Unser Mann in Surf City
Der wilde Sturm umwickelt das Gebäude. Das Aedificium des alten Strandhotels schwankt. Letzte Tiefausläufer streifen das kleine Dorf hiner der Düne. 1952 hat es die südliche Terrasse der Strandpromenade zerschmettert.
Ostern liegt in diesem Jahr früh und damit auch dicht an der Tag- und Nachtgleiche, die in der Biskaya regelmäßig für stürmisches Frühlingswetter sorgt. Blendender Sonnenschein wechselt mit tiefer Himmelsschwärze ab und die blutroten Spitzen der Photinienhecken rauschen in den Böen. Die ersten Zugvögel sind zurück.
Mein Name ist Cornwell, fast wie die Küste, nur liegt meine Küste weiter südlich. das Empire hat mich in meinen Dienstjahren mit warmem Klima versorgt, an das ich mich gern gewöhnt habe: Rhodesien, Kenia, Ghana. In San Sebastian lernte ich meine Frau kennen und als wir bei einer Spritztour über die Bidasoa den Strand von Surf City entdeckten, mußten wir nur noch ein Haus finden. Wir waren allzufroh, unser Leben auf der freien Seite der Biskaya zu verbringen.
Seitdem verging kaum ein Morgen, an dem wir nicht im Antlantik schwimmen waren .
Surf City versteckt sich hinter der Düne und den von Sandstürmen eingefassten Uferpromenaden, den bis an die Sockel vom Strand belagerten Strandhotels. Noch ist es nicht so weit. Die Parkuhren ticken hier erst ab dem ersten April, vorher herrscht absolute Freiheit. Parkuhren. Freiheit.
Der Ort ist bald seit einem Jahrhundert kein Dorf mehr, falls es je ein Dorf war.
Denn der eigentliche Ort entstand zeitgleich mit den in den Dünen verstreuten Ferienhäuschen, die im Schatten von Kiefern und Mimosen ein fast paradiesisches Dasein fristen. Es beginnt mit einer Gartenstadt der 20er Jahre. Genau wie die seaside-resorts unserer amerikanischen Freunde an der Ostküste wurde das Gebiet zwischen dem Binnensee und dem Meer parzelliert und erschlossen.
Privatleute aus der Region von Bayonne bis Bordeaux gaben Ferienhäuser im lokalen Stil in Auftrag. Es wurden Mitteldinge zwischen dem baskischen Bauernhof und der flachen Hütte der Schäfer und Waldbauern, die aus den Pinien der sandigen Landes das Harz molken, Terpentin und auch eine Art Kautschuk extrahierten.
Viele Häuser tragen an ihren Sockeln eingeprägt den Namen des Architekten oder Bauherrn und ihr Baujahr. Etwa gleichzeitig entsteht um den an einer geraden Straße gelegenen Ortskern eine Post, die Verwaltung , ein kleines Kino und schließlich ein Golfclub.
Eine Freizeitstadt, die in den den Monaten Oktober bis April weit weniger Bewohner als Häuser hatte, eine Stadt, die auf die Wochenenden und die großen Ferien wartete. Außer den ein paar dutzend Eingeborenen kam niemand vorbei, wir waren unter uns und fühlten uns jeden Morgen wie die ersten Menschen, wenn wir vorbei am alten Deutschen Bunker den Fuß ins Wasser setzten.
Wenn überhaupt jemand am Strand auftauchte, dann waren das mit Sicherheit Urlauber aus dem Norden, Engländer wie ich, Skandinaven, oder diese deutschen Kinder, die mit ihren Schaufeln einen Höllenlärm machten wenn sie morgens zum Strand zogen….harmlose Vorboten.
Und dann gab es auf einmal Freaks in Campingbussen, wir dachten erst an Hippies. Aber im Grunde waren es Sportsleute, die in den Wellen ihre Bestimmung gefunden hatten. Diese Leute waren Vorläufer eines kleinen transozeanischen, genaugenommen pazifischen Kultes, von dem mir ein paar alte Knaben berichtet hatten: Surfer . Ihre weltweiten Kultstätten waren bestimmte Wellen, auf denen sie mit Planken das Gleichgewicht zu halten versuchten. .
Die Gesichter waren von der Märzsonne gerötet, ihre Haare lang, filzig und verblichen. Auch Sie wachten früh auf und versorgten sich mit Reis Sie aus dem kleinen Laden, an dem ich mir nach dem Bad die Zeitung holte. Sie aßen aus Campinggeschirr und schauten auf die Wellen, an deren Schaumkronen und wilden dunkelgrünen Massen nicht sattsehen konnten. Dann packten Sie ihre lange, elliptische Kunststoffbretter aus und machten sich auf den Weg hinunter zum Strand. Damals.
Nun liegt die Epoche der ersten Heiligen des Surfs schon lange zurück und ich wurde ein alter,ein uralter Mann, der das Meer nur noch von oben betrachtet und sich über seinen Zeichenblock hinweg wundert. Die Vögel haben sich nicht geändert, der Wiedehopf springt immer noch durch die Pinien. Aber der Surf, der alles verändert hat.
