5 Februar 2017
Hügel sammeln im Naturraum Limburg-Weilburg – die Zahlen im Text entnehme ich einer Karte. Es sind geologischen Einteilungen der Gegend, durch die gerade meine weißes Raleigh gezogen ist:
Bis zur flèche allemagne sind es noch acht Wochen, kaum vorstellbar, denn gerade hat der Winter die Höhen über 300m vom Schnee freigegeben und celsius traut sich dauerhaft über die Null. Schneeglocken habe ich noch keine gesichtet, ein anderes Grün als das der Tannen oder gelblichen Winterwiesen erwartet mich an diesem Samstag nicht.
Aber kann es sein, daß die Spatzen morgens im Bambus etwas lauter geworden sind? Wenige Wochen, bevor ich im Team vom deutschen Eck zur Wartburg ziehe. Deshalb jetzt Kilometer sichern und Hügel sammeln. Ich verlasse meinen Hof in der Frickhöfer Bucht, Oberwesterwald (323.31), nehme Kurs Südost auf Lahntal und Taunus.
Anfangs war mir dieses Stück Hessen ein einziges Hügellabyrinth. Keine Möglichkeit, die Himmelsrichtung zu halten, alle Wege wurden Umwege und auch Karten halfen nur grob die Steigungsgrade zu schätzen. – Karten, achja.. zur Klarheit der französischen IGN hat man es bei uns nie gebracht -ausser im Generalstab; auf Publikumskarten sind entweder interessante Wege dick mit rot grün oder gelb überschminkt, oder die Straßen lassen sich kaum in ihren Dimensionen unterscheiden, oder die Höhengradierung trägt nur zur Verwirrung bei.
Mein Herr, sagt mir der Bildschirm mit den Geodaten, Papierkarten?- wie veraltet ist das denn? Da muß man ja mit der Lupe arbeiten
Ein Jahr oder zwei hat es gedauert: ohne fremde Hilfe vom Oberwesterwald in den Taunus und wieder hinaus kommen, niemand mehr nach dem Weg fragen müssen.
Inzwischen habe ich die Ahlbacher Bördeplatte (311.00) verlassen und blicke auf Schupbach, vor mir die Schupbach-Hofer Randplatte (311.02). Sie wird vom kleinen aber hübschen Kerkerbach durchzogen, den ich in Eschenau überquere. Eine schöne Senke.
Der kleine Ort Eschenau nähert sich seit 200 Jahren der 300 Einwohner Marke. Der reichste Eschenauer war der Müller – ein großes Fachwerkhaus beweist es. Eine Möglichkeit, aus den kleinen Dörfern zu gelangen ist der Führerschein. Das Geld dafür wird häufig durch Zeitungsaustragen verdient . Nach einigen Saisons ist es dann so weit und der Handwagen wird weitergereicht. Keck zeige ich alter Knacker dem Mädel, daß auch ohne Führerschein aus Eschenau ein Weg hinaus führt.
Enge und steile Straßen führen am Müller vorbei auf die Schadecker Höhe, so benannt nach der Burg, die ein verkrachter Bruder dem anderen vor die Nase setzte. Auf dem Höhenkamm bremst mich ein Gegner, der aus Südost kommt: Wind, ungemütlich. Linkerhand der Feldberg, klar und schneefrei – aber schon geht es ab ins Lahntal, direkt am besungenen Wirtshaus vorbei.
Die alte Runkeler Brücke ist ein idealer Stellplatz fürs Rad. Darunter wird die Lahn leicht angestaut, am Wehr baden die Gänse dahinter eine Mühle am Fuße der alten Stadt. Ich wechsle die Seite, fahre ein kleines Stück lahnaufwärts und sehe im nächsten Anstieg das Konradinerdenkmal.
Dieser steinerne Mann, Kaiser Konrad 911-918, gibt nicht nur eine übergroße und romantische Figur über der Lahn ab, er war auch für die Geschicke des Landes nicht unwichtig. Die Konrad-s stammten aus Orleans und waren wohl mit der ersten christlichen Erschließung des Lahngaus beauftragt- sie stifteten Kirchen , und Klöster und sicherten so ihren Einfluß auch nach dem Tode. Unten im Tal läuft der schmale Lahntalradweg gewunden aber flach bis jenseits von Weilburg. Dieser Abschnitt auf den Konrad blickt ist ein wirkliches Paradies.
