Es gibt indogermansiche Sprachen, die sich in Europa nur sehr lokal durchgesetzt haben und dennoch fortbestehen. Das Baskische ist eine solche Kommunikationsinsel innerhalb der romanischen Sprachen nördlich und südlich der Pyrenäen. Umgeben von den lokalen Dialekten des occitanischen und des Béarnais, behauptet sich die Sprache der Basken nicht nur auf zweisprachigen Ortsschildern .
Auch im kleinen Café in Tardets(Sorholus), 15km südlich von Mauléon, fallen meine Thekennachbarn an diesem Sonntagmorgen immer wieder in ihre Ursprache zurück sobald es privat wird. Drei Dinge bewegen derzeit Land und Leute: Kastanien, Pilze aber an allererster Stelle die durchziehnden Wildtauben (palombes), die privat gejagt werden und hernach im Familien- und Freundeskreis verzehrt…
Genau an dieser Theke hatte ich mir an einem warmen im letzten August den Stempel der Pyrenäendurchquerung geholt und auf dem Marktplatz die Erzeugnisse des Fleischers um die Ecke genossen… Tardets-Sorholus hat in meinem Radsportherzen einen festen Platz.
Der Herbst ist hier eine milde Jahreszeit, die Luft über zehn Grad wärmer als das, was die Helden beim diesjährigen Zeitfahren von Hamburg nach Berlin einatmen durften. In Tardets weitet sich das Tal des Saison nach Norden, im Süden ragen die baskischen Pyrenäen auf, deren Gipfel zwar lange schneefrei bleiben und selten die 1500m überragen, deren Täler aber eingeschnürt und teilweise völlig abgeschottet sind.
Diese Ecke der Pyrenäen war lange Zeit ein Eldorado der Schmuggler, denn die meisten (unbefestigten) Wege sind nur Hirten genau bekannt gewesen und die Grenze zu Spanien verlief Mitten durch ein Land, deren Sprache nur Eingeborene beherrschten. Zöllner, die aus Paris oder Madrid zur hier Einhaltung der Gesetze stationiert wurden, dürften nicht im Vorteil gewesen sein.
Mittlerweile hat der (Tourismus) Fortschritt dafür gesorgt, daß sich die Verhältnisse geändert haben, die Schmugglerwege wurden geteert. Tardets ist nun Startpunkt für die Eroberungen der vielen Paßstraßen und Nebenwege, die auf der Karte nur ein dünnes weißes Band zeichnen. Meine Route soll mich heute in einem weiten Kreis über den Paß von Bagargui durchs Umland führen.
Ich folge der Straße Richtung Pyrenäen südwärts nach Larrau und schon nach einigen Metern kehre ich um.
Der Wind bläst warm wie ein Föhn aus dem Tal des Saison. Wollte ich den schwersten Paß gleich zuerst nehmen, mache ich es jetzt umgekehrt. Am Anfang ist der Körper zwar frischer, aber das Ende des parcours wäre dann im Wind umso härter.
Also beschließe ich, die Runde gegen den Uhrzeigersinn zu fahren. Mit Rückenwind am Saison entlang nach Norden einrollen, dann genau der Route des Raid Pyrénéen folgen, so werden mir die kleinen Pässe als Vorspeise dienen . . .
Vorbei an meiner alten Herberge Karrikia, vorbei an den Schafen, die ihre Winterwiese beziehen und dann über den sanften Col d’Osquich. Von dort kann ich das Wetter besser abschätzen, mit dem ich in zwei Stunden rechnen muß. Könnte knapp werden mit der Sonne. Alle Gipfel sind zu sehen: gut.
Den sanften Osquich wieder hinunter, Familien haben sich fein gemacht und werden ihren Sonntagsschmaus in einer der Herbergen am Weg einnehmen. Es ist mild und sonnig und abwärts stört der Wind nicht. keine störenden Autos, keine Wohnmobile . . ..
