Soulor 18: la grande boucle

DSCF4870Die große Schleife, la grande boucle, das große Volksfest im Juli. Bevor man die Tour verurteilt oder in den Himmel hebt, sollte man sie gesehen haben. Die Gelegenheit ist günstig, die letzte Bergetappe ist in Reichweite meiner bescheidenen Fähigkeiten, die nach einer Bänderverletzung im Rücken noch bescheidener geworden sind.

Dienstag : ich kann ohne Abstützen aus dem Bett. Mittwoch: für einige hundert Meter aufs Rad setzen – so lala. Schwimmen hilft. Donnerstag: Bis zum Bäcker gehts, immerhin 150 Höhenmeter. Ich spüre den Rücken, aber der Schmerz wächst nicht mit der Bewegung. Nochmal Schwimmen, nochmal für eine Stunde das Gefühl schwereloser Schmerzfreiheit.

Freitag – der Soulor ruft, denn am Nachmittag passieren sie den col auf dem Weg nach Laruns. Sie haben dann Aspin und Tourmalet schon hinter sich, und einen kleinen Zwischenpass. Der Soulor ist die vorletzte Schwierigkeit, denn als Sahnehaube der Etappe folgen noch die lächerlichen 7km bis zum Aubisque und dann die schwierige Abfahrt nach Laruns (unten).

a1Der Soulor hat drei Anfahrten, nur eine davon ist heute frei. Die anderen sind seit dem morgen gesperrt, Wohnmobile und Fans haben schon vor Tagen Stellung bezogen; Einheimische nehmen die Ur-Route, die ich gleich fahren werde. Es wird mein erster Paß in diesem Jahr, denn im Frühjahr war kein Paß über 1000m befahrbar.

DieStraße geht durch das Val d’Assons, einem langgezogenen Tal, das immer enger und verwinkelter wird, bis in Ferrières der 13km lange Anstieg beginnt. Für die tour de France ist das die Variante der Erstbefahrung  -die historische Route von 1910. Für mich ist es die wildeste und schönste Strecke zum Soulor, denn sie führt nicht in ein Skigebiet, sondern einfach  ins Herz der Wildnis.

-40km

Hinter Pau sehe ich schon die erste Radsportler, wir sind vom gleichen Gedanken getrieben: die Königsetappe. Um 14h parke ich in Assons und packe das Rad aus, so wie zwei drei andere Herren neben mir. 25km sind es bis zum Paß, die Wette gilt: vor der tour oben sein. Dank Dampfradio weiß ich, daß man gerade erst im Tourmalet ist. 16h30 rechne ich mir als den Zeitpunkt aus, bis zu dem ich es geschafft haben muß. Ich steige mit gemischten Gefühlen auf das SNEL.

-20 km

a2Die ersten Kilometer sind nur ganz leicht wellig, es geht auf das Bergmassiv wie auf eine Wand zu, noch ist das Tal breit und die Wiesen üppig, ein paar Höfe teilen sich den Piedmont. Es ist grau über mir, dunkelgrau, gelbgrau, aber gleichzeitig schwül. Typisches Pyrenäenwetter. Die Sonne ist nicht weit und der Schweiß fließt, während ich die Kadenz hochhalte.

a23Bei der ersten Befahrung im April 17 war ich so unerfahren, diese ersten Kilometer auf dem großen Blatt anzugehen. Aber eine Steigung von 1 % oder 2 ist eben auch eine Steigung, sie zieht ganz unmerklich die Kraft die man im Anstieg braucht.

-15km

a11Hinter mir hat es irgendwann geklickt. Dann zieht eine kleine Gruppe zügig vorbei, der erste kleine Anstieg liegt hinter mir und das Tal wird eng: nur noch ein paar Bäume , die Reste einer Schmalspurbahn und der rauschende Bach haben noch Platz. Zweimal teilt sich die Route auf und besetzt beide Hänge, für alle ist kein Platz.  In allen verfügbaeren und legalen Nischen sind Autos geparkt, deren Nummernschilder auf belgien und vor allem! England hinweisen. Viele tragen Gestelle für Räder. Links geht es in den „kleinen“ Col de Spandelles richtung Lourdes, der aus der Soulor Tour eine beliebte Runde macht. Ein andermal

-13km

a4Ferrières -um die Ecke schon der Kirchturm. Der Dorfbrunnen, ein paar Bäume und öffentliche Toiletten. Das Dorf Ferrières verdankt kleinen erzgruben seinen Eisenbahnanschluß und einen recht großen Ortskern, wenn man die abgelegene Lage bedenkt. Mit einer Minigruppe in den Anstieg. Gang 1 für die ersten zwei Kilometer, die zum Teil über 10% steil sind.

a5Am Schild, das auf die Tour von 1910 verweist, verliere ich sie aus den Augen und werde von einem anderen Fahrer in altem Francaise des Jeux trikot überholt, der ihnen nachsetzt. Er macht das  mit 26 Zähnen, seine Waden sind kupferbraun und durchgezeichnet, unter dem Helm flattert weißes Haar . . .