Am Ende der Tour wird eine der konradinischen Dorfkirchen mich noch fordern, aber zuerst will ich aus dem eingeschnittenen Tal hinaus. Das geschieht bei Villmar und als ich endlich über die Villmarer Randplatte (311.11) hinaus bin, lande ich im Brechener Grund (311.22) dem bald der goldene Grund (303.00) bei Camberg folgt. Dieses flache Talbecken wird recht gerade und mit wenig Steigung von der Bundesstraße 8 Richtung Frankfurt durchzogen. Erholung. Ich verlasse sie nur kurz, um bei einem Penny markt Wärme und Kalorien zu finden. In Form einer Mandelschokolade der ich meinen kleinen MichelinStern für heute verleihe.
Weiter gegen den Wind; ich habe zu knapsen und muß mich auf dem weißen Raleigh schön strecken – Die 52×18 sind so gerade zu machen – weiter, bis ans Ende des goldenen Grundes(303.00): ziemlich genau in Esch ist es erreicht.
Hier macht die B8 einen zackigen Knick linksauf Richtung Königsstein, rechts geht es ebenfalls aufwärts – mit der B275 nach Idstein. Ich aber ziehe gegen den Wind weiter nach Süden – Ländlichkeit im Escher Grund (303.2) . Es graut matter der Himmel und ich vermeine . . . , nein es sind erste Tröpflein. Plötzlich wird die Straße einsam, Wald rückt näher und die Farbe ist aus dem Tag gewichen. Ich sehe einen Kirchturm , dessen goldene Lettern 13h30 zeigen.
Heftrich?
Hatte hier nicht ein anderer Radfreund seine Tour nach Blois begonnen? Einen schönen Beitrag dazu geschrieben? War er dann nicht wieder umgesattelt auf sein Pferd? Darum will ich bis Heftrich. Um vielleicht einen Mitfahrer leibhaftig zu sehen.
Auch der Tierarzt kann mir nicht helfen. Wir unterhalten uns vor seinen gepflegten Pferdeboxen, die Handvoll Reiterinnen ist mittlerweile vom Hof, ihre matschigen Stiefel hinterlassen ein paar Halme. Hier in Heftrich ist kein Distanzreiter bekannt. Aber er nennt mir einen Mann, der sie alle kennt, die Distanzreiter aus dem Hintertaunus. Zwei Dörfer weiter lebt er und baut Gitarren. Doderer heiße er.
Es regnet, der Heftricher Hof hat geschlossen und die geschnitzte Maske blickt indifferent auf ein hübsches Rad. Von der Straße mahnt mich die Stimme des Volkes: “ Einen Bäcker haben wir hier nicht mehr“ . Jetzt ab nach Norden, die Straße schon naß aber mit Wind im Rücken kämpfe ich mich zurück nach Esch und dann ins unbekannte (302.7) Steinfischbacher Hintertaunusland. Es ist ein zäher, gerader Anstieg, dann sehe ich im nächsten Tal das stille Dorf.
Der reitende Gitarrenbauer ist schnell gefunden und bietet mir spontan die Tasse Kaffee an. Ein gutes kleines Gespräch am Samstagnachmittag über Räder, Pferde, Reiter und die Eigenheiten der Gitarrenhölzer, während es draußen kühl nieselt.
Für einen Abstecher nach Riedelbach (302.6 – Pferdskopf-Hintertaunus) ist es zu spät, aber nun weiß ich, wo gesuchter Taunusreiter sein „Philippe Professionel“ geparkt hat. Nun im Regen weiter am jüdischen Friedhof von Steinfischbach vorbei über Camberg, den goldenen Grund durchfliegen und dann am nördliche Ende hinauf auf einen Vorsprung der Linterer Platte (311.10). Die 200g Schokolade sind jetzt alle, die Anstiege sind mehr als nur Grundlagentraining.
Hier, wo die kleine Eisenbahnlinie bei Brechen die Straße kreuzt steht die älteste Kirche des Stiftes auf einem kleinen Hügel.
Ich schaue auch kurz ins (geschlossene) Innere. Die Berger Kirche, das Fischgrätmuster der Mauer ist ganz schwach erkennbar. 1100 jahre älter als mein Raleigh.
Ich bete um einen Apfelkuchen mit Schlagsahne, blicke kurz zur Mutter Gottes .
Es/ Sie hat geholfen.
Wenn Du so weiter trainierst, wirst Du den Anstieg zur Wartburg gar nicht mehr als Steigung wahrnehmen… Harter Junge!
Bin mir sicher, daß da der eine oder andere Igel schon wartet…