Der Wuppertaler Winterbrevet fand bei klarer, kalter Trockenheit statt, deren Kern irgendwo über Norwegen lag. Es war immer noch kalt genug.
Sollte man dann ein Rad fahren, das üblicherweise die Zitronen blühen sieht? Die Gelegenheit muß genutzt werden und dank Roy kam es zur Colnago on ice-experience. Eine Brevet Testfahrt mit unbekanntem Rad.
Wie würde sich das handverlesene, perlmuttweiße Exemplar unter den verschärften Bedingungen eines Winterbrevets schlagen? Wie würde die Record Titanium-Gruppe dem aus Norwegen gesandten Eiswind begegnen?
Colnago hat in den Ohren deutscher Rennrad-freunde einen großen Ruf. Den Ruf, teuer, edel und extravagant zu sein. Das hat seine Urasachen, denn Colnagos beste Jahre fielen in die Zeit des Rennrad“booms“, der auch Deutschland Mitte der 70er erfaßte. Ernesto Colnago hatte sich da im Radsport längst einen guten Namen gemacht. In der professionellen Szene belieferte er einige Jahre schon erfolgreiche Fahrer und Teams und das sehr geschickt.
Primus inter Premiumkunden war Eddy Merckx und beide Parteien haben dieses Verhältnis weidlich genutzt, Eddy war ein neugieriger Perfektionist und so baute Colnago ihm allein für den Stundenweltrekord unzählige Entwürfe.
Zwar hatte Eddy schon vor seinem ersten Colnago einige Erfahrung mit italienischen Rahmenbauern, denn schon für die erste Profi-Saison 1966 baute ihm Faliero Masi Räder, ein Mailänder Meister, auch ein Meister der Diskretion
Colnago aber ließ die Welt wissen, wer auf seinem Rad saß. Für einen Rahmenbauer gibt es nichts wichtigeres als einen Sieger auf dem eigenen Produkt. Vor allem wenn er denn Schritt in größere Produktionsmengen machen will.
Der Radsportversender Nummer 1, Brügelmann, wurde dann zum entscheidenden Multiplikator in Deutschland und weiter gedieh der Mythos. Brügelmann leisetete die Distribution im Schlüsselmarkt: hier war das größte Wachstumspotential in europa. Man muß wissen: damals fuhren die Gründer von Canyon Bikes noch mit dem eigenen Kombi nach Italien, um Komponenten für den heimischen Markt einzukaufen. – – –
Colnago war nicht nur ein guter Löter und kluger Geschäftsmann, er war auch am Fortschritt im Rennradbau nicht unbeteiligt. Rahmenformen und – geometrien wurden weiterentwickelt, ovale und multishape Rohre eingesetzt. Vor dem Übergang zum definitiven Material des modernen Rennrads (Carbon) gab es Versuche in Titan. Wie diesen hier.
Einen der extravagantesten Lösungen, das Bititanio, habe ich nun über 10 Stunden am Stück bewegt – bergauf, bergab und auf langen Flachstücken. Es erhielt seinen Namen aufgrund des Versuchs, die Steifigkeit im Unterrohr über zwei parallele Streben statt eines Oversizerohrs zu erreichen, das man bei dem Werkstoff wohl hätte wählen müssen.
Vielleicht war es ein optischer Grund, vielleicht ein technischer. Ein marketing-trick war das kaum. Denn wie sagte Tom Ritchey:“ it is one of the dirty little secrets in the bike industry, that an oversize downtube gives you a billboard – so everyone immediately knows the name of your bike. And they won’t give that away . .. . .“
Obs der Grund für die Seltenheit des Bititanio ist, einem weißen Wal unter den Rennrädern? Schon möglich, sicher ist aber auch, daß die UCI das Doppelrohr Experiment regulatorisch killte. Die Homologierung der Bauform wurde eben verweigert. Abgesehen vom baulichen Aufwand oder den schön verschliffenen Nähten, die die Fertigung verteuern war das das Ende der bititanios.
