Die grüne 300 – eine Übung

b52Langsam senkt sich das kleine Insekt auf meinen Unterarm und versucht, mit seinem Rüssel die Sonnencreme 50 Schicht zu durchdringen. Eine erste Mücke stört die den Waldfrieden, der die Starter während der Ansprache umgibt….jetzt schweigt sie.

a3Es ist kurz vor 7 in Spich bei Troisdorf. Erste Sonnenstrahlen berühren die Tautropfen auf  dem Sportplatz aus Echtrasen, die Veranstalter verkünden letzte Eigenheiten der Strecke. Baustellen und Umleitungen.

a4Die Qual des frühen Erwachens verfliegt. Vogelzwitschern wird von diskreten Piepsern der Navigationsinstrumente punktiert. Der Track wird aufgerufen, die 40 Teilnehmer gehen in 2 Gruppen auf Fahrt.

a22Ein riesiger blauer Frühlingstag spannt sich über die nächsten 300 km.  Durch die Eifel, über den Rhein in den Westerwald und von dort wieder zurück. Die Spitze der Basilika von Schwarzrheinbach grüßt . 300km klingen eher nach großer Tagestour denn nach Expedition.

Darin liegt ein trügerischer Reiz, denn fast möchte man sich beeilen. In der Vorbereitung auf dem Papier sieht der Höhengraph unspektakulär aus, weil Mittelgebirge nie das Drama von Alpen oder Dolomiten vermitteln. Doch kleine Steigungen kosten Kraft. Die Summe der Höhenmeter multipliziert mit Wärme wird heute ihre Wirkung zeigen.

dafür reist man mit ganz leichtem Gepäck, sieht wenig Pausen vor. Leichte Kavallerie ; zunächst aber läuft es ganz wie auf einer RTF. Zügiges Einrollen, erste Orientierung: immer die Spitzengruppe (es gibt immer eine Spitzengruppe) im Auge .

a23Am Krautscheid, dessen leuchtendes Grün mit der Landschaft verschmilzt,  führe ich außer Warnweste und 1fach Werkzeug nur zwei Wasserflaschen mit. Dieses Rad ist, trotz Befestigungsösen für einen Gepäckträger und festmontierten Schutzblechen kein Reiserad. Mit Hecklast wird es gerne instabil. Unbeladen wie jetzt, fühlt sich alles direkt und sicher an.  Die Hebel der ersten gerasterten Dura Ace erzeugen ein sattes Klacken bei jedem Schaltvorgang, hinten warten 6 Ritzel , vorn 3 Blätter auf ihre Verwendung. Sie sollen nicht zu knapp kommen.

a31Die Ville wird übersprungen und in der langen Ebene vor der Eifel ist gepflegte Unterhaltung möglich. Es herrscht fast kein Wind – ein Ausnahmetag –  und die Kräfte nach der ersten Kontrolle (tanke bei Jet!) sind frisch. Fahrer der ersten Startergruppe werden integriert, jeder findet seinen Platz.  Zeitfahrer in einem Brevet halten sich ohnehin nicht mit Tankstellen-Geplänkel auf. Nun hinauf zur ersten Schwierigkeit des Tages: Steinebach Talsperre. Die Wiesen mit verstreuten Obstbäumen enden in tannigen Abschnitten.

bsteinebachIch erinnere mich noch sehr genau an den „Adler Köln“ 150er, der die Strecke von Köln-Schuld-Köln, dem ehemals so angesehenen Rennen nachzeichnete. Im ersten Anstieg zur Talsperre holten mich hier Jedermann-Teams ein und zeigten allen, wo der Hammer hängt. Heute wird einträchtig geklettert.

