Es ist kurz vor sechs und es ist mild. Die Apfelbäume verlieren ihre ersten Blütenblätter, ein sanfter Wind läßt den Pollen schweben. Ein Hoch also, baltisch, extrem stabil und gut für 16 Stunden Licht. Ausschöpfen bis zur Neige heißt es!
Ich habe mein Eroica-Koga genommen und bin unterwegs nach Düsseldorf zur Schicken Mütze. Die Schicke Mütze ist eine kluge Gründung von Rad-enthusiasten, denen es gelungen ist, eine Insel einheitlichen Meer der Versenderräder und XXL Shops zu bilden. Nur noch 120km…
Die ersten Stunden werde ich im Sattel sitzen, bis das Rheintal zu eng und sonntäglich gedrängt wird. Bis dahin: reinste Luft und Stille, wie um 1834….
In Bendorf die erste blühende Kastanie vor dem lange schon verblühten Radiogeschäft. Mein Saba 9241 der Schwäbischen Apparate Bau in Villingen spielt immer noch Tag für Tag. (jetzt gerade zum Beispiel).Ob Radio Heinen auch die legendären Jazz-Scheiben von MPS im Bendorfer Schaufenster hatte? Ich denke zu weit zurück. Die Gegenwart ist menschenleer.
Hier wartet schon der nächste Jahrgang Rheinwein auf die Lese und die 20 Extrameilen nach Linz surren dahin. Das Bahnhofsgebäude steht leer (entmietet), die Chipstüten des letzten Ladens lehnen sich an die gesprungene Glasscheibe. Inhaberwechsel.
Manchmal denke ich, man macht es den Leuten nicht leicht, ein wenig Geld nebenher zu verdienen, Auflagen, Prüfungen, ein Rattenschwanz an Parasiten. Hinten links habe ich eben meine Fahrkarte gezogen. Ich bin gewarnt: Ihr Zug hat 15 min Verspätung, Anschluß wird möglicherweise nicht erreicht.Die Bahn sichert sich ab. Linz am Rhein ist eine idyllische kleine Stadt mit mittelalterlichem Kern, viele Ausflugsschiffe legen hier an , Villen schmücken die Hänge.
Düsseldorf (o.) erreiche ich um genau 1055h, in der „Schicken Mütze“ bin ich dann zur Startzeit: 11h. Das erste Rennen hätte ich schonmal für mich entschieden! (Start ist natürlich erst um 11h11, ihr Jecken).
Der Innenhof ist gut gefüllt, ich lange schnell noch nach dem feinen Haselnußkuchen, der beruhigt enorm. Die Ansprache hält der Maître des Plaisirs der Firma Rapha. Es ist Club Time. Ansprache an Alt- und Neukunden.
Zeit, von der Familie Abschied zu nehmen: ab ins ostrheinische Bergland. Der Kurs verläuft im Zickzack, sobald wir die Stadt verlassen haben. Es geht auf und nieder und gleichtzeitig ist der parcours mit natürlichen und künstlichen Hindernissen gespickt. Einige Passagen kommen mir von der Klassikerausfahrt bekannt vor, doch hier und jetzt heißt es Hinterrad und Spur halten, der Pulk von 80 Teilnehmern ist nervös. An jedem Anstieg wird Gas gegeben (es reißt auch mal eine Kette), Erholung oben. Pause beim Rapha Bus (Rapha Mobile Club) , der in etwa einem großen umlackierten UPS Lieferwagen gleicht, an dem ein Flatscreen befestigt wurde . So habe ich Gelegenheit, viele Elemente alter und neuer Rapha Kollektionen zu betrachten und mir die Kernbotschaft der Marke einzuprägen.
Rapha . . . ob die historischen Wurzeln jedem bekannt sind? Wenn nicht, erlaube ich mir, eine kleine Entdeckung zu veröffentlichen, damit das Parkett gelegt ist.
Er war eine der schillerndsten Gestalten im Peloton der 50er. Sie nannten ihn Gem, er war schlagfertig, trotz seiner Größe ein sehr guter Bergfahrer und mit allen Wassern gewaschen. Als die Einnahmen zurückgingen, war er einer der ersten, im Berufsradsport Trikotwerbung einzusetzen. Passend zu seinem Namen (Raphael) konnte er den Aperitif-Fabrikanten St. Raphael als Hauptsponsor gewinnen und bald auch den legendären Anquetil als Fahrer. Wie leicht zu erkennen, ist Raphael Geminiani also der leibliche Vater der Radsportbekleidungsfirma Rapha. Der Rest ist Legende.
Unser kleiner mobiler Rapha Club hat bald die Vororte Düsseldorfs erreicht, ja eine ganze Sammlung von Vororten mit ihren Verkehrsverengungen, Radwegpollern, Fahrbahnteilungen usw. durchquert.
