Die EDF hat gerade ihr eigenes kleines Brexit Problem. Die staatlichen französischen Elektrizitätswerke, verantwortlich für die vielen, vielen Atommeiler im Land jenseits des Rheins sind mit ihrem neuen Kraftwerk in UK über den Kostenrahmen (1mrd EURO) hinweg und völlig aus dem Zeitplan: mit mindestens einem Jahr Verspätung werden sie den Briten frischen Nuklearstrom liefern – zum dreifachen Preis.
Es gab zuvor mahnende Stimmen, ein Finanzvorstand warf über die Machbarkeit des Projekts hin, aber das wischte ein strategischer Befürworter in seinem Ministerium seinerzeit beiseite. Sein Name: Emmanuel Macron.
Wir hingegen (D) sind seit Fukushima ein Land der alternativen Energien, nicht wahr? Wir haben Rotoren und lassen sie kreisen, damit Kohlekraftwerkswolken gleichmäßig verteilt werden. Jedenfalls sprechen wir über Alternativen.
Hier oben, im baumlosen Maifeld zwischen Mosel und Eifel weht der Wind kräftig genug für die neue Energie. Die Gerste ist erntereif und wiegt zustimmend die Köpfe. Der Radfahrer, der an diesem 25. Juni duch die Gegend streift, neigt sein Haupt tief über den Lenker, der Wind raubt ihm Energie.
Es ist der Tag des Koblenzer Marathons (232 km) und es ist meine vierte Teilnahme. Was in den vorigen jahren die Hitze war, ist diesmal der Wind. Nördlich und südlich der Mosel, auf den Weizenplateaus von Hunsrück und Eifel läßt er die Rotoren drehen und immer wenn die Strecke aus einem Tal hinausführt, zeigt er uns Sterblichen seine Macht.
Doch Windräder stehen in ländlichen Gemeinden unter Verdacht. Sie werden als Zerstörer der Landschaft gesehen und bringen Unheil: Tiere flöhen, üble Schwiungungen erzeugen Krankheiten,man schreibt Petitionen aus gegen die Horizontverschmutzung. Bislang aber gelang uns weder, Strom über unterirdische Leitungen durchs Land zu führen, noch legten selbige Bürger die Axt an die unzähligen lieblos eingepflanzten metallenen Masten und ihre singenden Drähte.
Heho spann den Wagen an – sieh der Wind treibt Wolken übers Land – hol die goldnen Garben, hol die goldnen Garben!
. . . . ich vernehme das regelmäßige Schwingen des Rotorblatts wie ein gigantisches Luftpflügen, ein eher harmonisches Geräusch und die gewaltigen Blätter der Luftschraube sind raffiniertestes Design .Daheim wäre nicht unglücklich, wüßte ich mich mit einem dieser Geräte verbunden zu Für den Fall der Fälle.
Not everybodys cup of tea, sicher – also zurück zum Sport… Früh geht es los. Koblenz ist schnell erreichbar, der Startort Pollenfeld-Schule ideal gewählt. Als Nummer 121 nehme ich meinem Eddy die längste Variante des Veranstalters RTF Koblenz unter die Räder.
Noch einige Kilometer durch die Felder, dann setzt der Höhenmeterzähler ein; Im Schuß hinunter zur Mosel. Dort schlafen die Freizeitkapitäne noch, über den weißen Schatten der Wohnmobile und den dümpelnden Schiffsrümpfen liegt Stille. Es ist noch nicht sieben Uhr, aber die Westbrise ist schon da.
Der Koblenzer parcours läßt sich leicht in zwei Abschnitte teilen. Über hundert Kilometer verläuft er südlich der Mosel, den Rest nördlich davon. Die Hänge auf der Hunsrückseite sind üppig grün, da dort kaum Reben angebaut werden. Und auf den Plateaus stehen beiderseits die Windparks.
Das morgenfrische Grün duftet stark und krautig, die ersten tiefen Atemzüge im Anstieg verdoppeln den Genuß . Es geht vier bis 5 km lang auch einmal steiler hinauf – gerade recht für den Anfang. Noch spüren wir die Anstrengung nicht.
