Nicht schön, wenn unterwegs der Regen einsetzt. Gerade im November, wenn das Thermometer nicht mehr abhebt. Keine Schutzbleche; – man wringt die Socken aus und schwört leise Rache. Der November ist eine Prüfung für sich.
Deshalb: die gleiche Runde ein zweites mal. Aus schlechten gute Erinnerungen machen. Ein zweites mal Dörfer, Höfe, die Übergänge stillgelegter Bahnstrecken. Bunte Horizonte, dazwischen Fußballfelder.
Ascheplätze – es gibt sie noch ! Was noch letzte Woche eine ziegelrote, von Schriftzügen gerahmte Fläche war, ist heute Bühne für ein Drama -Heimspiel. Schreie von der Seitenlinie. Drüber wacht die Westerburg.
Viadukt a.D, großer Entwurf über Kreisstadt a.D.. Die Hauptstraße des Ortes füllt heute nur mit Mühe ihre Schaufenster.
Hinaus und höher hinauf – zum Flugplatz. Die Fallschirmspringer haben Winterpause. Ob sie mit ihrem Flugzeug in den Süden ziehen? Gestern noch den Eichhorn mit dickem Motor auf Übungsflug gesichtet. Leuchtorange an Flügelspitzen und Leitwerk.
Die Baustelle an der großen Straße – nicht wirklich weitergekommen, Leichen säumen den Weg, Bäume müssen weichen für Radautobahnen an der B 255 !
Gegenüber einem soliden Bahnhofsbau der Trödler, er nennt sich Verwerter. Alles gut sortiert, innen und außen. Die Unmengen an Sachen: 10hoch 6 Gebrauchsartikel – und volle Container für das, was nicht zu Lagern lohnt. Sehr vieles ist intakt .
Der Volkswirt sieht: ein Allokationsproblem. Überproduktion und Mangel . Während Männer am Geländer des Sportplatzes stehen, Trainer brüllen, wird ein alltägliches Paradox sichtbar: Überfluß im Westerwald .
Ohne global positioning Zwischen Nister und Wied. Oben die Quelle der Wied unten das Tal der Nister Dazwischen die Hügel. Sendemasten, Höfe, Windräder. Alt und neu. Mal winden sich die Straßen an den Hügeln lang, mal ziehen sie wie alte Heerstraßen schnurgerade drüber hinweg. Meine Lieblingskurve.
Wer einen Hof führt, ist nahezu autark. Große Silagemieten für das Winterfutter der Kühe. Alte Silos (ich mag diese Türme) und neue Solardächer. Ein kleines Sportflugzeug sucht die Sonne. Die Kühe sind unter Dach und Fach, warmer Geruch kommt aus dem Stall.
Ich ziehe durch bekannte Wälder. Rund um Hachenburg wiegen sich Tannen, ein milder Sonntag, Der Volkstrauertag liegt hinter uns, der Infekt der letzten Woche hoffentlich auch. (Fröstlnd und appetitlos). Heute scheint die Sonne und bergab mit 52×13 saust der alte Feilauf, vollgesogen mit frischem Öl – ich höre genau hin; denn Radgeräusche sind eine ganz spezielle Leidenschaft.
Mein weißes Raleigh, ein leichtes Rad, straff, ein wenig nervös, schon anders als die 70er Jahre. handbuilt lightweight sagt der Aufkleber über den Schalthebeln. Noch ist die Kraft nicht wieder da, aber es reicht für Hachenburg. Stattliche Residenz. Hier sind die Schaufenster dekoriert und ältere Herrschaften in Gruppen unterwegs.
Eine ruhige Viertelstunde an der Lieblingstankstelle. Cappuccino, Zeitung, Laugengebäck und Zucker. Die Wand voll bunter Zeitschriften wirkt fast wie Dekoration, kaum einer kauft sie. Ein schönes Fries. Märkte schaffen sich ihre Geschichten, Kunden suchen ihre Geschichten. 3 Rennradzeitschriften kämpften um die gleiche Nische. Der Volkswirt sagt: das Einkommen kann nur einmal ausgegeben werden.
Blick in die analoge Zukunft. Noch einen heißen Tee im Pappbecher. Sind sehr praktisch, denn man kan sie am Rad transportieren. Sie haben einen sehr schlechten Ruf.
