Mancher fühlt sich als Wahl-Italiener, andere sind noch nach 40 Jahren verurteilt, den Italiener zu mimen, auch wenn das Eiscafé schon in dritter Generation fest in der schwäbischen Kreisstadt verankert ist. Über 40 jahre ists her, seit ein Duisburger Fernsehkommissar in die Mysterien der türkischen Küche eingeweiht wurde. Weitere Küchen der Welt folgten und wurden in Deutschlands Mittagspausen integriert. dennoch: Trotz Multikulturell Informierter Praxis bleibt Italien in der Hitparade der germanischen Sehnsüchte und Sehnsuchtsorte weiter vorn.
Dabei liegt ein größeres (und schöneres) Land gleich um die Ecke, man muß nicht einmal Gebirge überwinden. La douce France. Es ist ein überprüftes und bestätigtes Vorurteil: Der Nachbar im Westen hat alles, was ein gelobtes Land braucht. Klimatisch, Kulinarisch, kulturell. Italien wir mögen Dich gern, aber wenn es um wirklich gutes Essen, wirklich schöne Räder und wirklich grandiose Kathedralen geht . . .
Kaum war ich wieder angekommen, ging die Nachricht durch die Welt. Notre Dame brennt. Katastrophen sollen nicht verglichen werden, die Reaktion darauf schon. Ich war doch überrascht, wie tief der drohende Verlust einer Kathedrale das laizisitische Frankreich erschütterte, am betroffensten aber klang unser nationaler Cineast Wenders, der erschüttert vom Dach des Centre Beaubourg den brand ansehen mußte.
Es ist wohl die alte Wahrheit von zwei Seiten einer Medaille. Vorn die rationale Zahl, auf der Rückseite das Bild. Dazu die Idee vom Zentrum mit einer Verbindung zur Vergangenheit, die Achse der eigenen Geschichte.
Das Frankreich der Könige entsteht im kern 1215, da ist Notre Dame beinahe fertig. Ihr Vorläufer, die Basilika von Saint Denis (nur 10km nördlich) nimmt die Gebeine der Könige auf, Notre Dame wird eine Kathedrale für die Stadt. Erst mit dem 20 jahrhundert, dem Jahrhundert des Tourismus, kann man aber von einer singulären Stellung, einem nationalen Symbol ausgehen. Es muß Millarden von Postkarten und Bilddateien geben.
Die Eiche vor der Küche läßt das erste Sonnenlicht durch die jungen Blätter, während aus dem Radio Meldungen zur Lage kommen und die erste Alarmstimmung in praktische Fragen übergeht, die sich mit der Rekonstruktion beschäftigen. Über Nacht waren Spenden zur Reparatur Notre Dames angekündigt , die dem hart verhandelten Versicherungswert des World Trade Center gleichkamen. Das SNEL wartet im Flur, 23mm Reifen mit blauer Banderole halten seit 15 Jahren die Luft.
Einige Stunden später stehe ich im kleinen Café unter den Arkaden von La Bastide Clairence. Das SNEL brachte mich wie im Flug die Adour hinunter, hier sind die ersten Hügel rund um die Abtei von Belloc. Der Wind steht gut für die erste Fahrt ans Meer. . Der Körper hat kaum Zeit, sich über den Temperaturschub zu wundern.
Die Bauern machen hier schon das erste Heu, es ist Mitte April. Die Straßenmarkierungen der Tour de France vom letzten Jahr verblassen allmählich unter den Reifen meiner Strecke nach St Jean de Luz.
Dann mein erstes belgisches Bier und dann der Blick aufs Meer. Mit allem Glück gehabt .
Vor etwa 50km machte es einen Knall am Hinterrad – Speiche gerissen. Immer am Kopfende und immer an der Seite zum Zahnkranz. Nur noch 35. was macht man an einem alten Rad: Bremse auf und weiterfahren, denn Alternativen gibt es nicht. Kein Wiegetritt. Und es dreht sich doch.
Es eiert, aber es hält. Morgen werde ich das Rad zum kleinen Laden bringen, der seit über 30 jahren die Räder der Sportvereine, der Kinder und der Großmütter repariert. Keine Werbung, kein Franchising aber immer Kunden. Einen Laden, den es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte – meine kleine Kapelle, der ich regelmäßig spende.