Two is Company

Frühlingsbeginn,  – Tag 4 : „Two is company – three a crowd . . „ .

Dazu ein Virologe

„Auf Dinge, die schön sind, aber nicht systemrelevant, wird man lange verzichten“.

Das muß nicht sein, denn die systemirrelevante Variante des Radwanderns zu zweit trifft genau in die pandemische Lücke. Auch wenn Menschen, die ihr Rad mittlerweile als sytemrelevant empfinden, immer  häufiger werden.

ab1Es ist angebracht, den Beistand des heiligen Blasius zu erbeten. er ist für die Atemwege zuständig. Genauso haben ein Mannheimer und ich das heute mit den großen , firmamentblauen Rahmen gemacht. Pilgern und Segen einholen. Und an der Luft sein.

Wir bewegen uns unter dem Radar der öffentlichen Beobachtung. Das große AA-Gazelle Stück (RH66) hat ein brüsselblouwes Kleid, eine Farbe die an das dunkle Blau Delfter Kacheln erinnert, mein großes (RH63) Koga trägt die Hausfarbe, bei der ich einen guten Schuß Lapislazulipigmente vermute. Farben, die der Sonne gefallen.

ab15In der Öffentlichkeit schränken wir uns auf Paare und Familien ein, wobei es mit Patchworkfamilien zu interessanten Zwischenmodellen plus Erklärungsbedarf kommen könnte.  Eine wirkliche Ausgangssperre gibt es aber für die erste Frühlingswoche vom 22. März nicht, eben nur eine deutliche Reduktion der Klumpenrisiken die gemäß einem alten englischen Sprichwort  mit „three is a crowd“ definiert sind.

Er beginnt  fulminant,der Frühling 2020; und da alle Klassiker abgesagt sind, sollte man seine eigenen Klassiker fahren. Die Hachenburger Hausrunde beispielsweise.

Diese Runde ist eine Werbefahrt für den tieferen Westerwald, eine Fahrt die  uns Möglichkeiten jenseits von Lusthansa noch DumpingAir zeigt. Solche Ausflüge ins nahe Grün galten lange als nicht ganz zeitgemäß, das kann sich schnell ändern. Über die Festung Westerburg geht es nördwärts bis Hachenburg.

ab4Westerburg erwartet uns mit seinem Viadukt , den die Sonne dunkelrosten leuchten läßt –  so überspannt er das Stadtpanorama. Wir inspizieren die Möglichkeiten der Verkehrswende und von hier, kann ich alle Stadtteile zeigen. Interessieren wird uns heute besonders der ehemalige Bundeswehr Standort. Kamerad mark793 hat hier jede menge glückliche Stunden in der Nähe von Raketen verbracht.

Die Sonne senkt den blick auf die Schwellen. Da sind Zeichen.

ab2 Das Licht bringt uralte Reliefs an den Tag. Ungewollt ist man Industriearchäologe und entdeckt Schriften, die beweisen , daß Gußstahl 100 jahre hält. Stahlwerke sind auf den Schwellen gemarkt, die meisten aus Dortmund oder Bochum.

Jetzt nicht mehr. Was man an Stahlwerken nicht verschrottet hat, wurde demontiert und mit Kokerei in China wieder aufgebaut. Chinesische Kohle oder Pakistanische ist dort eben viel leichter zu verfeuern als hier.  So sind die Sitten.

ab5Dann ein kleiner Blick weiter hinten ins Tal. Auf der Suche nach dem alten Bundeswehrstandort ,von dem man hinter dem Gehölz nur noch Fahrzeughallen und ehemalige Heizgebäude sieht. Die Unterkünfte sind geblieben – der Sperrmüll davor ist wirklicher Sperrmüll.

Kurz salutieren wir im Andenken an den Wahl-Westerburger und ziehen zur Stadt hinaus.

ab6Die Sonne steigt immer noch und der stetige Ost läßt den Aufstieg auf die Kuppen leichter scheinen. Verkehr wie vor 50 Jahren. Jetzt erleben wir das Gefühl eines ruhigen Sonntags noch intensiver – um uns nichts, über uns nichts, der Himmel bleibt ungestört blau, es sind nur die Schaltrollen und das Surren der Kette zu hören

Nur das Zwitschern einer Aluminium-Schaltrolle stört überlaut. Es verlangt nach Öl.  , – Dort hinter der Kurve kommt ein Trödler, der hat das ein- oder andere Tröpfchen sicher beim Sondermüll. 10W40 läßt sich bei 6Celsius noch bestens verpinseln. Voilà, surrend bewegen sich die Glieder.

adom versoDoch dabei bleibt es nicht. Der Container spuckt ein Stück Metallurgie für die Trikottasche aus. Man nennt es Kunstguss, ein Handgießverfahren, mit dem man verzierte Ofenplatten, Untersetzer und andere Stücke fertigte; dieser Guß stammt von einer traditionsreichen Firma, wie die Rückseite zeigt.

