6.Januar 3Königstag, Albrecht Dürer.
Lesen ist auch 2020 ein gesunder Sport. Da die vielen Räder den Blick auf die buchrücken verstellen, ein kurzer Rückblick auf das, was aus dem Vorjahr in Erinnerung bleibt, ohne ans Regal, den Nebentisch oder ins Nebenzimmer zu schreiten.
Aus dem Jahr 1948 ein Werk von Jean Giono, einige Episoden über einen pensionierten Militär .Wurde gerade ins Deutsche übersetzt. Besonders empfohlen den Tierschützern die beschreibung einer Wolfsjagd um 1840. Un roi sans divertissement.
Aus den 1950ern eine Rundreise durch die Karibik vom Reisetitanen P.L. Fermor – der Baum des Reisenden. Taschenbuch bei Fischer, dicht und voller Bilder, geschrieben, als der Postkolonialismus begann.
Von Jean d’Ormesson die Memoiren, wenige Jahre vor seinem Tod erschienen. Umtriebiger Kulturbotschafter und Schriftsteller, liefert er ein sehr lebendiges Bild vom Werden und Wesen französischer Eliten des letzten Jahrhunderts. Und vielleicht sogar dieses Jahrhunderts. Möglicherweise war das gar nicht einmal Absicht, aber es war ein Gewinn. Nachrichten vom Hofe.
Von Ernst Jünger die Subtilen Jagden. Wie aus einem beinahe esoterischen Thema ein Werk universeller Weisheit wird. Das planetarische Verschwinden der Arten infolge weltweiten Fortschritts. Erschien Anfang der 1960er .
Von Donna Tartt der Distelfink. Meine Neugier, wie man 900 Seiten eine erzählung hält wirde nicht enttäuscht. Das Sittenbild von Groß Manhattan dürfte auch jetzt noch Gültigkeit besitzen, die fixierung auf ein verschwundenes Bild möglicherweise nicht. ich habe mich gut unterhalten.
Parallel dazu min kamp von Knausgard. Autobiographisch, mit sehr dichten (existenzialistischen?) Passagen, aber die provinziellen, südnorwegischen Alkoholikerbiographien und coming of age Verzweiflungen haben mich nicht ermuntert, die Geschichte zu beenden. Wäre der Text in einem ostfriesischen Kontext erschienen, wäre er möglicherweise sehr ähnlich und hätte mich auch nicht weitergebracht .
Mémoires d’un touriste von Stendhal. Um 1820, ein früher, Französischer Reisebericht in der der Autor in das Gewand eines Stahlhändlers schlüpft, der die Eigenheiten der provoinziellen Städte beschreibt, durch die er als Geschäftsreisender kommt. Eine sehr moderne Frage als Ausgangslage: Eisenbrücken kommen gerade auf und die junge Republik (oder neue Monarchie) sucht nach Identität, nach Richtung. Während man neuen Stahlkonstruktionen mit Argwohn begegnet, sieht der Autor in den Präfekturen schlechte Imitate italienischer Palazzi und verschmähte Fundstücke der Antike. Ein vielschichtiges Buch, in dem Anekdoten schon die Roamnstoffe des künftigen Riesen andeuten.
Chronik einer Tankstelle. Den Autor habe ich vergessen und bin zu faul, nachzusehen. EIn geistreiches , sehr aktuelles Buch, in dem der Autor sein Leben als Aushilfskraft an einer Tankstelle irgendwo in der weiteren Banlieue beschreibt. Wochenend- und Nachtschichten bevorzugt. Inklusive hübscher Liebesgeschichte zu einer Japanerin, die Kampfsport betreibt.
Eine Neuerscheinung zur ersten Tour de France von Eddy Merckx, 1969, die Geschichte seines Durchbruchs zum Superstar, von Augenzeugen erzählt. Die Bücher zu Merckx sind zahllos und dürften eine kleine Bibliothek für sich einnehmen. Sein damaliger Zimmergenosse, ein italienischer Helfer erzählt. Verschwiegenheit und Mißtrauen und kleine Hotels. Eine geradezu primitive Welt. Da ich das Buch nur überflogen habe, weiß ich nichts genaueres zu Autor und Verlag.
Vom Parfumeur Jean Claude Ellena die Geschichte des Eau de Cologne. Ein Ausstellungskatalog, in dem der Autor die Verbreitungung des Kölnisch Wasser von Mailand nach Köln und dann in die Welt darstellt. Gleichzeitig ein Berufszweig der von Hoflieferanten zur Industrie wird. Napoleon verbrauchte bereits jeden Tag eine Flasche. Im übrigen ein guter Katalog alter und aktueller Eau de Cologne mit Komposition und Werbegeschichte. Für den, ders braucht und liebt .
Marcel Brion über Titian. Alte Künstlermonographien haben ihre eigene Farbsprache, alles wirkt dunkler, weniger grell. Viele Abbildungen. Diese bilden eine Grundlage für viele neuere Ausstellungskataloge, die nur noch Fragmente darstellen. Ein sehr nützlicher Anschluß an die große Ausstellung in Frankfurt vor einem Jahr.
Gestern zog ich mit einer Gruppe unbeirrter Randonneure 200km durchs Münsterland. Ein nasser und windiger Tag mit vielen Reifenpannen. Nach 160km sehe ich nicht weit von Dülmen plötzlich einen Storch auf freiem Feld. Als wolle er seine Anwesenheit beweisen ein weiterer in einiger Entfernung. Nicht alle ziehen mehr weg. Das bringt mich auf einen Titel von Alain Mabanckou aus Pointe Noire. : „Les cigognes sont immortelles“, Le Seuil 2018 – Störche sind unsterblich.
Addendum 2020:
Auch Bücher scheinen unsterblich, wie ich gerade lese .Der e-book Marktanteil liegt in unseren Gefilden irgendwie bei 6%, wahrscheinlich vom Umsatz. Meine Skepsis damals bei Auftauchen war nicht nur auf retroaffinität gegründet: auch mit einem heutigen HD Display läßt sich lesetechnisch einem Bleisatz nicht das Wasser reichen. Der sequenzielle Aufbau (scrolling) der Seiten tut ein übriges. Ein griffbereites Buch läßt sich sofort an der richtigen Seite aufschlagen.
Und weil ich hier nur von Romanen oder schönen Künsten rede – das Buch als Objekt ist fast wie ein guter Freund: man trifft es mit Freude. Wenn es beim Lesen um reine Information ginge, wäre das anders. Aber reine Information, dafür gibt es genug Bildschirme. Haffmanns war beispielsweise ein Verlag, der wußte, wie wichtig eine leicht warme Papiertönung war, oder wie stark das material reflektieren sollte. es kann also wunderbar weitergehen. Die einzige wirkliche Gefahr für das Buch sind funktionale Analphabeten und suchtgenerierende Elektronik. Aber auch die erschöpft sich.