Es war der erste
„>brevet des Jahres. Das Tageslicht erlaubt 200km, eine Streckenlänge die eigentlich „nur“ als Marathon gilt. Aber es ist der 18 März. Wir sind kurz vor der Tag und Nachtgleiche, um diese Zeit herrschen in der in Nord/Westeuropa häufig stürmische und feuchte Klimata, die vom Atlantik herüberdrängen..
Im vergangenen Jahr hatte ich noch (vor dem Start) kehrt gemacht. Grund war die Fantasie, dort einen 300er in mittelkurzem Dress zu bewältigen. Es ist leichtsinnig und eigentlich ein bissken dumm, wenn man glaubt, durch lockere Kleidung die Sonne verpflichten zu können.
In Gießen, der link bekannten Stadt, warteten schon an die 40 warm eingepackte Damen und Herren mit ihren Rädern.
Darunter auch das Rumpfteam der flèche, ThomW und mich. Es sollte eigentlich zum Probelauf für alle Fünfe werden sollte, die sich am 29 April vom Deutschen Eck zur Wartburg aufmachen. Bleibt hier nur uns beiden die Gelegenheit, erschwerte Bedingungen zu simulieren.
Nach der kurzen, netten Ansprache vom Veranstalter Christian Schulz und dem Gruppenbild auf Freitreppe lagen Stadt und ihre Stromversorgung bald hinter uns. Die Strecke führt im Uhrzeigersinn rund um Marburg, wobei Gießen auf dem Umlauf die Position 6Uhr einnimmt. Um 18 Uhr könnten wir wieder dort sein . .
Eine Wunschzeit, erst aber mal das Gelände abtasten. Auf ordentlichen Straßen geht es ganz mählich hinauf nach Nordwesetn, ordentlich Wind von dreiviertel vorn. Das Tempo erlaubt die ein oder andere Plauderei in geduckter Haltung, der Winter war lang. Nach etwas über einer Stunde signalisisert ThomW die Notendigkeit einer taktischen Pause (der ich mich anschließe) und ich sehe der sich immer weiter ziehenden Kette von Radfahrern auf der Landstraße hinterher. Da sind schon über 250 höhenmeter gemacht. Von 2500.
Es ist ein nasser trüber Samstag mit Wind , das hält Straßen schön frei. Manchmal eine Regenjacke am Horízont. Der Wind verhindert ergiebige Güsse, die Reifen sind feucht, schwimmen aber nicht auf. Oft geht es in den Wald und dann kurz wieder hinaus – es herrscht eine gewisse Geborgenheit. Die Ortschaften sind klein, unbekannt, menschenleer. „Bauer hat Frau“, steht in einer Scheune an der Wand.
Nach der zügigen Abfahrt, auf der neo-antike Bremsen sich bewähren , ein Tal voll untätiger Solarkollektoren. Dann weiter auf das Hochplateau des Bottenhorner Lands.
Dieser Hof steht nun über 200 Jahre auf der menschenleeren Hochfläche. Weniges dürfte sich seitdem geändert haben (außer der Asphaltierung). Neu sind mächtige Windräder, die teilweise in den Wolken verschwinden und ab und zu ein funkelndes Blinken aus dem grauen Nichts erkennen lassen.
Petitionen gegen diese neue Form der Technologie, Plakate am Straßenrand, entdecke ich hier nirgends. Wenn die Regel zutrifft, das eine technologische Neuerung noch nie aufgehalten wurde, dann sollen diese großen Räder keine Ausnahme davon sein .
Allmählich drehen wir aus dem Wind, durchfliegen Orte wie Quotshausen an der Perf und erreichen ein sonniges Tal in dem es kurz nach der 100jährigen Gießerei riecht – Die Landstraße nach Biedenkopf. Ich erkenne sie wieder, es war vor beinah zwei Jahren im August.
Linkerseits die Waldhänge, die wir noch überqueren müssen. An der Handelsstraße zwischen Dillenburg und Biedenkopf lösen sich kleine Dörfer und Unternehmensgelände ab. Unser Brevet probiert eine Option aus, die ich damals verworfen hatte.
Wir verlassen die Landstraße nach Nord und nach nur wenigen hundert Metern ist die Zivilisation vergessen: über eine verwunschene Route (Wald, Tal,Bach) arbeiten wir uns durch den Wald und über den Kamm, der Lahn und Eder trennt.