Ein letzter Blick auf das Dorf , dann weiter das Tal hinauf. Hinter den Begrenzungssteinen fällt der Berg steil ab bis an den Bach hinunter, der hin und wieder zu hören ist. Der Gegenhang ist nicht weit, die Bäume  – Laub und Buchs – stehen dicht. An jeder Kurve fragt man sich, wie es weitergeht. Der Schweiß tropft von meiner Kappe. Hier, auf diesen ersten Kilometern im Wald gibt es nochmal die Gelegenheit, Luft zu holen, sich zu schonen -ein letztes mal.

-10km

immer noch im Wald; es ist 15h, ich nehme mir vor, diese letzten 10km in einer Stunde zurückzulegen. Sport muß sein. Gleich geht es um die Ecke, es wird lichter und das Ortsschild vom Bergdorf Arbéost ist nicht mehr weit. Im April strahlte die Sonne wohltuend durch die Bäume, jetzt bin ich froh, verschont zu werden. Unmittelbar vor den ersten Häusern, konnte man rechts oben den Höhenzug des Aubisque erahnen, aber dort sind jetzt Wolken, die ein unsteter Wind hebt und senkt.

-9km

a51In Arbéost macht die  Strecke nochmals eine kleine Abwärtswelle die man aber zügig fahren sollte, denn es geht aus der Senke ganz scharf wieder hinan und die letzten  Häuser und der Kirchturm liegen hinter dem schwitzende Radler.  Von hier an säumen nur einzelne Hütten und zwei drei Höfe den Weg. Erst einmal die 10% verdrücken.

-8km

a61Zurück in die Wälder. Die Straße folgt einer tiefen Kerbe und steigt gnädiger, ich halte den Rhythmus und freue mich über fehlende Rückenschmerzen. . Eine wunderschöne Serpentine gibt einen motivierenden Anblick auf die darunterliegende Straße frei. a62Hinter dem Wald zeichnet sich die Höhenlinie des Aubisque ab, die ab und zu frei wird, aber oberhalb 1600m sind es Wolken. Der Soulor ist auf 1400, also gute Aussichten.

-7km

a6Nach einem Knick links endet der Wald, ein paar kleine Bäume säumen den Straßenrand, und geben dahinter den Blick frei über die gemähten Almwiesen. Ich passiere einen weiteren Kämpen der bedauert, nicht mehr als 32 Zähne zu haben.

-6km

a7Ein Mann schaut zufrieden über die sonnige Wiese, die tief ins Tal hinuntergeht. Der Aubisque ist kurz sichtbar  – phantastisch ; das Dach eines Fiat Panda ragt aus dem Gras. Der Weg wird spürbar steiler – gleich habe ich das Halbrund mit dem satten Heu verlassen. Die Echos der Werbekarawane sind zu hören. Der Cirque du Litor, der Bergkessel zwichen Aubisque und Soulor, bildet einen großen Schallraum; gleich werden die Felsen kommen,

-5km

a71zwei junge Engländer auf  haben mich flugs überholt. Das ist also das tempo der Amateure. Gleiche Übersetzung, doppelte Umdrehung . Der eine mit einer Zenit Kamera auf dem Rücken. Die Engländer entschwinden, andere werden folgen; es wird schroffer (und anstrengender), die Straße schmiegt sich an den steil abfallenden Fels. Gleich muß der Vorsprung kommen, den man so schön vom Aubisque gegenüber beobachten kann. Ich gehe aus dem Sattel und kämpfe mich vor  -nicht beeindrucken lassen, nicht an die Beine denken.

-4km

die Geier liegen hinter mir und führen ihr Ballett der Lüfte weit über dem Abgrund fort. Sie sind hier so häufig, wie bei uns der Mäusebussard. Mein Trikot ist völlig durchnäßt, mal zieht eine Wolkenfassade den Hang hinauf, mal sticht die Sonne durch. es bleibt unentschlossen, aber warm. Ich kämpfe weiter, nur einmal die Frequenz des nächsten Päärchens (Exeter) treten, das mich eben überrollt hat.

