An klaren Tagen ist er gut sichtbar, der Oktogon vom Feldberg. Aber wie weit ist er wirklich entfernt? Im Mittelgebirge ist die Luftlinie kein guter Anhaltspunkt, eher ein Wunschpunkt. Der Taunus-Olymp ist allgegenwärtig, von allen Seiten zieht er die Blicke der Menschen auf sich, die nur auf einen Wink der Sonne warten.
Die Blüten öffnen sich, es ist ein Frühlingstag in voller Sonne, der Tag, an dem alle hinauswollen: Vögel, Hummeln, Blüten – ich nehme das farblich passende Rad.
Ein Tag für mein Eddy. Das Eddy ist ein spezielles Rad, nicht nur, weil es den klangvollen Namen trägt. Sein Sattelrohr ist eher flach gewinkelt, das Lenkrohr dagegen steil. Der 60er Rahmen hat mit 58cm eine normale Oberrohrlänge, aber schon ein 10,5er Vorbau macht es so lang, wie andere Rädern der 12er.
Das ist die Welt des corsa extra von 1989.
Eine Welt, die mich in gestreckte Position zwingt, gestreckter als sonst gewohnt, mein Alter eingerechnet. Dafür liege ich dann etwas schnittiger im Wind – so der Gedanke, der auf Dauer Kraft sparen soll. Die ersten Wellen sind genommen, ich habe Kurs Süd gesetzt Richtung Taunus, grobe Richtung Weilburg.
Ein steter Windzug kommt entgegen, warme Luft. Wilde Kirschen haben in diesen Tagen ihren Soloauftritt: Queen for a day. Die dreiviertel Hosen (discounter (psssstt)) verschaffen ein monatelang ungekanntes Freiheitsgefühl: Frühling. Die Sonne blendet ungewohnt, alles steht eine Blende heller als bisher.
Ganz kurze Schnellstraßenabschnitte – sie ersparen viele Kilometer – helfen weiter. Not kennt kein Gebot. Nach der Abfahrt: Weilburg, stolze Barockstadt in der Lahnschleife. Hier beginnt eine der schönsten Radstrecken in den Taunus, das Weiltal. Kurvenreich geht es die glitzernde Weil entlang, ganz schwach steigt es hier und da an – das große Blatt bleibt drauf und macht Mut, Tagesziele weiter zu stecken. Denn ich wußte gar nicht, daß es zum Feldberg ging.
Und das ist jetzt der Plan: das Weiltal hinunter bis ans Ende bei Schmittten, von dort auf den Feldberg und über die andere Seite zurück wieder nach Norden. Verpflegung und Vorräte in Weilmünster.
Weilmünster liegt auf etwas weniger als der halben Strecke zum Olymp des Taunus. Hat den Vorteil einer bestens ausgestatteten Total „bonjour“ an der strategischen Kreuzung. Bestens ausgestattet bedeutet: viele Baguettes, diverse Croissants und Premium Lavazza Café – was auch immer das ist.
Seit dem schicken späten 300er (Gießen 2018) sind wir gute Bekannte. Da grüßt mich ein neues Total testimonial girl, daß möglicherweise gallisch frech über den Milchschaum blickt. Ganz ähnlich tut es seit Jahren eine (mutmaßliche) Italienerin bei der Agip. Nur haben sie hier die besseren Baguette. Was ich jetzt esse, sollte in einer Stunde, also genau am großen Feldberg im Blut sein.
Radfahrer kommen grüßend entgegen, Motorradfahrer schwirren in beide Richtungen, noch in erträglicher Zahl. Man mottet aus und fährt die Maschine ein. Die meisten lassen erst am ersten April zu. Das Tal wird langsam enger, die Wellen häufen sich. Gegen den Wind bleibe ich auf Kurs.
Zwei Tage hat es gedauert, bis ich vom 300er Flanderns erholt war. Es heißt:“ wenn Du Dich richtig leer fährst, bist Du ein paar Tage später im Plus.“ Also bin ich heute aufs Rad gestiegen, um da mal reinzuhören. Es ist Frühling – außer um die eigene Form muß man sich um nichts mehr sorgen . . .
Die Form, genau. Der Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht.
In die Welt des Trainings (der Teil für Nerds)
Auf dem Rad fängt es immer wieder von vorn an. Der Körper zieht sich im Winter zurück, das ist das Gesetz der Natur. Dann will er mehr Kilometer – er braucht sie, um wieder in die Spur zu finden, um das alte Selbstvertrauen herzustellen. Erst das eigene Tempo finden, nicht gleich schneller sein wollen. Schön ist, wenn derselbe Gang sich heute leichter treten läßt als vor 14 Tagen. Jedes Jahr richten die Radsportler die gleichen Fragen an sich. Ich suche eine Antwort.
