„Ah, dort gehe ich immer Forellen angeln!“
Südlich von Oloron beginnt das Piémont, eine grüne und hügelige Landschaft am Fuße der Pyrenäenkette. Die D 918 zieht sich hier durch kleine Dörfer – eine letzte Linie der Zivilisation, hinter der sich Bergmassive verschachtelt auftürmen. Die Vorderen sind noch grüne Kegel, dahinter zeichnen schroffe Zacken über der Baumgrenze den Horizont.
Ein Rollen wie von einer gedämpften Trommel kommt die Dorfstraße hinauf. Mein Snel lehnt gegenüber der Mairie am Brunnen. Ich bin in Issor und es ist einer dieser unwirklich strahlenden Herbsttage, an dem die Luft sanft und schmeichelhaft ist . Wie ein ganz milder Sommertag. Aber die Schäfer täuschen sich nicht.
Es sind die letzten warmen Tage vor dem Herbstbeginn, deshalb treiben sie ihre Schafherden ins Winterquartier der Täler. Das trommelnde Geräusch zieht jetzt an mir vorüber, es war das Trippeln hunderter kleiner Hufe. Still und konzentriert folgen sie dem Hirtenjungen und als letztes
kommt der buttercremeweiße Hund um die Ecke, sichert nach hinten und erledigt schnell noch ein Geschäft. Auf gehts, im Slalom durch die kleinen Kügelchen, die über hunderte Meter auf der Straße verstreut sind…
Ich breche zum letzten Paß des Jahres auf, voll Dankbarkeit, daß es eine Welt gibt, die für Radfahrer gemacht ist. An der Bücherkiste von Lourdios Icharre (43 Einwohner) habe ich noch eine dieser altmodischen Jules Verne Ausgaben mit den Stahlstichen eingesteckt. In 80 Tagen um die Welt, 300g Ballast.
Der Labays ist ein wilder Paß, ein Paß der mit einem Bachtal beginnt, in dem man köstliche Forellen findet. Und hinter einer kleinen Brücke in einem winzigen Nest geht es los.
Dieses Schild ist ein Schwindel, ein Beweis für die Schwäche von Zahlen, von Durchschnittswerten oder bloßen Fakten. Der Beweis erfolgt gleich.
Seit einigen Jahren werden an den Pässen Kilometerschilder angebracht, die einem die Entfernung sowie durchschnittliche Prozentzahlen angeben. Das mit der Entfernung ist eine gute Sache, besonders wenn die Zahl einstellig wird. Die Prozente können einen schonmal warnen, mehr leider nicht.
Und gleich zu Beginn zeigt sich, wie unbrauchbar Mittelwerte sind. Was bedeuten schon7 % auf den km, wenn es 200m bergab geht? Man ahnt etwas und schaltet ganz schnell in den kleinsten Gang. Der Gegenhang kommt wie eine Wand und so geht es die ersten Kilometer dieses schmalen Canyons hinauf (und manchmal hinab). Ein heftiger Beginn, die Geraden sind trügerisch.
Wo der Gave de Lourdios den Berg durchschnitten hat, hangelt sich die Strecke am Fels entlang, der bedrohlich über den Weg ragt. Schon ist das Dorf hinter mir unsichtbar. Irgendwann, ganz am Anfang gab es es hinten ein kurzes Knacken, wie eine Nuß die zerspringt. Doch alles ist ruhig am Hinterrad, der Wiegetritt geht. Vielleicht wars eine Nuß.
Ein Wildgatter, – die Strecke wechselt die Seite des Baches, der Anstieg läßt für einige hundert Meter Gnade walten, kleine lilane Blumen säumen den Weg Cyclamen? Krokus? Ich entscheide – maglia ciclamino.
