Die Tage werden kürzer, die Straßen schmutziger, der Asphalt immer kälter. Manche fahren gar nicht mehr auf der Straße, wollen nur noch windgeschützt in den Wald und sich auf dicken Reifen warm strampeln.
„Reifen sind die günstigste Möglichkeit, Geschwindigkeit und Fahrverhalten ihres Rades zu verbessern“. Das sagte der ehemalige Entwickler der Continental Rennradreifen, aus dessen Labor möglicherweise meine Vintage Exemplare stammen, dessen naturkautschukfarbene Karkassse so schön mit dem übrigen Rad harmoniert.
Kann man einen solchen Reifen, wenn man ihn ungebraucht oder gar noch verpackt findet, überhaupt noch fahren? Nein, wenn man einen Hersteller fragt – er muß für die Funktion haften. Nein – wenn man einen Radladen fragt – er kann ihn nicht mehr verkaufen. Ja, wenn man mich fragt : ich habe es probiert.
Und zwar auf der nicht mehr zeitgemäßen Breite von 23 mm. Niemand wird bestreiten, daß es sich hierbei um Rennreifen handelt, keiner aber kann sagen, ob sie noch mithalten können – außer mir.
Nachdem es auf dem schicken AeroLaufradsatz neulich mit dem Einrollen geklappt hat und auf Asphalt einen ersten Tauglichkeitsnachweis lieferte, geht es jetzt in die verschärfte Belastungsprüfung. Kann ein 25 jahre alter conti grand prix außerhalb der glatten Piste aktuellen Gravelbikes noch das Wasser reichen, oder wird er sich als einfach unfahrbar erweisen?
Auf dem Belag der ehemaligen Bahnstrecke ist nur das schöne, hohe Geräusch der leise rollenden Reifen zu hören. Unhörbar und gleichmäßig gleitet das große Koga Miyata (RH63) unter mir dahin. Ab 350 Metern über NN ist die Sonne durchgebrochen und macht aus einem trüben, späten Novembertag eine leuchtende Offenbarung. Es geht noch höher .
Schon bald habe ich die Laborbedingungen verlassen und begebe mich auf ein gesperrtes Stück Flickenteppich. Der alte Grand Prix muß jetzt die unsauberste Bahn fahren, so kann ich das Fahrverhalten besser beurteilen: er läßt am Untergrund keinen Zweifel. Über den Rundlauf kann jedoch nichts mehr gesagt werden, bei knapp 8 bar Arbeitspunkt ist jeder Qualitätsunterschied der Strecke spürbar. Das Rad bleibt beherrschbar, dem klassisch proportionierten Rahmen und 100,5 cm Radstand läuft nichts aus dem Ruder . Der Graveler kann nicht punkten.
Dann der wahre Grund für die Straßensperrung: eine frisch gefräste Bundesstraße, die vor dem großen Frost noch eine neue Decke braucht.
Hier wird nicht nur der Reifen heftigst gefordert, auch der Steuersatz und der gesamte Aufbau geraten in Vibration.
Ich versuche, die optimale Geschwindigkeit zu finden, um die angenehmste Resonanz zu ermitteln. Eine Folter für Reifen, Mensch und Rohrsatz. Wenn die schmalen Contis hier nicht auseinanderfliegen, ist ihre Karkasse noch für viele Kilometer gut. Jedes Fatbike allerdings würde hier mühelos rollen. Vibrieren würde es auch, nur etwas sanfter…
Eins ist nun sicher: die Karkasse des Grand Prix ist gut, auch 20 Jahre nach Produktionsende.
Ich kann auspendeln, alles hat gehalten. Freiwillig würde ich mit keinem Reifen diese Piste befahren – aber man hat nicht immer die Wahl. Über eine Straße, die ich zuvor noch einen üblen Wirtschaftsweg genannt hätte, gleite ich nun wohlig dahin. Alles eine Frage des Maßstabs. 1930 hätte man diese Verhältnisse für sehr gut befunden – keine Schlaglöcher! Es läuft . Die Oberahrer Berge nördlich von Montbaur sind ein Eldorado der kleinen Kurven, Straßen und ihrer Beläge. Dei Kurvenhaftung ist vorbildlich.