Es gibt Experten, was Training angeht, Joe Friel ist einer – dazu aktiver Leistungssportler meines Alters. Seine Bücher sind sehr dick. Mit Neugier überflogen habe ich “ Fit ab 50″. denn seit einigen Jahren gehöre ich genau zur Zielgruppe.
Dank der einer fast obszönen Messbarkeit unserer Bewegungen, Herzschläge, der Wattzahl und Umdrehungen ist Vergleichbarkeit in ungeahnte Regionen vorgedrungen. Was heißt heute schon intim? Durch strava et al ist die Kampfzone ausgeweitet worden, Instrumente sozialer Kontrolle im Namen individueller Freiheit. Sicher: solange man Souveränität darüber wahrt, kann man Daten zum eigenen Wohl einsetzen. Beispielsweise, um den Erhalt der Leistungsfähigkeit zu verstehen, dem zentralen Anliegen von Friel. Sein Buch erklärt die Mechanismen des unweigerlichen Alterns und Prozesse, die man dabei aufhalten kann. Die Basis ist einfach : gesund leben.
Die Notwendigkeit einer gesunden Lebensführung kann man als trivial abtun – also Schlaf, feste Tagesstruktur, kontrollierte Ernährung ; wenn man seine Zeit an Supermarktkassen sinnvoll nutzt, ist aber letzters ein häufiges Problem meiner Umgebung.
Und diese ist doch eher repräsentativ: regelmäßige Einkommen, Wohneigentum, mindestens ein Fahrzeug, geregelte 40h-Wochen. Die Mitte der Mitte. Menschen, die eine gewisse Freizeit haben, vor allem aber eine Wahl treffen können. Eine Auswahl , die auch da ist. Noch nie gab es so viel gute frische Ware (Obst, Gemüse, Biofleisch und Fisch) für so wenig Geld. Gilt leider auch für die Türme von Süßwaren, Hasen, Bären, Weihnachtsmännern. Die beste Schokolade (81% Kakao) ist eine der Billigsten.
Seht auf eure Kassenbänder: die von Joe Friel gepriesenen wertvollen Proteine finden sich in der Minderzahl. Es gibt sehr gutes Brot in Deutschland: sie nehmen Aufbackware. Es gibt Biolachs – wir wählen Fischstäbchen. Der Metzger verkauft frische Leber aus eigener Schlachtung: da tuts auch das Minutenschnitzel paniert usw usw. Wir wissen es eigentlich.
Der andere Aspekt ist Training mit hoher Intensität. Hohe Intensität ist, je nach Individuum, eine knifflige Variable. Für den Ex Wettkampfsportler eine völlig andere Größe als einen Hobbysportler, sie beginnt aber irgendwo um 80% der Puls- Maximalfrequenz. Seit Erscheinen des Buchs (2015) gibts immer günstiger werdender Pulsuhren. Der Puls ist die Kennzahl, die am schnellsten, leichtesten und billigsten ermittelt werden kann. Damit läßt sich gut arbeiten, denn Ruhepuls und Maximalfrequenz sind schnell ermittelt. In welchem Trainingsbereich man sich bewegt ebenfalls. 312 Seiten, Covadonga Verlag –
Ende des Seminars – ich muß noch weiter.
Bei 120bpm begegne ich den Wegmarken meiner letzten Fahrten. Es gibt viele Möglichkeiten, sich dem Olymp zu nähern, diese hat die wenigsten Hindernisse. Jetzt versuche ich mich an den Gang zu erinnern, mit dem ich den Feldberg anging.
Kaum bin unter der kleinen Kirchturmuhr durch, finde ich mein Ritzel – hinein in den Tann. Die Prüfung beginnt.
Von dieser Seite sind es noch 450 Höhenmeter, der (eher flache ) Gipfel liegt auf 870m. Kein Alpenpaß, aber ein ordentliches Stück Gefälle, weit und breit das längste, fürs Bergtraining fahren einige ihn auch zweimal. Auf große Pässe trainieren. . . . lange war dieser Berg Teil des Rennens Rund um den Henninger Turm, das auch Merckx einmal, 1971 gewann.
