„Wie wir jeden Tag aufwachen und anfangen und fortsetzen müssen, was wir uns vorgenommen haben, nämlich weiterfahren zu wollen, weil wir ganz einfach weiter Fahren müssen, so müssen wir auch ein solches Vorhaben, wie die Brevetserie 2020 in Heerlen anfangen und fortsetzen…“
Er war ein uneheliches Kind und lange hat es gedauert, bis der genötigte Vater der Zahlung von Alimenten für seinen Sohn Thomas Bernhard nachkam. Viel genutzt hat es nicht, denn nur 9 jahre nach seiner Geburt in Heerlen verstarb der Vater, dem sein Sohn sosehr geglichen haben soll, daß auch das Verhältnis zur Mutter dauerhaft litt.
Uns sorglose Randonneure am Rande der Corona-kontaminierten Zone (gleich hinter der Grenze)- kümmerts wenig. Wir genießen unseren MorgenCafé in der Snow World, errichtet auf der größten Kohlehalde Heerlens, dem Wilhelminaberg. Am südwestlichen Ausläufer des Aachener Kohlebeckens wurde bis in die letzten 70er noch Kohle gefördert.
Vollendet ist die Umwandlung der ehemaligen Bergbaustadt in eine suburbane Struktur mit Umgehungsstraßen, rasterförmigen Siedlungen, geschickt plazierten Wohnrieglen, überraschend auftauchenden Häuserzeilen und Reihenhäuschen, daß es der Bernhard Thomas – anders als der Simenon Georges sein Lüttich – nimmer wieder kennen würde.
Gemocht hätte er es nicht – er war schon sehr anspruchsvoll.
Kaum weniger exzentrisch als Caféhaus Figuren eines Thomas Bernhard strebt eine bunte Gruppe aus Heerlen hinaus. Der erste Schweiß rinnt unter der Wintermontur. Auf das stürmische Regentief der Vornacht folgt dieser sonnige Morgen. Für den ersten langen Ausflug im Jahr nur recht.
Nach einer kurzen Nacht drückt der Kopf und der Bauch grimmt – warum auch immer. Die Kilometer werden alles aus dem Gedärm ziehen, was nicht zuarbeiten will. Dann sehn wir weiter. Der Parcours macht seine Höhenmeter gleich zu Beginn, es geht südwestlich Richtung Maastricht. Hier am Dreiländereck der Provinz Limburg liegen die Berge Hollands, grüne Hügel mit Gaststätten und Pensionen im Tal.
Längst sind Gruppen in Untergruppen, Grüppchen und dann zu einzelnen Fahrern zerfallen; die einen bleiben am Berg zurück, andere ziehen vorbei. Die Zufallsbekannten werden sich in der Ebene hinter Maastricht finden und dann unterwegs beschließen, die Fahrt gemeinsam zu vollenden. Man spricht holländisch im Peloton – andere fliegen in Formation konzentriert vorbei.
Die letzten Mergelland Steigungen sind überwunden, – in einer ganz langen Gerade geht es aufs Maastal hinunter. über eine Minute lang trete ich keine Sekunde mehr. Hier, in den Außenbezirken von Maastricht wendet sich die Strecke nach Norden – gerade an der Maas entlang .
Nach den Lebenszwecksiedlungen Kanäle und alte Dörfer mit alten Kirchen.
Auf Flügeln des Zephyr Richtung zur ersten Kontrolle, – nach über 80km werden wir in Thorn sein. Alle fahren schnell – schneller – am schnellsten – noch ein Bild, bevor ich sie ziehen lasse; dann greife ich zur Teeflasche, nehme die schwarze Schokolade aus der Rückentasche und lasse die flotten jungen Männer sausen. Die Kalorien treffen auf einen dankbaren Bauch der sich beruhigt hat, und dann gelingt es mir sogar, das 13er Ritzel zu ketten.
Dazwischen – Pechvögel, die an ihren Reifen hantieren. letzte Woche war Karneval, ein paar Pappschilder erinnern daran und geborstenes Glas auf den Wegen. Augen auf und Glück dazu.
Wie ein hungriger Saurier fischt der Bagger nach Kies. Die Schaufel schlägt ins sturmgepeitschte Wasser. Die Maas mäandert hier zwischen Belgien und Holland und bildet Seen aus. Oder sind es neue Ausgleichsreservoire? Hinter mir eine graue Front, die an der Sonne nagt. Wir sind so schnell, weil der Regen uns vor sich hertreibt.
Dann sehe ich auf Thorn, die schöne alte Stadtmit knüppeligen Pavés. Kontrollstop beim Pannekoekenbakker, ich freue mich auf ein erstes Bier.
