Nu hab ichs getan. Mit meiner Ältesten=Zielgruppe in den gelobten Tschick Film. Sonntagnachmittag, Saal eher halbleer. Schönes Cineplexx Kino. Immer wieder beeindruckt von der visuellen und akustischen Wucht. Ist das noch analog gefilmt? Fast schon ehrfürchtig sitze ich in den Polstern.
Nach dem dritten Vorfilm habe ich mir das Staunen abgewöhnt, jetzt geht’s ans Buch.
Keine 2h später. Enttäuscht?- Natürlich nicht –also nicht ganz und eigentlich doch irgendwie.
Keiner von uns Zuschauern weiß, wie Akin Produktion und Drehbuch zum Film vorfand. Eine glückliche Hand hat er gehabt als er seinen Wunschdarsteller für Maik Klingenberg einsetzte. (Maik mit A- i).
Der hat etwas von einem sehr sehr jungen Iggy Pop im Blick, eine sehr leise Präsenz, und hält den Film am Ende zusammen.
Tschick ist keineswegs weniger stark , nur zeigt der Film ihn aus der Perspektive des Underdogs Maik , dessen Lebens- und Sinnkrisen das Zentrum bilden.
Ohne Sinn! Ein übrigens sehr guter neuer Schlachtruf für den Existentialismus.
Die große ErzählKlammer, das Familiendrama der suburbanen ein-Kind-Ehe Klingenberg, eine Marzahnsche Luxusverwahrlosung , ist dank Knappheit gut, während es (auf der anderen Seite) eben ein paar Ladafahrten zu viel gibt.
Unterwegs – also auf dem Weg in die Walachei, vermisse ich das im Buch sehr eindringliche Gefühl von Verlorenheit und gleichzeitiger Bedrohung. Die Orientierungslosigkeit, Hunger und das andauernde Versteckspiel wegen geklautem Auto dringen nicht richtig durch und irgendwie meine ich immer das Drehteam im Rücken zu haben mit dem Catering Bus in Reichweite.
Das ist eine Schwäche – auch wenn alles wundervoll gefilmt ist. Angst, Unsicherheit und das Ungewisse fehlen. Wo es in der Vorlage ständig darum geht, ob das böse Ende des Abenteuers nicht doch an der Ecke wartet, spannt der Film einen sommerlichen Bilderbogen zwischen Fläming und Altmark auf.
Die schöne Idee, aus Windrädern romantische Objekte zu machen, wird vom blödsinnigen Kommentar angesichts „Milchstraße über Rotorflügel“ vernichtet. Nichts schlimmeres als einen Sonnentuntergang, ein Paar und einer seufzt: „wie schön!.“
Dann wird in den Ladaausflug ein Panoptikum dörflicher Outcasts eingeflochten, wo es doch um Hilfe von unbekannter Seite geht. Das überraschende ist ja , daß sich eine Form von spontaner Solidarität entwickelt, wo man nie damit rechnet. Und die kleine Gesellschaftsszene, in der Schulkinder mit dem betreuenden Erwachsenen „wie mit einem Angestellten“ reden, verflacht zum Klischee irgendwo zwischen 50er Jahre und Komödiantenstadl. Nicht ganz gar, wie das Risi-Pisi aus der Folgeszene.
Und die Mädchen? Da ist Tatjana Cosic, die eben nichts zum erotischen Magneten der Klasse bestimmt. So viel ästhetischen Vorsprung hat das Mädchen – im Buch wiederholt als“ total porno“ bezeichnet – im Film nicht, weshalb die(sexistische) Bezeichnung zurecht unausgesprochen bleibt. Akin zeigt uns eine ordentlich geschminkte, beliebige Brünette, die Nabokov nie zu Lolita inspiriert hätte. FSK12? Nebenbei interessant, daß aus der von Maik im Buch als Geschenk abgezeichneten Beyoncé im Film die belanglose Tatjana wird. Also weder pop noch (p)corn am Set.
Und meine Favoritin Isa – leider ein Regiefehler.
Noch im Vorfilm sagte die Enddreißigerin zu ihrer Mutter: „ich bin schwanger…“
„oh!“, die würdige, graulockige Mutter: –„von wem?“
Die Tochter: „das weiß ich eben nicht genau – die Chancen stehen 50 zu 50.“
Mutter (mild entgeistert):“ `Was- ? Du hattest einen Dreier!!?“
Zu einem echten Dreier kommt es im Film nicht. Zwischen dem auf einer Deponie entstandenen Trio gibt es anfangs nette Wortgefechte, nur fehlt da etwas zwischen den Dreien, wie sie beziehungslos aneinander vorbeisehen. Die Begegnung mit dem Mädchen, das mental 10 Jahre älter zu sein scheint und versuchen soll verhungert, irre und gleichzeitig überlegen zu wirken, erzeugt keine Spannung.
Schade um Isa, der Regisseur hätte sich mehr einfallen lassen müssen, um der Figur gerecht zu werden – vielleicht eben, indem er die bekannte Parallelgeschichte anreißt : Bilder Deiner großen Liebe. So verläuft sich die Beziehung ins off und dann ahnt man schon das baldige Ende der Dienstfahrt.
Der Film-Schluß wiederum, in dem der Klingenberghaushalt abgewickelt wird, ist sehr ordentlich, auch weil der Vater einem dunkelhaarigen D. Bohlen sehr nahe kommt, der ja sicher auch einen prima Immobilienmakler abgegeben hätte. Und obwohl Maik nach Tschick nun den Vater verloren hat, gelingt es dem Darsteller, ihn stärker als Anfangs zu erscheinen. Das ist der Trost eines Films der zwar ganz ordentlich ist, aber eben nicht mehr war als ein Job.
Hallo Christoph, danke für die ausführliche Rezension. Tschik steht bei mir schon lange im Regal, und das macht es bekanntlich nicht einfacher, sich zu entscheiden: den Film anschauen oder nicht!? Meistens hält der Film zum Buch nicht der Vorlage stand, zumindest nicht den eigenen Vorstellungen und Fantasien, die man beim Lesen entwickelt hat. Wie auch? Nach Deinem Für und Wider werde ich wohl doch nach meinem Piemont-Urlaub den Tschik anschauen, am besten, wenn er im Blauen Stern in Pankow läuft – einem kleinen „richtigen Kino“.
all the best
Dietmar
Oh Mann, was würde meine Frau, die Lektorin sagen… Tschick, Tschick,…, mit „ck“ Aua!
Denjenigen mit guten Zugang kann ich noch Tschick am Deutschen Theater in Berlin sehr ans Herz legen. Ich konnte es mir dort nicht vorstellen und wurde sehr angenehm überrascht. Und das Stück verdrängt bei weitem nicht so sehr die eigenen Bilder zum Buch wie ich das beim Film befürchte. Besten Gruß!
trau Dir!