Bismarck grüßt den falschen Willi

Die Tage werden kürzer und kürzer, jetzt brennen schon alle vier Kerzen. Viel hilft es nicht gegen die graue Wolkensuppe – man muß eben von innen glühen, den Rest besorgt eine Regenjacke im derzeit beliebten Gelb. giallo luminoso;  Die Wolkendecke hängt über 400m –  irgendwo wurde Regen angesagt ; ach, laß ihn noch eine Weile oben.

at2Raus mit dem Krabo. Setze ich den Kompaß auf Nordwest, geht es langsam aber stetig hinauf, Welle um Welle, Bachtal um Bachtal. Mein Ziel liegt hinter dem Berg,  der eigentlich kein Berg ist, sondern der erodierte Rest eines riesigen Vulkans mit seinen tausend Nebenkratern. Dort wo die Lava auslief, brandete das Meer an, jetzt rauschen Bäche durch den Westerwald. und wo einst das Meer war, landen hunderte Flugzeuge stündlich  in der Stadtsteppe. (Flugzeuge – ihr habt mich verraten).

Die Route, die mich um die  Fuchskaute leitet, ist neu. Sie führt an einer Schnur kleiner Dörfer entlang und meidet die Landstraßen, die humorlos von A nach B über die Hügel gezogen wurden. So umfahre ich deren derbe Steigungen und mache geduldig Höhenmeter. Abgestellte Traktoren blinzeln mir zu.

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Was vor ein paar Wochen scheiterte, kann heute gelingen. Ganz ruhig bringe ich die erste Stunde in möglichst kleinen Gängen hinter mich, habe alle Zeit, den Rotbunten hinterherzusehen und auch dem dunklen Lada Niva, der bei fast jeder Tour in diesem Land irgendwann auftaucht. 40×21 ist gut.

at5An der Krombachtalsperre ist die erste große Welle genommen. Das ist die Talsperre, die einst und jahrelang in Werbeunterbrechungen herhalten mußte, derweil Schumi Nazionale noch seine Runden drehte. Jetzt wehen abgerissene Deutschlandflaggen vom Campingplatz herüber, Mülleimer stehen in Reih und Glied, den Wochenendhäusern geht es auch nicht viel besser.

Ferienhaus Blues, aber ganz anders die innere Stimmung: kaum Wind, kein Regen, Verkehr sowieso nicht, das Rad gleitet und zieht eine leuchtende Spur in die Asphaltgrütze. Die erste größere Siedlung naht und zieht vorüber, Driedorf. Dann steigert sich die Einsamkeit nochmals um ein zwei Grad, ein großer Fernsehturm, darunter ein Aussiedlerhof.  Wolkendecke also über 500: gut.

at6Wer ohne Karte und Peilgerät über die Lande zieht, hat immer einen Grund, Fremde anzusprechen. Ein Dorf am Hang, zwei Wege hinauf. Welchen wählen? Die junge Frau, die auf einer holzverschlagenen Veranda ihre Adventszigarette raucht und mit ihrem Hund die Aussicht auf eine verlassene Dorfstraße genießt, schaut mich erstaunt an.

Ihr Akzent mit  „rollendem“ R kennzeichnet die Hiesigen, das ist das Merkmal des Wällerschen. Hier aber, so erfahre ich nun, ist schon kein Westerwald mehr, sie sind im Dill-Kreis,werter Herr. Dill ist right for me, ich suche den Weg nach Dillenburg an der Dill.  Augen werden größer : Dillenburg ist sooo weit. (Als läge es außerhalb des Sonnensystems).  Ich danke artig und verschweige meine Herkunft, denn wahrscheinlich weiß sie mehr von den Balearen als über das Dorf, aus dem ich komme. Noch eine feuchte Steigung in den Nachbarwald, tannig und duftend, und ein kurzer Blick zurück.

dscf7745Die Dörfer sind an dieser Seite trist und schmucklos, aber viele Hügel, die sich in der Ferne abzeichnen – blau und grün –  machen das wett. Ein kleiner, sehr kurzer Kirchturm fliegt vorbei. Wie schön es hier  im Sommer sein muß. Es geht bergab, der große Basaltblock ist umrundet, der Regen hat Gnade walten lassen.

