Es waren sportliche 200+ Kilometer gestern. Regenfrei, frostfrei und in Begleitung eines schnellen Fahrers. Viel Zeit nachzudenken, genug Zeit über alles zu reden, was das Leben auf dem Rad so einzigartig macht.
Zeit, um auch über das TPR nachzudenken.
Wir hatten uns an einer kleinen Tankstelle im Dilltal verabredet, der ex Liegeradler und ich . Bis dort gab es eine gute Portion Westerwald.
Mit einigen, schönen Höhenmetern, denn viele Bäche kreuzen die Fahrtrichtung: Kerben in der Basaltpaltte.
Dann „fafnir“, so der „nom de guerre“ meines Mitfahrers, der durch seinen Koga Miyata Neuaufbau wieder die Liebe zum aufrechten Radfahren entdeckt. Shakehands, einmal Cappucino und Nußnougat, weiter. Fafnir mag keine Pausen.
Wir werden sein Revier erkunden und durch das Gladenbacher Bergland bis Marburg hinauffahren. Dort soll es eine kleine bretonische Hütte geben, in der uns vielerlei Crêpes erwarten. So der Plan.
Bei Randonneuren denkt man (unwillkürlich) an gesetzte Herren im besten Alter, körperlich in gutem Zustand. man hört hin und wieder, Brevets seien anspruchsvolle Langstrekcenfahrten, jedoch keinesfalls Rennen.
Wie es Menschen gibt, die Frankreich durch die putzigen Bilder alter Zigarettenwerbung wahrnehmen, stellen sich viele unter Breveträdern eine französisch inspirierte Randonneuse vor. Japaner haben über Jahrzehnte versucht, das Vorbild zu erreichen
Ungefähr so, wie ich es heute fahre. Es sind schöne Räder, voller Rafinessen; wahr ist aber auch: ein solches Rad schnell zu bewegen, ist (verhältnismäßig) mühsam. Langer Radstand, Geometrie, Gewicht – eigentlich alles aufs Rollen abgestimmt. Man kann auch Gepäck mitnehmen und bei gegebenen Umständen in einer netten Ecke zelten und den Traum der gallischen Lässigkeit leben.
Es gibt verschiedene Formen der Lässigkeit, auch in Gallien. Und der Sportlichkeit von Breveträdern. Mein Mitfahrer hat sich eine ganz andere Sache zusammengebaut. Einen schnellen Randonneur.
Anfangs dachte auch er, Brevets seien die Entdeckung der Langsamkeit. Aber bald war ihm klar: wer langsam fährt, ist vor allem untrainiert. Der Genuß an den langen Distanzen stieg mit der erreichten Geschwindigkeit. Training war sein Schlüssel.
„Nachdem ich in der Jugend vergeblich versucht habe, schnell zu werden, gelang das erst im Alter und über die Distanz. Nach vielen vielen Kilometern war ich auf einmal schneller denn je. Und das will ich noch zehn, fünfzehn Jahre auskosten, so lange es geht…“
Er will nicht länger als unbedingt nötig rasten (müssen) . Für ihn ist ein Brevet eine sportliche Herausforderung. Wenn er auf dem Rad sitzt, will er Geschwindigkeit und wenns geht noch schneller werden.
Seinen Rahmen wählt er von den Proportionen so, daß er ihm die Waage zwischen bequemer Haltung und sportlich ermöglicht. Erste Voraussetzung. Dann wird das Ding mit neuem Material verbessert – Laufräder im Eigenbau. Gute Laufräder, sagt er sparen 20, 40 Watt, eine optimale Kurbel noch mehr. „Trainier das erst mal.!“ In einem Brevet summieren sich die bewegten Massen auf Dauer. Also leichte Pedale, minimales Gepäck kein Ballast.
Es geht auf und ab, in langen, geschwungenen Kurven und über endlose Geraden, die mitten durchs Land führen. Unterwegs mit dem Superrandonneur. Schön rund der Tritt und eng die Beinführung.
Nach Waldstücken kommen Dörfer mit Fachwerk und einsame Höfe – doch Marburg und Gießen sind kaum 20km Luftlinie entfernt. Mit meinem schweren Randonneur spiele ich auf drei Kettenblättern und kann durch gestreckte Haltung (und abwärts Gewicht) die Differenzen wettmachen. Das Grundtempo abstimmen ist auch Gefühlssache. Irgendwann klappts.
Wie aus einem Puzzle fügen sich Teile alter Brevets und Fahrten zusammen. Ich erkenne Strecken wieder und mein Begleiter schenkt mir schöne Anekdoten aus seinem Trainingsrevier. Nach dem geglückten ParisBrest Experiment im letzten Jahr peilt er jetzt eine neue große Herausforderung an: Mille du Sud, 1000km französische Alpen.
Dieses „superbrevet“ gibt es auch schon einige Jahre. Eine harte Prüfung für begeisterte Kletterer und erprobte Randonneure. das Zeitlimit liegt bei 100 Stunden. Kleine, private Veranstaltung – natürlich kein Rennen! Doch wer ans Limit gehen will, der geht ans Limit, Respekt für jeden.
Wieder ein Anstieg im Vorfrühling – es sind noch nicht viele Farben, aber schon mehr als vergangene Woche. Die geschlossene Wolkendecke hat Löcher bekommen – der Regen wird also auf morgen verschoben.
Also ziehen wir rund um Marburg, kreuzen den Wind und meine Gedanken verarbeiten das Gehörte. Eine klare Meinung von einem klaren Kopf, der nach den 7 Regeln des Velocio lebt, tut gut. Mir zeigt sie einen Weg, der eigentlich ganz nahe liegt. Man kann jedes Brevet als Rennen oder als Tourist fahren, wie man will und wie man kann. Niemand muß, das ist ein Teil der Freiheit und gleichzeitig ein Privileg.
