Der Herbst hält Wort. Es geht auf den ersten November zu und das erste Sturmtief trifft ziemlich genau ein, wie angekündigt. Pünktlich mit den Pensionierungsgedanken der Kanzlerin Merkel stimmt auch das Jahr uns auf sein Ende ein.
Der Blick geht zu den Türdichtungen des Altbaus, durch die der Wind nun wieder Bahn sucht. Er geht auf die Regale, wo die Gesellschaftsspiele warten und über die Musiksammlung, die man endlich in Ruhe hören will.Schon ist es dunkel draußen.
Aber noch etwas anderes wartete länger darauf , neu entdeckt zu werden.
Wenige Medien haben in ihrer Zeit so viel satirische Energie freigesetzt, wie der Dia-Abend. Der Dia-Abend war einstmals, was heute Urlaubstweests, snaps und -grammin‘ sind. Für Verwandte und Freundeskreis haben aber heutige Freizeit-erfolgsnachrichten den Vorteil, mit einem Wisch beseitigt und gleich am folgenden Tag der gefühlten Steinzeit anzugehören. Sie müssen nich tlängger als nötig erduldet werden. Für uns ist es völlig ok, jeden Tag hunderte Bilder von Freunden, bekannten, Abteilungsleitern, Vertriebskoordinatoren oder -therapeuten zu sehen – und dann ab in die Tonne.
Das war zur analogen Zeit ein wenig anders. Zum Dia-Abend wurde geladen, der Dia-Abend war eine Inszenierung, ein soziales Ereignis, da stand (auch) Familienehre auf dem Spiel: eine Offenbarung für den inneren Zirkel; dazu eine Spielstättte für Technikbeherrschung, Medienkompetenz und ostentativen Wohlstand.
Zudem: eine rein männliche Domäne, die Zweiteilung Projektor und Herd verlief völlig unstrittig . Möglicherweise ist dieses Setting, das ich hier umschreibe, welches ein so schales und glanzloses Erinnerungsbild von den vielen Abenden erzeugt, an denen höfliche Besucher ihr Gähnen unterdrückten. Es war nun einmal so.
Dabei hat es das Medium nicht so ganz verdient. Es hat Vorzüge, die keine okkulte Zeremonie brauchen, um genossen zu werden. Für Dias reicht ein kleines Stück weiße Wand, eine Zimmerecke, die nicht in der Sonne liegt und ein paar gute Bilder.
Die Betrachter danken es einem mit leisem Erstaunen; denn sauber gelagerte Dias haben auch nach 40 Jahren volle Leuchtkraft, die Blaus, Grüns und rots kommen in einer Intensität, die Beamer nicht erreichen und auch auf OLED Schirmen nicht in dieser Form. Seitenlängen von über 1m sind auch in kleinen Räumen kein Problem, Gesichter erscheinen über-Lebensgroß, Personen leuchten fast 1:1 aus der Vergangenheit auf. Die Nähe und Lebendigkeit ist unmittelbar – Die Zeit steht still und wandert nach 20 Minuten wieder in die Kiste.
Es mag tatsächlich so kommen, daß, wie es ein Bekannter meinte, der sich mit der Reparatur von digitalen Speichern befaßt, von Bilderinnerungen der Millenials fast nichts bleiben wird. Festplatte, SSD, Flash -alles egal : wer Speicher nicht doppelt, verliert.
So konsumistisch wir auch wurden, selbst den affinsten Technikfolgern gefällt eine derartige Selbstauslöschung ab einem gewissen Stadium nicht. Spätestens nämlich wenn man begreift, daß man nur ein Leben hat und am Ende nichts davon erhalten bleibt. Ein guter Projektor und Diakästen sind darum für mich kein Analogfetischismus (digitalisiseren kann man ohnehin). Sie sind der visuelle Faden, der sich bis in die Zeit vor der eigenen Geburt zurückspulen läßt. Gerade verläßt uns die Generation, die dieses Medium erschlossen und zur Massenbewegung gemacht hat; es gibt soviel Dia wie nie und auch wer seine Geschichte damit fortschreiben will, kann noch material finden und es -immer noch! beim Discounter entwickeln lassen. Nicht wegwerfen.
Die üblichen Modelle sind auf dem Gebrauchtmarkt leicht zu finden, das meiste ist konstruktiv für mehrere Generationen ausgelegt. Es gab sie zu Millionen – zugreifen.