Nach der technischen Abfahrt, die mein Vertrauen in Stahlrahmen erhärtet, – kein Hüpfen, kein Versetzen, es gleitet – , erreicht die Strecke den Kreis Korbach. Das verraten die Nummernschilder. Wir haben auch die Konfession gewechselt, das verraten die Bildstöcke.
Eine Steigung noch und die Hatzfeld ist erreicht: erste Kontrolle . Die Freude auf den ersten starken Kaffee tja, sie wird bald getrübt. Diese Tankstelle hat nur Brunnenwasser und setzt auch sonst auf reduzierte Kost. Ihren Kaffee trinken sie heimlich in der Abstellkammer.
Eine Edeka Flagge leuchtet von nebenan. In dieser Oase stelle ich meinen Pegel wieder her, die Laune steigt und die nächsten Kilometer sind ein Genuß
Denn der Wind trägt uns durchst Edertal und hinüber in die südlichen Ausläufer des Korbacher Lands. Sehr mild gewellte grüne Ebenen dahinter sich Hügelketten abzeichnen; stattliche Bauerndörfer hier und da mit rötlichen Fundamentquadern und wir machen Meilen.
Immer wieder ein schönes Fachwerk, kurz bewundert an der Ampelkreuzung. Dann geht es den Tann zurück und die nordhessische Einsamkeit. Marodierende Abfallsammler in weißen Lieferwagen ziehen übers Land. Die Drosseln rufen durch den Wald .
Auf Verkehrsschildern ist Marburg stets 25km entfernt. Wir drehen uns also allmählich im Kreis nach Südosten, die Windräder über uns bestätigen es.
Ich habe immer gedacht, ich lebe auf dem Land. Aber es gibt Steigerungen und an den die Dörfer erkennt man sie. Wenn es keine Neubausiedlungen mehr gibt, wenn die Wetterseite der Höfe noch Holzschindeln trägt, wenn nur Schule und Rathaus aus Stein gemauert sind: dann ist eine weitere Stufe erreicht. Die Gebrüder Grimm würden hier kaum Fremdes sehen.
Für uns Zugvögel ist es wunderbar – auch an einem grauen, windigen Regentag . Wir kommen durch Gegenden, durchqueren Orte, die wir im Leben sonst nie sehen würden: das ist unser Lohn. Nur was hinter den Scheiben geschieht, bleibt verborgen. Wahrscheinlich aber wird drinnen von der weiten Welt geträumt in der virtuellen Form von
Germanias topmodellz, Millionärwerden, Aintracht Frankfurz . . . . . . . . besser nicht dran denken.
Treysa ist ein Knotenpunkt( Straßen, Eisenbahn) und unsere nächste Kontrolle ist gut besucht: eine Tankstelle am Ende der Stadt.
Treysa liegt über dem sanften grünen Schwalmtal, in dem die Schafe weiden. Ein Erythreer sitzt an der Rückseite des Getränkemarkts und schaut ihnen zu. Neben ihm lehnt sein Mountainbike. Was er denkt? Die Landwirte hier werden ihn wohl kaum brauchen können, wenn er denn eine Arbeitserlaubnis besitzt.
Die Tankstelle bietet kein warmes Essen mehr, ich begebe mich in den flankierenden MiniMacD und bestelle das größte Einzelstück das es gibt. Den triple cheeseburger. Iß, was gar ist.
Genießend sehe ich den Randonneuren hinterher, die sich schonmal auf den Weg machen. Die Wärme füllt den Bauch und zum frischen Café gibt es eine R-Sport Zartbitter Nuß. Jetzt beginnt die eigentliche Partie, dann es geht dem Wind nach Südost entgegen. Nach über der Hälfte ist man jedoch in einem anderen Zustand, gut eingefahren. Eingepackt in winddichtes Zeug und voller Kalorien ziehen wir aus Treysa hinaus, vorbei an tütenschleppenden Einkäufern. Es sind fast die einzigen Menschen, die sich auf der Straße sehen lassen.
Ein letzer Gruß und auf durch neue Täler, Wäldchen und kahle Höhenzüge.
Ein Radfahrclub
Ein weiteres Dorf
Wind.
Gesellen
Irgendwann werden wir von der ersten Regenwand überrollt. Die Sonne gibt es nur noch als gemaltes Versprechen an der Hauswand. Aber wir sind uns einig: nach einem kurzen Tief herrscht innerlich ein Hoch, der Tag geht zuende und wir rollen, rollen, rollen. Ob Regen oder Wind.
Als Gießen erreicht ist, wird es genau 18 uhr.