4 Täler und 1 Sonntag in der Provinz

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In einem dicht besiedelten  Land ist es nicht mehr so einfach zu bestimmen, was eigentlich  Provinz ist. Abgelegene Orte und Landstriche, in die weder Nachrichten noch Waren vordringen? randzonale  Außenposten?: –   gibt es (hier)  schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Ist Provinz dort, wo Vorstädte aufhören? …

Viele Dorfränder wirken schon so, als würden Vorstädte nie enden, aber diese Ähnlichkeit ist her äußerlich. Es gibt feine, andere Unterschiede: wenn um 10 Uhr am Sonntag das lauteste Geräusch ringsum die Kirchenglocke ist, dann ist es Provinz.  Außer beim Bäcker herrscht nun wirklich Ruhe. Die Autos sind gewaschen und stehen meist in Garagen. Gehsteige, Rinnsteine, Bordsteine, Fliesen, Quader sind individuell gefegt (unserer vielleicht nicht so), Arbeitswoche und Schnäppchenjagd auf der grünen Wiese (Gewerbegebiet) liegen hinter uns.

Es ist : Stille plus Duft nach Holzfeuer.

a1Eine Ausnahme macht der Lamborghini zwischen den Bäumen, der gerade einen 6Schar Pflug wendet. Aber er bestätigt die Regel. In einer halben Stunde wird er fertig sein. Ruhe.

Der Tag liegt vor mir. Leichter Frost grüßt noch hier und da, aber die Sonne wird dem Reif bald den garaus machen.  Die Kleidung ist winterlich,  das Gemüt sieht schon mehr Licht. Viel helles blau in der Luft.  Die Kamine rauchen senkrecht,  Sonne streift Bäume .

Wir sind verabredet : team flèche allemagne. Ein erstes Treffen in natura. Paarweise fahren wir aufeinander zu, zwei aus dem Westerwald und zwei vom Rhein her, direkt aus Koblenz.  Treffen werden wir uns im Sayntal, mir noch unbekannt. Bei lockerem Einrollen vergehen die Kilometer  zu zweit wie im Flug.

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Wirges, Selters  – schon haben wir das Tal erreicht. Ein Milchbauer läßt die nationale Kuh grüßen, um auf wirtschaftliche Schieflagen hinzuweisen. Seit neuestem gibt es Weidemilch im Kühlschrank;  –  das heißt wohl ,  sie geben den Kühen diese Rundballen im Winter statt Fertigfutter.

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Provinz: Sparkassenvillen, stolze Handwerkerhäuser und Kinder, die auf dem Betonplatz der Schule kicken, während die jugendlichen Geschwister schon anderes im Sinn haben.  Das Sayntal ist breit und flach, ganz sanft nur steigt es zu den Rändern an. Ein helles Tal, in dem sich locker verstreuten Höfe abwechseln. Ein Schweinezüchter hier, Milchkühe dort. Wie geschaffen für den Radsport .

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Ein Sonntag als inoffizielle Saisoneröffnung. So trifft man kaum Autos und es kommen uns fast im Minutentakt Fahrradgruppen entgegen. Die Vereinsausfahrten ziehen grüßend  vorbei. Wir Kurbeln flott in kleinen Gängen, reden und rollen. Alles geht leichter.

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Die Sonne wärmt und kommt von vorn, es ist kaum über Null aber gefühlt ist Frühling. Schon treffen wir auf unserer Mitfahrer. Kurzer Gruß, Handschlag,  wenden und weiterrollen. Die Körpersprache auf dem Rad kennenlernen.

Es paßt. Team „Vom Deutschen Eck zur Wartburg“ rollt harmonisch durch die sanften Kurven der Strecke, die der Sayn folgt. Randonneurstempo 25-28.

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Auf allen Wegen wird jetzt Holz geschnitten. Die kleineren Bäume und Sträucher werden dort, wo Laub überstehen könnte begradigt, die zurückgeschnittenen Äste gleich gehäckselt oder für Osterfeuer schonmal auf den Äckern gestapelt.  Hell blicken uns die ovalen Querschnitte der stärkeren Äste an.

