Cap No 158 (eine Fahrt mit)

auch wenn die Tage noch voller Sonne sind, irgendwas in der Luft ist frischer,  das Gras hält morgens den Tau.  Die Äpfel sind früh dran; haufenweise liegen sie in den Straßengräben im feuchten Gras. Zwei habe ich ausgesucht, ihre Sonnenseite ist schön warm und ich wische sie an meinem Lycra ab, bevor sie in den Rückentaschen verschwinden.

ab2Gleich werde ich sie mit René Bonn teilen, den ich unten an der Lahn treffe.  René ist der Fahrer, der sich unter cap no 158 verbirgt und kommt von Süden zum Treffpunkt Obernhof , ich kurbele von Norden durchs Gelbachtal, das noch Markierungen der Deutschland-Rundfahrt trägt.

Die Deutschland Rundfahrt ist eigentlich eine Schrumpfausgabe der Tour de France – eine post-tour Zugabe . Die Tour de France aber hat aber allen Grund zum TCR aufzublicken. Zur Erinnerung: da wird die gleiche Streckenlänge mit doppelten Höhenmetern in der Hälfte der Zeit bewältigt! Ohne Masseure, Mechaniker und Flüsterer.

ab3ab4Bald ist Arnstein in Sicht, das alte Kloster über der Lahn.  Paddelboote ziehen gemächlich ihre Bahn ich schaue  hinterher, sehe die Lahntalbahn über die hundertjähriuge Eisenbrücke bollern und die Postkarte vor meinen Augen vollenden; und dann kommt auch René Bonn um die Ecke und wir setzen uns, ganz gutbürgerlich, zu einem zweiten Frühstück ins Café.

ab5Das ist sein Cleat nach dem TCR, der authentische Speedplay, dessen gehtaugliche Gummieinfassung jetzt durchgelaufen ist. Ein Denkmal von zehn Tagen auf dem Rad, zehn Tage mit durchschnittlich 4 Stunden Schlaf, mit Schotterpässen und endlosen Geraden in zentraleuropäischer Sommerhitze.

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Zeit, gemeinsam in die Pedale zu treten. René sitzt heute zum ersten mal seit dem TCR wieder auf seinem Rad. Das „Gepäck“ ist abmontiert und er wundert sich, wie leicht und beweglich es sich anfühlt. Worüber unterhalten sich Radfahrer? Über ihre Räder.

Vorbereitung

Aber zu jedem Rad führt ein Weg. Niemand fängt auf einer Zeitfahrmaschine an und unterbietet den Weltrekord. Bei René war es der Schulweg. Die Schule war in Goarshausen im Rheintal dort, wo die Lorley ist und die Busfahrt dauerte lang, weil es über die Dörfer ging. Nachmittags fuhr der Bus ohnehin eher selten. Also war das Rad der Weg, und am Ende war René schneller als der Bus, sogar auf dem Rückweg mit seinen 300 Höhenmetern. Es ist eine Abwägung zwischen Freiheit und Komfort. Zum MTB kam das Laufen,  später der Marathon und schließlich der Triathlon.

be03Auf dem Rad sind es die vielen einsamen Anstiege in seiner Umgebung die er sucht und genießt, verkehrsfreie Pfade und Pisten durch die Wälder. „Bei zweistelligen Prozenten fühle ich mich gefordert, ich liebe die einsamen Weg durch den Wald.“ Ein bekennender Landmensch, den es dann doch kurz in die Stadt zog.

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Für eine Saison wurde er zum Deliveroo Kurier. (Bild gestellt).

Kein wirklicher Großstädter würde Wiesbaden für eine überfüllte, hektische und bedrohliche Stadt halten, aber wenn Städte eine Lebensform darstellen, die ich ablehne, dann kann man Wiesbaden als Stresstest sehen. Für René ging es um zwei Dinge: Fitness (Wiesbaden ist eine Sammlung vieler Anstiege) und Orientierung. Morgens schnallte er sich den Koffer um, führ die 40km in die Stadt und nach einer zehn-Stunden Schicht zurück. Dazwischen ging es auf Kundentour.