Ein Talkessel hat sich geöffnet; ringsum Almen und Berghänge, die wie im Schwarzwald mit Nadelbäumen gespickt sind. Nichts mehr ist von der Welt zu hören, über allem eine riesige, leuchtend blaue Kuppel. Wo ist der Paß? Irgendwo rechts oben – aber wie wird es weitergehen ?Fortsetzung mit Serpentinen am Waldhang. Steile, enge Serpentinen, selten unter 10 %. Dies ist der Teil der richtig schmerzt; auch wenn es ein milder Tag ist und die Bäume viel Sauerstoff liefern, geht der Blick immer zur nächsten Kurve, tastet den rauhen Aspahalt nach ein paar sanfteren Metern ab, die den Beinen eine kurze Erholung geben könnten. Nur noch 7 km.
Dieser Labays : ein kryptischer Pass, verborgen, unlesbar. Der Maquis. Einige Tage vorher hatte ich seine Beschreibung in einem Magazin entdeckt. Es war ein 58 jähriger aus Oloron, der da seinen Lieblingspass vorstellte. Mit Bildern unter Wolken – Wird schon gehen, dachte ich mir und studierte die Landkarte. Immerhin war ich gewarnt.
Und es geht auch, irgendwie setzen wir uns ins Benehmen, ich mit meinen 28 Zähnen und der Labays mit seinen harten Rampen. Die kurzen Momente der Erholung ausschöpfen in der großen Stille auf der einsamen kleinen Straße voller Sonnenflecken.
Plötzlich Verkehrsschilder. Eine kleine Route , die D441 ist erreicht, die rechts hinauf führt. Auch wenn es wieder abwärts geht ist es der richtige Weg: so hat der Labays eben hundert Höhenmeter mehr als seine 1360m erwarten lassen . Falsche Prozente, falsche Hoffnungen, Tücke der trügerischen Zahlen. Gleich kommen sie wieder, die nächsten Rampen.
Da,: noch ein Geräusch, ein sympathisches, französisches Geräusch. 2 Zylinder.
Schon ist es vorüber. Es geht jetzt an der anderen Bergseite entlang. Der Asphalt ist rauh doch immerhin ohne Risse und Löcher, immer wieder kleine Abschwünge, Serpentinen und Sonnenstücke. Kurz wird der Blick auf einen fernen nachbarn frei: der Aubisque. Langsam wird klar, das im Anstieg fast der halbe Talkessel umrundet wird.
Erste Menschen -einzelne Wanderer, die auf Pilzjagd gehen. Ist es der letze Kilometer oder sind es geringere Steigungsgrade die mich den letzten Kilometer genießen lassen? 6%, das ist fast nichts. Radfahren ist ein Rätsel, die Luft ist tief und frisch, – schon ist die große Straße erreicht, an der der Paß endet.
Ein „unechter Paß“, denn er mündet in einem Boulevard, der zur Pierre St. Martin führt.
Vollbracht. Jetzt ziehe ich die Nußschokolade aus der Lenkertascheund genieße den Augenblick in der Sonne, den Duft von Bergahorn und Fichten. Die Heftigkeit der Anstrengung letzten zehn Kilometer verfliegt sehr schnell. Das Erlebnis und die Bilder bleiben.
Fast jeder paß der Pyrenäen hat so etwas wie eine eigene Persönlichkeit. Dieser hier eine ganz Besondere. Eine Dramaturgie voller Überraschungen hinter der nächsten Kehre. Erst jenseits der Baumgrenze gewinnt man die Übersicht und erfaßt die ganze Geschichte. Vor mir liegt die breite Straße in der Sonne. Der Tag ist noch lang – ich treffe eine Entscheidung: noch 7km bis zur Passhöhe hinter St.Martin, jenseits der Baumgrenze. Links ab.
Weit unten , hinter mir in einer anderen Welt liegt im blauen Dunst der Piedmont und das kleine Dorf Issor, durch das der Bach mit den Forellen fließt.
„Der Labays? – für eine Tour Etappe gibt es da zuviel Steinschlag, “ sagt der Mann, der so gern dort Angeln geht.
28er ritzel und was als Kettenblatt? Wahrscheinlich 39?
Kein Anlaß zur Sorge , es sind 38.
Schöne Ecke. Es sind „Herbszeitlose“. Haben wir in franken bei der Brauereitour auch entdeckt. https://heilkraeuter.de/lexikon/herbstzeitlose.htm
habe sie nicht angefaßt, danke…