Geschichte einer Begegnung mit der Urform des Lifestyle – Rennrads
Die letzten 10 Jahre haben es gezeigt: die Feizeit schuf einen schier grenzenlosen Markt. Es gibt in fast jeder interessanten Nische passende Produkte samt medialer Betreuung . Das special interest Segment „Rennrad“ bringt es auf drei Magazine, die den schmalen Randstreifen bearbeiten, auf dem das Gras der fetten Marge wächst. Wir sind weit gekommen.
Wie sonst hätten wir die 10k-Euro Marke in diesem Jahrtausend durchbrechen können? Wie sonst gäbe es so gut wie in jedem Jahr komplette Neuauflagen an Zeitfahrrädern, Gravelrädern, herkömmlichen Rennrädern und weniger herkömmlichen. Jedem special interest wächst ein special interest nach und der ganze Randstreifen muß neu gemäht werden weil die Performance stetig besser wird. So they say.
Später Oktober 2020 :
Allein das Rennrad mit Schutzblechen ist als Freizeitmaschine noch nicht gewürdigt, zu stark haften ihm die Zeichen des Arbeitspferdes an: Bleche, an denen der Winterschmutz, das Wasser und die ganzen Reste von Gummi und Bremsabrieb ebenso hängenbleiben wie der feine Dunst von Streusalz, der nun wieder in der Luft liegt. Schmutz und Elend der Radkurtisanen.
Doch genau damit, meinem grundehrlichen Marschall, werde ich heute eine Reise zu den Anfängen aller Sonderformen des Rennrads unternehmen, zur Mutter der Spezialräder, zum grünen Monster unter den Lifestyle-maschinen. . .
Es ist also frisch an diesem morgen , nicht ganz so frisch wie am gefrorenen Vortag, reicht aber doch für zarten Reif auf den Feldern unter Sankt Lubentius. Ich fahre nach Süden, gleich schließt sich mir der Gefährte Fafnir an und so
durchqueren wir Triften und Auen, die uns allein gehören Die Sonne lacht uns ins Gesicht und nimmt der Luft die Schärfe. Der Taunus sieht stumm zu, wie wir an ihm vorbeiziehen.
Nach einer kleinen Rast im Städtchen Hofheim (mit Kaffee vom neuen Begleiter „Dave“) geht es gemeinsam an den Rhein. Dort irgendwo soll es auftauchen, das grüne Monster. Die Erscheinung dieses seltenen, historischen grünen Sondermodells dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Der Begriff Weltsensation ist nicht übertrieben, denn es ist das letzte fahrende Exemplar dieses Urahn aller special interests bikes.
Seine Geschichte
Schon seit einigen Monaten ist es auf Tour und wird für die mutigen Freiwilligen der Aktion zurechtjustiert. So umrundet es Etappe um Etappe ganz Deutschland, bis es eines fernen Tages am Ort seines Ursprungs museal verewigt wird. Es handelt sich um ein Kuriosum aus den 1980ern, direkt aus der Keimzelle unserer neuen Freizeitgesellschaft , der Ära von Tennis, Golf und Aerobic….
Das Rad, von dem die Rede ist, war eine Sonderfabrikation der Fahrradfabrik Schauff /Remagen für den Kosmetikhersteller Lancome. Es ist das allererste Rennrad der Welt, das von einem Golfer geziert wird, dem Emblem einer Duftwasserflasche. Aber erst einmal weiter dorthin, wo seine letzte Position gemeldet wurde. . .
Wir durchqueren beschauliche Orte am Weinhang
Wir überqueren den Main und sind im Süden
Wir sondieren die Pandemielage in Groß Gerau und dann geht es zum incognito Treffpunkt an den Rhein, mitten unter nichtsahnenden Sonntagsradlern, die vor dem großen Winter ein allerletztes mal zum Schaulaufen angetreten sind – wie wir.
Tags zuvor noch stand die gesuchte Maschine beim Willi Altig in Mannheim. Er ist der 84 jährige Bruder des legendären Rudi und eine Saison lang fuhren sie im gleichen Team, 1964 muß das gewesen sein. Heute noch steht er in seinem Radladen und ist sehr gern bereit, das Scheibenrad des grünen Monsters zu signieren. Bruder Rudi war damit einst über die neuen Golf – und Tennisresorts an der Algarve gekurvt, so als schickes kleines Accessoire des Golfers auf zwei Rädern.
