Mitte Februar, der Winter hat uns wieder im Griff. Jeden morgen neuer Reif auf dem Gras, zaghafte Rauchwölkchen über den Kaminen. Gedanken an die Südsee helfen, eine Sonne im Kopf, schon rollt das Rad leichter. Und manchmal ist die nächste Lagune gar nicht so weit. Kurs Süd ist ein guter Anfang. Der Vorbau zeigt in den Taunus.
An einem Tor der Gegenreformation halte ich kurz inne und fahre dann über die Konfessionsgrenze Richtung Taunus. Diese Kapelle wurde errichtet, als der Pferdesturz Fürst Johann Ludwigs zu heftigen Erbauseinandersetzungen zwischen verschiedenen Nassauer Familienteilen führte. Welche jetzt genau wovon profitierten fällt mir gerade nicht ein, es soll aber auch in Berlin Folgen gehabt haben – Schloß Oranienburg fällt mir da ein. Tatsächlich endet hier, an dieser Kreuzung nach Obertiefenbach immer noch die katholische Sphäre. Zittert, Ungläubige!
Es muß eher wegen der Temperaturen gezittert werden, gerade auf gerodeten Hochflächen, die einen weiten Blick erlauben. Das junge Paar in der Bildmitte setzt gerade die Selbstversorgung mit Brennholz fort, während ich die Geborgenheit der Eschenauer Senke suche.
Talsenke – Dort : wie im letzten Jahr, es durchkreuzt der Bach eine fast menschenleere Ortschaft. Manchmal begegne ich Zeitungsausträgern, die geduldig gefüllte Handwagen mit Werbepost vor sich herschieben.
Dann wieder wärmt der nächste Hang meinen Körper und ich setze meine Suche nach Zentigraden im Tal dahinter oder einem Waldstück fort. Denn es ist Winter und daran ist nichts zu machen. Der Wind findet jede Ritze in der Rüstung aus neopren, polyamid, lycra und Zwischenelementen aus Wolle. Eine heroisch aufrechte Haltung ist nichts wert hier, zwischen frisch beschnittenem Heckenholz, weise gekrümmten Obstbäumen und den ungeraden Reihen weißer Randbaken. Die Landstraße.
Mein anspruchsloses Pferd trägt von Hügel zu Hügel zum Tiefpunkt des Tages, der Lahn bei Runkel. Sie fließt hier so langsam, daß ein Naturschwimmbecken entsteht. Freuden eines (fernen) Sommers. Die Wirtshäuser verschmähe ich und halte meinen Schwur 3 Stunden ohne Proviant zu schaffen. Präzise meldet mir mein 653er Reynoldsrohr die Härte des späten Winters, präzise wird aus meinem Tritt neue Geschwindigkeit und neue Wärme.
Plötzlich, in einem der vielen Orte am Weg durchzuckt es mich angesichts der Architektur unserer Zeit: Schupbach!
Wer in der Welt von Schupbach spricht , spricht von Schupbach Schwarz. Was ich für Hügel hielt, sind Lagunen und Atollen, die Welt der Korallenriffe. Die einzigen lebenden bewohner des Schupbacher Riffs scheinen zwei Mädchen zu sein, die sich lachend in der Bushaltestelle unterhalten, ihr Echo hallt an den Wänden des Atolls wider. Und irgendwo hier muß es ein Stück des wertvollen Stoffs geben, der den Namen des Dorfs ins Foyer des Empire State Buildings trug.
Ich umkreise den Ortskern, blicke auf zwei, drei restaurierte Fachwerkhäuser und die weiße Kirche. Ob evangelische Kirchen sonntags offen sind? Schupbach Schwarz: ich sehe Dich! ich lege am (splitter vom) Korallenriff an – der äonenlange Winter ist vorbei.
Im Zentrum des Atolls
findet sich die Marmorsorte am Ehrenmal des Kriegs von 70/71. Stromatoporen !
Von den über hundert Marmorsteinbrüchen der Lahnmulde ist kaum einer mehr aktiv. Ihre Reste , auch die des Schupbachers, werden langsam überwuchert. Dies ist am Ort das einzige Zeugnis, das ich von 400 Jahren Abbau entdecken kann. Die schwarze Färbung deutet auf hohen kohlenstoffgehalt, der an der Binnenseite des ehemaligen Atolls zu finden ist. Das Ohr an der Brandung eines anderen Zeitalters . . .
Seine Reste können in Villmar/Lahn besichtigt werden: Grube Unica.
Nicht sichtbar, wie im Empire State Building, eher unsichtbar sind die Spuren des Westerwalds in Badezimmern und Küchen dieser Welt.
Ich hatte früher mal mit dem Hunger nach Argille aus dem Westerwald italienischer Fliesenproduzenten zu tun.
Und Marmor findet den Weg aus Carrara in Form von Bruchstücken zurück. Leider nicht mehr um Foyers auszukleiden. Eher um Vorgärten zu sterilisieren.
Ganz regelmäßig sehe ich die italienisch beschrifteten Waggons an mir vorbei Richtung Lahn ziehen. Die Pagnossin ist eine der Firmen, die Tonerde aus der Umgebung brennt.
Natürlich wundert mich, warum Brennereien in Deutschland nicht rentabel sind. Ist eines der ältesten Handwerke im Westerwald. Lohnkosten?
Die Marmorvorkommen liegen mehr im Taunus; nur in Balduinstein bei Diez wird noch gebrochen. Sie waren nie besonders groß – ich beziehe mich auf die vielen im Meyer 5 zitierten Quellen in Europa. Durch Transportkosten soll es beispielsweise billiger sein, für Grabsteine den von indischen Kindern gebrochenen Stein zu verwenden.
Ein anderes Kapitel.