-3km

a8Die Autokarawane beginnt und zeichnet deutlich den Weg zum Paß vor. Plötzlich ist wieder Zivilisation, dazwischen rinnt ein Wasser aus  dem Fels. Die Baumgrenze ist längst durchbrochen, von weitem dringt Lärm vor.

-2km

DSCF4848Zwischen den Campern und Touristen auch Verpflegungswagen der Teams. Die Paßhöhe ist frei, der Aubisque gegenüber unsichtbar. Nichts zu bereuen, Wolken fließen davon und gewinnen an Höhe, es wird gelingen und die Fans werden mich nicht aufhalten.

-1km

Die Zielgerade, alles geht leicht auf einmal, vielleicht ist es auch weniger steil? Die Menge hat die Hänge besetzt, der Paß ist kaum wiederzuerkennen. Es ist eine Minute nach Vier und  ich steige ab – gleich berühre ich (ohne Rückenschmerzen, durchgeschwitzt) die tour de France: La grande boucle!

O km

b1Ein Mann trägt ein Schild , auf dem Vogelarten abgebildet sind. Ein Fernglas hängt um den Hals, er schreitet durch die Zuschauer.  Polizisten sichern locker die Straße, es ist ein Familienereignis, ein Ausflug mit Freunden.  Die Fahrer sind noch weit, alle sind entspannt, die Werbekarawane hat viele Kappen und trikots mit roten Punkten hinterlassen. Überall lehnen Rennräder an den Brüstungen und Geländern. Immer wieder kommen Motorräder vorbei.

b3Fahnen werden geschwenkt, fahrende Händler haben Stände mit Devotionalien aufgebaut. Alte trikots, Mützen, Zeitschriften. Im beliebten café herrscht Ruhe, ich kann mich setzen und die Postkarten genießen. Die Familie Poulou ist mit Tanten und neffen vertreten. Seit gestern fahren sie Sonderschichten. Heute Abend ist Schluß, dann ist der verrückteste Tag des Jahres vollbracht und sie können sich auch wieder um ihre Schafe und Kühe kümmern, deren Käse sie hier verkaufen.

b4Die Atmosphäre ist entspannt, es wird viel gelacht, steigt ein Lokalpolitiker aus einem der Begleitwagen wird er johlend begrüßt. Mein SNEL kann ich ganz unbesorgt abstellen und auf die Fahrer der Tour warten. Kuhglocken im Hintergrund.

b2Als ein Gendarm aus dem teamwagen ein Bidon bekommt ruft jemand vom Hang: „Trink nicht daraus, sonst hast du 15 Tage lang eine Erektion!!“ Gallien und die Gallier….

Die Abfahrt brauche ich nicht zu beschreiben – sie ist nicht nur die Kompensation sondern der eigentliche Grund für die ganze Schinderei. Bis zum nächsten mal.

 

 

 

 

 

 

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3 Antworten zu Soulor 18: la grande boucle

  1. Feelings! Oder, wie der Berliner sagt. Juut is det. Wunderbar hast Du das beschrieben. Ein wenig neidvoll überlege ich, so etwas im nächsten Jahr auch zu machen.

  2. monnemer schreibt:

    Wunderschön. In wenigen Worten meine Sehnsucht nach dieser Region, die ich nur wandernd aus Zeiten als ich noch sowas wie Urlaub hatte, wieder angefacht.
    Wie mein Vorredner schon sagte – vielleicht im nächsten Jahr…

    Rücken jetzt wieder schmerzfrei?

  3. crispsanders schreibt:

    Vielen Dank fürs Lob. Nachahmer erwünscht!
    – gerade diese Ecke der Pyrenäen ist immer wieder großartig und alle Rückenschmerzen wert. (Der Rücken ist wieder der Alte, Danke der Nachfrage – aber man ist gewarnt.)
    Die Pyrenäen sind allerdings launisch: bis zum Ende weiß man nicht obs ins Gewitter oder den Nebel geht und dann scheint die Sonne.
    Stammgäste sind vor allem Spanier, die Franzosen ohnehin (im Sommer) und die Engländer kamen vor dem Brexit immer häufiger.
    Belgier sind überall, es gibt inzwischen auch überall belgisches Bier – kein Deutsches. Eigenartig.

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