Höhenzüge rundum. Keine Berge, nur sanfte Hügel, die oft in tiefhängenden Wolken verschwinden. Manchmal ist die Kuppe nur dank der Blinklichter zu erahnen, mit denen fünf große Windräder ihre Signale setzen. Jeder Hügel bleibt eine Herausforderung – man will immer wissen, was dahinter liegt, auch wenn man es schon tausendmal gesehen hat.
Also fahre ich am letzten Tag des Jahres hinauf, um vom Rist aus zu sehen, was im Nächsten auf uns zukommt. Die weiße Gazelle ist dabei.
Auf der Höhe verläuft hinter Wallmerod in einem großen Bogen die alte Bahnlinie nach Westerburg, ein glatter, geteerter Streifen von 2m, der mal rechts mal links den Blick auf neue Horizonte freigibt. Ich kann sehen, von wo die Wolken aufziehen, ob die Mühlenteiche sich füllen, ob irgendwo das nächste Windrad entsteht.
Diese ehemalige Bahnlinie wurde schon vor einem Jahrzehnt aufgegeben und die Windräder scheinen (neben Funkmasten) eines der ganz wenigen neuen Elemente in diesem Panorama erloschener Vulkankegel zu sein. Der Rest verharrt in TeilIdylle, auch die Suburbanisiserung scheint hier abgeschlossen. Eher stehen Häuser leer, besonders entlang der Straßen. Die Wälder wiegen im Wind die Köpfe und ich husche von ihnen beschützt auf meinem alten Rad auf ein neues Jahr zu, ein neues Jahr mit neuen Wegen.
Das, was wir Fortschritt nennen ist hier nicht zu sehen – vielleicht manchmal, wenn ein größeres Flugzeug auftaucht und seine Streifen in Richtung Frankfurt malt. Ein alter Mann auf einem alten Rad, dessen Welt stille steht? Lieber nicht.
Die alten Traktoren (im Schnitt 35 Jahre) die ab und zu ihre Spuren über die Bahn ziehen werden von ihren Besitzern gehegt, weil sie gebraucht werden, funktionieren und weil ihr Betrieb sehr sehr wirtschaftlich ist. Es gibt kaum ein technisches Produkt, dessen Kosten im Vergleich zum Nutzen weiterhin sinken. Das Material war einfach zu gut. Gilt auch für die Räder, auf denen ich sitze.
Natürlich könnte ich ein weiteres Loblied auf die Verschleißarmut, die einfache Wartung und die günstigen Preise der Ersatzteile von Rennrädern mit bis zu 7 Gängen singen. Natürlich könnte ich weiter an diesem Punkt den Fortschritt leugnen und hunderte von Kapitel über sinnlose Neuerungen, kostspielige Verbesserungen (ohne Gegenwert) und lächerliche Moden verfassen. Lieber nicht
Der Blick in den Rückspiegel verzerrt. Eine Welt voller Pferde, alter Traktoren und derben Wollzeugs ist eine optische Täuschung, eine Retrotopie. So etwas wie Gaslaternen, an der sich Vergangenheitstrunkene festhalten: mit dem suffix Vintage wird eine Beruhigungskulisse an Konsumgütern angeboten, ein weiteres Ornament der großen Spiegelkabinett der Spielzeuge: man bastelt sich künstliche Paradiese, in der die Dinge noch gut waren …
2018 wird die Geschichte der Technik an anderen Orten weitergeschrieben und es werden weiter tektonische Verschiebungen stattfinden, deren Energiesumme erloschene Vulkane wieder in Aktion versetzen könnten – um ein Bild zu gebrauchen, das an meinem Auge vorbeizieht. Denn die Verschiebungen finden statt, sie sind gewaltig und werden von Millionen retro-utopistischen best agern beim manufactum online-shopping oder Millionen PS4 Zockern vor Quadratmetergroßen OLED Screens befeuert.
