Der späte Sommer ist groß

a01Die Sonne kommt einen Baum später um die Ecke, die Simse werden langsamer bunt –  rosa, orange, sonnengelb. Es ist die rechte Zeit, die Brevets sind vorbei, doch der späte Sommer erlaubt noch ausgedehnte Abenteuer. Die Fahrt nach Schwaben soll als Ernte dienen.

Vor der Fahrt nach Süden noch das Rad präparieren. Reifen, (also Mäntel) beim Profi bestellen. Rolf Gölz führt einen Palast für Räder, ich besorge mir darin zwei 25mm Grand Prix, nicht die Über-Grandprix, aber immer noch hergestellt in Korbach. Damit rollt das filigrane aber knochige Raleigh record ace eine deutliche Spur elastischer. Dann den legendären Sattel drauf: der Flite. Für alle Menschen,  die sich in Sattelkunde üben, brauche ich dieses Moell nicht vorzustellen. Für die übrigen sei erwähnt, das der „Selle Italia flite“ der erste „magere“ Rennsattel war, bei dem man die Führungen seitlich erkennen konnte. Heute sehen alle Sättel mager aus, ganz wie die Profis.

Ein, zwei Einstellungen, Proberunde inklusive Schotterpiste. Dann ist das Schutzwachs von den Reifen gerollt und die Position gefunden. Alsdann für 250km plus Übernachtung und Rückkehr noch die Apidura angeschnallt. Kleine Tasche vorn für wertvollere Sachen.

a11Die Fahrt

ist bekannt und beschrieben, sie steht seit 2014 im Kalender. A- Wiesbaden – Worms- Speyer – Rot – Ubstadt- Illingen-Z.

Nach wie vor gibt es mögliche Varianten der Route, die Hügel der ersten 70km erlauben Alternativen. Mit Zeit kommt vielleicht Weisheit. So flach wie möglich bis Wiesbaden. Grund ist einerseits Gepäck, andererseits Erfahrung: bis der körperliche Motor richtig rundläuft dauert es eine gute Stunde, das muß ich akzeptieren. Eine gleichmäßige Steigung schont die Kraft mehr als eine kurze heftige usw.

a2Die eigentliche Schwierigkeit sind immer die letzten 50km. Vor allem: die 200km davor so zu fahren, daß einen noch das Gefühl von Frische, Lust und Unbeschwertheit umweht. Solche morgendliche Frische konservieren.

Die Hochdruckbrücke

liegt als Band von Nordfrankreich bis Moskau über uns. Eine sehr stabile Lage, der späte Sommer ist groß. Leichter Ostwind vorgegeben, Temperaturen von 10 bis 30 Grad, wobei die Morgenkühle das kleinere Übel ist. Lösung: zwei kurze Trikots übereinander, das dünnste  drunter, das dunova (TM) kommt später beim Stop in Mainz in die apidura Tüte. Gut essen, gut ausruhen – kurz nach 6 wache ich von allein auf.

a10Eine halbe Stunde danach genieße ich grünen Tee und denke an nichts. Eine handvoll Spatzen durchkämmt die Büsche.

a3Eine Stunde später rolle ich durch den goldenen Grund. Schwalben üben schon.

a4Zwei Stunden später nehme ich den letzten schärferen Anstieg hinter Niedernhausen und sehe einem kleinen, schmalen Cabrio hinterher. Fast so schmal wie ein Rad.

a5In Mainz biege ich auf die Nord SüdStrecke, die B9. Ballons grüßen unter der massiven Bahnbrücke.

a6Erster Kaffee und Vorräte in der beliebten  Tankstelle. Weiße Flugzeugbäuche von unten – auch schön. Dann in Sommerkluft weiter mit 1 Putenbaguette auf der Hinterbank und dem fetten Croissant im Bauch. Meine Zeit ist gut, das Körpergefühl auch. Es geht am Rhein entlang, der Sonne entgegen.a7

Nennt es flach und eintönig, ich mag diese lange Allee durch die Weinfelder. Richtung Pfalz grüßen sehr träge ein paar Windräder, links von mir schimmert manchmal der Rhein. Im guten Rhythmus nach Süden. Ich weiß inzwischen, wie ich durch Worms komme und Frankental (ohne an einem Autobahnschild zu scheitern).  Aber.

a9Aber immer noch nicht, wie es geschmeidig an Ludwigshafen vorbei geht,-  mittlerweile gibt es hinter Oggersheim einee Idee.  Felder! a91

Ein Mann hockt hinter dem Anhänger im Schatten und sieht auf sein Smartphone. Die 30 Grad sind überschritten, hinter den Wassersprengern sehe ich eine Menschenkette auf dem Feld. Sie bücken sich nach Radieschen (40cent der Bund) und rufen einander mit Worten, die ich nicht verstehe.

DSCF2644Hinter dem Wald geht es zurück in die Siedlungen: Maudach, der Sonne nach  – bis an eine Kreuzung, die mir bekannt vorkommt: von weitem Zypressen und eine Reihe Pinien. Am Rand des Gewerbegebiets hat sich ein Unternehmer einen Pinienhain geschaffen, direkt an einer Umgehungsstraße.

Mittlerweile bin ich ortskundig:  den Kirchturm von Rheingönnheim erkenne ich wieder. Mit Freuden, denn genau dort endet das Ludwigshafen Syndrom. Alles umgangen: Bahnlinien, Zubringertrassen, Fußgängerzonen, Kriegerdenkmäler, TediShops, Kioske, Dönerproduktion, Hochbunker in Pastell . fort, fort fort.