Die Erfahrung, täglich über zehn Stunden auf dem Rad zu sitzen war nicht nur für die Kondition gut: “ Ich mußte mit dem Stress im Verkehr zurechtkommen, gleichzeitig Aufträge erfüllen und mich in unbekanntem Gebiet zurechtfinden. Es war eine gute Schule, um bei Fehlern ruhig zu bleiben.“

Das Routing ist so etwas wie der Teil unter dem Wasser, wenn man ein transcontinental als Eisberg sieht. Logisch: es ersetzt nicht die körperliche Anstrengung, aber Streckenfehler kosten Stunden, sogar Tage, die nicht mit Muskelkraft wettzumachen sind.  Jeder Teilnehmer erstellt seine eigene Strecke ohne sie öffentlich zu machen, denn so schreibt es das Reglement vor. Vielleicht ist dies der wichtigste Unterschied zu einem klassischen Rennen:  die Streckenfindung ist  Teil des Wettbewerbs.  Eigentlich ist das der „modernste “ , wirklich neueAspekt des Rennens neben dem dotwaching: die völlig autarke Navigation.

Über social media kann man sich austauschen und das wird auch genutzt. Aber konkretes zur Strecke darf man nicht verraten.

Foto: kurbelfest.de /privatim

René Bonn trainiert viel, geht zum Bergtriathlon über. Dann entdeckt er Juliana Buhring, ihre Weltumrundung, das Transamerican Race. Das ist es.

Doch wie stellt man fest, ob man auf der Langdistanz schnell ist? Bei einem Brevet im Jahr 2016 : „Als ich den April 600er in Holstein mit den Ersten beendete – obwohl ich noch nie einen 600er gefahren war.“ Und natürlich die Bestleistung auf der naßkalten transcimbrica 2017: Hamburg-Skagen-Hamburg  (die hatte er nicht einmal erwähnt.!)

Doch für das TCR No5 half es nichts. Erst brach sein Schaltauge, dann erwischte ihn ein Infekt: 2017 blieb es beim Versuch, 2018 sollte besser werden. Was aber wird verbessert, wenn Trainingskilometer, Form und Gesundheit stimmen?

Drei Faktoren

Viele haben René Bonns Rad schon in videos und posts gesehen, die handgemachten Gepäckteile erregten (verdientes) Aufsehen. Nur: warum wählte er den Weg, sich mit Carbon- und Spezialfasern aus dem Segelsport die Staufächer aufs Rad zu schneidern?

Faktor Aero

„Einmal gibt es nichts wirklich passendes auf dem Markt,  und dann wollte ich ein setup, das so aerodynamisch wie möglich sein sollte. Für dieses Rennen ist Aerodynamik ein Schlüssel. “ Die  Teile ragen nur um Millimeter über den Rahmen hinaus, das Profil bleibt unbeeinträchtigt, die Verwirbelungsmöglichkeiten sind gering: der Fahrer ist das größte Hindernis. Andererseits ist der Stauraum verglichen mit den Mitfahern klein, ein Nachteil, der vielleicht keiner war.

„Ich hatte alles, was ich brauchte, für Bushaltestellen hat die aufblasbare Isomatte gereicht. “

aab1Wir schwingen uns hinauf -weit über die Lahn am Windener Hang. Es ist seine Erstbefahrung in diese Richtung,  die Sonne strahlt und immer wieder geht René aus dem Sattel – ein Fahrstil, der auf Langstrecke nicht selten ist, die Wechsel entlasten die Muskulatur. Beim Schalten kracht es ab und zu , die Kette hat hinten von 13 bis 40 einiges zu überbrücken.

aab4Oben an der kleinen Kapelle kurze Pause, die den Übeltäter offenbart: ein loser Schaltwerkbolzen – im Handumdrehen wieder stramm. Wir teilen unsere Äpfel und lassen uns durch die Wälder tragen – auch wenn die Straßen hier oben mäßig in Schuß sind spornt es den Mann nur umso stärker an:.. „das liebe ich am Radfahren !“ ruft er und schießt los; doch ganz kraß wird es am Stich hinab (14-%) von Stahlhofen nach Ettersdorf. Sein Tempo ist aberwitzig und er zieht davon während mein Rad wild über die Teerflicken hüpft. Ich kann kaum die Bremsen halten.