Statt Energiepulver nehme man für die Trinkflasche noch ein Bitter Lemon. Weitere Fahrer klopfen in der dunkel getäfelten Stube an, von einem dunklen Grimbergen elektrolytisch beschwingt ziehe ich hinaus. Pappeln, Alleen und Gewächshäuser die immer riesiger werden, je näher Venlo kommt. Tanks von 20000Litern liegen neben den Eingängen der Tomaten oder Champignonbetriebe. Was mag drin sein: Wasser? Stickstoff? Lachgas?
Kleiner Brauereitourismus: Stammbaumreste vor Klinkerkulisse, von der Qualität ist nichts bekannt, ich habe es zu eilig dem Wind davonzufahren. Die Regenfront hatten Mitfahrer auf 13h gesetzt, jetzt soll sie uns gegen 15h treffen.
Brückenbauwerke und Wohnmaschinen im topzustand – , unites d’habitation – kündigen die nahe Stadt an. Jetzt ein langer Maasspaziergang mit Monolog.
Wäre Bernhard in Holland geblieben, wie wunderbar hätte er sich unbeliebt machen können. Lange Maasspaziergänge, die Mediokrität der Wohnmaschinen, ihre Kleinteiligkeit und Domestikation verfluchend, die Kultur der Flüssigjauche, der Wassertomate verhöhnend. Wie hätte er die Holländer von der Maas aus über die Brücken blickend verachten können für ihre Sauberkeit, ihre soziale Kontrolle, ihr wohlmeinendes Zurechtweisen an der Fahrradampel. Und ihren heimlichen Wunsch, die besseren Deutschen zu sein. Aber er hat sich Österreich ausgesucht, das ist schon gut gekommen, die Österreicher brauchten ihn mehr – bis heute.
Hier die Bahnhofsuhr, das Monument der analogen Zeitrechnung. Seht hin: ihr werdet nicht mehr viele finden in euren Städten, die tausendfach von kleinen Bildschirmen erleuchtet sind, in banger Hoffnung auf das nächste Update.
Von weitem kann man dieses stattliche weiße Haus am Ende einer Seitenstraße aufleuchten sehen. Hier einen Cappuccino mit 2 Keksen, die massiven kalorien besser gleich. Das Café liegt am Fuß eines kleinen Anstiegs ,dem Maagdenberg – dahinter kommt die Bundesrepublik und der Gegenwind.
Dahinter kommt erst die alte Grenzstraße mit verfallenen Zollgebäudem und schönen Alleebäumen, deren Blätter in den Gräben geweht werden. Dazwischen Häuser, die lange vom Kaffee und Tabaktourismus profitierten. Hier ist Ruhe eingekehrt. Obstbäume wachsen im Schatten neuer Umgehungsstraßen.
Der kleine Grenzverkehr hat sich längst umgekehrt. Dort wo Energie und Grundnahrung billiger sind, fallen Kapitalflüchtlinge in Scharen ein. Saturdays for future. Ist es nicht das gleiche Spiel, welches Körperschaften virtuell an anderen Stellen der EU praktizieren? Allein fehlt uns die Phantasie, sich den Größenvergleich in Liter Erdöl auszumalen. Wir holen uns die Gerechtigkeit an der Zapfsäule zurück. Kurbele weiter, es ist nichts als der Wind und die Welt ein Jammertal.
Einige Kilometer weiter aber, außerhalb des magischen Grenzbereichs herrscht Ruhe, Leere und Endlichkeit. Zwischen weiteren Gewächshäusern, Siedlungen, Feldwegen und windigen Ecken hin und her, – reiner Unterlenker. Keine 1000m vor der Raststelle dann erwischt mich die auffrischende Bö und brachte in Sekunden regelrechte Wetterschläge von harten Regentropfen. Schnell fort.
Böen heben und senken die schützende Plastikplane, aber soie hält dem Sturm stand ; eine Gasflamme wärmt mein nasses Gewand und ich genieße jede einzelne der Kalorien vor mir. Jede. Nur noch 60km – ohne Wind ein Witz.
Gebeugt ziehen wir durch die Ebene, unter den Wolken hindurch, die jederzeit neues Nass versprechen. Aber das Wunder der Kalorien wirkt, es ist warm. Hier geht es durch die alte Heimat (meine), das Corona-kontaminierte Gebiet wird gestreift, aber nicht berührt.
Viele Orte, viele Erinnerungen. Zuviele: sie würden einen 20 Jahre langen Monolog bilden. Die Sonne sinkt langsam über die ersten kleinen Blüten an den Straßenbäumen. Eine Drossel schlägt. Gerade als der rote Ball untergeht, erreiche ich das künstliche Paradies: snowworld Landgraaf.
29.02.20