Über den Taunus an den Spessart

Die Tag- und Nachtgleiche naht, in einer Woche ist es soweit. Auch wenn am Tag noch über 20Grad wärmen, ist die Abendsonne nur noch ein schwacher Abglanz des Sommers. Die Obstbäume sind dicht gefüllt, in ihrem Schatten wird es schlagartig kühl. Taufeuchte.

Die Klarheit der Sternbilder hätte mich warnen sollen.

Als ich kurz vor 5 das Batavus aus dem Keller trage, geht mir die Morgenluft durch und durch.  Schnell kurble ich los, kurzbehost, Windjacke, kleiner Rucksack, es gibt kein zurück. Jetzt quer durch den Taunus, bis an den Spessart. 110km. Glitzernde Speichen warten dort und Freunde der handgelöteten Räder…

a1Das Navi leuchtet zart und bei Vollmond genügt der reduzierte Lichtkegel einer AldiLampe, um auf heimischen Wegen zurechtzufinden. Sonnenaufgang ist um 6h57 angesagt, da sollte ich die Anstiege von Lahn und Weil schon hinter mir haben. Dann werden wir endlich sehen, wo es hingeht.

Ganz ehrlich -man beginnt solche Fahrten fast widerwillig. Mit dem Sommer schwindet auch die Leichtigkeit der ersten Kilometer, es bleibt einfach kalt und dunkel.  Nur der runde Mond ist ein Trost. Im Licht der Straßenlaternen (stechend) stehen beschlagene Autos, die an diesem Samstag auf Einkäufe und Waschanlagen warten.

Was treibt einen an?

a3Die steigende Sonne, das Wissen um die letzten warmen Tage im Jahr, das Wissen um einen langen Herbst und einen zähen Winter, bis am 23 März die TagundNacht-Gleiche wieder erreicht ist und grüne Blätter zu sehen sind.

Alle Tage, die jetzt noch kommen werden kürzer, kälter und dunkler sein als dieser. Das treibt mich zitternd weiter zum Sonnenaufgang.

Hadamar, Runkel, Villmar: Nebel über der Lahn, beim Rewe jault die Alarmsirene, Lieferwagen fahren seelenruhig davon, um 8h öffnet der Backshop.

Lahnschleife Aumenau. Rechts durch den Wald hinauf. Auf dem Navi ist er grün, aber ringsum ist es dunkel, wie es in Märchen dunkel ist. Dann riecht es nach Tannenfeuer, Lichtflecken, einzelne Häuser, es wird angeheizt. Eine unbekannte, gleichmäßige und schöne Steigung. Schemenhaft tauchen Höfe auf, oben wird es hell, die Steigung hat den Körper gewärmt.

a2Landmaschinen vor Windrädern auf malvenfarbenem Grund.

Hinter dem Tann geht der Mond unter, während Scheinwerfer eines Autos mich erfassen. Vorbei und abwärts (gekrümmt) ins Weiltal. Eine Abfahrt vom Marathon in Hattersheim, ebenso bekannt (und anstrengend) wie die anschließende Auffahrt nach Heinzensberg. Der Tag bringts ans Licht.

a92 Auf dem Kamm-  geradeaus: rechts in der Ferne der große Feldberg, die Sonne trifft gleich seine Oktogone. Im Tal hängt Nebel fest –  darauf eine Schluck kalten Tee.  Usingen mit seiner schönen Altstadt ist nicht mehr weit. Dort ein Frühstück im milden Morgenlicht , das die Fachwerkzeilen streichelt. Usingen war Nassauische Residenz, ehemalige Kreisstadt. Jetzt grüße ich erstmal einen Fuchs auf der Kreuzung der mich erstaunt anblickt. Wie schmal diese Tiere sind – und lautlos verschwinden.

a41 einziges Bäckereicafé ist geöffnet. Der Wiener Feinbäcker hat einen türkischen Akzent, die Altstadt ruht tief in sich.  Das „Wiener“ Angebot ist eher dürftig. In der Nußecke schmeckt wenig nach Nuß, die Schokoglasur ist vom billigsten, aber alles macht das Koffein wett. Weiter zum nächsten Anstieg.

a5Mit Usingen lasse ich Taunus, Nacht und Kälte hinter mir. Eine letzte Steigung und die Sonne erfaßt mich voll. Dann hinab, ganz sanft und schräg gegen den Wind. Dei neue Sonne durchflutet meine Zellen. Plötzlich am Horizont die Türme. Die Silhouette Frankfurts, klar und futuristisch; links von der größeren Turm-Gruppe der stumpfe Klotz der EZB. Millarden ohne Zins – (aber nicht für Dich). Geld, das größte Rätsel.

Als tauschte ich das illustrirte Grimm-Album am Kachelofen für einen französischen Moebius Comic in der Wohnmaschine. Aber wir sind im 21ten Jahrhundert. Hinter mir heizen sie mit Holz, vor mir sind die Klimaanlagen pausenlos aktiv. Unter mir surrt die Kette. Batavus wird mühelos in der Zeit sein Ziel erreichen.

a7Das Relief des Spessart (hellbleu, weit hinten), jetzt eine sanft gewellte Ebene durch die sich die frische Schnellstraßen ziehen. Da muß ich mich voll auf das von komoot algorhythmisierte Navigationssystem verlassen. Empfohlen sei dennoch, die ermittelte Strecke vorher auf einer Karte zu verifizieren. Manchmal sind Ortsdurchfahrten oder Feldwegstücke zwar kürzer, die Wegführung aber bremst.  Schotterpassagen, Betonplatten, Poller. Vor allem Pflastersteine.

a6Klingt unkultiviert: gefühlt kostet ein hübscher Markplatz mit Pflastern und stillen Winkeln viel Zeit. Der eilige Radfahrer ist mit einer sauberen Umgehung oder der Führung über die Hauptstraße besser bedient.

a8Gassen alter deutscher Städtchen sind winkelig : klar und bauhausig reduziert dagegen unsere Tankstellen. Die kühne Dachkonstruktion verdeckt ein dünnes Angebot darinnen.

Die economy class der Tankstellen.

Tankstellen-Feinheiten für fortgeschrittene Reisende: Nur wer ein Frühstückslogo trägt, führt auch das volle to-go Programm. Shop allein ist economy class .So bleibt es bei einer zweiten Andeutung von Frühstück (Snickers), mäßigem Kaffee und dem Anblick metallisiert-transparenter Gelfingernägel mit blauen Sternchen. Kurz nach acht, immer mehr Menschen brauchen Kaffee und drängen in den kleinen Raum. Ein Liter Diesel einsdreiunddreißig in klavierlackschwarze Autos.

Windjacke abstreifen und zurück auf die Landstraße.

Darauf grobe Spuren und zerwalzte Biomasse . Schnelle Traktoren titanischer Dimension ziehen riesenhafte Hänger über die Straße und strömen auf einen unsichtbaren Punkt zu.

a81Mit ihrer Ladung – feingehäckseltem Mais – füllen sie die eigenartigen Kuppeln der Biogasanlagen. Illegitime Nachfahren der landesweit verstreuten Gasometer. 21tes jahrhundert, gute Energie, schlechte Energie. Du hast die Wahl.

a9Airlines malen neue Flaggenmuster an den Himmel. Die Co2 Flagge ist international.

Die Luft ist frisch, aber sie beißt nicht mehr –  ein strahlender, weißblauer Tag mit sanftem Nordost. Sie warten an der Barbarossaquelle auf mich. Tolle alte Räder, feine Leute: Niemand wird enttäuscht sein.

a91

Ich komme zur rechten Zeit.

14 09 2019

 

 

 

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