Die steilen Stücke gehen an der Landstraße in einen mäßigen Sattel über, im lichten Wald liegen die imponierenden Reste gesprengter Bunkeranlagen. Dann die letzen Höhenmeter zum Dicken Tönnes und schließlich aus dem Wald hinaus in die Sonne, links ab zum Effelsberg-Imbiß. Alles blüht, die Sonne ist warm.

a6 Alle greifbaren Flaschen werden nachgefüllt, den Betreiber hat es kalt erwischt: er schwitzt unter dem Andrang . Frikadellenbrötchen und Hefeweizen „ohne“ empfiehlt Werner, der Mann im Brasilien(randonneur)trikot und es stimmt:. Ein halber Liter ist heute nichts,  die Frikadelle sorgt für lange Energie. Jetzt sind die Tanks wieder voll und der Blick schweift übers Tal und die blühenden Kirschbäume;

während ich am Tisch mit dem überquellenden Senf kämpfe stellt sich ein Mann vor, der nicht zufällig hier ist. Jeff K. erzählt mir von dem großen Projekt, das da unten steht: seinem Teleskop

„Sein Radioteleskop? – das Ding prangt doch seit Jahrzehnten dort??“. .  „Irrtum,“ sagt er sehr leise, das echte Teleskop wurde 1993 abgebaut: Umweltschädlich.

a7Das da unten, hinter den blühenden Bäumen ist eine Nachbildung –  ein Geschenk von ihm;  Jeff K schenkte der ahnungslosen Eifel die 1:1 Atrappe eines Radioteleskops. Das ursprüngliche entsprach nicht mehr der EU Verordnung für technische gebäude in naturschutzgebieten und wurde im Winter  von einem Trupp Koreanischer Werktätiger demontiert. Wie ein riesiger künstlicher Blütenkelch ragt die Parabolantenne hinter den Baumblüten hervor. Als warte er auf ein Insekt galaktischer Dimension. JeffK zeigt hier endlich wahre Größe, verglichen mit den billigen Tulpenblasen, die er mir auf einer Postkarte aus  Paris zeigte. Die Franzosen haben leider weniger Glück mitt Jeffs geschenken als die Eifel.

natürlich gleube ich ihm kein Wort sondern fahre lieber weiter –  sanft abrollende Straße,  die uns über die nächsten Eifelhöhen führt. Bald geht es ins Ahrtal und dann, nach der berauschenden Abfahrt von Lind nach Ahrbrück,  lange und stetig hinauf.

Von der ehemaligen Gruppe sind zwei, drei Fahrer geblieben; schlanke Jungs, die sich in die Langstrecke einarbeiten. Sollte Paris Brest am Ende cool weren und die Meute der grauen Wölfe aufgefrischt? Gute Sache.  Wir reden über die Voraussetzungen für lange Strecken. Ich werde als erfahren genug eingeschätzt und gebe einige Ansichten preis.

b5Langstrecken fordern subtiles Gleichgewicht mit dem eigenen Körper, über das wenig geschrieben steht. Brevets sind eine Technik der Ökonomie: Verschwendung wird bestraft, Selbstüberschätzung wird doppelt bestraft.  Ergebnisse lassen sich nicht  erzwingen, nur langsam erreichen.

Es ist eben so:  man muß sein Leben in den meisten Fällen ein wenig ändern, um über die Distanz zu kommen. Die Lösungen, die Einzelne auf ihrem Weg finden, entziehen sich der Empirie, die Wahrheit liegt auf der Straße und im eigenen Körper.

b1Der Gewinn liegt nicht nur im absolvierten Brevet, sondern auch diese zweite Zustand, in dem ich mich jetzt km 100, im Anstieg zwischen Kesseling und Ramersbach befinde. Der Tritt ist gleichmäßig, der Schweiß fließt, die Anstrengungwird ein Genuß mit einem Schuß Euphorie dieses Überfrühlings .

b4Hinter mir  schreien Motoren auf, mehrere. Fünf bunte Geschosse schießen an mir vorbei und die Zauberformeln meiner Autokindheit bleiben auf den Lippen hängen: Carrera, RSR, Turbo, einer nach dem anderen jubelt die Drehzahl Richtung Nürburgring nach oben. Euphorie und Frühling.

b32Dieser Zustand ist gefährlich, weil sich in ihm alles unnatürlich leicht anfühlt;  trotz der drei Magnesium etc. Tabletten, die ich auf die Flaschen verteilt habe, denke ich an den richtigen Moment, Brennstoff nachzuführen. Ein, zwei Stunden müßte es noch gehen, also bis ins Rheintal. Zwischenziel: Andernach km 140.

