Im Flixbus

Früher waren Fahrräder und Busse einmal Konkurrenten. „Wozu den Bus bezahlen? – er wird Dir doch nie gehören..“ Das waren Werbebotschaften, mit denen man  Londoner aufforderte, für ein Fahrrad zu sparen.  Beides zusammen geht auch, beweisen seit einiger Zeit Flixbus, Postbus oder Ouibus… a plus chez ouibus . . . .

Bus, Passagier und Fahrrad werden für die Zeit einer Reise zur Gemeinschaft. Das liegt an den Bussen, die sich seit den unklimatisierten Rumpelkisten für Klassenfahrten zu echten Passagierdampfern der Straße entwickelt haben.

Greyhound bus advert 1931Kontinentalreisen per Bus sind keine europäische Erfindung. Die blauen, später silbergrauen amerikanischen Greyhounds sind schon seit den 1930ern unterwegs, in erfolgreicher Konkurrenz zum Schienennetz. Nach der Massenmotorisierung der USA dann lange ein Substitut für die (armen) Farbigen, die sich die Tour von den südlichen Heimat in den industriellen Norden anders nicht leisten konnten . Greyhound Scenic Colorized

Waren Aufkommen und Blüte des Greyhound Busnetzes das Ergebnis von geringer Netzdichte der amerikanischen Eisenbahn und (relativ) teurer Automobilität, so ist das Entstehen und der Erfolg von Flixbus in den letzten Jahren die Folge einer anderen Entwicklung. Das Straßen und Schiennenetz in Deutschland ist sehr dicht, das Verkehrsaufkommen hoch. Der Vorsprung an Geschwindigkeit und Flexibilität,  den die individuelle Motorisierung gegenüber Bus und Bahn hatte schmilzt in den letzten Jahren dahin. Autobahnen und Städte sind überfüllt, Parkraum knapp und teuer. Die Bahn sah sich eher in Konkurrenz zum Luftverkehr und verdünnte ihr Netz, während die regulären Ticketpreise nach oben gingen. Der Flixbus wird attraktiv.

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Die Busse werden es auch, wobei sich das Dreiachsprinzip für die komfortabelsten durchaus an die schönsten Ausführungen des Greyhound anlehnt.Vorteil für Radfahrer: durch die Hochbauweise lagert das Gepäck und auch das Rad zwischen den Achsen, trocken und erschütterungsarm.

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Als Passagier sitze ich privilegiert auf dem Hochdeck, hydropneumatisch gedämpft, klimatisiert mit Scheibenrollos und Theaterbestuhlung. Der Motor grummelt in der Ferne, der Tempomat hält die 100. Ganz sanft schaukelt die Landschaft an meiner Lektüre vorbei, sogar Baustellen sehen von hier oben ganz niedlich aus. ab1An Haltestellen bietet sich ein buntes Bild, die Passagiere checken mit vorgehaltenem Smartphone ein – mein Din A4 Ticket ist eindeutig ein Auslaufmodell, funktioniert aber genauso. Es bleibt zeit für einen guten Cappucino in der Fahrerpause und schon geht es weiter. Die Stimmung an bord ist ruhig und sehr zivil. Nicht  zuletzt eine Folge des WLans, mit dem der streamingDienst netflix genutzt werden kann und vieles andere mehr. Wir unterqueren in Braunschweig massive Brücken, die statt Gleisen nur noch Birken tragen müsssen.

Hier an Bord ist mein kleines Buch über Jacques Anquetil ein exotisches Medium. Andererseits gelingt mir, was auch als Passagier im Auto selten möglich ist: ich kann es  -mit verträumten Unterbrechungen – vollständig  lesen. Fournel beschreibt darin zunächst seine „Entdeckung“ Anquetils als kleiner Junge. Ein Junge hat sein Idol gefunden und beginnt mit dessen Nachahmung. Der Junge reift heran, das Idol verläßt die Bühne und der Autor erinnert sich.. Dann versucht er, über die in dutzenden von Biographien, verstreuten Anekdoten und Ergebnislisten dem Idol Anquetil jenseits seiner privaten Erinnerung (drei perönliche Begegnungen von wenigen Sekunden) näherzukommen. Zum kern der Person vorzudringen. Eine interessante Aufgabe, denn dieser Champion der 60er Jahre ist derart in einer mythologischen Wolke beheimatet, daß eine klare Sicht nur selten möglich scheint.

Es ist die immer aktuelle Frage, der Fournel nachgegangen ist: wie tickt ein Champion?

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Schon ist es 17h30, planmäßig hält der Bus am ZOB Berlin, auf dem ein reges Treiben herrscht. Mit dem Auto wäre ich vielleicht eine Stunde schneller gewesen.  Trotz online-zeitalter gibt es zwei Counter,  an dem Menschen für Ihre Tickets anstehen. Ich werde gleich die Rückfahrkarte für Sonntag lösen. Sonntag ist in fünf Tagen, morgen, Dienstag 19. Juni startet der Superbrevet Berlin-Wien -Berlin. ab3

Der nächste Bus trifft ein, Symbol einer Veränderung. Ich rolle los. Die Luft ist warm, die Aussichten gut für den Brevet, doch eins steht fest: an einer so brotlosen Veranstaltung hätte Jacques Anquetil nie teilgenommen. Fans sind immer Idealisten.

 

 

 

 

 

 

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