Die einen sitzen in Wintergärten, andere auf dem Rad und rollen weiter, einem Ziel entgegen. Kälte ist (in gewissen Grenzen) subjektiv: Unsere Plastikrüstungen halten viel ab, nach ein paar Minuten ist die Betriebstemperatur erreicht. Wenn weder Wind noch Regen die Fahrt stören, bleibt es auch so. vielleicht ist es wie im Chemiunterricht: hat der Katalysator auf zwei Rädern den homo erectus auf ein neues Energielevel gehoben, dann verläßt sein Körper die Niederungen der kleinen Schmerzen, der fröstelnden Bequemlichkeit. All diese Dinge, die ein Sitzender nur ungern aufgibt und um jeden Presi verteidigt sind hier nicht mehr wichtig: es will weiter.

Im Dilltal.

at8Da sind die Reste der alten Landstraße, B277. Ohne Markierungen oder Schilder läuft sie  parallel zur neuen Schnellstraße weiter. Die Bäume wachsen wild, hinter ihren Ästen sehe ich alte Fabrikhallen vorbeiziehen, eingeworfene Fensterscheiben.

at9Juno steht an der Wand –  Kessel, Öfen, Herde – als es die Bundesrepublik noch gab. Dahinter irgendwo rauscht die Schnellstraße und bald schon tauchen Siedlungen und passende Bauten auf.

Die Dill bildet die Ostgrenze des Territoriums. Sie ist ein kleiner, mittelschneller Fluß, fließt von Nord nach Süd, direkt auf die Lahn zu; nicht schiffbar, Platz für einige Äcker und kleine Städte, eine Eisenbahnlinie und  Bundesstraßen. An beiden Seiten ziehen sich Hänge hinauf, die von weißen Giebeln an der Sonnenseite besetzt sind. Dahinter noch eine Autobahn, die ins Ruhrgebiet führt. Eine Mittelgebirgssituation, unspektakulär und angenehm. Noch ein Schornstein und dann

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Dillenburg, der Ort, an dem ich eine Entdeckung machen will. In Sichtachse erkenne ich schon das Wahrzeichen der Stadt, einen Turm an exponierter Stelle.

b2 nicht seinetwegen kam ich her  – – –  Jedoch das, was hier suche, ist nicht verzeichnet, kein Pfeil deutet darauf hin, kein buchstabe. Vorbeirauschende Fahrzeuge zerteilen das Wasser in der Fahrrinne, sortieren sich vor Ampeln neu, blicken kurz zu mir auf . . .

Vor drei Jahren hatte ein sympathischer Mitstreiter, der gern und viel um Leipzig radelte zum Turmwettbewerb ausgerufen. Sein Blog ist inzwischen verstummt, wahrscheinlich widmet er sich mehr seinen Hunden und nur noch akzessorisch dem Rad. Gleichwie: die Idee trug Früchte und ein beachtlicher Wettlauf um die sogenannten Bismarcktürme begann. Das war die unendliche Rundfahrt. Die Türme stehen über ganz Deutschland verstreut, jede Stadt, die etwas auf sich hielt , ließ kaufkräftige Bürger für Otto den Reichskanzler spenden, als dieser schon tot und bald Legende war.

avoyager1Mich brachte diese „unendliche Rundfahrt“ dazu Strecken zu fahren, auf die ich nie gekommen wäre, Orte zu besuchen, die ich nie besucht hätte. Das schönste bleibt aber die Entdeckungen, die man sonst nicht gemacht hätte. Meine Fahrt heute ist eine Reverenz an die Rundfahrt : außer Wertung, denneinen Turm gibt es nicht. Dafür etwas anderes.

