Freiburg 400 (2) Dem großen Regen entkommen

Glitzernde Snapshots

a100Allein unter blauem  Himmel. Irgendwo rechts  das Donautal, Tannenwälder, ein Kreisverkehr. Hinunter nach Tuttlingen.

 

Das Eis

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Die symmetrische Altstadt und ihr Italiener. Malaga &Haselnuss. Hoffen, das Haselnuss drin ist. Und einen Espresso dazu. Auf die Bank setzen und sehen, was vorbeiläuft.a02

An der geometrischen Mitte der Stadt: dem großen quadratischen Platz, von dem das Schachbrettmuster der Straßen ausgeht.  Wo keine Einzelhändler mehr sind, da werden die Fensterscheiben foliert . Spielhalle, Grill, Multimediashop Alyan.

Das Eis: wie es die Kehle runterläuft , der Zucker ins Blut zieht. Fast ein Kribbeln. Dann der bittere Espresso, den Zucker auf dem Tassenboden nochmals umrühren, mit der Spitze der Eiswaffel aufsaugen.

Alle Richtungen.

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Die Luft ist blau und wunderbar leicht. An den Hängen zirpen die Grillen im hohen Gras.  Das Land hier ist groß und leer. Ich fühle mich gut,   Kalorien sind angekommen, und folge der Bundesstraße. Parallel zu mir ein kleiner roter Zug, vor mir die angehnehme Sonne des späten Nachmittags. Sie zeigt mir den Weg nach Westen, dort, wo in 100km Freiburg liegt.

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Listening to the River

Die Donau ist ein wilder schmaler Fluß voller Schilf und Gras. Wo sie flacher ist,  glitzert das Licht. Mein Weg folgt dem breiten, flachen Tal, das der Fluß geschaffen hat.   Donaueschingen zieht irgendwo im Norden vorbei. Die B31 ist ein Highway, der die kleinen Städte links liegen läßt.

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Dann bin ich in der Falle: Autostrada, das blaue Schild auf dem ein rundäugiges Auto (wo gibt es noch Autos mit nur 2 großn rundn  Scheinwerfern?) Rädern die Nutzung der Straße untersagt. Manchmal gibt es dann parallel einen schönen Wirtschaftsweg, denn auch Traktoren sind verbannt.  Doch wenn dieser im Nichts oder dem Wald endet?

Der Waldweg wird immer sumpfiger, die 25er Reifen schaffen es noch. An einem Maisfeld ist es vorbei. Ich schiebe durch die lehmige Erde zurück, Richtung Wall. Hinter dem Wall rauscht die Straße. Ich warte bis niemand mehr kommt und klopfe die Schuhe frei.

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Die alten Bundesstraßenschilder, die noch nicht reflektieren. Über 50 Jahre hält die Farbe schon, leicht fleckig. Signalgelb über signalgelb.Die Haut der alten Bundesstraße. Irgendwo unter der Neuen, breiteren ist sie vielleicht noch.

Durchsprengte Hügelkuppen, damit Laster nie über 4% Steigung haben. Und Wohnmobile, die Fahrräder Huckepack führen. Keiner hupt.a06On the road again, einfach auf dem Randstreifen weiter. Keine Karte, keine Möglichkeit  Alternativen zu schätzen.  Ein Tunnelschild – das geht zu weit. Jetzt muß  ich ab, definitiv

 

Der Biturbo

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Im Dorf  – an der alten Tankstelle; ein staubiger Maserati. Aussehen galt als langweilig. Innen Wurzelholz und die Sitze mit Alcantara drapiert. Biturbo. Ein kleiner, scharfer Motor. Die ArtDeco Uhr. Ein Versuch in den 80ern Retro zu spielen. Mindestens 20 Jahre zu früh.

Einmal diesen Motor hören – weiter auf der Straße der verlassenen Tankstellen, der alten B.

a11Hinunter ins Tal, die Bundesstraße schwebt jetzt auf Brückenpfeilern über mir. Eine Mutter mit ihrem Kind in der Sonne, dahinter eine Quelle und ein kleines Becken. Ist das Wasser trinkbar? Sie weiß es nicht,  aber meine Kehle sagt ja. Die Sonne wärmt schön. Warum weiterfahren.

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Die Gedenktafel aus Kupfer. 22Tote, das muß ein Bus gewesen sein. Februar 1949. Der wehrmachtfarbene Bus mit 70 Skireisenden verlor bergab die Kontrolle, da die Bremsen versagten und der Fahrer den kleinen Gang nicht mehr einlegen konnte. Die Bergung der Verletzten, die den vereisten Hang hinaufgeschleppt werden mußten  verlief dramatisch. Anschließend wurde im Ort eine Rote Kreuz Gruppe gegründet. Der Fahrer wurde zu vier Monaten Haft verurteilt , weil er mit der Funktion der Druckluft-Speicherbremse nicht vertraut gewesen sein soll.

Liedel

Oben erreiche ich wieder die Bundesstraße . Immernoch 30km bis Freiburg. Oder mehr. Der Abend ist jetzt angebrochen, noch habe ich genug Licht auf meinem Randstreifen. Eine Fußnote des Verkehrs sein.

An einer Tankstelle verlasse ich wieder die Straße ,ein Liedel Markt ist geöffnet, ich muß für Vorräte sorgen. Erdbeeren zum halben Preis, sagt eine Frau zu mir und wir suchen uns die kleinen roten zusammen. Der  Rest wird wohl weggeworfen.  – es sind noch viele Schalen gefüllt.

