170916 Sorgen um Tschick
Wer ein Kind von 13-15 Jahren wachsen sieht, weiß, welche Achterbahn der Stimmungen und Zustände das bedeutet. Eine Katalysator neuer Probleme ist die Schule. Freundschaften werden zu Feindschaften, ganze Gruppen stehen plötzlich in erbitterter Fehde und eine allgemeine Verunsicherung breitet sich aus. Die Pubertät ist eine Phase innerer Exzesse.
Tschick ist ein gelungenes, erfolgreiches und inzwischen berühmtes Buch. Selbst wenn es von weitem wie ein großes ein großes Sommerabenteuer wirkt, ist extremes Außenseitertum Grundlage von Handeln und Denken der zwei eeeuh . . Kumpel.
Außenseiter in einer Klasse von 14Jährigen zu sein ist ein knallhartes Brot, wer untendurch ist, warum auch immer, der kommt kaum hoch, wird nicht gefragt und was er sagt, wird geflissentlich überhört. Mobbing ist ein unzureichendes Wort für das, was an Aggression und Demütigung in einer so engen (Zwangs)Umgebung wie Schule stattfindet.
Fragt Tschick. Ein so starkes Buch zu Verfilmen dürfte extrem schwierig sein, bei den Darstellern angefangen. Wie sollen 14 Jährige Distanz in einem völlig distanzlosen Alter entwickeln? Vielleicht hat es deshalb so lang gedauert, bis aus dem Buch, das eigentlich alle schon als Film sehen wollten, dann ein Film wurde.
Das Interview mit dem „eingesprungenen“ Regisseur Fatih Akin hat mich beunruhigt. Wenn ein 40Jähriger Mann zu einem professionellen Rettungseinsatz gerufen wird und in seinen Aussagen dazu Sprache Berufsjugendlichkeit vor sich herträgt, dann klingt das im Radio eigenartig unglaubwürdig, ey kumpel. Akin ist ein Checker und weiß, wie man einen Film in sieben Wochen abdreht, so daß etwas daraus wird. Wenn er sich aber vorher noch die Glocke des Autorenfilmers umhängt, dann klingt das Projekt vor allem nach Geld, was verdient werden muß und Geld, was andere (die die Rechte bezahlt haben, die die Produktion finanzieren etc.)nicht verlieren möchten, und weil er ja auch mal nach Hollywood möchte. Sic.
„Ein Film von Fatih Akin“
Mein Sohn wird 11 und sagt: der Trailer war schlecht. Und wenn selbst bei schlechten Filmen wenigstens der trailer immer noch gut ist, dann muß der Film Tschick ein sehr schlechter Film sein. Eine gewisse Logik hat das . . . .
Der alte Erwachsene der ich bin, kann sich noch ganz gut in die beiden Darsteller versetzen (denn er darf zu Hause dauernd analoge Gefühlswelten verarbeiten) und hat ein wenig Sorgen um Tschick, den Film, den alle aber auch wirklich alle Kritiker so gut fanden. Vielleicht weil alles so einhellig ist, ohne daß die zwei anderen, sehr wichtigen Figuren wirklich erwähnt werden. dabei haben die es in hat: Tatjana Cosic, das alpha girl der Klasse und Isa, das Omega Girl von der Müllkippe. Ist es den Leuten vom Film gelungen eine Heidi Klum Mittelstufe und die Nina Hagen der Landstraße richtig darzustellen? Aber so richtig nahe und gewaltsam?
An die beiden denken die Jungs, zuerst Maik, wenn er der Klassen-Heidi ein Porträt von Beyoncé zeichnet. Und Die Nina Hagen der Müllkippe? So ein Mensch will mal in einen braven Film mit Sonnenblumenfeldern und Allrad Exotik untergebracht sein, oder überhaupt gecastet werden.
Ich mach mir (milde)Sorgen, daß aus dem Lada von Wolfgang Herrndorf nun der SUV next Generation geworden ist.
Und da fällt mir das Fragment ein: Bilder einer großen Liebe, der Folgeroman – den hätte ich als Regisseur parallel aufgebaut und die Handlungsstränge dann zusammengeführt, damit aus der Zerrissenheit der Kinder und ihrer absolut angebrachten Verzweiflung mehr als Eskapismus wird. Ich hätte wie damals von Stroheim das Budget und die Rahmenbedingungen gesprengt und nicht so nen Poser wie Akin den Werbefilm seiner eigenen verblassten Rebellion drehen lassen. Aber wer ist schon Stroheim – tot und vergessen.
Denn Sonnenblumenfelder erinnern mich immer irgendwie an Rama.
Aber Herrndorfs Frau gönn ich die Kohle.