Hier also ist Dillenburg erreicht,  ansehnliche kleine Stadt im Dillbogen, beherrscht  vom Wilhelmsturm. Es erinnert (ganz schwach) an Bad Ems und seinen Bismarckturm in diesem anderen Winter. Wo aber steckt der Dillenburger  Bismarck?

b3Er steht im Hang gegenüber der alten Stadt, hinter den Bahngleisen rechts. Dort wartet er und blickt etwas vage herüber. Grün ist er angelaufen, ein Kanzler aus Kupfer. Hier geht auch die Bismarckstraße den Berg entlang und direkt hinauf. Dafür habe ich mir meine Kräfte eingeteilt. Eine Diretissima mit 15%. Kaum ist der Scheitel erreicht, sehe ich links , den einzigen, ersten und letzten, entscheidenden kleinen Wegweiser, dem ich cross durch den Wald folge und finde bald schon

b7einen kleinen Pavillon mit blauroter Blechfahne drauf, den man in anderen Zeiten entzückend genannt hätte. Eine kleine, frisch restaurierte Stahlkonstruktion, durch die man von gleicher Höhe den großen Turm gegenüber betrachtet.  Bismarcktempel wird sie genannt. Nicht Pavillon – ein Tempel auf Augenhöhe mit dem falschen Willi.

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Hier dagegen hier der „echte“ Turm , wie Wikipedia ihn sieht:

Komplettansicht des Turmkomplexes170px-1899_grunewaldturm1

Der backsteinige, neugotische Turm zu Ehren des ersten und einzigen Kaiser Wilhelm heißt seit 1948 nur anders.  Das Gehäuse, das den marmornen Willi (Eingangshalle) umgibt, heißt Grunewaldturm, was nichts daran ändert, daß der politisch erledigte Hohenzollernkaiser in seinem Turm von berlinern weiter Willi genannt wird. Suum cuique.

b4Hier in Dillenburg aber geht es um einen ganz anderen Wilhelm, der lange vorher schon „der erste“ war. Bismarck grüßt also nicht seinen Dienstherrn sondern den, den sie den Schweiger nannten. Der hiesige nämlich wurde 1533 geboren, genau dort wo jetzt dieser Turm steht, der an den Grundewaldturm erinnert. Anstelle des Schlosses, das die Nassau-Oranier 1130 dort errichteten.

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Es war kein Bürgerverein, sondern das Königshaus der Niederlande, daß dem Ahnen auas den feuchten und düsteren Hügeln einen Turm  stiftete. Zu recht:

Im religiös unsicheren 16ten Jahrhundert war es wohl der Initiative Wilhelm des Schweigers zu verdanken, daß die Niederlande sich von der spanischen Krone lösen konnten und so auch von der katholischen Klammer Philipp des II ten. Dem hatte die religiös liberale Ader des Oraniers nicht gefallen. Darum ließ er diesen für vogelfrei erklären, also zum Abschuß freigeben. Drei Pistolenkugeln besorgten es.  Und so grüßt der Reichsgründer den falschen Willi.

Was sich die Dillenburger dabei gedacht haben?

b66Ruhig liegt die Stadt in der Beigung des Flusses. Altstadtfachwerk, Amtsgebäude und weiter hinten die Giebelreihen der Nachkriegshäuser. Den Pavillon ziert ein gußeiserner Zwerg im Ornament. Hinweis auf das, was diese Stadt wichtig und reich machte: Erz war es  –  schon im Mittelalter, als die Oranier begannen sich auszudehnen.

b55Gleich werde ich die Dill hinabrollen richtung Wetzlar, vorbei an kleinen Gewerken, Gießereien und stillgelegten Tankstellen. In Wetzlar dann das letzte Stahlwerk des Buderus-Imperiums, das einst das Monopol auf alle Erzhütten der umliegenden Täler besaß. Ich verlasse eine ruhige Stadt, ohne im geringsten durchschaut zu haben, warum der alte Bismarck sie grüßt.  Adieu.

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Eine Antwort zu Bismarck grüßt den falschen Willi

  1. randonneurdidier schreibt:

    – Von Oranier zu Oranier – Dank für die erbaulichen Zeilen – Dietmar

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