b51Die Basaltstele nach dem Laacher See markiert das ende der Vulkaneinfel, der Sinkflug beginnt – hin zum Rhein.

b3Durch  Nickenich dessen Baumaterial eindeutig vulkanisch ist , auch die strahlende Frühlingssonne bringt es nicht zum Leuchten –

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Dann schon Andernach, bekanntes Gebiet und gleich an der Burger King Tanke stehen auch schon Mitfahrer, die den gleichen Gedanken hatten. Was nimmst Du? Eis. bedaure, Die Nußvariante des magnum ist nicht mehr zu finden, dann halt ein anderes.  1 Kaffee (mies!) und frisches Wasser in die Tanks.

Im Vorbeifahren sehe ich an fast jeder weiteren Tankstelle abgestellte Räder: es ist Mittag und die Halbzeit durch.

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Die Wärme ist diesig geworden und hängt stechend über dem Rhein. Weiter, der Hammer kommt näher.

asaynGleich hinter Schloß  Sayn, seinem Museum und der ehemaligen Ananasplatage ist es mit der Leichtigkeit des Schmetterlings vorbei. Die Serpentinen der Bergstraße sind frisch ausgebaut, kein Baum steht mehr im Südhang, nur noch Beton und Geröll, das die Hitze speichert. Herunterschalten, weit herunter, 30er Kettenblatt hilf: aber es ist nicht viel zu machen. Der Hang strahlt die Hitze als sengende Ohrfeige zurück und zum ersten mal heute kann ich keinen Rhythmus mehr finden. Ich quäle mich um jede Kehre und auch der Umriß eines weit oben schiebenden Radfahrers macht nicht froh. Allein: ich muß hinauf.

b41Als ich im hellen Dunst der ultravioletten Strahlung den Kühlturm von Mühlheim-Kärlich erkenne, bin ich endlich oben und weiß: der Krampf kommt um die Ecke. Auch wenn die Luft endlich wieder frisch und voller Sauerstoff ist, auch wenn Bäume, die unten schon verwelkten hier neu erblühen, auch wenn es aussieht wie ein Paradies: es fühlt sich wie das Gegenteil an.

Hin- und wieder erlöst mich eine Abschwung , aber die Massage der Innenseite am Oberschenkel hilft nur sporadisch – es war zuviel, in Wellen kommt der Schmerz wieder. ich schüttle die Flaschen (da unten sitzt das Magnesium) und trinke. Wenn das eine Bein völlig zumacht fängt das andere bald an . . .

b52Nur noch lächerliche 20km bis Montabaur. Eigentlich nichts – aber wer einen solchen Zustand kennt, weiß wie quälend lang der Kilometer wird, der Kampf gegen die nächsten Höhenmeter, den nächsten Krampf, gegen einfach alles.

Und gleichzeitig hofft man, weiß man eigentlich, daß dieser Zustand, solange man im Sattel sitzt und weiter kurbelt und Energie nachführt, auch ein Ende hat. Schalten, Rhythmuswechsel, aus dem Sattel, ganz kurze Pause – weiter, weiter!

aralmontabErstmal Montabaur 180 km. Kontrolle 4.  Die große blaue Tankstelle, abgestellte Räder, breites Angebot. Es wird ein stilles Gelage der eintreffenden Randonneure, alle Köpfe die zur Tür hereinsehen sind rot vor Anstrengung, Schuhe brennen, manche Füße freuen sich unendlich über gut klimatisierte Fliesen. Gerolsteiner einfüllen. Kein Eis diesmal,  nur Mr. Tom, die glasierten Erdnüsse. Und das Hähnchen-Sandwich schmeckt.

Mr Tom.