Endlich ist dann die sonnige Rheinuferallee erreicht auf der sich der Pulk entspannt mehrspurig bewegen kann. Locker geht die Unterhaltung dahin, das Ziel naht und mit ihm die große Verpflegung. In der Schicken Mütze erwartet mich kein geringerer als
der Radsport Experte mark793, mit dem ich das Eroica Erlebnis unvergeßlich teile. Wir mögen diesen Ort hier. Ungezwungen lassen sich hier die steilsten Thesen zum Radsport in seinen vielen Facetten vertreten, vergleichen und vernichten. Da er Wahl-Düsseldorfer ist, versteht er natürlich besser als ich, was hier geschieht.
Um mir auf die Sprünge zu helfen erwähnt er Desmond Morris.
„War das nicht dieser BBC Mann für Verhaltensforschung?“. „Richtig!“, lobt Mark mich, – „und weißt Du womit dieser Primatenforscher begonnen hat?“ Ich setze mein Weizen ab und sage:“Keine Ahnung! – Paviane?. ..“. „Beinahe richtig: er erforscht Trikotfarben von Fußabllvereinen im England der 1960er. “ Ist Rapha Club auch ein Fußballclub?“ . „Nein, Crispinus, es geht um Identifikation. Schau zuhause in Deine mails, ich schick Dir einen Link.“
Addio Mütze , ich habe es genossen und freue mich für diese schöne Pflanze des Radsports, die in einem Düsseldorfer Hofgarten immer besser gedeiht. Jetzt zurück nach Süden
Wie es ist, wenn an einem schönen Maiensonntag im rheinischen Nahverkehr zugeht, wenn jeder zweite Regionalzug ausfällt, beschreibe ich nicht, unsere Bahn braucht keine fremde Hilfe.
3h später: Aus Mühlheim Kärlich grüßt der einsame Monolith über die Rheinauen, die Sonne zieht die Schatten in die Länge. Geduldig haben die Kühe seit heute morgen auf mich gewartet. Ja, jetzt geht es wieder hinauf, ländlich -sittlich in den Westerwald. Die Suburbanisierung hat ein Ende.
Nun erst beginnt der eigentliche Sport: die Fahrt gegen die Dunkelheit. 50km liegen vor mir, um 22h verlischt das letzte Licht. Der Tritt ist flüssig, ein paar Körner habe ich noch bewahrt. Das Putenbrötchen aus den Eingeweiden des HBf Düsseldorf hält überraschend gut vor. Ab und zu knorpelt es im Freilauf – eine eroica Folge, die ohne Gefahr für die Heimkehr ist. Retropedalage und hop.
Kaum Autos unterwegs, wunderbar milde Luft – ich kann ganz Radfahrer sein. Kurz nach 21h stürze ich in die Abfahrt Richtung Montabaur. Das gelbe Schloß ist warm erleuchtet. Noch einmal auf das kleine Ritzel. Schnellstop an der Tanke, für das lange shirt und 2 Snickers. im outlet center iust alles ruhig, keine Scherben auf der Straße.
Es ist ganz eigenartig: zu wissen, daß jetzt die letzten Reserven abgerufen werden und der Tritt immer noch rund geht, die Anstiege hart ,aber nicht zum Umfallen schwer werden, die Gänge sich immer noch richtig anfühlen. Weiter, nur immer weiter, mein Koga-Miyata…
Aus dem Dunkel kommen mir ab und zu Radler ganz ohne Licht entgegen, mal einer, mal zwei, dann noch einer. Sie grüßen freundlich: es sind Flüchtlinge auf ihren Rädern, die das letzte Tageslicht nutzen auf dem Weg in ihre Unterkünfte auf den Dörfern. …….
die glocke schlägt, das Rad steht still. Und hier ist der link zu dem bemerkenswerten kleinen Aufsatz der Desmond Morris zitiert, verfaßt von Grant Petersen, Rivendell Bikes CA. Viel Spaß beim Lesen, Rapha Cycling Club! – es war ein unvergeßlicher Tag im Mai
Das ist ja sehr schmeichelhaft, wie ich hier mit fremden Wissensfedern geschmückt werde, aber ich darf an dieser Stelle verraten, dass der Dialog genau andersrum verlief und ich an diesem schönen Tag dazulernte, womit genau Desmond Morris seinen Einstieg in die Primatenforschung schaffte.
Was mich daran erinnert, dass ich neulich ein Foto von einem Rad-Strategen sah, der das bunte Polster seiner schwarzen Radhose außen sichtbar trug, was zu frappierenden Ähnlichkeiten mit einem Rotarsch-Pavian führte. 😉
Hey! Die Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist reiner Zufall!