Der schwarze Stern am Ende des Rheingrabens

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Immer noch kein Frühling und schon wieder zurück. Fast kommt es mir vor , als hätte ich 24 graue Stunden auf dem Rad verbracht, kleine bunte Punkte hier und da, die Wärmepole der Tankstellen dann und wann, deren Personal im T.shirt arbeitet. Black Star. (Was eine interessante Variation zum Titel des K Crimson Album „Starless and Bible Black“ ist! 260316)

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7 Uhr, 4°Celsius: los, 250km nach Süden. Ich bin früh dran in diesem Jahr – über einen Monat eher als bei den vorigen Versuchen, vom Winter in den schwäbischen Frühling zu fahren.

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Ins erste Drittel hatte ich mir neue Abschnitte eingebaut, die die Fahrt schöner und 50 Höhenmeter angenehmer machen sollten.

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Auf ein paar Kilometer strade Bianchi =Waldweg, bachsäumend, feuchtlärchend,  – folgt ein unbekannter Anstieg über einen Taunusausläufer nach Oberseelbach, dessen nieseltrübe Steigung unerwartet zäh lief.

Die Umfahrung Wiesbadens (diesmal bestens) über die Felder. Ich erreiche über Igstadt Erbenheim, wo ich auf die „alte“ Route treffe. Hier kaufte ich die bremsen für das Rad auf dem ich fahre. Eine ländliche Gemeinde. Vermeide so Bundesstraße, Kasernen, Geröll, zerplatzte Flaschen. Werbung für Maultaschen auf Plakat – die kulinarische Mainlinie ist überschritten.

b11 Wiesbaden zur rechten  -anonym und dunstvergessen –  hinunter nach Mainz in den großen Rheingraben für die nächsten 150km . . . .und schon geht es über die große Brücke ins Nachbarland.

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Mainzer Rheinufer: Ich nehme mir kurz Zeit, über den kleinen Flohmarkt  zu schieben. Die Profis stehen als erste da, dann Rentner, Studenten. Weniges von Wert, manches von Nutzen. Kleine Beute. Dann statt  Esso (Stop of the year 2013, 2014, 2015)  eine Jet-Tanke, ohne wirklich große Unterschiede zu bemerken. Die Toiletten bei Esso liegen innen. Sind beide geheizt.

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Noch ein paar Fabrikanlagen und bald schon Weinberge, durch die kurz vor Nierstein -Roter Hang eV- ein schöner Weg führt. Nur kalt ist es, gerade noch erträglich. Erster Krokus, erste Narzissen spenden mir vom Straßenrand Trost. Trupps freiwilliger Helfer räumen Becher, Pappen Plastikverpackungen fort, die Autofahrer rituell aus dem Fenster werfen, wenn sie von einer Schnellstraße abbiegen. Selfies von Freiwilligen Helfern mit „helfenden“ Flüchtlingen werden gemacht.

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Ich mache Meilen auf dem grauen Band unter grauem Himmel. Irgendwo links brummt die B9 . Guntersblum! Letztes Jahr sah ich eine Paulownie hier blühen. Über einen Monat später.  Mittagsstunde – Hunger kommt auf und ich fahre meine literarische Station an: Osthofen. Diese kleine Stadt wenige Kilometer vor Worms ist ländlich geprägt, stattliche Weingüter gibt es hier (Sekt!) und eine Metzgerei mit hundertjähriger Tradition. Es ist voll darinnen.

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Zwei Eier, Wurstbrot und Kaffee: während ich mich wärme, höre ich den lokalen Dialekt, schon zwei Vokale weicher als da, wo ich gestartet bin.  Osthofen liegt im Schatten des siebten Kreuzes. Das siebte Kreuz ist ein Vorkriegsroman, den Anna Seghers, eine Jüdin aus Mainz auf der Flucht nach Amerika schrieb. Erstmals wird darin ein Konzentrationslager beschrieben und die Flucht daraus durch das Deutschland des Terrors und der Denunziation (1938!). Das KZ im Roman heißt Westhofen und die Flucht der 7 Häftlinge findet durch eine Gesellschaft statt, deren Großteil später behaupten wird, von deren Existenz nie gewußt zu haben. Der Bürgermeister läßt grüßen.

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Das Buch erscheint zunächst als graphic novel auf Englisch, ca. 1942 und wird bereits 1946 mit Spencer Tracy verfilmt. Anna Seghers gelangt durch dieses Werk zu Weltruhm und wird als überzeugte Kommunistin (die sie schon vorher war) in die DDR zurückkehren, privilegiert, hofiert und in Ehren bis zu ihrem Tod . Ein weiteres Symbol der Spaltung, der Doppelbödigkeit und des unbewältigten Nachkriegs, den dann Buchpreisträger Frank Witzel fast surrealistisch noch einmal im Kopf eines 13Jährigen explodieren läßt. Als ich die Rote Armee Fraktion gründete . . . .Aber  Biebrich, die Heimat des Buchpreisträgers, liegt ja schon drei Stunden zurück.