Hinaus: in die Nachmitagssonne, kaum Wind. Die Rotoren am Horizont stehen stumm herum. Gefühlt ist die Sonne jetzt um 3 dort, wo sie Ende April um 6 oder 7 steht. Grobe Richtung Südwest, mal eine Variante aus der Stadt ausprobieren. Die Variante führt auf eine frisch geteerte Straße hinaus in die Wälder. Hier war 2017 noch Baustelle . Hier, auf dem 300km von Spich brevet trugen wir die Räder hindurch .
Wieder in den Tann hinein, links unten liegt die Brauerei, vor mir ein langes Stück bergauf. Lerchen, Tannen, gelbes Laub. Der Zufall führt mich auf die Spur meines 300er Brevets von 2018 , die Erinnerung führt mich hier in eine ganz andere Geschichte hinein. Die Geschichte eines Unfalls; ich weiß, daß ich ihm jetzt auf der Spur bin, mit 5 prozentiger Steigung geht es ihm direkt entgegen, denn hier muß es nach den spärlichen Berichten sein. Gleich werde ich ihn treffen.
Es war der 30. April 2019, nachmittags. Ein Sonntag im Westerwald, kurz vor Kilometer 200 des Brevets; hier wird die letzte Kuppe genommen, dann freier Schuß bis Hachenburg hinunter.
Jetzt, gerade als ich schreibe, erinnere ich mich auch: ich selbst war hier freihändig heruntergerollt, nach den harten Kilometern 150 bis 200 in der Frühlingssonne. Über genau diese Kuppe, voller Freude, gleich die bekannte Tankstelle zu sehen und den Stempel zu holen. Die Tankstelle, von der ich gerade kam. Und das Auto kam direkt von hinten. Ob er es noch gehört hat?
Die Markierungen der Polizei sind noch nicht verwaschen. Es gab noch einen kleinen, dürren Zeitungsartikel. Eine junge Frau . . . er verstarb an der Unfallstelle. Wir berichten weiter.
Ich lege das weiße Raleigh unter das weiße Bianchi. Dort steht alles: 46 Jahre – bestes Randonneur-Alter wie sie sagen. Eine Minute nachdenken : wie schnell muß man fahren, um nicht mehr ausweichen zu können. Die Sonne stand schräg, beste Sicht. Über 100. Keine Zeugen: also auch kein Gegenverkehr. Vielleicht ein Smartphone am Steuer, vielleicht die falsche Sonnenbrille oder der Griff zur Zigarettenschachtel? Es geht ganz schnell, soviel ist klar.
Bevor ich die Straße überquere und wieder aufsitze, horche ich ganz tief in den Wald. Es kommt kein Auto.
Weiße Fahrräder, die Endlichkeit des Seins… Aufpassen, konzentriert fahren… immer!
So, jetzt zum Eichhorn nach Elz: Ich kenne den Walter noch aus alten Zeiten, als ich noch der Fliegerei verschrieben war. Auf vielen Flugtagen haben wir uns gesehen. Er immer mit seiner AT-6 und viel Rauch und viel Power. 83 Jahre ist der Bursche nun schon. Und ich schreibe bald die 7 vorn. Da fällt mir Cat Stevens ein:
There’s so much you have to know
Find a girl, settle down
If you want you can marry
Look at me, I am old, but I’m happy
In diesem Sinne, bleib munter
Wobei, Dietmar:
an der Konzentration hat es in dem Fall eindeutig beim Auto-Pilot(in) gemangelt. Ein Jahr früher hätte man mich an gleicher Stelle stehend freihändig in der Mitte der Straße abgemäht. Da hätte ich mich nicht beschweren dürfen. . . . .
Eichhorn W hat sogar eine eigene kleine Biographie bekommen, die ich mir als Book on Demand besorgt habe. ich weiß genau, daß er mein Haus (oder den Kirchturm daneben) als Peilung benutzt, denn er überquert es sehr regelmäßig. Zuletzt mit dem bollernden Harvard Trainer. Eine sehr lange weile schon vermisse ich die Paarflüge mit seinem Sohn, immer mit tschechichen Kunstflugmaschinen.
Als Gelernter Luftraumbeobachter schätze ich solche Abwechslung sehr.