Faktor Komfort

DSCF5432Die Herkunft vom Mountainbike zeigt sich nicht nur in der Fahrtechnik. Es gibt auch ein paar kleine Komfortdetails vom Geländefahren, die er übertragen hat und das Carbon-Langstreckenrad angenehmer fahrbar machen.  Natürlich haben die Reifen 28mm – ein Mindestmaß fürs TCR. Der Vorbau ist gedämpft und die Sattelstütze ein elastisches Carbonmodell , geformt wie eine Astgabel.  Beides erhöht den Komfort, verringert die Ermüdung auf der Langstrecke. Der Sattel tut mit seiner Carbonschale ein übriges: er ist dünn gepokster, gibt aber deutlich auf Druck nach. Bonn gleitet im Verhältnis zu mir wie ein Citroen DS die Steilhänge hinunter und hat gleichzeitig das Rad voll unter Kontrolle. Das sind einfach 300m Unterschied auf einen Kilometer Abfahrt.

„Je länger Du im Sattel sitzen kannst, desto weiter kommst Du.“ So einfach ist die Gleichung .

Faktor Ökonomie

aab5In der Summe geht es bei den Verfeinerungen an Ausrüstung und Planung um ein Ziel: das  Transcontinental mit so wenig Kraftaufwand wie möglich zu finishen, mit einem Minimum an Schlaf, einem Minimum an Pausen und Energie, so weit wie möglich vorn zu landen.

Für die Anwärter auf vordere Plätze bleiben dann als „Restaurants“ eigentlich nur Tankstellen oder, wenn es die Streckenführung erlaubt, ein Burgerbrater.

„Man nimmt einfach irgendwas,  hauptsache Energie. Hier diese Eiswaffeln haben den Vorteil, daß die Hände beim Essen sauber bleiben wenn das Eis zerläuft. Am ersten superheißen Tag, der über die Vogesen führte habe ich insgesamt 13 Eis gegessen..“ Unterwegs nimmt man, was man kriegen kann. Mit diesem Wissen hatte er sich einen kleinen dritten Flaschenhalter ans Rad geheftet, der eigens für die Standard-Colaflasche gedacht war.

„Im normalen Leben trinke ich keine Cola, mir wird fast schlecht davon ,aber unterwegs ist es einfach das Getränk, was es immer und überall gibt. Zucker plus Coffein.“

Neben dem Geschick in der Streckenplanung  heißt Ökonomie, mit den eigenen Reserven gut umzugehen. Die meisten Fahrer gehen dabei nach Gefühl, nach Erfahrung, René Bonn geht auch nach Zahlen. Er kennt seine FTP (functional threshold power) und achtet darauf, diesen Schwellenwert von ca 250W nicht oder so selten wie möglich zu überschreiten. Vom Powermeter der Pedale kann er ablesen, in welchem Bereich sich sein Körper befindet. Ich kann mir gut vorstellen, daß der Eindruck uns täuscht, wir ungewollt mehr verbrauchen.

„An der muur von Gerardsbergen trat ich 300W und wurde rechts und links von vorbeischießenden Teilnehmern überholt.“

Das Rennen

aab3Seine Zurückhaltung Und Watt-Disziplin machte sich über die Tage bezahlt. Anfangs noch müde (direkt vom Mähdrescher ins TCR ) lief es mit den Tagen immer besser und so sah er auf dem Monitor, wie er Platz um Platz nach vorne rückte. Konkurrenten sind die größten dotwatcher. Auf dem trackleader Diagrammen erkennt man die große Regelmäßigkeit, mit der seine Tage verliefen. Vier Stunden Schlaf und um die 350km täglich auf dem Rad, zehn Tage nacheinander. „Nie den Focus verlieren .“ Das ist mentale Ökonomie

a wies kabakovAus seiner Sicht entschied sich das Rennen erst auf dem letzten Abschnitt zwischen Kontrollpunkt 4 und Meteora – auf den letzten 800km. Der Kontrollpunkt 4 lag oben an der ehemaligen Skistation der Winterspiele von Sarajevo, am Ende eines Geröllpasses , bei dem die meisten Fahrer abstiegen.

„Meine Erfahrung vom Mountainbike und das 40er Ritzel haben geholfen, auf dem Rad zu bleiben. Andererseits bin ich vor dem dritten Kontrollpunkt abgestiegen, als es über 15% ging: der Geschwindigkeitunterschied rechtfertigt den Kraftaufwand nicht. “

Seinen Platz unter den ersten drei verlor René, als er Samstag -oder Sonntagnachts in Tirana (Hauptstadt von Albanien) einfach nichts zu Essen fand und sich bis in die Morgenstunden gedulden mußte. Danach war das Rennen vorbei, zumindest das Rennen um die ersten drei Plätze. Aber Hey!

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Was für ein Abenteuer!

 

 

 

 

 

 

 

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