Whatever: entscheidend is aufm Platz!
Und da hatte ich mit conti Classic 25mm nicht zu klagen. Trotz optisch massiver Sitzstreben ist der Komfort am Hinterrad sehr, sehr gut. Auf 6 bar lief es einfach geschmeidig. Vorne aber verhielt es sich ein wenig anders. Die stiletto gabel dämpft einfach weniger schön als der klassische Typ, und in den schnellen Abfahrtskurven fühlte ich mich nicht so risikofreudig wie gewohnt.
Und bei einem meiner klassischen Tests fiel das Rad eigentlich durch: freihändig fahren . möglich wars schon, das aber nur bei recht hoher Geschwindigkeit, deutlich über 20kmh. Wer dann in der Abfahrt nochmal die SponsorenKappe richten will, oder ein schönes Croissant aus der Tasche ziehen, muß aufpassen: das Ding schaukelt sich über 40 sehr schnell auf.
Zum Genuß wurde es dann auf den schönen langen Wegen durchs Münsterland, auch weil das häufige Schalten entfiel. Denn, wie es hier scheint, mögen Record Carbon Schaltbremshebel Dauerfrost überhaupt nicht. Oft gelang es nur noch mit Tricks (oder nach Tankstellenpausen) , den Umwerfer zu bewegen, und das lag nicht an der fein eingestellten Schaltung, denn wenns lief, dann wie Vanillesahne durch den Bratapfel.
Nur, bittesehr, wer fährt schon Colnago im Winter?
Die Frage die schließlich am Ende eines langen, kalten Tages beantwortet werden kann, lautet: brauchen wir jetzt ein Colnago? Brauchen wir ein bititanio? Ich kann jeden beruhigen, der sich auf die Suche nach einem bititanio macht: häufig ist es nicht. Vielleicht auch eher ein showpiece, so wie es gewisse Kleinserien bekannter Sportwagenhersteller gibt . Wertlos wird es nie .
Aber rein vom Fahrerlebnis ist die Antwort : nicht, wenn man schon ein zwei andere gute Rennräder besitzt. Wieviel vom Mythos bleibt? Das Bititanio ist ein gutes, kein sehr gutes Rennrad, dafür ist es einfach nicht steif etc. etc. genug. Die 90er bieten genug interessante Alternativen, die in der einen oder anderen Richtung besser sind.
Ließe man mir an diesem Abend die Wahl, würde ich immer das unscheinbare Peugeot nehmen.
So ganz unpassend für den Winter finde ich das weiße Rad gar nicht. Ich denke, an dem Titanrahmen wird so schnell nichts rosten. Kann man also machen.
Wobei ich aber, wenn ich in mich hineinhöre, auch eher das Peugeot nehmen würde.
Am meisten leiden die beweglichen Teile im Winter – ein Rahmen ist schnell eingeölt und wieder abgewischt. Das Bititanio versucht durch die Doppelstrebe ein Steifigkeitsproblem zu umgehen. Der Rohrdurchmesser soll gering bleiben. Klappt nur halb. Die Gewöhnung an Ofen-Unterrohre fand dann auch schnell statt, ebenso wie die Technik dews Muffenlosen Lötens/Schweißens schnell Fortschritte machte und heute die Regel ist. Bei vorgegebenen Muffenseätzen war man an Durchmessser und Winkel der Rohre gebunden. Heutige Rohre sind hitzeresistenter und korrosionsbeständig durch Edelstahllegierungen -oder eben gleich aus Aluminium/Titan.
Das Colnago Rad ist ein interessanter Sonderweg und vor allem darum erhaltenswert.
Ich denke Tandembauer wussten schon, dass 2 dünne Rohre weniger stabil als ein dickes sind.
Da gab’s vorher schon viele Experimente dieser Art am Hinterbau, Tony Oliver hat dazu auch was geschrieben. Aber ’ne fahrbare Kuriosität ist’s allemal.
Danke für den Hinweis!