Raid Pyrénéen – der dritte Tag

 

Gripp – Mendy  10.August 2016

b tourmalet cover

Es ist frisch und ich habe die Welt für mich, als ich auf die Straße zum Tourmalet einbiege. Da kommt mir schon  ein Wanderer entgegen, mit Rucksack – ich erkenne ihn: es ist dieser Gilson, der mich grüßt, wohl auf dem Weg zum Bäcker.(3km) „Vous avez trouvé?“-fragt er besorgt: „une grange . . “ antworte ich . Wenn ich das nächste mal am Tourmalet übernachten möchte, soll er nicht vergessen sein.

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Die kühle Luft ist gut, so ist mehr Sauerstoff da und der wird jetzt sehr  gebraucht. Respekt vor dem Tourmalet – aus Erinnerung: die andere Seite,die mir im vorigen Herbst so zu schaffen machte. Auch hier mal 8% , mal 9,5  Prozent und das jetzt noch 12 km. Ich höre ein endloses largo in einer übereinandergespielten Mahler-Bruckner Symphonie, mit doppelter Besetzung und in halbem tempo. Ein regelmäßiges Keuchen als Taktangabe , das ist die Auffahrt.

Der Tourmalet ist keinesfalls ein wilder und unberechenbarer Paß, die Straße ist gut ausgebaut und übersichtlich. Aber er ist lang und steht als einer der höchsten im Buch der Pyrenäen. Das macht ihn nicht leichter.

Aber ich habe mich in der Nacht erholt, keine dicken Beine und nicht den Hauch eines Zuckens im Oberschenkel. Das ploppen im Ohr ist nicht wiedergekommen auch nicht das flaue Gefühl vom Puymorens – also hat sich der Körper auch an die Höhe gewöhnt.

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Alles, was nach diesem Berg kommt, sehe ich als Vergnügen.

Wettter: es sind Wolken (reichlich) in der Luft, aber Richtung Campan ist die Sonne durchgebrochen. Neue Bruckner-Akkorde. Das Tonband in meinem Kopf  läuft nur noch mit 2,6cm/sec.. Wie wird es oben am Paß sein?

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C’est ici ! Am Denkmal meines Helden Christophe opfere ich eine Banane; sein schöner Sinnspruch dazu: „ das einzige Doping, das ich kenne, ist mein Wille.“ Heute würde sich auf dieser breiten Straße niemand die Gabel brechen. Ich bin im Gegensinn der Etappe Bayonne-Luchon unterwegs die dieser Mann vor über 100 Jahren zur Legende machte. Mit 75 ist er den Tourmalet noch gefahren.

Der Müllaster, ein Kühlwagen und der Förster mit dem alten Land Rover sind die einzigen, die mich im Anstieg einholen. Die Sonne ist schüchtern, aber sie bleibt.

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La Mongie erreicht. Der Skiort mit seinen Hochäusern liegt auf einem kleinen Bergsattel unterhalb des Passes. Die Baumgrenze ist passiert. Der ikonische 205 steht vor dem bereits geöffneten Carrefour montagne, aber ich verzichte auf ein morgendliches Chimay. Wieder zieht die Steigung an.

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Ein Pferd wiehert zum Gruß  und stößt Atemnebel aus. An den Hängen Schafe, die hier außer Gras nur noch Disteln vorfinden. Ein schönes A im Kreis hat ihnen der Schäfer aufgesprüht. Weiter hinten die gelben Punkte – es sind Bagger, welche die Skipisten für den Winter entschärfen.

 

Von unten entdeckt – drei Wohnmobile markieren die Passhöhe: Keine Wolken dort, also auch keine Nässe und weite Sicht als Lohn, das ist der einzige Gedanke der mir durch den Kopf geht, nachdem ich la Mongie verlassen habe und mich zähflüssig der 2000m Höhenlinie nähere. Dreimal steht auf der Straße geschrieben PEC Zwolle. Einmal noch erkenne auch : Ulle. Bedeutung entzieht sich mir.