Buchholz km 33 Die erste Kontrolle wird gerade erst von der aufgehenden Sonne gestreift, aber mein Teamkapitän Falko von der Flèche Allemagne steht mit seiner Frau schon lange bereit; wir erinnern uns gern. Dann geht es auf eine Stippvisite (sehr zügig) hinunter zum Rhein, vorbei an Boppard. Zurück in den Wald fast 6km bergan, eine schöne schmale Straße hinauf in den Hunsrück und den Wind.
Einige Mitfahrer habe ich an der ersten Kontrolle ziehen lassen, im nächsten Anstieg schließe ich mich wieder einem an und prüfe den Rhythmus. Nicht mehr alles so leicht jetzt, ein ziehendes Gefühl hinten im rechten Oberschenkel kommt auf. Ich sollte vorsichtiger sein, es drohen sonst unangenehme Stunden im Maifeld, mit seinen Wellen ohne Windschutz. Dehnung über dem Moselblick.
Die kleine rote Bahn zieht durchs Moseltal in Nachahmung unzähliger Modellstrecken und ich muß schon weiter. Auf den nächsten Berg folgt Macken km 72, erste Kontrolle im Hunsrück. An Rotoren vorbei geht es auf -und ab, der Wind von seitlich vorn ist kein Freund, er knabbert an der Substanz.
In so einem Fall ist eine kleine Gruppe das Beste, aber die Letzten Mitfahrer sind zwei oder drei Minuten entfernt: ab und zu sehe ich ihre gebeugten Umrisse an einer gegenüberliegenden Kuppe. Oh! Ein neuer Fahrer in schwarz/schwarz.
Mit einem gewissen Tempo schießt er vorbei – soll ich mich ranhängen? Ich probiers fürs erste. Sein Tritt ist schnell und rund. 1 Versuch ist es ja wert. Keine Anstalten, den ungebetenen Gast abzuschütteln, auch im Anstieg sehr gleichmäßiger Tritt – gut. Wir reden nicht, er sieht sich nicht um, fährt seinen Rhythmus weiter über die Dörfer. Sturmvogel steht auf dem Trikot, nicht ganz zu Unrecht heute.
Auch den nächsten Anstieg mache ich noch mit, aber mehr muß nicht. Keine Einladung zur Zusammenarbeit . Jeder hat halt seine eigenen Sorgen. Tactics- ich weiß jetzt: der Mann wird mit mir im Schlepp immer etwas schneller fahren wird als ohne. Also nicht dranbleiben; dem Vordermann nicht das Gefühl geben, der Radlutscher zu sein.
In den Abfahrten macht er ordentlich Tempo: da also steckt die Kunst.. . dann in einem Bogen an einer imposanten Burg-Ruine vorbei und im Gegenanstieg meinen Abstand mit den weißen Baken vom Straßenrand einpeilen . Ich synchronisiere den Tritt – der Abstand bleibt unverändert – ohne das Gefühl, gleich zu explodieren. Die lange Rampe beginnt gleich nach der Burgruine, ein zähes, aber gleichmäßiges Stück bis ans Dorf und dann am Ende nochmals raus auf die Anhöhe. Der Rhythmus hilft.
Wie durch eine Schnur verbunden fahren wir die nächsten 20km auf gleicher Distanz – weiter bis zur nächsten Kontrolle, Sosberg km 114, am Dorfbrunnen. Dort ein letzter Blick auf die bekannten Rückennummern der ersten Hügel. Männer in rot weiß und schwarz.Halbzeit in etwa bei stabiler Wetterlage: Nordwest Beaufort 5.
Sonntagsgruß an ein kleines Mädchen mit Fingerspinner. Sie läßt ihn kreisen. Mein Spinning ließ etwas zu wünschen bisher jedoch: der Muskel macht nicht mehr zu, gleich geht es nochmal in eine tiefe Talkerbe und über die letzten Felder weiter hinab Richtung Treis Kaden – zurück an die Mosel.
Und dieser stattliche Gasthof sucht einen Nachfolger. Eine saubere, schöne Gaststätte – schade, denn letztes Mal saßen sie noch hier, vor der Tür einen geschmückten Baum auf dem Auflieger, der zum nächsten Dorffest sollte.
