(A. Sander – Auktionshaus Lempertz)
Eine Expedition
Die sanfte Seite hinauf
3 komma 5. Diese Temperatur zeigt das Display des Mannheimers neben mir. Wir rollen die Westerwaldrunde gegen den Uhrzeigersinn, es ist kurz nach 8. Unsere Schutzblechräder steigen langsam bergan, die Neigung des Lasterbachs ist sanft, die Wiesen um uns herum schon grün: viel Schnee ist abgetaut und zu reißendem Wasser geworden. Der Winter hat in den letzten Tagen Pause gemacht, wir wollen die Lücke nutzen.
28mm haben die Reifen, die über die nasse Landstraße rollen, unsere Körper sind unter mehreren Lagen Wolle und Synthetischer Schutzkleidung geborgen, die Füße stecken in Winterstiefeln. So geht es. Er leuchtet blau, ich silbern. Ein Rad aus Mannheim, ein Rad aus Möhnesee. Diese Räder sollten für die nächsten zehn Stunden die rechten sein.
Was noch kommt, ist schwer abzuschätzen. Die geplante Runde ist lang: insgesamt fast 200 km rund um den Westerwald. Kraftvoll hat Tiefdruckgebiet aus West in den letzten Januartagen Schnee abgeblasen und heute ist es grau und ruhig. Gleich haben wir die Krombachtalsperre erreicht, 500Meter : die Grenze zur Wolkendecke.
Und als wir sie passiert haben und wieder bergab an den verlassenen Wochenendhäusern vorbei (der gefrorene Stausee im Nebel) durch den einsetzenden Schneefall fahren, überrascht uns plötzlich Gegenwind. Nullkomma5.
Hier ist die Grenze zum hohen Westerwald, seine letzte Stufe. Die nächsten 20 Kilometer etwa führen über ein hohes Plateau mit sanftem Profil, das sich weit nach Westen erstreckt. Einige Bäche bilden darin mäandernde Kerben, während das Plateau sich fortsetzt. Später.. Jetzt stehen wir in Mademühlen, weil ein Mann uns zuruft, als wir die Jacken noch ein wenig dichter zuziehen.
Der Traktor aus der Tippgemeinschaft
Der Mann mit dem Traktor hat es schon diese Nacht gespürt: das Wetter ist umgeschlagen. Wind Ost, költer. Stolz zeigt er jetzt sein Familienerbstück –er räumt Holzbruch beiseite und öffnet den Schuppen. Der Traktor seines Vaters. Es ist ein einfacher 20 PS Schlepper aus den 1960ern, doch diese Maschine konnte sich sein Vater nur dank eines glücklichen Zufalls leisten: er hatte in der Tippgemeinschaft gewonnen. 40 Jahre danach kauft ihn der Sohn irgendwo in der Region zurück und restauriert ihn. 20 PS . Wir ziehen weiter nach Westen.
Der Wind macht ernst
Minus 1, sagt der Mannheimer, was über 500m nicht weiter schlimm ist. Es schneit und taut gleichzeitig, während wir die große Landstraße nach Rennerod abspulen. Die Straße steht im Wasser. Rechterhand hängt die Wolkendecke tief, aber da wollen wir nicht hin – die Natur ist kein Freund hier oben. