Dieser Name hat derzeit nicht den allerbesten Ruf und außer der kurzen Phase, in der er als weiblicher Vorname und auch Zigarettenmarke beliebt war, wird er international wieder eindeutig dem koreanischen Machtbereich zugeordnet. Schade.
Hier ist Kim ein Roman, dessen Schöpfer als Kinderbuchautor so bekannt ist, daß sein übriges Werk ein wenig im Schatten liegt. Wie so oft, wenn man einen Hit landet, findet man sich schnell in der Disney Schublade wieder. Zum Roman: Die Hauptfigur heißt mit vollem Namen Kimball O’Hara und ist vielleicht 12 jahre alt. Kim hat einiges mit seinem mythischen Bruders Mowgli gemein. Nur ist Kim kein Waise des Dschungles , sondern der Armee, er redet nicht mit den Tieren und wächst im gewimmel von Lahore auf . Kim ist kein Findelkind. Kim ist Straßenkind. Rudyard Kipling schafft mit diesem gewitzten Paria eine Figur, die nicht weiter von den Pariser Salons des Marvel Proust oder den steifleinenen Selbstbetrachtungen Mannscher Buddenbrooks entfernt sein könnte. Dabei erscheint Kim kurz vor den „Buddenbrooks“ : 1901.
Kipling war Journalist im Dienste der englischen Krone. Bestens mit den Alltagsnachrichten und – Meldungen vertraut, erfährt er aus erster Hand die Vielfalt und Phantastik seiner indischen Umgebung. Heute wird er als kolonialer Autor möglicherweise imperialistischer Prägung geschmäht, wenn es nicht gerade um seine Märchensammlung oder die Mowgli-Exotik geht.
Aber er hat die Augen nicht vor dem indischen Alltag verschlossen, nicht in Dinner-Party Affektiertheit auf ein annektiertes Reich hinabgesehen, im Gegenteil. Er kannte die religiösen und kulturellen Differenzen in denen er sich bewegte, die Konsequenz des Kastenwesens und den Sprengstoff im multiethnischen Zusammenleben. Kipling saß an der Quelle und nutzte sie – sehr zu unserem Glück.
Aus den hunderten von Geschichten und Anekdoten, einer Überfülle an Material extrahiert er Kim. Kim ist ein heranwachsender Gassenjunge- ein irischer Waise – der mitten in Lahore lebt, dort auf einen Lama stößt und diesen bei seiner Pilgerschaft nach dem Quell der Weisheit begleitet. Damit gelingt Kipling eine Erzählung Indiens von beiden Seiten. Kim, eigentlich ein Weißer, ist wie ein Inder unter Indern aufgewachsen. Spielend wechselt er die Identität, während er mit dem Lama umherwandert. Ein Road Movie entlang des Trunk Road und der Eisenbahnlinie, bis an den Fuß des Himalaya. Eine spirituelle Reise ohne Esoterik und ein Werk über die zentrale Frage der Identität. Ein sehr ungewöhnliches Buch, gerade in der aktuell(ere)n Übersetzung die Gisbert Haefs besorgte.
Vergeßt den Mief der Salonliteratur, nach 125 jahren ist Kim ein Schlüsselwerk zum Subkontinent, die Ausgaben des Haffmanns-Verlag tragen die Fackel der Weltliteratur weiter, auch wenn es sie nur antiquarisch gibt.
dann werde ich mir diesen Kim einmal beschaffen. Ich bin gespannt. Und danke für den Hintergrund. All the best – Dietmar
Danke Dietmar – laß mich wissen, ob es Dir gefallen hat.