Waldsee! Die Wespen umsummen den Mülleimer vor dem Eiscafé. Ich genieße drinnen, im Schatten und stehend.

a93Eis doppelt, espressso doppelt

Pistazie (4ier Euro das Pfund ächt!) und Limonello. Neues Wasser in den Bidon „nix ausse die Kran, die Flasche verde!“  – grazie mille und hop. Sonnige Seite.

a95Speyer mischt in der Bodenspekulation mit. Das deprimierende Ergebnis sollte knapp vor der Hochwasserzone liegen.  Sie sprechen dan ganzen Sommer schon von Angeboten an bezahlbaren Mietraum. Sagt einer, wir schaffen das? Dahinter das lange Schiff des Doms.

a96Ein Mittelalterfest lockt Unmengen von Verkleideten an. Der Schweiß fließt unter den Ritterkostümen in Strömen. Schwebt vorbei eine luftige Fantasiegestalt auf Spezialschuhen. Das Mittelalter ist ein Airbrushgirl auf einem Bike-tank. Die Langeweile treibt uns jedes Wochenende vor sich her, der Rhein fließt ruhig vorbei.

ich rufe: „um 14h ist Hexenverbrennung“ Es würden abertausende kommen – wie damals.

Jetzt der schärfere Teil: auf der anderen Seite vom Rhein ostwärts.

b1Dem Wind entgegen. Vorteil heute : nicht im roten Bereich gefahren; jetzt in der heißen, öden Ebene werden die Reserven gegen den Wind gebraucht. Vor allem gestreckt sitzt sich der schmale flite gut. Kurz hinter Rot /St Leon kenne ich noch einen dm-markt. Zeit für mein handwarmes Putenbaguette, neues Wasser und Fruchtzucker.

Es sind hier noch nicht ganz 200. Dort hinten die B3, das Kraichgau, seine Abfolge kleiner Wellen, rosiger Kirchtürme mit exakt eingestellten Uhren und solidem Straßenbelag.

Samstagnachmittag. Unentwegt überholen Automobile mit Explosionsmotoren. Eine Kolonne in Frankfurt zugelassener Cabrioletts zeigt, daß auch andere hier zu ihrem Vergnügen unterwegs sind. Bald müßt ihr zurück auf eure Mietstellplätze dicht am RheinMain Airport.

b2Ich sehe mir die Obstbäume an, kein gutes Jahr hier – da hängt nicht allzuviel. In meinem Gepäck waren einstmals zwei saftige Pflaumen, die im trikot wunderbar nachgereift sind, alle hundert Kilometer eine. Jetzt ist nur noch MagnesiumVitaminpulver übrig. Ein Scheißzeug, das selbst dann bläht, wenn ich es in der Trinkflasche ausperlen lasse. Trink weiter Genosse, solange das große Blatt drauf ist, hast Du kein echtes Problem.

 

b3b4Öwisheim, Gochsheim, Flehingen, Derdingen: die alten Strecken rücken näher. Die Felder und Kirchtürme im Wechsel, dazwischen Flagschiffe lokaler champions.

Trockenes grün, nicht verdorrt. Der Sommer war gut, der Spätsommer noch besser. Beethovens 7te mit Michael Gielen. Beethoven ist immer draußen dabei.

Dann die Schwierigkeit des Tages, die Rampe nach Sternenfels. Lieber im 26er modus. Das Kraut hier riecht satt anders, und es gibt Grillen, die mich mit ihren Rufen anfeuern und den Schmerz erträglich machen. Ich bleibe sitzen, der 653er Rahmen mag es nicht, wenn ich aus dem Sattel gehe, achtern wirds dann unpräzise.

Das schöne an dieser Wiederholungsstrecke ist nicht nur die Zeit, die schneller vergeht – bei den Bäumen grüßt man alte Bekannte. Es sind auch die Vergleiche. Da läßt sich die eigene Form ganz gut „lesen“. Selbt wenn das Kapitel Paris Brest im eigenen Jahrbuch fehlt, war das heute eine schöne Fortsetzung. Die Form hätte gereicht.

b6Geschafft : Weinberge, gepflegte Kleintraktoren, versprengte E-Radler, viel Grün vor satter Krume. Die Freunde warten -es wird ein schöner Abend.

b7Die glocke läutet ihr helles As.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Also im kleinen

 

 

 

 

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2 Antworten zu Der späte Sommer ist groß

  1. monnemer schreibt:

    Glückwunsch zur LU-Passage! Kann ich immer noch nicht…
    Durch Speyer mit den Mittelalterlichen bin ich am Samstag auf dem Weg zur Kalmit etc. auch gekommen, ein schräger Anblick.
    Hitzefest bist Du ja, ich bin nach gut der Hälfte Deiner Strecke in einen dicken Salzpanzer gehüllt wieder zu Hause angekommen. Auf der letzten Rille.

  2. crispsanders schreibt:

    Diese Passage ist genau genommen eine West-Umfahrung via Oggersheim, so nah wie möglich an der Gemeindegrenze entlang. Ich fahre immer wieder gern durch Oggersheim. . . Das mit der Hitzefestigkeit kommt übers Jahr, – Mannheimer sollten da besser gewappnet sein.

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