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Nennt es Nippes. Aber ein gewisse Tradition steckt drin und die ist haltbar. Es basiert auf einer Technik, die um 1731 eingeführt wurde. Dieses Stück stammt möglicherweise aus der Gießerei Hirzenhain, einem der ersten Buderus Werke. Familie Buderus, deren Expansion das Lahntal zur frühen Industrialisierung verhalf. Tausende aus dem Lahntal dürften in den dieversen Gießereien in Stellung gewesen sein, als das Ruhrgebiet noch ein zarter Keimling war. ab10

Wir ziehen weiter durch das Land der Ascheplätze, Richtung Hachenburg, der stolzen Festung. Die Burg, ein riesiger Kasten, ist schon lange im Besitz der Bundesbank. Mitarbeiter werden darin geschult. In sie setzen wir unsere Hoffnung, dann wird es mit der kommenden Rezession vielleicht nicht ganz so schlimm. Rezession ist an so einem Tag auch ein ganz unpassendes Wort, keine Analysen mehr: Frühling jetzt. Das blaue Band weht im steifen Ostwind. Die Altstadt strahlt – doch auch hier alles geschlossen.

ab8Mittagsrast an der bekannten Tankstelle. Mitarbeiter hinter Plexiglas. Die Cafés werden draußen an der Sonnenwand eingenommen. Es ist auffällig, wie verhalten der Betrieb an dieser sonst so belebten Tankstelle ist. Trauen sie den Preisrekorden nicht?

Eigentlich müßten Motorräder ein- und ausströmen, um sich ins Nistertal zu stürzen. Wir dagegen genießen die Ruhe und Sonnenwärme an der Hauswand und können uns schon auf den Beton setzen. Mit staunen lesen wir den „Test“ über Wolltrikots für Vintagefahrer, unsere Brüder im Geiste

Die Preise für den kurzärmeligen Stoff gehen von 70 bis 170 Euro. Nur ein Trikot ist tatsächlich aus reiner (Merino)Wolle. Die anderen sind sämtlich nur 50/50, im Grunde also keine Konkurrenz. Immerhin braucht man sich jetzt nach nichts anderem als einem ORWI- trikot umzusehen. Aber Obacht: die Tester fanden es ein wenig zu schwer.

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Nach dem Produktsprech (keine Brüder im Geiste) zurück in die Wälder. Geschützt vor dem jetzt böse zuströmenden Ostwind geht es auf und ab, das Virus ist weit weg, genieße die Luft. Nimm die Sonne mit, lasst die Reifen singen. Gute Laufräder sind das halbe Leben. Einige Dörfer Seen und Waldstücke später

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Der weite Blick nach Westen, unten liegt Hartenfels, weit hinten die Mosel und das Siebengebirge. 40 Kilometer von uns ist die Welt blau. Immer noch kein Kondesstreifen, immer noch kein Geräusch , es ist der leiseste Sonntag des Jahres. Weit hinten hebt eine Lerche ab. Und doch ein Traktor , but that’s ok.

Brüder im Geiste. Ciclismo e cosà mentale – wir haben unsere Form gefunden zwischen den Fanboys der UCI, den Rennaspiranten, den RTF Simulanten, den Liegerad Apologeten und Radwegkontrolleuren in ihrem ewigen Kampf gegen das Böse.

ac6Wir haben die Möglichkeit, unter die Pandemie hindurchzuschießen.Wir sind lange gefahren, fast täglich, um so einen Tag über die Hügel und gegen den Wind zu genießen wie einen Spaziergang. Denn wir haben die Form gefunden: ein Rennrad ohne Rennen, Unterlenker, weil es sein muß, nicht weil es schneller aussieht. Gestreckt, weil es auf viele Kilometer die Kraft spart, die man für seine Ziele braucht.

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Wie im Flug ist die zeit vorüber, als die Runde sich an der Molsberger Eiche schließt. Auch die große Gazelle bekommt ihren Segen, ruhig und zufrieden blickt die Madonna  auf des dunkelblaue Champion Mondial.

Wir haben Hunger und schwingen uns wieder in den Sattel.

22.03.2020

 

 

 

 

 

 

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3 Antworten zu Two is Company

  1. monnemer schreibt:

    Wunderschöne Runde, ebenso schön beschrieben.
    Wie sich die Hausrunden in nackten Zahlen gleichen, und doch ist der Wester- ganz anders als der Odenwald.
    So viele weite Blicke gestattet der Odenwald nicht, da isser sehr zurückhaltend.
    Herr mark793 muss doch sehr gefroren haben auf seiner Wache im scharfen Wind…

    • mark793 schreibt:

      Auf Wache war es noch erträglich, die Wachtürme hatten eine rudimentäre Heizung, aber auf Streife und bei Gefechtsübungen draußen war mir oft erbärmlich kalt. Selbst im Sommer sorgte der Wind dafür, dass es nie so richtig heiß wurde.

      Aber hier in der Ebene hat es die letzten Tage auch ganz schön kalt gepfiffen. Bin vorhin gegen den Wind Richtung Krefeld/Duisburg gestartet, da haben mir echt die Augen getränt, weil ich leichtsinnigerweise die Brille zuhause gelassen hatte.

      Übrigens: Das Blau der Gazelle ist wirklich wunderschön!

  2. crispsanders schreibt:

    Meine Fuji hat einen EXR Sensor . . .

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