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Bei Isenburg verengt sich das Tal, auf dem Bergvorsprung die Mauerreste einer großen Burganlage. Vermutlich verwertet in manchen gebäuden hienieden.

Von den Grafen zu Isenburg ist der Welt nicht viel geblieben außer einem: der Limburger Dom, den sie finanzierten.  Hinter einer Krümmung verschwindet die dräuende Ruine, die an dieser Engstelle das Tal beherrschte.

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In Sayn rekonstruiert man Teile der nächsten Dynastie. Die Adler bewachen vielleicht den Eingang zur ehemaligen Ananaszucht, die vor über hundert50 jahren angelegt wurde. Wir streifen das Schmetterlingmuseum, ein Vivarium mit Tropenatmosphäre. Es öffnet erst im März, ich freue mich schon drauf, mir die handgroßen brasilianischen Schmetterlinge um die Nase flattern  zu lassen. Was vom Prinzen geblieben ist.

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Bendorf:  eine kurze, zufriedene Kaffeepause im Zeichen des blauen Karos, einst Zeichen des Bochumer Vereins – auf ganz alten Aral schildern sieht man noch das kleine BV und einen Hammer.

Mittlerweile zeigen die Navigationsinstrumente (plus) 8 Grad an – Jahresbestleistung.  Die kleine Residenzstadt  des weitgefächerten Geschlechts zu Sayn liegt hinter uns wir folgen südwärts dem Rhein entlang . Bendorf, Vallendar, Ehrenbreitstein und dann gegenüber: das ist  Koblenz

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Das Deutsche Eck, unser Team- Namenspatron .  Hier ist am 29. April der Start Richtung Wartburg. Zwei würdige Orte, wie wir finden. Milchige Wintersonne. Die  Koblenzer Pfadfinder in unserem Team kennen die Kniffe (Unterführungen, Radwege) , um am Fluß entlangzuschleichen . Bei Lahnstein dann Richtung Ost ins Lahntal.

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Würdevoll flugrosten die Brücken  – wie nennt man diese Form? – der kleinen Lahntalbahn vor sich hin, eine tunnelreiche, kurvige Strecke, meist einspurig und nicht elektrifiziert. Nach dem Krieg fuhren hier Triebwagen mit schweren Akkus, die Limburger Zigarren hießen.  Ein lebendes technisches Denkmal . Ein paar mal kreuzt sich die  Trassenführung entlang der Lahn, doch meistens grüßen wir Radfahrer (und Autofahrer) die Bahn vom anderen Ufer.

Unsere Gruppe läuft unbeirrt. Falko, Ralf, Thomas und Crispinus freuen sich auf die Wartburg.  Bald in Bad Ems, dem kleinen Marienbad an der Lahn, eine Enklave russischer Sommerfrischler bis zur ersten sozialistischen Revolution . . . .

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a12Dieser Mann vor seiner Pizzeria auf bürgerliches Publikum, mit Emblem und Fliege!  Ein Italiener in Bad Ems, so wie man sich in der Deutschen Provinz einen Italiener vorstellt: elegant und korrekt –  vielleicht einer von der Bianchi Familie, die hier mit einem Eisladen begannen? – wir aber , bescheiden , ziehen vorbei, wollen weiter die Lahn hinauf.

Das vierte Tal wartet auf uns. Bei Weinähr/Arnstein mündet der Gelbach in die Lahn. Er kommt von Norden aus Montabaur und schlängelt sich über 30 km an Hängen und Wiesen vorbei. Kleine Dörfer hier und da aber sonst nichts als das Rauschen des Gelbaches. Hier ist sie, die tiefe Provinz (kein einziger Supermarkt)  bis ins Frühjahr.

Dann kommen zu den Radfahrern die Motorradfahrer dazu, den das Tal als Tourenroute  aber auch als Teststrecke für neue Produkte dient. Heute nicht. Heute war es ein runder Sonntag, an dem wir den Winter ausgetrieben haben.

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