Er hatte nur noch das kleine Kettenblatt, sein Navi sponn; nun wollten wir teamen: ich war ortskundig, zumindest bis zur ersten Kreuzung.

b53Vorbei am F** center, dessen Kinderspielplatz gefüllt ist, dessen Parkplatz um zwei Fußballfelder erweitert wurde . Ein strahlender Frühlingstag, Vögel singen, Bäume blühen, Menschen gehen konsumieren. Sie „belohnen“ sich mit Artikeln aus sweatshops in denen es weder Samstag noch Sonntag gibt.

b61Wir entkommen der GEwerbesteuerhölle und dringen weiter ins Grüne vor. Ich klemme mich an sein Hinterrad. geht es wieder? Wir durchqueren helle Buchenwälder unter Vulkankegeln, schwingen uns durch die Dörfer. Ann den Anstiegen muß ich hart beißen und am ziehen lassen.  Aber ich entdecke Vraianten meiner Heimstrecken und ich begreife wie in meiner out of body Perspektive:

b6Das Land in dem ich leben darf ist schön. Ich entdecke ein Privileg, das Privileg hier zu sein.  Wo andere glauben, in den Genuß eines Privilegs zu kommen, wenn sie für 50 Euro ein paar „Turnschuhe“  schnappen und am Abend vor dem Flachbildschirm verzweifelt nach dem Bon für die Retoure suchen, genieße ich Farben, Geräusche und Düfte des großen Frühlings. Ein Tag wie ein Geschenk: die Sonne spielt in den Blüten und in den Speichen die sich drehen,drehen, drehen.

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Weiter: Hachenburg, km217.

b7Mr. Tom hat gewartet, wir tanken nach, für mich Teebeutel und schnell noch ein Laugendreieck. Gerade als wir ablegen, trifft Werner, der Mann im Brasilientrikot ein: er hat um die 10 Fahrer hinter uns aufgerollt. Wann sind wir dran?

Aus Hachenburg führt die große Heerstraße hinaus, schnurgerade nach West, wohin auch die Sonne gewandert ist. Sie leuchtet sattgelb, eine schöne Wärme in die wir eintauchen, dann rechts ab in ein Bachtal parallel  zur Heerstraße und die Motorfahrzeugquote wird plötzlich null.   Etwas über 100 km noch, die Beine wollen immer besser,  das Navi zeigt mir eine rosa Spur durch die Welt. Die Kalorien sind also da angekommen, wo sie gebraucht werden.

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Die Kilometer aus dem Westerwald hinaus vergehen im gemeinsamen Gespräch, die Harmonie des Vorabends übertragt sich auf die Fahrt. Tom erwähnt einen Bekannten, der Brevetstrecken wie eine Partitur auswendig könne. Ein Musiklehrer.

„beginnin‘ to see the light“ geht mir durch den Kopf und träume davon, einen Brevet als Partitur zu lesen. Ähnliches geschieht mir oft nachher, wenn kurz vor dem Schlaf die Bilder des Tages unablässig ins Gedächtnis zurückkehren.  Noch ist der Tag nicht herum.

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Dann folgt schier endlos das schöne Wiedtal. Die drei auf der Brücke schauen in den Fluß,

Einer ruft: „warum fotografieren Sie uns?“

„Weil es so schön ist !“

„Das wissen wir!!“

b71Und so ist es.b81

Wir unterqueren die alte Autobahnbrücke, über die ich gekommen bin und über die ich gleich wieder heimreisen werde. A3. Es ist das erste Baumuster und entspricht der Lahnbrücke bei Limburg, die 1945 durch Eigensprengung zerfiel. Inzwischen wurde die Limburger Lahnbrücke zweimal neu gebaut, während diese noch steht.

b72Das Wiedtal ,  in dem der Abendschatten die Luft merklich abgekühlt hat, wird über einen verborgenen märchenstillen Radweg verlassen. Der Anstieg ist sanft, die Höhe nicht mehr weit.

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Ein letztes mal grüßen wir die Sonne, pedalieren flüssig in die warme Rheinebene hinab und empfangen den gerechten Lohn für eine schöne Übung. Quality Miles.

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2 Antworten zu Die grüne 300 – eine Übung

  1. alex schreibt:

    Danke für den wort-bildreichen Bericht.

  2. Pingback: Am Weg ein weißes Bianchi | Aller Wege

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