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Ein Blick zurück.

Ein Blicknach vorn: es ist nicht derselbe 205. ; aber es ist die letzte Krümmung –

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Tagessieg ! Als erster Radsportler erreiche ich den Tourmalet, einen Belgier (Mütze) habe ich ganz kanpp auf die Plätze verwiesen, worauf er mich keines Blickes würdigt, statdessen mit seinem Smartphone kommuniziert. Eine neue Körpersprache des Radsports.

c belgeken torume

Kleine Verblüffung: das Restaurant am Paß ist geschlossen, Rolladen unten, leblos…..und mein Stempel? Einen schönen Stempel vom Tourmalet? Rien. Zwei Wandersfreundinnen bestätigen mit einem grünen Kuli meine Existenz allhier und schenken mir 1 Kaffee aus der Thermoskanne.

Sehr schwer zu beschreiben, was ich fühle. Ich will eigentlich bleiben und muß weiter

Hinab! In Barèges werde ich mir ein ordentliches Frühstück, körperliche Grundversorgung und diesen Stempel gönnen. Nun sehe ich sie kommen: weit unten kriechen kleine Punkte zu mir hinauf. Es sind die ersten seit dem Belgier und dem netten Vater/Sohn Gespann. Der Sohn mit Halbhaken und in Turnschuhen auf einem Leihrad unterwegs: Chapeau.

Kurz vor dem Lift von Superbarèges dann die Prozession atmender Leiber. Bis ins Tal nach Luz (über 10km) wird sie nicht abreißen und auch auf dem Weg nach Argeles-Gazost (30km)kommen mir noch dutzend um dutzend entgegen. Ich fahre fast nur noch einhändig.

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In einem Intermarché schenke ich mir einen kompletten Liter Milch ein und entdecke ein eindrucksvolles Pyrenäen Panorama.

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Dann der Soulor. Die Sonne leuchtet und läßt das Grün der Berge noch satter wirken. Von den drei Anstiegen zu diesem paß soll dieser der Leichteste sein, denn er führt über ein paar kleine Dörfer, die auf einem Zwischenplateau liegen. Der „wirkliche“ Anstieg hat dann nur noch kurze sieben oder acht Kilometer und bleibt einstellig in Prozenten. In kurzer Montur, vorsorglich mit 50+ gesalbt nehme ich diese Variante. Diesmal komme ich hinaufgeschlichen, während viele schon wieder ins Tal stürzen, rechtzeitig zu Mittag.

b soulor rando

Ein Ehepaar ist seit Paris senkrecht durchs Land unterwegs und beschließt heute mit einer Rounde Lourdes-Soulor-Lourdes die gemeinsame Radexpedition. Weiter geht es Richtung Snack du Soulor, wo mich im Frühjahr eine heiße Tasse Schokolade aufwärmte.

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Et voilà: Dieser Ort hat seinen speziellen Reiz, weil sich die drei Anstiege hier kreuzen- ein wahres Stelldichein des Radsports.  Wales=Cymru. Die Sonne trocknet meinen Schweiß , und das stramme Baguette mit dem hauseigenen Schafskäse verschwindet mühelos in meinen Magen. Allein die Scheibe, die Madame mir gemacht hat war ihre 4 Euro wert.

Ich lobe die Vorzüge des Lokals , gerade gegenüber dem Aubisque-Chalet und bedanke mich.

Madame bestätigt: „Dort drüben bekommen Sie nicht einmal ein Bidon gefüllt, Monsieur,  – sie lassen sich das Leitungswasser bezahlen!“ Draußen naht von links eine Überraschung in blauweiß: ein bekanntes Trikotmuster aus Essen, von weiteren gefolgt. Der RSC E-Kettwig ist unterwegs und natürlich auch St. , der seinen neuen Colnago ausfährt. Zuletzt gesehen beim Hattersheim Giro.