Nun über kleine Wege und kleine Dörfer. Auf die halbnasse und schmutzige Piste am Waldsaum. Keine Probleme mit der Haftung.
Und da sind ja auch die Vergleichsobjekte: unsere Gravelbiker, deren wulstige Noppenreifen dem Schmutz kaum Platz zwischen der Gabel lassen. Schlammtriefend kommen sie mir entgegen, einer sieht sorgenvoll auf den Hinterbau. Der Unterschied in der Reifenbreite dürfte gut und gerne 20mm betragen. Welten also, Galaxien. Wir grüßen uns kurz.
Dabei bin ich auf Breitreifen unterwegs, wenn man die Bücher der Jahre 1985 bis 2000 zu Rate zieht. Da nämlich sollen 20mm (oder 18!) mit 10 bar Trumpf gewesen sein, am besten auf knochentrockenen Alu. Damals wäre ich ein lascher Tourist gewesen heute aber . . . rolle ich unerschüterlich weiter. So ändern sich die Zeiten und ihre Dogmen.
Das lustige an diesen Reifen : man fühlt sich allein deshalb schneller, weil sich das Rad viel „lebendiger“ bewegt. Jetzt in die Anstiege – Das Gravelbike muß kämpfen, um Anschluß zu halten…
Der schöne Teil der Prüfung kommt bergauf, denn es ist schon deutlich, wie die spontane Reaktion auf den Wiegetritt auch als Leichtigkeit empfunden wird. Es sind halt keine Walzen und die frühen Grand Prix rollen auch straffer als ihr Nachfolger „3000“ in der gleichen Größe, fällt mir dazu ein. Beides Reifen vom gleichen Entwickler (imho).
Endlich noch die Mischung von Schotter, Laub und Walderde. Einige problemlos Kilometer des „grünen“ Radwegs, man achtet nur genauer auf die Fahrspur, somst alles wie gehabt.
Könnte man noch mit einem Gravelbike mithalten? Vermutlich ja, die Grenzen werden bei Sand und Matsch erreicht werden, nicht auf dem Trockenen. Entscheidend ist die Geübtheit des Fahrers, die Vertrautheit mit seinem Rad. Natürlich bewegt sich ein 35mm+ reifen narrensicher über jedes Gebiet, stellt vor allem für Gepäck und Langstrecke einen schön rollenden Kompromiß dar. Hat der Conti Entwickler mit dem Grand Prix recht behalten? Auf jeden Fall, was das Fahrverhalten betrifft.
Doch welches Gefühl möchte man haben? Was will man spüren, wie will man sich bewegen mit einem Rad? – das sind die Fragen, die jeder mit sich ausmachen sollte. Ginge es um wirklich grobes und unbefestigtes Terrain, würde ich eher zum guten alten Mountainbike raten, so aber finde ich einen tag auf 23ern genußvoll machbar.
Und der vintage Grand Prix? Für alle, die es interessiert: ja, man kann mit einem uralten Reifen sehr gut fahren, wenn er gut erhalten ist, nicht zu porös, geschmeidig und rund läuft. . . Die Erfahrung mache ich gerne wieder.
Eine technische Randnotiz zu Rollwiderstand und Dauerleistung.
Die gleichen Reifen habe ich auch noch montiert auf einem Laufradsatz.
Dann sind wir schon zwei der happy few . . .
Ich habe meinen modernen Klassiker (Kona Honkytonk 2009) mit Continental GP 5000 ausgerüstet in 28 mm Breite. Selten so viel Spaß gehabt. Läuft gut auf Asphalt, auch dem schlechten in Ligurien, und auf leichtem Schotter kaum zu bremsen. Keinen Platten die ganze Saison.
Der 5000 ist rundum gelungen, in 28mm kann man damit wahrscheinlich überall durch. Auf Asphalt federt, haftet und rollt er sehr gut, das ist auch mein Eindruck. Er ist mitlerweile auch unter 50/Stück zu kaufen. Wer nur die Hälfte zahlen möchte kann auch glücklich werden . . . siehe Text.