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b6Und an dieser Stelle ist die Durchfahrung Worms´ fast gelungen.

Die Stadt entläßt mich auf die Speyerer Straße, welche abrupt als Bahnunterführung endet. Eines der grandiosesten romanischen Bauwerke (allhier) wird von der Zweckmaschine Gewerbegebiet verdrängt, auf den gepflasterten Resten der alten Chaussee gelange ich zurück in die Spur der B9 nach Süden.

Südwärts immer südwärts auf weißem Roß

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Rechts Gemüsefelder, links am Horizont Schornsteinschraffuren von Ludwigshafen, auf Straßenschildern nur LU genannt. Zinkweiße Rauchfahnen kräuseln an metallicgrau.

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In Frankenthal danke ich dem alteingesessenen Radladen für einen Tropfen Öl auf meiner Kette. Leiser geht es nun nach Oggersheim. Die Stadt des Exkanzlers ist auch diesmal mein Fluch.

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Nie finde ich aus dem kleinen Ortskern richtig hinaus , ein freier Weg nach Speyer ist inexistent, den Dudelsackbläser vom Vorjahr (pied piper at the gates of dawn) will ich umfahren und diesmal nimmt mich die Gartenstadt, an deren 100 Jähriges Bestehen ein Markstein erinnert, als Geisel. Ich irre im Zickzack zwischen allen denkbaren Arbeitersiedlungsmodellen herum, sowie

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der guten alten Sicherungsverwahrung, auch Bunker genannt. Maudach?

Ich passiere Straßenbahnschienen und schaue in traurige Gesichter, die auf einen Bus warten. Anderswo wird nur AfD gewählt, hier gibt es gleich drei Alternativen gleicher Gesinnung – noch verkünden es die Wahlplakate.

Es ist ein Samstag zwischen zwei und drei im stillen Auge des Orkans der Samstagseinkäufe und der Waschstraßen, bis ich irgendwann auf den  (nächsten) Hochbunker in der Rheingönnheimer Straße stoße, direkt gegenüber dem monolithischen Kriegerdenkmal eines Volksgartens. Jetzt weiß ich endlich, wo ich bin. Zwei Kilometerchen,

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dann hat die Ebene vor Speyer mich aufgenommen, Straßendörfer geben ein Grad Celsius mehr Schutz, wärmer wird es heute nicht. 150km und über 6 Stunden, das ist der Moment, an dem mir der Körper meldet, daß er Kraft er gelassen hat.

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Konditorei ! Schnell also eine Tassensammlung betrachtet, während die Verkäuferin sich Zeit nimmt, eine wählerische Kundin zu beraten. Die Zeit ist stehengeblieben, auch wenige 100-Meter später im Eiscafé von Waldsee. Allein um den gewaltigen Schokobrocken in Energie zu verwandeln, muß der gute schöne Espresso jetzt her. Die Familie hockt in der Ecke beisammen und spricht italienisch – leise- sie warten auf den Frühling, damit sie endlich Eis verkaufen können. Aus einer Lautsprechersäule mit eingestecktem USB Stick erklingt „das Haus am See“ von Peter Fox, eine Südseeballade von der großen warmen Gemeinschaft. Gruß aus Berlin.

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Raus in die Frische, Speyerwärts, dem Gegenstück zum Wormser Bauwerk. Speyer ist übersichtlich geblieben, das Domschiff geht auf seiner Anhöhe nicht ganz so im Gewerbemüll unter wie vorhin Worms. Meine Nordsüdfahrt ist auf dieser Rheinseite beendet, ich passiere die Brücke hinüber ins Kraichgau, Kurs Südwest.

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Eine ganze Weile fliegt dieser Storch parallel zu mir, in gleichem Tempo. Dann zieht er mit dem Stroh, daß er für den Nestbau vom Acker stahl in Richtung Wald. Radfahrer lassen sich blicken und grüßen mich. Es zieht sich, der Körper läuft auf der Bundesstraße leer.

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In Ubstadt also noch ein Stopp beim Team Segafredo, um die Tagesnachrichten zu studieren und wieder Wärme zu tanken. Die FDP hat ihren vorsitzenden Westerwelle an den Krebs verloren, die EU läßt sich von der Türkei als Flüchtlingshüter erpressen.