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Die Welt der Radsportler ist am Ende klein , die Erzählungen zwischen Soulor und Aubisque sind wie die zweite Luft. Gleich ist meine tour der „Monumente der Tour“ beendet: fast bedaure ich es.

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Einen letzter Blick geht über die Berge, die kleine Paßstraße von Arbéost zum Soulor ist ein dünnes Fädchen im grünen Trichter. Makes me shiver. Ziehe mich wieder warm an und bettle um ein Bild vom Snel und dem Aubisque.

Wir sind zum dritten mal hier: die Abfahrt, frei von Wohnmonstern auf Rädern macht dreifach glücklich, einen Expresso in den Eaux Bonnes und ein süffiges Chimay aus Laruns später rollen die Essener vorbei:

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„HängDich rein!“  und so ziehen sie mich bis zur Kreuzung, wo für sie der col de la Marie Blanque beginnt.

Es ist warm, angenehm warm. Die 618 durchquert von Arudy bis Lurbe/st.Christeau aus den Bois du Bagèr, ein wildes Waldstück mit weichen Steigungen in völliger Abgeschiedenheit. Dann ist das Tal Gave d’Oloron erreicht und nach einem sehr kurzen Abschnitt des Jakobswegs zwischen Oloron und Somport geht es baskisch grün weiter , immer wieder vorbei am Panorama der Pyrenäen, die ganz allmählich runder und sanfter erscheinen.

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Die Kilometerangaben zählen rückwärts ! Es ist 17 Uhr und auf dem Schild steht 121, also noch 121 km bis St.Jean de Luz, der ersten Stadt am Atlantik. Das sind nur noch 131 km bis Hendaye.

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In Tardets, einer kleinen baskischen Stadt der Region Soule bin ich vom Angebot des Fleischers überwältigt. So stelle ich mir für Veganer die Hölle auf Erden vor.

b tardets2Ich sehe es ein wenig anders und genieße mein Picknick auf dem Marktplatz, bevor ich ein Tiramisu zum Nachtisch bestelle und im Café den Stempel hole. Auf dem Tresen liegt die Zeitung: morgen wird ein sonniger Tag.

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Ich breche auf Richtung Mauleon und setze vorher an einer kleinen Brücke über den Saison. Von hier schaue ich den Anglern zu und studiere meine IGN Karte

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Ein, zwei Dörfer kommen in Betracht. Ein Bauer weist mir den Weg: „In Mendy steht ein großes weißes Haus mit grünen Läden. Dort finden sie eine Unterkunft.“

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Dann treibt er vom Traktor aus rufend  seine Kühe zurück in den Stall.

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Sie haben mir das kleine Sanitätszimmer gegeben. Denn die herberge ist ausgebucht mit einer Schulklasse  und einer Gruppe geistig Behinderter , die hier ihre Ferien verbringen. Ein Mann bringt mir ein Kissen und grinst mich an, ein anderer kehrt um und sagt: „Ich weiß, wer sie sind – sie sind der Sportler.“ Kinder kommen und gehen, stellen Fragen, dann müssen sie den großen Tisch fürs Abendessen decken. Es ist warm und ein leichter Wind weht. Ganz sanft fällt das Tal Richtung Fluß ab, dieT ische im Freien sind gedeckt. Mein Essen: eine riesiger gemischter Salat: es ist das Paradies.

 

Nach dem Essen führen die Betreuer auf der Wiese kleine Theaterstücke auf, eine monitrice hat sich als Hexe verkleidet und erzählt im lokalen Patois Schauermärchen. Der Wolf, der die Schafe reißt – in Frieden schlafe ich ein. Morgen sehe ich den Atlantik.

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2 Antworten zu Raid Pyrénéen – der dritte Tag

  1. tinotoni67 schreibt:

    Ein wahrlich schönes Schauermärchen! Weiter so.

  2. randonneurdidier schreibt:

    Großes Kino! danke für diese wahrhaft meisterliche Vorführung.

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