Der Unterschied sind die Leute, die man trifft, Erlebnisse, die man teilt. Sie halten länger vor als die Tagesform.
Es ist gut, wenn man schnell nach Brest und wieder zurück fährt. Es ist besser, wenn man etwas mehr davon hat, als den letzten Stempel auf der Karte. Dieses Mehr besteht nicht selten aus den Pausen.
Einmal Galette mit Roquefort, Schinken und Walnüssen, das blaue Chimay ist schon geleert. Das blé noir ist ein gemütliches kleines Fachwerkhaus am zwischen Uni und Altstadt. Einen Stern vergebe ich nicht, aber eine Empfehlung: man kann in bretonischen Erinnerungen schwelgen. Nach 130km ist das eine feine Sache, denn etwas über 80 bleiben mir heute noch.
Vielleicht mache ich den großen Belchen, vielleicht schaffe ich eines Tages die Mille du Sud, das weiß ich alles noch nicht. Aber jetzt, an diesem Tag, wo die Form gut ist, das Tempo hoch und die Laune entsprechend, weiß ich, was ich nicht brauche.
Was ich nicht brauche ist eine Kreditkarte, um an einem Transpyrenäen-Rennen teilzunehmen, bei dem es schon ein Rennvergehen ist, nebeneinander herzufahren und sich zu unterhalten. Ein Rennen, für das ich 10 Seiten vertragsenglisch unterschreiben darf und den Veranstalter von faktisch aller Verantwortung entbinde, außer mir einen Tracker zu leihen und meine fahrt medial exklusiv zu verwerten. Dann schließlich vom Veranstalter ermahnt zu werden, weil ich die Geschäftsbedingungen nicht aufmerksam genug lese; – wie ein Fahrschüler. Das brauche ich ganz bestimmt nicht.
Ich finde, die großartigen Athleten, die an einem Ultradistanzrennen teilnehmen, haben eine bessere Behandlung verdient; wie gesagt, es gibt da Alternativen, die älter sind als diese neue Rennform und sie auch überleben werden.
Der Reiz der Brevet et Randonneurs Mondiaux lag immer in der Passion ihrer Organisatoren. Sie haben aus ihrer Leidenschaft heraus etwas organisiert, um diese Leidenschaft mit anderen zu teilen. Sie haben kein neues Geschäftsmodell gesucht: ganz im Geist von Vélocio.
Und so hole ich mir bei Einbruch der Dunkelheit noch eine Tüte Tropifruitys und ziehe durch diese wunderbar ruhigen Hügel nach Hause, in denen schon die ersten Vögel zu hören sind.
Wen meine Absage an die Veranstalterin des TPR interessiert, der kann sie weiter unten lesen. Sonst lasse ich die Fahrt mal mit einem weiteren gallischen Ausblick enden.
Alle s/w Bilder:Libération.
Dear Anna Haslock,
it is sad to hear that such an event as the TPR ist only accessible to owners of credit or debit cards. It may have escaped your attention, that many people – even in developed countries – have good reasons (me among them) not to opt for credit cards as a mean of payment.
You have proven to be rather inflexible on this point.
By no ways do I want to interfere in the way you organise your business, but it shows far too many similarities to the corporate world and its spirit which TPR or TCR pretends to escape.
Please count me out of this TPR (and any further participations).
I furthermore wish my name and any data connected to be deleted from every lostdot mailing list, data, etc. etc.
Wishing bonne route
Christoph Sanders
ein Grund mehr, wieder einmal das alte Marburg zu besuchen und Galette zu futtern. …
Wie dein Co-Randonneur 20 – 40 Watt-Einsparung durch selbstgebaute Laufräder erreichen will, bleibt für mich ein wundersames Geheimnis. Mit den auf dem Foto abgebildeten wird das nix.
All the best – auch ohne TPR – Wie wäre es mit Berlin-München-Berlin?
Auch davon war die Rede, Dank für die Erinnerung.
Die Frage nach selbstgebaut oder nicht ist für die Watt-Ersparnis eher sekundär. Man kann stattdessen auch sehr viel Geld in die Hand nehmen und einen ultraleichten LRS von der Stange kaufen, der sicherlich noch paar Watt mehr spart als ein selbstgebautes Standard-Dingens mit 32 oder gar 36 Loch und Nabendynamo. Nicht dass ich für diese Lösung plädieren würde, aber ich denke, was sich mit einem selbstgefrickelten LRS oder einer anderen Kurbel einsparen lässt, ist doch recht überschaubar.
Ich werde Gelegenheit haben, mit dem Laufradbauer zu reden. Eine 28/20 Kombination ist nicht gerade trivial. Unter den gegebene Voraussetzungen Nady und Felgenbremse wird sich schon ein Vorteil ergeben.
So genau habe ich auf dem Bild da oben nicht gezählt, unter der Prämisse 28/20 mag es angehen mit der Ersparnis. Frag bei der Gelegenheit bitte auch gleich nach der Energiesparkurbel. Ich als Kranker muss ja auch sehen, wie ich mit minimalem Kraftaufwand vorwärts komme.
Die Kurbel ist eine Sugino mit LK 110 und 103er Welle, sowie Zephyr Kettenblättern (extrasteif). Ich denke, die Kraftersparnis bezieht auf sich ein Gesamtsystem, Position inbegirffen. Die guten Laufräder sind darin ein Faktor unter mehreren.