Mein weißes Raleigh wartet draußen. Alles paßt, das heißt:  keine unangenehmen Auswirkungen an den Druckpunkten nach 200km. Den Lenker mit der neu positionierten Bremse kann ich angenehm in den vier, fünf Griffhaltungen fassen, die ein Rennlenker eben ermöglicht. Und die sollten bei längeren Fahrten (über 3 Stunden) konsequent genutzt werden, die Hände blieben dann munter.

Intermezzo:

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Keine Sattelschmerzen, keine Krämpfe, auch die 172-5er Kurbeln kann ich entweder schnell rotieren oder mit Druck hebeln lassen. Sattel: bestens, was nicht nur für den Sattel, eher für die ausbalancierte Postion spricht. Und je aufrechter der Sitz, desto mehr Gewicht lastet ja auf dem Sattel. Bei einem Rucksack noch mehr.
Ich erwähne es hier einmal, weil ich so häufig darüber lese, welches Polster , welche Gelpads und überhaupt welcher der 20000 Sättel des Marktes der Richtige sei. Meine Hosenpolster sind (wie die Hosen) die billigsten die es gibt, im Winter trage ich darunter immer noch Standard kurz , Handschuhe dito. Dann auch noch einen leichten Rucksack und heute vier Lagen – kein reibungsarmes fahren also. Egal, denn ich sitze  „richtig“.

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Weiter:

Das einzige was schmerzt sind die Muskeln, die immer mehr Energie brauchen und in diesem Jahr nicht ganz so viele Kilometer gemacht hatten. Meinen durchaus geschlauchten Zustand heitern nun kleine Dörfer aus, die sich aneinanderreihen und mit achteckigen Kirchtürmen aus Sandstein grüßen. Maulbronner Schule.

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Vor der letzten Schwierigkiet hole ich noch einmal Luft und spieke in einen Hinterhof mit Fiat Traktor.

Munzesheim, Flehingen, Sternenfels: den allerletzten Anstieg geschafft, jetzt kenn ich jede Kurve und genieße die letzten zehn km, auch wenn die Zehnstundengrenze in Sternenfels  überschritten  ist…

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Ein paar Höhenmeter weiter blicke ich über das Reich des Lembergers und Trollingers. Drunten erwarten mich Spätzle, ein Roter und als Nachtisch

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Die Scheibe des Jahres: Blackstar. Wir genießen das Vermächtnis von David Bowie und schauen in den sternenlosen Himmel. Mein Schlaf ist tief.

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4 Antworten zu Der schwarze Stern am Ende des Rheingrabens

  1. mark793 schreibt:

    So früh im Jahr schon auf der großen Tour, aber hallo! Ich überlege, wie sich das linksrheinische Elend im Rhein-Neckar-Delta umgehen ließe, aber kürzer würde der Weg davon auch nicht werden, und durch Mannheim oder Heidelberg durchzumüssen ist auch nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Irgendwie müsste es gehen, wenn man bei Worms den Strom überquert und dann über Lampertheim, Viernheim, Ladenburg, Plankstadt, Oftersheim und Walldorf in den Kraichgau vorstößt, aber das ist wahrscheinlich selbst für halbwegs Ortskundige nicht ganz einfach.

    • crispsanders schreibt:

      …. es hätte sich sonst nicht recht machen lassen.
      Das Delta ist eine Herausforderung, dieich nächstes Jahr mit einer besseren Karte meistern werde. Die gibt es schließlich, und nachdem alle möglichen Fehler gemacht sind, wirds klappen. Es ist eher die Psyche, die mir in solchen Umgebungen bei Kreuzungen, Unterführungen, Ampeln einen Streich spielt. Vielleicht gewöhnt man sich auch zu stark an das leben auf dem Lande, ästhetisch jedenfalls….

      • monnemer schreibt:

        So, wie mark das sagt, würde ich das auch fahren. Last exit Nibelungenbrücke Worms und man kann die verkehrstechnischen Unbilden des Deltas gänzlich umfahren.
        Von Lampertheim nach Hüttenfeld und sich dann bis Oftersheim immer zwischen A5 und A6 halten. Recht ruhig kann man von da ins Kraichgau über Rauenberg – Mühlhausen – Östringen – Odenheim – Kraichtal – Oberderdingen – Sternenfels radeln.
        Das wäre zumindest für mich, der im Lauf der Jahre eine veritable Gemüsefelderaversion entwickelt hat, die deutlich attraktivere Route.

      • crispsanders schreibt:

        allen Einheimischen herzlichen dank für die nützlichen Hinweise! Werden im Laufe des jahres „eingepflegt“, wie man das unter Gemüsebauern sagt.

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