekt und ohne jede Polemik – ist schon lange mein Wunsch.

    • crispsanders schreibt:

      Die Bilder stammen aus der Feder von Moebius, aka Jean Giraud, einem Klassiker der ComicSF – Literatur. Zu seinen Lebzeiten bekam er sogar eine Museumsehrung. Ihm gebührt die Ehre.
      Dank für die Amateursportergänzung, sie rundet sozusagen nach unten ab, was nach „oben“ nun eine neue Dimension erhalten hat. Mich erschüttert die Gleichzeitigkeit von „ich rufe die Jugend der Welt“ und der rechtsfreien Praxis im grauen Medikamentenmarkt. Ärzte scheinen in diesem neuen Spiel nur noch als Randfiguren vorgesehen zu sein, anders als in der Vergangenheit.

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