Das Frühjahr ist ein heller Blitz. Kirschbäume, die in der letzten Woche vorgeprescht waren und als weiße Fixpunkte überall herausstachen sind mittlerweile verblaßt und von anderen Farben eingeholt. Vor wenigen Tagen nahm ich ein Rad, um die stärkste Persönlichkeit unter den wilden Bäumen zu finden. Eine Erinnerung.
An einem kleinen Mittelgebirge kann man im Naturzyklus nach Belieben rück- oder vorwärts gehen. Je höher ich komme, desto langsamer tickt die Jahresuhr. Unten an der Lahn sind schon die rosanen Zierkirschen voll entfaltet, während oben im Westerwald die Wildformen gerade beginnen.
Hinauf Richtung Hachenburg – zurück in der Zeit. Das italienische Rad mag Sonne, da erst kommen die Chromteile richtig zur geltung. Der rot-weiße farbverlauf kann Erdbeereis mit Sahne gesehen werden, doch die Eisläden sind gerade geschlossen.
Heute deute ich ihn als blühende Kirsche.
Westerburg leigt hinter mir, die Innenstadt dekoriert ihre verwaisten Schaufenster mit abstrakten Bildern. Im Vorbeifahren wirkt es, als ehre der Westerwald Jackson Pollock mit einer späten Ausstellung.
Am Waldsaum treten regelmäßig weiße Flecken auf, die Bänder der Schlehen werden von den Punkten der Kirsche abgelöst. Steht sie auf dem Feld allein, bildet die Krone eine gleichmäßige Kugel, ein gut proportioniertes Oval, dessen Blüten die Zweige verdeckt. Am Waldsaum ragt der blühende Baum oft als Halbmond heraus, der sich zur Sonne vorstreckt.
Die Straßen sind wirklich wenig befahren.
Ein sehr feiner Duft liegt über allem, weiter unten zieht sich die Nister durchs Tal, dahinter Bad Marienberg mit großer Antenne, die den höchsten Teil des Westerwalds markiert. Ein Ausblick für spätere Fahrten, hier bleibe ich westlich innerhalb der Grenze, die der kleine Fluß zieht.
Der kurze Abstecher zur Büchertelefonzelle, eines der englischen Modelle, die man sich als Partnerstadt hinstellte, bringt immer kleine Überraschungen. Ein Nolde Kunstbildband im Rückentaschenformat. Gedruckt Anfang 1960 auf schwerem Kartonpapier. Inzwischen leicht anrüchig ,waren die See- Blumen- und Landschaftsbilder Noldes noch vor 50 Jahren Symbol künstlerischer Ausdrucksfreiheit innerhalb des Dritten Reichs. Geschenkt. Dei dekorative Wirkung der stark leuchtenden Pigmente bleibt; – ich sollte daraus CD Hüllen basteln . . .
Viel zarter die Farben am Horizont. Nach den schönen Tannenwäldern, die Hachenburg von Süden einrahmen, geht der Blick frei übers Land. Rotoren als Krone des nächsten Höhenzugs, blühende Bäume liegen ihnen zu Füßen.
Langsam schließt sich der Kreis um Millionen Blüten. Die Ascheplätze der Dorfvereine sind seit über einem Monat unbespielt. Wie die jungen Hunde werden sie in einigen Wochen losstürzen, die Fans müssen noch ein wenig warten, wie überall. Es bleiben die stillen Freuden: der Kirschbaum mit der stärksten Persönlichkeit.
Das Strobl ist schon ein feines Rad. Lebhafter als das große Koga, das ich zuletzt fuhr, kürzer, auf 23mm Reifen auch unruhiger, und mehr Überhöhung: alles kleine Varianten, an die sich der Körper anpaßt. Das einzige und ideale Rad gibt es nicht, jedes bietet seinen Reiz.
Am Trafoturm beginnt das Finale der Runde. Von hier an geht es allmählich abwärts, ich glaube, die ersten Apfelblüten zeigen sich.