Dann aus Neugier links ab in die D 120: diese Route zum Col de Gamia hatte ich mir im Sommer als „Abkürzung“ des Raid eingezeichnet, dann aber nicht genommen – ein weiser Entschluß. Der winzige Weg führt in ein vergessenes Tal, vorbei an verstreut liegenden Höfen, die zwischen den satten Wiesen in der Sonne liegen. Vögel singen fast wie im Frühling.
Mit einem Schlag geht es hart aufwärts durch ein Wäldchen. Positiv gesehen, erlaubt der kleine Gamia die Weitung der Lungenflügel. Ich atme sehr tief durch und muß kräftig am Bremsgriff ziehen, wenn ich nicht aus dem Sattel will. .
Die kleine Einmündung vom Gamarte ist der Wegweiser zu einem anderen versteckten Hund, wie ich später auf der Karte lese: wer diese 4,5km hierher hinter sich gebracht hat, durfte 21prozentige Steigungen bewältigen. Es geht also immer noch schlimmer.
Der kleine Paß wird im freien bei Gegenwind erreicht, immer noch ist die Steigung bei 10%.
Dann wird es übersichtlich: ich blicke über das weite Tal der Nive Richtung St Jean Pied de Port, die Wetterfront hängt im Gegenüberliegenden Höhenzug, jedoch nicht dort, wo ich gleich hin will! Ich schieße hinab ins Tal und erreiche St. Jean le Vieux, einen Vorort von St.Jean Pied de Port. Dort einen Café zur Stärkung und den letzten Blick auf die Landkarte. 27km ist der paß entfernt, er beginnt steil. Der Gamia hat mich gewarnt
Um genau 13h30 nehme ich auf der D18 die Pässe von Iraty in Angriff. Iraty ist ein Teil des Schafskäseparadieses „Ossau-Iraty“, und name der Gemarkung. Täler Die Schafe weiden dort wild auf den baumlosen Bergen der Umgebung und erst gegen Winter werden sie ins Tal geführt. Der Almabtrieb heißt hier transhumance. Daher viele kleine Höfe und Scheunen an den Hängen und in den abgelegensten Falten der Bergkessel.Der Käse hat eine unbeschriblich Würze – il picote sur la langue: er prickelt auf der Zunge
Der erste paß von Iraty gönnt dem Neuling ein langes Einrollen, ungefähr zehn kilometer geht es an Höfen und Frontons vorbei, wo der nationalsport „Pelote Basque“ gespielt wird.
Langsam rücken die rostbraunen Berghänge näher und dann,
17,5km vor der angezeigten Paßhöhe geht es mit einem Schlag los. Es ist wie beim Gamia, nur breiter und viel, viel länger. Auf den nächsten 5 oder 6km, genaues weiß Quaeldich, (aber auch: http://www.cols-cyclisme.com/pyrenees-ouest/liste-r75.htm) steigt es zweistellig – im Durchschnitt. Manchmal kann ich befreit auf einem kleinen Absatz durchkurbeln, bis es wieder scharf anzieht. Ich werde das maximale 28er Ritzel nicht verlassen. Der Waldhang schützt mich noch , immer wieder ist der Boden mit Eßkastanien übersät- ich meide die frisch gelandeten kleinen Igel. Kochzeit: 20 min. Gekocht werde jedoch ich.
Jede kleine Passage unter 10 % ist eine Freude. Gleich sehe ich das Waldende, die Straße hat den Bergrücken erreicht, auf dem die kleine Kapelle St. Sauveur liegt. Gegenüber die fahle bräunliche Wand eines anderen Hügels , rechts fällt es steil in ein anderes Tal – ein kleiner Weg führt hinunter ins nichts. . . und nur der Wind hält mich aufrecht.
Jetzt macht die Strecke kurz einen kleinen Abschwung – kein Anlaß zur Freude, denn hart schlägt mir die Brise über den Kamm ins Gesicht und addiert sich zu den lockeren 8%, die die Steigung nur noch hat. Zum ersten mal seit langer Zeit kommen wieder Melodien in mir auf. „Weißt Du wieviel Sternlein stehen an dem weiten Himmelszelt?.“ Ich reiße am Unterlenker.