Es brauchte keine Märtyrer oder um Proselyten einer unablässig wachsenden Gemeinde zu schaffen. Ein Ort, der ohnehin erschaffen worden war Sommerfrische, Erholung und Freizeit zu organisieren, war eigentlich nur auf der Suche nach einer passenden Religion. Alles kam, wie es kommen musste.
Das Pinienharz direkt an kleinen Töpfen vom Baum gezapft, weicht einem neuen, stärkeren Weihrauch, eine der Beigaben, die dem Sport des Wellenreitens (in den Augen seiner Fans) gleichzeitig den Charakter des Transzendenten verlieh. Irgendwie muß man es ja nennen.
Schon lange beginnen wir die Saison nicht mehr mit der eleganten Cocktailparty im Sporting Club, dessen Räume die Marketingabteilungen diverser Ausrüstungsfirmen beherbergt, die sich im alten Glanz der verchromten Blustraden spiegeln.
Das Dorf hat schnell erkannt, was die Stunde geschlagen hatte. Wie in Lourdes Reliquien und Andenken an jeder Ecke verkauft werden sind es hier die Kostüme und Abzeichen des Wellenkultes. Fast jedes freie Ladenlokal konvertierte zum Ausstatter, wurde ein Franchisesklave der vielen Imame, wahrscheinlich die gerissenen unter den Hippies von denen ich sprach. Eine Kravatte habe ich zum letzten Male 1991 gesehen – (in den Schaufenstern ungefähr um 1981, bevor der Lokalheld und Fürstensozialist Mitterand die Wahl gewann). Seitdem reitet das Land von Schaumkrone zu Schaumkrone.
Die alten ArtDeco Zitate von Palmenblättern und Acanthen sind mit der Flora von Maui und Wake verschmolzen, bunte Stoffe polynesischer Machart haben die französische Flagge auf dem Rathaus längst ersetzt. Diese Mischung steht den Ortschaften gut, der blendendweiße Hintergrund des Putzes läßt die Ornamente der Lagunen und Atolle besser hervortreten.
Unter dem Zeichen verschiedentlich stilisierter Wellen werden in jedem zweiten Haus der Hauptstraße Anzüge, Beigaben und Accessoires für das Glück auf der Schaumkrone feilgeboten. Dann begannen sie eine Weltmeisterschaft auszurichten.
Wir Beobachter der ersten Stunde sind nicht aufmerksam genug gewesen, waren zu nah am Gegenstand, denn die gesamte Küste ist es inzwischen , der lineare Sandstreifen von über 100 Kilometern, der sich in der letzten Generation langsam der neuen Religion angenähert hat. Überall, wo zwischen Bidart und Arcachon die Wellenkämme einen Meter übersteigen, versammeln sich die kleinen Gemeinden, verstellen Hauseingänge mit Brettern und hängen wie lange, schwarze Häute die Meeresanzüge zum Trocknen auf.
Ein Vermögen hätte ich machen können, ich verhinderter Naturschützer. Habe einfach nichts begriffen, weil ich dachte, diese Freaks hätten auf ihre Art das gleiche wie ich gesucht, einen würdigen Platz weitab von der Welt, nur ohne Dinner Jacket und dem Dry Martini beim Sonnenuntergang.
Wenn der Strand erodiert, die Winterstürme tun ihr Werk, werden die Bunker des Atlantikwalls freigelegt und sogleich der Sand tausendfach wieder aufgefüllt.
Die kleinen Plastikstücke, der zermahlene Müll der Biskaya, die ein einem trägen Wirbel Verpackungen, Rasierschaumdosen, Flaschen ohne Pfand und griechische Olivenöltonnen anspült, wird von arbeitslosen Müllsammlern entfernt, bevor der frische Sand durch Bulldozer, die gleichzeitig die Autobahnen erweitern, aufgetragen wird.
Es soll alles bleiben wie es ist, die Illusion von Sea, Sand and Sie wissen schon muß perfekt sein. Es geht nicht um Natur, es geht darum, ein Kunstprodukt um eine Wegewerfreligieon zu vollenden. Am Ende mußten sie Namen des Orts ändern, weil es dem Sponsor der Weltmeisterschaften gefiel…. Darum surf city.
An Ostern fällt der Startschuß zum großen Rennen menschlicher Schildkröten, die ihr Arsenal ans Meer tragen und den Champions vom Strand nebenan huldigen : direkt neben der Weltmeisterschaft. Es steigen mehr Menschen ins Wasser als Pilger in den Ganges. Die Gischt vermischt sich mit Rauchschwaden aus tausenden Pfeifen und Glimmstengeln, das Pulsieren der Musik dringt sogar durch die stärksten Brecher.
Erst Ende September werden sich die letzten mit gegerbter Haut und nicht selten geweiteten Pupillen wieder aufmachen in die stille Einöde ihrer Heimsiedlungen und dort das kühle Klima des Winters erdulden. Sie wissen nicht, daß ich den Neuseeländer damals fand und eigenhändig begrub, direkt unter dem Bunker.
Sein Geist schwebe über Euch: Surf City braucht Dich
Traumhaft geschrieben – ich könnte sofort die Sachen packen und hinfahren.
Cornwell ist wirklich ein sehr guter Mitarbeiter.
macht nachdenklich, macht wehmütig, macht neugierig. Danke