Links sterben die Fichten, rechst wächst der Wald weiter. Wir bewegen uns frei, fühlen uns frei und doch gibt es Regeln, nach denen die Welt sich formt und verändert . Nicht ignorieren, auch die eigenen Grenzen im Blick halten – hier ein Versuch, bei dem mit diesen gespielt wird.
Mein großes blaues Koga ist ein gutes Roß, vor zehn Jahren angeschafft, umgebaut, verfeinert -seit 5 Jahren hat es seine Form gefunden. Der Rahmen blieb unerschütterlich.
Jetzt rollt es wieder den Hang hinauf und kreuzt andere Urgesteine. Überall wird gemäht und diesmal ist es ein gutes Heujahr. Immer wieder Regengüsse, wechselnd mit milder Wärme. Ein Frühsommer.
Ich bin kurz unterwegs in den Westen, nördlich von Montabaur überquere ich die Autobahnen, die mir den Weg versperren, folge den kleinen Senken und kreuze die letzten großen Waldpartien vor dem Rhein. Überall Mischwälder mit Roststellen, gerodete Partien, zwischen schon das Grün nachkommt.
Besonders stark wächst auf den Flächen die magentafarbene oder pinke digitalis, : Fingerhut. Ein Fingerhut liegt seit Jahrhunderten in jeder Nähkiste und jeder Haushalt hatte seine Nähkiste, seine Reserve an Stopfwolle, Bindfäden un kleinen Knöpfen. Knopffabrikanten gab es im ganzen Land. Genau wie Räder kann man Jacken über Generationen weiterreichen, oder unter den nachwachsenden Kindern verteilen. Mend and make do – mit Rädern aus Stahl kann man das auch.
Unerschütterlich rollt mein Koga an allem vorbei, quirlen die schlanken alten Dura Ace Kurbeln, kaltgeschmiedet. In der Genealogie der japanischen Miyata Rahmen ist dies ein beinahe Spitzenprodukt, ein handgemachter Rahmen aus dem FM2 genannten Stahl, eine etwas kräftigere Variante der Chromoly-Stähle von Miyata. Ins Gewicht fallen die 0,2mm Wandstärke kaum, vielleicht mit 200 gramm auf den Rahmen. In dieser Größe ist das sinnvoll ist: sehr spürbar, wenn es unbeirrt seine Spur zieht in der steilen Abfahrt zum Sayntal.
Rennradrahmen werden gern nach Namen bewertet – für das einst leichteste Rohr, 753 von Reynolds – werden heute mindestens doppelt so hohe Preise gezahlt. Der gewichtsvorteil von 20% wird nur selten mit anderen Verbesserungen erkauft. Das dagegen schwere Cinelli SLX Material in verbindung mit gegossenen Muffen fährt sich in meiner Erfahrung straff und elastisch, schwingt angenehmer aus. Es sind marginale Unterschiede. Man könnte sich endlos einlassen über die Güte und Eigenschaften der Stahlsorten. Handlötung macht einiges aus, ein gut gelöteter Rahmen vom Meister bewahrt mehr von der ursprünglichen Zugfestigkeit des Stahls, da geht mehr als bei der Rohrsorte.
Hier bei Miyata haben sie Silberlot verwendet und alles vollendet gemacht. Die kleinen kronenförmigen Aussparungen der Muffen sind das Siegel. Sucht einen gut gemachten Rahmen der euch passt in einer schönen Farbe!
Nach meinen Besorgungen überhole ich die Ankurbler unserer Wirtschaft, die sich vor den großen Hallen zum Stau vereint haben und nutze die Schleichwege nach Koblenz. Alte Hauptstadt der Rheinprovinz: 4 Rheinbrücken, 2 davon mit Gleisen,Knotenpunkt von Wasser und Verkehr.
Nach Stunden kann ich es nicht mehr verheimlichen: vor einem enormen Hamburger fühle ich mich wohl und freue mich, wenn diese Adresse die Pandemie überlebt. Der Siebeck des Hamburgers sagt: außen knusprig gebraten und innen schön heiß und elastisch, ohne blutig zu sein. Frische Salatblätter und für die Tomaten gilt in diesem Jahr das gleiche wie für s Heu: es gibt keine schlechten. das Ei zerfließt on top, die Mayonnaise ist beinahe echt, die Zwiebeln und Gurken sind vollkommen. Alles ist da: Vitamine, Proteine, Eiweiß und Spurenelemente. Vor allem aber Genuß.
Zurück, wieder ostwärts über den Rhein, die gute alte Lahn entlang. Das Training beginnt hier, vorher war einrollen. Ich will die tiefe Position und das konstant hohe Tempo üben, die Kraftausdauer. der Wind kommt wechselnd ,mal leicht von vorn, dann von der Südseite über die Lahn geweht. Unterlenker.
Einen Vorfahrer ausgemacht, der die Strecke verläßt, bevor ich ihn einhole. Schade.
Traktoren überholt, die ihre Maschinen artfremd an den Anschlag bringen.
Durch das einst mondäne Bad Ems geschlängelt. Hier die Depesche des Kaisers, hier läßt Fontane seine Effi vom Duell ihres Gatten (so sagt man doch wohl) erfahren, hier spielte die wirkliche Clara schumann zuvor und der wirkliche Dostojewskij. Die Revolution war im Grunde schon vorgedacht, vorgezeichnet und in Preußen werden noch Standesprobleme verhandelt.
Den Arbeiter des Rades betrifft es wenig, er muß im Takt bleiben, er schindet sich an der Sauerstoffgrenze. 2 Stunden von Koblenz bis nach Hause – das ist der Maßstab. Ich nutze 17 Zähne hinten, 15 in den Abschwüngen, das Koga hat einen 6fach Kranz, der keine halben Sachen erlaubt. Schön lang machen, tief atmen, an nichts denken, nur die bekannten Landmarken anpeilen. Obernhof, Kalkofen, Nassau, paddelnde Kanus. .
Nach einer Stunde biege ich ins Gelbachtal ein, jetzt die nächste Übung: tempo halten bei leicht ansteigendem terrain. Nur Bäume sind Zeugen, ich bin so gut wie allein, warum auch immer. Motorräder müssen heute eine sehr schlechte Wetterprognose gehabt haben- heute nur ganz vereinzelte Vertreter. Auch mit Rädern ist es mau, ein Zullo kam mir entgegen, das wars fast schon.
Radsport ist am Ende immer ein einsamer Sport. Die Blätter rauschen im Wind und ganz am Ende, wenn ich das Tal in Isselbach wieder verlasse, finde ich noch eine schöne frische Quelle, die ich dringend gebraucht habe. Die schön bemalte Brunnenwanne ist klar bis auf den Grund.
Noch einmal 4km richtig arbeiten, den Anstieg nach Eppenrod, im Halbschatten über den Kühen und Pferden, deren Schweife wedeln. Langsam schon wird das Korn gelb. Darüber noch die weißen Rotoren. Der letzte Anstieg – dann bin ich über den Regenbogen.
Oben lass ich es rollen, es ist genug. Zum Tee bin ich am Ziel. Über zwei Tage werde ich krank sein. Beinahe krank.