Dort hinten ein kleines Waldstück mit Hang: die Rettung naht mit ersten Gischtschleiern. an der Wolkengrenze. Linkerhand liegt der Berg in der Sonne, während meine Reifen hübsch glänzen vom firshcen Regen. An der nächsten Serpentine zeigt sich der Regenbogen…
Es ist geschafft: dieser Teil jedenfalls. Ich erreiche einen Paß der sich Burdinkurutxeta nennt und doch habe ich noch 10km für die fehlenden 300 Höhenmeter. Schokolade mit Mandeln. Rollen lassen, regenerieren. Zunächst geht es jetzt hinunter, ich folge einem Panamera mit Achtungsabstand und ahne auf dem rauhen Teer etwas braunes, kringeliges.
Die Viper. Frisch überfahren von einem weißen Porsche Panamera haucht sie zuckend ihr Leben aus. Das Tier ist viel kleiner, als ich es vom Lexikon her vermutet hätte, kaum dicker als ein daumen. Aber so sieht es aus, der Winterschlaf hat noch nicht begonnen: der lange Schlaf aber schon heute.
Die Pässe von Iraty umschließen einen Hochwald. Ringsum von graugesprenkelten Kämmen geschützt wächst dieser Mischwald auf mehr als 1000m Höhe. Meine Paßstraße führt nach links hinaus.
Autos stehen am Rande der schmalen Strecke, Wanderer auf der Suche nach Kastanien und Pilzen, es ist feucht, ein Bach rauscht, die Straße ist frisch gemacht. Manchmal wird es doch ein wenig zackiger, doch die Windstille erleichtert die Aufgabe.
An den Wildpferden, die friedlich grasen mache ich das kleine Paßfoto, dann biege ich in die Abfahrt ein. Die Ostseite des Passes ist fast völlig kahl und steil geht es am Hang hinunter. Sehr steil und rauh: die Bremsen, die jetzt einwandfrei funktionieren müssen, schmerzen an den Handgelenken, es rüttlet das Snel durch, der Nacken verspannt, während ich versuche, die Steigungsangaben zu entziffern. Zweimal drehe ich mich um, beide male lese ich 12% auf der Bake.
Das ist erheblich härter als die Anstiege vieler Hors catégorie Pässe und der Bagargui oder Bagargi ist vielleicht deshalb nicht in der Riege der berühmten Pässe, weil er zu kurz ist und nicht hoch genug hinaus führt. Jedem, der ihn fährt ist das absolut gleichgültig.
Die Gegend scheint so wild zu sein, daß die Vermehrung des unter Schutz stehenden Braunbärs zu öffentlichem Protest führt. Wegen der Schafe? Gleichzeitig lesen wir, daß in den letzten 40 jahren über die Hälfte der Wirbeltiere von unserem Planeten verschwunden ist. Begreifen kann man das kaum, aber es ist so. Was tun? was lassen?
Die heftige Abfahrt vom Bagarguii hat ungefähr 8km gedauert und zu meinem Erstaunen geht es im dichten Wald nach einer kleinen Brücke hinauf auf den Gegenhang. und zwar kräftig bis zur Straße nach Larrau. Dort
trifft der Weg die Paßstraße zum Port de Larrau, dem Verkehrsübergang nach Spanien. Die Gegend ist jetzt übergrün und von Larrau bis Licq geht es schnell und sanft bergab. Während ich meine Muskeln lockerkurble gewöhne ich mich schon an den Gedanken,
im nächsten jahr die Gegenrichtung zu fahren. Nichts vergißt sich so leicht, wie die Mühe eines Anstiegs. Der Saison rauscht unter mir hindurch und ich sehe die scharfe Abfahrt, die giftigen Steigungen und den Wind, von dem hier nichts mehr zu spüren ist.
An der Theke genieße ich die Wärme, ein baguette mit Schafskäse und baskischen Cidre. Im fernsehen läuft Rugby, die Gäste sprechen Baskisch oder Französisch und draußen hat es angefangen zu regnen.
Die Ostseite dann beim nächsten mal. Inzwischen lasse ich mich beeindrucken von dem, was noch in dieser Gegend zu erleben ist.