Sie befinden sich auf dem gleichen Untergrund wie ich, dem selbstvergessenen Pedalierer mit 100/min auf der längst abgetragenen Trasse, die einst den brotlosen Dörfer und Höfen des landes den Weg zur Industrie 1.0 bahnte. Diese Trasse ist ebenso Teil eines neuen großen, postindustriellen Vergnügungsparks, wie konvertierte Abraumhalden der Kohlezechen, die 2017 ihre letzte Tonne förderten. Gern wollen wir glauben, das alles hinter uns zu haben. Ist es gut? ist es schlecht – oder beides? Für mein Rad ist es sehr gut
2018 ist in vollem Gang, die eingesetzten Energien sind titanisch und produzieren hier eine Welle der glückseligen Spieler, dort einen weiteren Tsunami automobilen Schrotts, nicht linear, nicht als einfache Konsequenz. Einfach nur weil es eine Dynamik gibt, die immer weiter nachfragt und eine, die immer mehr anbietet – auch um künstliche Paradiese zu erschaffen.
Die Energie, die mein Körper über zwei Räder auf den Boden der Bahntrasse bringt ist daneben nur ein infinitesimales Quantum. Auch verglichen mit der, die diese Blogsoftware frißt. Aber sie bleibt gemessen an meinen Körperfunktionen recht hoch, besonders wenn ich mich aufmache, mit ihr 2018 neue, reelle Paradiese zu erreichen. Dafür müssen neue Wege gefahren werden, neue Quellen erschlossen. Auf meine Weise setze ich , ohne dabei viel mehr als meine eigene Energie zu verbrauchen, sozusagen mikro invasiv, die Kette neuer Erfahrungen und Grenzerfahrungen fort.

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Die Energiesumme des Jahres wird sich vielleicht in einer gelungenen Serie von Brevets ablesen lassen, deren Möglichkeiten meinen Jahreskalender schon gefärbt haben. Unterdessen sehe ich die Windräder aus den Bäumen wachsen, höre ich die neuen Elektroautos an mir vorbeisurren und begegne ich den guten neuen, alten Menschen unterwegs. Wir werden sehen.
Diese Grenze sehe ich nicht unbedingt bei 7 Ritzeln auf der Kassette, wobei ich Dir zugestehe, dass das Kriterium „einfache Wartung“ mit dem Aufkommen der Schaltbremshebel nicht mehr in dem Maß gegeben war wie mit den Rahmenschaltern.
Aber wie auch immer: Mögen Dich Deine Gazellen, Raleighs und Kogas noch über viele Hügel tragen!
man kann sich mit 7fach schon begnügen. Jenseits davon wird es einfach komplizierter, bei Schraubkränzen ist sogar 6fach die bessere Wahl( von der mechanischen belastung her).
Es ist richtig, kein Dogma daraus zu machen und sich an seinem Rad zu freuen….
Ich bin jetzt im Winter fast nur auf meinem Faggin Veneto unterwegs, ein End-90er mit 9-fach STIs und kann nur für mich sagen, dass ich die bunte Vielfalt der Kassette nie voll ausschöpfe. Weit davon entfernt das irgendwie dogmatisch zu sehen, kann ich nur sagen: brauch ich nicht. Sehe das auch so, 6- und 7-fach bietet mir alles, was das Herz begehrt. Den Verzicht auf schnellere Schaltvorgänge und immer beide Hände am Lenker zu haben nehme ich gerne in Kauf. Bin halt aber auch kein Radsportler.
Zur Wartung: die 105-er Gruppe, die da verbaut ist, ist genauso zuverlässig, wartungsarm und macht einen genauso unkaputtbaren Eindruck, wie das ältere Material, das hier im Einsatz ist. Da sehe ich absolut keinen Unterschied.
Könnte gar nicht sagen, zu wieviel Prozent ich die ganze Kassette durchschalte beim Koga mit der 9-fach-Ultegra. Zwischen 7-, 8- und 9-fach merke ich jedenfalls keinen großen Unterschied. Bin auch lange genug (bis 2010) mit 6-fach ausgekommen, da waren allerdings die Schaltschritte relativ groß, ich würde heute nicht mehr 12-28 durchstufen.
Über die 6500er-Gruppe kann ich auch nichts Schlechtes sagen, außer dass die Dreifach-Konstellation nicht ganz einfach einzustellen ist und die Bremsen etwas mehr Biss vertragen könnten. Aber in Sachen Haltbarkeit/Wartungsarmut gehört die Gruppe definitiv noch zum guten Zeug.
man kann es noch weiter fassen: der Qualitätsstandard für Gebrauchsgüter ist auf fast allen Gebieten bis in die 90er Jahre sehr hoch. Die Techniken der eingebauten Obsoleszenz, um das Unwort zu gebrauchen, sind damals veilleicht noch nicht weit genug entwickelt.