Mit dem alten Schauff verbend die Altigs eine lange Beziehung, aber wäre es nach Rudi gegangen, wären an diesem Rad viele Details gelungener. So blieb es bei einer gelungenen Mimikry – was im Lifestylebereich ja oft die halbe Miete ist.
Etwas Besonderes ist das Schauff Trophée allemal, das sieht man gleich:

Jedem fällt sofort das kleine Vorderrad auf, eine 24 Zoll Größe, die sonst nur an Kinderrädern verbaut wird. Wer genau hinsieht, bemerkt, daß nicht nur die Naben sondern auch die Speichen weiß lackiert wurden. Die 80er in ihren frischen Farben und ihrer Vorliebe für den Suffix Aero, der ja heute eine ganze Gattung von Rädern beflügelt, die dem ultrasportiven Fahrer kostbare Watt erspart.
Hier ging es zunächst einmal um Optik, Optik, Optik. Die Bauform kam mit Rädern fürs Mannschaftszeitfahren auf -ein kleines Vorderrad erlaubte geringeren Abstand zum Vordermann – und die kolossale Überhöhung mit dem Hornlenker sah schon im Stand überaus schnell aus, ein Akzent, den die elegante Kettenscheibe noch verstärkt.
Wer weiter auf Details schaut ist zu pedantisch: es will gefahren werden.
Selbst ein ungeübter Golf- oder Tennissportler wirkt auf diesem Monster erst einmal gefährlich sportlich, weil sich der anmutige Flachrücken von selbst einstellt. Gleichzeitig sind aber schon die 10 Kilometer zum Green in dieser Haltung eine gewisse Herausforderung. Umso größer der Mut unseres Probanden U.B. aus Mannheim, der sich mit seinem Gardemaß über mehr als 100km dieser Haltung unterwirft.
Wir alle haben gestaunt, sind kurz probegerollt und dankbar wieder abgestiegen. Das Rad läuft vor allem geradeaus, über die Komponenten schließe man gnädig die Augen. Aber es ist in seiner Art durchaus ein Sportgerät. Und es verlangte einigen Zuspruch auf der Rückfahrt, damit die Strapaze nicht ins Unerträgliche wuchs.
Da halfen auch die perfekten Bedingungen nichts, das Showpiece ist kein Alltagsrenner für lange Touren– aber es weckt auf seine Weise Erinnerungen. Erinnerungen an eine Zeit, die Hedonismus als Lebenshaltung in unseren Breiten entdeckte. Menschen wollten Cabrios, tranken beim Italiener Prosecco, die Vorbilder aus „Kir Royal“ (einer Fernsehserie) wurden zögerlich kopiert.
Sport wurde zur demonstrativen Lifestyleoption, er war keine Leibesertüchtigung mehr, sondern ein sozialer Erfolgsbeweis. Damals, als wir jung waren und der ballonseidene Trainingsanzug als Ausgehuniform diente .
Jetzt müssen wir uns eine Pause zwischendurch gönnen, an dem die Geschicke der Firma Schauff nacherzählt werden können.
Nachdem aber der Main überquert war, gab es für die Maschine kein zurück mehr.
Die Übergabe erfolgte nach neuem Ritus – Pandemie oblige. Und schon wird das grüne Metallstück eine weitere Strecke durch Deutschland zurücklegen.Bis es eines Tages in Remagen einrollt und für immer an die hohe Wand des Museums kommt.
Wir aber rollen weiter, wieder zurück, am taunus vorbei und Knipsen die Leuchten bei Büchsenlicht an. Es war ein langer, runder Tag mit echt feinen Kerlen.
Sehr schön geschrieben! Den Rahmen hat SIMONCINI in Italien gebaut. Es gab damals eine Enge Verbindung zu Hans Schauff in Remagen und Rudi Altig fungierte als technischer Berater. Es wird gerade ein ähnliches Rad in Bremen angeboten, das ich mir ansehen werde.