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Meine Bierdose und die Erdbeerschale stehen auf dem Stapel Grillkohlesäcke. Die Erdbeeren schmecken wässrig . Komme gerade aus einem Erdbeergebiet , Thurgau, Bodenseeund esse wässrige Erbeeren. Ich Dackel. Dafür schmeckt das Bier –  aus Aludosen sogar besser noch als aus warmen Glasflaschen. Bald können wir in Autobahnkurven wieder Aludosen sammeln.

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Ein Mann beschreibt mir den Weg nach Neustadt/Titisee.

Ein  Mann bittet mich um Feuer. Die Erdbeeren sind alle.

Landstraße mit Goldrand

Unterquere die Bundesstraße noch einmal, dann überquere ich Bahngleise. Jugendliche mit Proviant kommen mir entgegen. Wann geht der nächste Zug nach freiburg? 21h11 weiß das nette Kind.  Chipstüten in der Pappe.

Auf der Landstraße spiegelt sich das Licht , gleich ist mein Bier leer und ich schwebe.  In einem Traktor sitzt der Bauer mit seinen Kindern und zeigt ihnen die Felder. Warum mit einem Großraumbüro incl Bildschirmterminal tauschen? Lieber um den Milchpreis kämpfen.

Ich lasse die Schaltung schnappen und  höre die Reifen summen. Panaracer!

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Eine Wolkenfront in Süd und Tannen über mir. Sie duften. Für 500Meter kann ich auf die Bundesstraße. Traktoren dürfen überholt werden. Hier beginnt der Schwarzwald.

Polyedrisch grüßt der Kirchturm von Neustadt, hoch über den Häusern, es erinnert ein wenig an Schwäbisch Hall, ganz leicht.  Vor der Shisha Bar sitzen einige Jugendliche. Durch die geöffnete Tür der Bar blicken sie auf eine riesige Leinwand. Heute ist Finale. Madrid spielt gegen Madrid und zwar in mailand. Die Fenster der Bar sind milchig, unter der WerbeFolie sehe ich noch die goldenen Lettern: Metzgerei. Der alte  Besitzer hatte sich ein Fries im griechischen Stil anfertigen lassen, Ochsenblutrot und weiß: ein Stier.

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Sprechende Kunstwerke und vollautomatische Fahrkartenspender.

 

Auf dem zersprungenen Display  ihres Handys zeigt mir die Schaffnerin/Zugbegleiterin die beste Haltestelle in Freiburg.“ Wir haben Empfang, seit die Bahn unsere Smartphones auf O2 umgestellt hat. „ – oder war es Vodafone? Der Zug wärmt seit einer halben Stunde vor.

Hinterzarten Kirchzarten, Höllental. Freiburg empfängt mich als ein endloser Strom von radfahrender junger menschen am Samstagabdend.

„Sie sind Erster!“, gratuliert die  junge Dame hinter der Theke des Augustiner.

Das wollt ich immer schonmal sein. Ich bitte Sie um ein Helles, einen Kuli und  einen Teller Pommes Frites, so wie im Augustiner in der Türkenstraße, Munich, Germany, 1994ff.

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Es ist gut gefüllt hier:  an allen Ecken und im Biergarten hängen Flachbildschirme, die die letzten Minuten des Spiels zeigen. Ich sitze mit einem jungen Herrn an der Theke, er trägt ein grünes Hemd unter dem Sakko und erinnert sich an eine Radfahrt zum Landschulheim. Er ist öfter hier und kennt die Atmosphäre „mit den Radfahrern“ . Mit dem Kuli schreibe ich auf die gelbe karte  Abbruch und reiche Sie der jungen Dame. Sonst gelte ich irgendwann als vermisst. Eine gute Unterhaltung.

Endspiel

Wir berechnen die Zeiten:  30er Schnitt, 28er Schnitt, 25er Schnitt. Gleich müßte also einer kommen. Sein Gesicht ist noch gerötet  und er geht ein wenig schwankend. Als er mich sieht, glaube ich für eine Viertelsekunde, er kippt gleich um. Mein Lächeln gibt ihm die Sicherheit des Siegers wieder.

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Bevor das Elfmeterschießen angepfiffen wird, sitze ich im Auto. Es ist noch warm vom Tag, die Schokolade ein Gel in Plastikfolie. Erste Tropfen.

Unter dem beruhigenden Prasseln des Monsuns schlafe ich wohlig ein. Das war der Freiburg 400, besser gesagt 300.  Am Sonntag um 7 Uhr, auf der Höhe von Bad Camberg im Taunus, hört der Regen endlich auf.

 

 

 

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2 Antworten zu Freiburg 400 (2) Dem großen Regen entkommen

  1. mark793 schreibt:

    Abbruch? Auch beim zweiten Lesen ist mir nicht ganz klar geworden, was Dich bewog, die letzte Etappe per Bahn zurückzulegen.

  2. crispsanders schreibt:

    Im eigentlichen Sinne abgebrochen hatte ich schon in Schaffhausen, denn ohne Stempel keine Wertung.
    Als es bei Titisee dunkelte ,wurde mir klar, daß ich Freiburg nur noch über einen unbekannten Weg hinüber ins Glottertal erreichen könnte, weil die B31 für Fahrräder verboten ist. Ohne Karten und sonstiger Navigation hatte ich keine Ahnung, wie lange das noch gedauert hätte. Die Beschilderung war dürftig, die Straßen menschenleer, der Schwarzwald ist schwarz.
    Danach war mir nicht.

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