„Ich bin als Junge oft 15, 25km zu irgendwelchen Steinbrüchen geradelt, meistens, um nach Fossilien zu suchen.“ D. Attenborough, Naturkundler, Tierfilmer.
Zweirädrige Fossilien, gut erhalten: nochmal Merckx, nochmal in den Frühling. Frischer Dunst in der Luft, sehr frische Pastellfarben. Ab in die Hügel.
Irgendwas in mir will heute keine Heldentaten, lieber kurze Wege, Abwechslung und auch mal Abstecher. Der Vorteil unserer faltigen Gegend sind kleine Orte, die entdeckt werden müssen, die sich verbergen und keiner mehr kennt, auch nicht jede Landkarte. Ab Maßstab 50tausend gibt die Erde ihr Wissen preis .
Die Basalthügel liegen hinter mir. Ein Blick auf den Stausee zeigt, daß die Reserven noch nicht wieder aufgetankt sind, Viele glitzernde Splitter geborstener Flaschen glänzen wie Perlen auf dem Schlamm.
Abtauchen in die Hügellandschaften. Als Wellenschaum stehen die aufblühenden Büsche am Straßenrand, bald lösen sich ihre Schaumkronen auf und gehen als weißer Regen über dem Asphalt nieder.
Heute beginnt meine Suche nach dem Riff, das irgendwo in dieser Gegend seine Sedimente als Marmor freigibt. und nun in einem Waldstück vor sich hinschlummert.
In diesem Ort soll es irgendwo sein. Mein Merckx lehnt sicher an einem 523 international, (mit Originalbereifung), während ich den Besitzer um Rat frage. Er baut sich gerade eine Steinmauer – brusthoch – um einen kleinen Vorhof. Die Eckpfeiler sind aus Fertigteilen, das ganze soll einen Meter hoch werden.
„Ist Marmor dabei?“
„Nein, das sind Bruchsteine.“
“ Hier gab es doch einmal einen Marmorsteinbruch?“
„Ja, schon lange her.“
„Und keine Säule oder ein Denkmal im Dorf zu sehen?“
„Nein.“
Ortskundig ist er und beschreibt mir kurz den Weg, keine 250m Luftlinie von seiner kleinen Hausecke. Als ich mich bedanke und aufschwinge höre ich noch: „wofür manche Leute Zeit haben . . . “
Es ist etwas milder, hier im Tal kommen die Frühlingsböen nicht so durch; der Weg verliert seinen Asphalt und dann sehe ich ein Transformatorenhaus. Indiz: hier wurde einmal viel Strom angefordert. Privatgelände, Betreten verboten, ein Zaun säumt den Weg.
Wo er endet, stelle ich das Rad ab, einige Meter abseits, damit es nicht gleich auffällt. Dann kämpfe ich mich durch junge Bäume, die auf einem Hang wachsen: Eine Geröllhalde, die wie ein Schutzwall den Steinbruch abschirmt. Dahinter liegt der Steinbruch, das aufgelaufenen Grundwasser hat einen kleinen See gebildet.
Als ich mich dem nähere, erkenne ich neben den Stahltrossen und rostigen baugeräten die steil abfallenden Wände. Verwitterte Wände, die auf den ersten Blick unscheinbar wirken. Jetzt ist es noch ruhiger.
Wo einen Marmorsplitter finden? Ich muß mich nur bücken und ein wenig an den Steinkanten kratzen, schon treten Adern und Farbwechsel hervor. Ein grünliches Grau, das dann ockerfarben wird und streifenweise in dunkles Lachsrot wechselt.
Um ein schönes handliches Exemplar zu finden, kehre ich auf den Geröllberg zurück.
Der Marmor aus Gaudernbach, mein erstes Riff heute. Im Reichsluftfahrtsministerium soll er verbaut worden sein, auch in der Reichskanzlei – vor allem aber spricht Wikipedia vom Empire State – in der Liste prominenter Abnehmer nach diversen Barockresidenzen, Kirchen und Dome. Der Steinbruch ist nicht erschöpft, es ist nur nicht seine Zeit. Jetzt liegt die Grube im Dornröschenschlaf , die Fossilien träumen weiter, nachdem man sie 300, 400 Millionen jahre schlafen ließ. – Vielleicht wartet sie auf eine Marmor Mode, den Spleen eines indischen Milliardärs, der das nächste Taj Mahal ausstatten will . . . .
Ich überlasse den träumenden Steinbruch sich selbst und schottere zurück auf die Straße, auf zum zweiten Ziel. Denn das nächste Vorkommen ist kaum einen Kilometer entfernt, das Rückriff liegt am nächsten Bachtal . Die Piste ist gut und auch schmale Contis reichen völlig, solange der Untergrund fest und trocken ist. Am Rückriff absteigen.
Der Steinbruch liegt direkt an der Piste, ganz offen. Hier stehen wir vor Schupbach- schwarz (und Schupbach violett) , dessen Spur ich schon vor über einem Jahr aufnahm. Es liegen überall noch massive Blöcke herum, bei manchen sieht man, wie das dunkelgraue Material, das beim Polieren dunkel bis schwarz wird, von weißen Calcitblitzen durchzogen ist.
Danach den Kerkerbach hinunter, Richtung Lahn.
Ein kleiner Verein in Villmar historisiert und archiviert all diese Vorkommen – sofern nach Aktenlage der kleinen Unternehmen möglich. In Villmar an der Lahn wurden die Stücke bearbeitet und konnten verschifft werden. Geblieben ist ein kleiner Verein der Museum und Archive pflegt.
Marmor als Material bildet sein eigenes Archiv, Marmorsorten sind fast so individuell wie Fingerabdrücke. Ein Experte kann sehr gut Ort und Zeit zuordnen: die kleinen Riffsteinbrüche sind übersichtlich, ihre zahl bekannt. Der nächste Frühling zieht über sie hinweg. Sie können warten
„Es ist magisch, wenn Sie sich vorstellen, daß dieses versteinerte Lebewesen zum ersten mal nach hunderten Millionen Jahren wieder das Licht der Sonne erblickt.“
D. Attenborough op cit Der SPIEGEL.