Manche Dinge in der Natur gibt es, obwohl es sie eigentlich nicht geben könnte, müsste, sollte. Obwohl sie eigentlich zweckfrei und unwahrscheinlich sind und Darwins Gesetzen nicht gehorchen. Gigantische Nashornkäfer, Riesenmakis, Seidenschwanzsittiche – was weiß ich.
Auch die Existenz von Motorjachten läßt genausowenig mit den Gesetzen eines Marketing der Fittesten erklären wie die von Rennrädern. Diese werden heute wahrscheinlich nur zu einem Tausendstel (wenn nicht weniger) für Rennen benutzt. Die meisten Menschen fahren damit spazieren, sporten ein wenig oder hängen sie an die Wand. Im Winter dürfen sie nicht einmal an die Luft. Aber potentiell sind es immer noch Räder:sie sind nicht wie ein eingemotteter Formel1 – sie fahren sofort, ohne Sonderbehandlung und darauf kommts an! Gerade, wenn Sie so richtig alt sind .
Ein weiteres Rennradmagazin ist eigentlich eine weitere Kravatte im Schrank des Prinzen of Wales. Dennoch gibt es cycle classic zum 2ten male und das ist gut so. Das ist gut so aus zwei Gründen: ich mag klassische Rennräder und zweitens ist es die wahrscheinlich ökologisch korrekteste Zeitschrift der Welt. Es geht nämlich nur um Räder, die es schon gibt, Räder, die ihren ökologischen Fußabdruck schon vor Jahrzehnten hinterlassen haben. Ein Radmagazin, das die Versprechungen von Nachhaltigkeit und Urban Mobility nicht nur als Mantel für die nächste EBike Verkaufsförderung nutzt, sondern all die schönen Formeln zur weltverträglichen Mobilität von der richtigen Seite anpackt, war eigentlich notwendig.
Cycle Classic kümmert sich um alte Renn/Sporträder, Produkte längst abgerissener Werkhallen, vergessener Schmiedekünstler, und verblasster Namen großer Rennen. Sie zeigen die Spielarten, erklären die Feinheiten. Historisches Bewußtsein als sportiv-grüne Strategie, ohne Spaßbremse und Verkehrsbelehrungskatalog.
Und ohne Lifestyle Arroganz – denn Rennräder und ihre Geschichte haben mehr verdient, als ein Dasein in der Nostalgieecke cum Barbierschaum zu fristen,
bei dem Räder nur als modische Accessoires gesehen werden, auf denen man Merinoshirts oder Tweedmützen vorzeigen kann . Das ist einfach nicht nachhaltig genug gedacht. Rennrädern aus Stahl wohnt eine Tugend inne, die die Erzeugnisse Industrie 4.0 nicht mehr vorsieht. Sie haben kein Verfallsdatum.
In dem Moment , wo der Schlauchreifen aufgezogen ist, die Kette geölt sind es uneingeschränkt taugliche Räder und Sportgeräte, die nie ein update brauchen. Gut gewartet werden sie wahrscheinlich weniger Defekte kennen, als ein ladenfrischer Konkurrent mit 11 Ritzeln.
Cycle Classic beschränkt also nicht auf das herzeigen von Sammlerpreziosen, sondern gibt Hinweise, wie das upcycling vollendet wird und die Maschine ihren Zweck auf unseren Straßen erfüllt . Damit, finde ich, hat sie unter den Magazinen für Alltagsgegenstände eine ökologisch einmalige Nische besetzt: hoffentlich noch lange, denn es gibt so viel zu erzählen.
Soeben bin ich aus Wiesbaden, der Stadt der Moden, des guten Geschmacks und auch der Velo Sofie zurück durchs Aartal gerauscht. 120km liegen hinter mir.
Ich tanke am Sauerbrunnen auf und fahre mit meiner Gazelle ins Dorf.
Da steht an einer Werkstattwand ein Stollenwerk , eins in meiner Größe, das sehe ich gleich, der Sattel muß nur noch nach oben. Ein gutes, über 50 jahre altes Stück Rennrad.
Ich bewundere die eloxierten, darum rostfreien Weinmann Bremsen von 1959, ich schaue auf die Campagnolo GS Gruppe, schwinge mich auf den 60 jährigen Lohmann Sattel, ziehe die Riemen fest und schieße über die Dofstraße . Frisch aufgepumpt, Geradeauslauf freihändig: parfait . Antritt aus dem Sattel,gut, Gangwechsel und der schöne Klang vom italienischen Freilauf. Bremsen – naja – kleine Kehrtwende, wieder Tempo aufnehmen, gutes Gefühl.
Gutes Gefühl – zur Nachahmung empfohlen. Jeden Tag.