Jetzt gegen den Wind die letzten Wellen im Hunsrück, letzte Dörfer und eigenwillige Kirchen -diese (pseudo)romanische Basilika hier –
aus demselben Stein errichtet wie die angrenzende Scheune Ein brauner, flacher Tuffstein, geschichtet . Hinunter durch ein langes grünes Tal .
Dort genehmige ich mir den Espresso , der so lange gefehlt hat. Er soll mir einen kleinen Flügel am Müdener Berg km 142 verleihen. Der wartet nämlich nach der nächsten Kontrolle und ist der Abschied von der Mosel auf dieser Tour.
Schon ist es soweit.
– und ich bin froh, diesen Blick einigermaßen genießen zu können. Mit 26 Zähnen geht es immer höher . Die Serpentinen ziehen sich durch den Weinhang und oben wird wieder der Wind warten .
Ein alter Traktor grüßt zum Abschied, er hat seine Arbeit schon lange getan und hier beginnt der Marathon erst richtig. Um die 100 Kilometer sind mit gut gefüllten Kohlehydratspeichern ja machbar. Dann beginnt die Umstellung, die Rhythmuswechsel schmerzen, der Wiegetritt wird gut überlegt, der Körper ist wohl dabei, sich seine Energie in den Fettzellen zu suchen. Spätestens nach dem Müdener Moselhang ist es bei jedem so weit.
Weizenfelder und Dörfer, kleine Kapellen am Rand der baumlosen Straße und Wind in Mengen. Es hilf nichts, ich muß tiefer greifen .
Das ist heute kein großer Tag, keiner, an dem man hier und da noch eine Schüppe drauflegt. In Demut weiter, das hilft; wie immer das Nachdenken über Ursache und Heilung. Zu viel Gewicht? ja , sowieso . Zu viel Körner verschleudert? eigentlich nicht. Verkappter Infekt? die Kleinste hatte Halsweh . . . und dann höre ich Stimmen.
Es sind zwei compagnons auf strahlenden Rössern mit geölten Waden, die plaudernd und mit ganz kleinem Tritt an mir vorbeiziehen. Zwei! – also Platz für einen Dritten. Sie bieten mir großzügig Windschutz , denn sie haben meine Not erkannt. Der Linke schaltet klack -klack elektrisch auf und ab und kurbelt noch leichter als sein Nebenmann.
Beides überzeugt: die Schaltung und Tritt. Ich tue es ihnen gleich und das wird die Lösung meiner Probleme in der Windnot.
Knie schön hochnehmen, leicht und locker die Beine kreisen lassen. Immer von oben treten, nicht zu flach. Der Muskel, der sich meldet, sobald ich feste durchdrücke, bleibt still. Es dauert einige Minuten, bis ich mich an die Frequenz der Vorderleute gewöhne, aber auf den schweren Kilometern gegen den Wind ist es ein treffliche Mittel: 39×20 in unserer Sprache. Es waren entscheidende Minuten, bevor ich die helfer weter ziehen lase.
Licht am ende des Tunnels. (er führt unter die Autobahn 48) Ich bleibe wo immer möglich in der hohen Kadenz. Das Pommerbachtal, das Eltzbachtal, beides deftige Kerben mit giftigen Gegenhängen, wild und flickig. Dann die zweite Begegnung mit Falko an der kleinen Friedhofskontrolle km 172, wo es nochmal Honigbrot und schäumende Magnesiumtabletten gibt. Mit neuer Energie trete ich ein Allegretto und winke den großen Windrädern zu . . .
Während ein Mann mit seiner Drohne den reifenden Weizen filmt, schiebt der Wind nun (endlich) mächtig an. Jedem, der etwas gegen eine Nutzung der Windenergie aus ästhetischen Gründen vorbringt, empfehle ich einmal dieses Erlebnis, den Wind bei leichtem Gefälle von hinten zu spüren. Das Geld, das andere in ihm sehen, liegt auf der Straße – es ist mein Speed. Der Wind ist eine große Kraft.
Energie ist am Ende alles. Km 232
und im Wein steckt Wahrheit. Danke Koblenz – auch als Lehrstunde für die Pyrenäen.