Out of the darkness into the blue. – aber die Nacht dauert.
Du bist in ihr unterwegs, immer geradeaus an Schlitz und Fulda entlang. Die Reifen singen, Du hörst ihr Lied. Hin und wieder schießt ein Sammeltaxi an Dir vorbei, in den Dörfern fährst Du unter den Bogenlampen und erkennst auch ohne Beleuchtung den kleinen Pfeil auf dem Navi, der fest am magentafarbenen Track klebt. Da geht es über den Fluß und die Kühle des Wassers kriecht an Dir hoch – tritt fester nun, die Scheiben der parkenden Autos sind beschlagen – heißt in Celsius 3plus; dann geht es kurz aufwärts im Wald, es raschelt laut neben Dir und da siehst Du zwischen den Bäumen einen roten Lichtpunkt. Und noch einen. Sie kommen näher.
Du denkst, das sind Mitfahrer, irgendwo weiter vorn aber dann erkennst Du die Windräder und ihre Positionslichter. Lachen im Dunkeln -hey Alter ! mach mal Pause, du wirst weich in der Birne, beginnst schon wieder Musik zu hören; warum ist es diesmal Jeff Beck? Endlich eine Tanke mit offener Tür – rein in die Wärme, Kaffee bestellen, Marzipancroissant und noch 1 Laugen drauf. Die Nachtvögel am Tisch lallen weiter und fallen sich in die Arme. das Sammeltaxi fährt weiter und Du auch. Fulda at dawn ist schon ein weirder Moment.
Ein, zwei mal hast Du die Nachtigall gehört, aber jetzt schlagen die Drosseln an. Das Cis-moll der Nacht wechselt über nach Es-Dur. Aus den Nocturnes wird ein Hornkonzert. Nur der kleine Mondfingernagel steht am Himmel, die weichen Ausläufer der Rhön zeichnen sich mattgrün ab. Weiße Nebel dazu geben den Gräsern hellen Flaum.
Eine Baustelle straft die Konzentrationslöcher im Hirn mit einem Schlag, aber das Hinterrad hält. Irgendwo neben Dir hörst Du den frühen Zug und dann ist es wirklich hell, das Navi läßt sich frei lesen und zeigt : Kontrolle 3. Das Roadbook hast Du irgendwo verloren und erinnerst Dich nicht mehr an den genauen Ort. Die Sonne kommt über den Horizont, es ist kurz vor 6 und nach ein paar wirren Schlenkern mitten auf der Dorfstraße hast Du die Terasse von „Fliesen Kiesel “ erreicht. Das Burgfräulein steht am Balkon und ruft Dich hinauf.
Danke Kiesel! der Tisch war reich gedeckt! Ich verlasse die anderen Ritter der Tafelrunde und ziehe wieder einsam meinem Schatten hinter,dringe immer weiter nach Süden vor, während die Sonne erste Wärme verteilt. Südwärts, immer nur südwärts bei sehr leichter Brise aus Ost. Es geht – nur für einen Moment – wie von selbst.
Dieser zweite Teil des Brevets von Nord nach Süd hat einen treuen Begleiter: die ICE Trasse. Über mehr als 100km kreuzt sie die Strecke, verschwindet und läßt hier kurz vor dem Sinntal wieder ihr Rückgrat blicken. Die Luft ist klar und frisch, das Morgenlicht wunderbar weich. Das Gefühl, allein auf der Welt zu sein schärft die Sinne, vor allem den Blick.
Erste Insekten flattern umher, die frühe Meise bedient sich auf der Straße, da fällt vom Baum ein Schatten herunter – lautlos spreizt er die Schwinge und greift mit beiden Krallen zu. ich höre die Rufe der Meise, während sie davongetragen wird. Ein Sperber. Warum ergreife ich partei für die Meise? Ich rolle durch die Welt und berühre sie nicht: die frischen Kalorien in mir tun Wunder, aber vor der Nahrungskette schauderts mich.
Dann – km284 – ist der Südpunkt erreicht, die Route dreht aus dem bayrisch/würzburgisch geprägten Burgsinn nach Nordwest, der Spessart wartet.
Es ist ja nicht so, daß hier alles mit einem Liedchen auf den Lippen abgespult würde. Die Schulter spannt, aber freihändig kann man einiges entspannen, der Sattel drückt, hier reicht ein wenig Wiegetritt: immer wieder aus dem Sattel, die Beine durchstrecken, den Lenker anders greifen. Der größte Antrieb ist dieses Gefühl, es zu schaffen. Ein blankpoliertes rotes Automobil mit zwei dickreifigen“Bergrädern“ huckepack saust an mir vorbei zum „point of interest“. Ach wie muß ich an den seligen Jobst brandt denken, der sich auf 25er boyaux alle Pfade der wilden Westküste untertan machte. Onkel Tom (Ritchey) wird sich erinnern,,,
Nun geht es in zwei Schüben über den Spessart. Der erste nach knackigem Beginn , sehr knackig, ist eher kurz und schmerzhaft, erstmals wird es zu warm unter der Joppe.
Genußvoll zerschmilzt das Fuldaer Laugencroissant, während das Gespann mit 40plus freihändig die sehr gute Straße abrollt und Tannenduft durch die Lunge zieht. Dann wartet ein zweiter, langer Anstieg im Wald. Es ist der letzte dieser Fahrt. Wenig Prozente: nur dauert es, bis ein Rhythmus gefunden ist, in dem Schmerz und Wohlbefidnen die Waage eingehen- es zieht sich und zieht sich und – endlich erlöst schieße ich hinunter: Bad Orb könnte für ein zweites Frühstück nicht besser liegen.
Ein paar sekunden vor 9; ich habe das Überzeug abgelegt, gefaltet und in die Hecktasche gezwängt . Nun betrete ich kurz-kurz und hoffentlich nicht allzu unfrisch die Aral Gaststube. „Christoph! “ ruft der Mann hinterm Tresen. „Hier!“ rufe ich unbewußt und höre hinter mir ein Echo. Ein weiterer Mann in den besten Jahren steht da und auf seinem Namensschild steht: Christoph. “ Das ist auch Christoph aber er schreibt sich falsch,“ sagt der Mann, „sehen Sie:“ und zeigt auf sein Namensschild, worauf „Christof“ steht. „Dann sind wir ja zu dritt“, sagt der Partner. Leider bin ich in diesem Fall auch der falsche Christoph und verwerfe die aufkeimende Idee eines Dreiers. Stattdessen mache ich verdiente Komplimente für die Fünf-Sterne Versorgung mit Cappuccino und einem sagenhaften Ei-Baguette. Darauf ein Karamalz und ab ins Finale. Es weht ein schwaches Lüftchen, in bester Stimmung verlasse ich bad Orb.
Es ist ein großer Sonntag auf dem Rad, alle, die unterwegs sind grüßen sich, der Raps wird gelb , die Kastanien sind in voller Blüte. Reiterhöfe sind gefüllt, Cabrioletts schwirren durch die Gegend und EBikes Summen. Alles da, um die Stimmung des müden Körpers zu heben. Noch ein Stop, noch eine Kontrolle und noch einmal durchziehen bis zu Jet.
400, die sich gelohnt haben. In der ersten Euphorie erkläre ich ihn zu meiner Lieblingsdistanz.