Heute fährt mein persönliches Eddy hinauf und ich und koste die gleichmäßige Belastung am Berg aus. Bergfahren ist auch Genuß, man sitzt aufrechter, muß sich nicht mehr in den Wind krümmen, ein gleichmäßiger Rhythmus von Tritt und Atem ist alles . Ein flanierendes Ehepaar wird eingerollt ; gleichmäßig weiter durch frische Tannen zum Sandplacken, dieAbzweigung zum letzten Teilstück.
Es geht 90Grad rechts ab, der wird Weg schmaler, der Verkehr dichter. Oldtimer, Reisebusse und mehr Motorräder. Motorräder, die sich in der Abfahrt schonmal verschätzen und dem Bus nur noch in den Graben ausweichen können. Geht sehr schnell.
Wanderer mit Stöcken und Rucksack (samt schlurfend folgenden Kindern). Es gibt einen Taunusklub, ich habe schöne Landkarten. Mountainbikes schießen durch die Nebenpfade, Busse drängeln: und glückliche Radler schießen vorbei.
Der letzte Teil fordert, aber bald kommt in einem letzten großen Schwung die Rampe zum festungsartigen Gebäudekomplex auf dem Gipfel. Ein Photograph mit zwei Assistentinnen packt den Reflektorschirm in den alten PostVWBus ein, andere parken servojaulend glänzende, schwarze Wagen aus. Wie eine Herde dunkler Ameisen reihen sich die Tanks der Motorräder aneinander, ihre Piloten in Lederkluft hocken beeinander, grüßen sich, smartphonen und sprechen ins Unsichtbare.
Durch kleine Schlitze im Tann sehe ich die dieseige Ebene, aus der blauen Milch mit zartem grün ragen ein paar weiße Rotoren. Ein ganz normaler Tag auf dem Feldberg.
In der Abfahrt kleinmachen, die Kälte kriecht Ende März schnell durch. Dann muß ich falsch abgebogen sein und finde mich in einem völlig unbekannten Dorf wieder. eine Glocke läutet die volle Stunde.
Jenseits von Training
Ich muß falsch abgebogen sein, aber der Traktor kennt den Weg aus dem unbekannten Tal, – grobe Richtung Bad Camberg. Hinter mir prangt der Feldberg von ungekannter Seite – es geht wieder hinauf und dann nochmals heftig abwärts – Oberems, Wüstems . . Dörfer an den grünen Hängen des Olymp. ich bin jenseits vom Training.
Ich segle hinab, andere schießen an der Winde in den Himmel. Die Frühlingswärme ist wieder da. Gleich ist die B8 erreicht, der Wind kommt von der richtigen Seite und die Schleier, die er vor die Sonne treibt zeigen: das war der richtige Tag. Einige genießen schon ein Eis .
Ich nehme noch einige Höhenmeter mit und erreiche die Gegend, die sie hier den Goldenen Grund nennen, ein sanftes Terrain . Ich durchquere die Dörfer in ihrer Samstags-Nachmittags-Einsamkeit. Die Stunde nach den Rasenmähern. Stille.
Diese als Extrameilen, weil ich einem Hungerimpuls nachgegeben habe und ein anderer Ort auf mich wartet. In Villmar/Lahn ist die Marmorgrube, ein Ziel, das seit Monaten auf mich wartet.
Devon, das war vor 400 Millionen Jahren, ein Erdzeitalter vor den Wäldern, die heute als Steinkohle verbrannt werden. Hier in der Grube herrscht absolute Ruhe, Das Eddy lehnt an der Wand, die ein Querschnitt durch ein altes Riff ist. Die sedimentierten Organismen sind dunkelrosan oxidiert, komprimiert, transformiert. Stromatoporen, Foraminiferen,Dinoflagellaten, Korallen, Goniatiten und wie sie alle hießen.
Die Stelle in der Gegenwand ist angeschliffen, aus dem eher unscheinbar stumpfen Stein wird Marmor. Die Stille ist auf einmal sehr tief, die Wipfel der Bäume schweben hoch über mir im Blau. Zwei kleine Bruchstücke stecke ich ein. 400 Millionen jahre tiefe Ruhe.
Machst du eigentlich so neumodischen Kram und zeichnest gpx Tracks auf? Kannst mir ja mal senden! 😉
dann müßte ich immer ein Gerät mitführen, was das macht. Also Ballast. Ich male die Strecken manchmal per hand in bikemap nach. Dann weiß ich, wieviele km, wieviele hm etc. etc. Interessenten sehen unter crispinus nach, Startort Dornburg . .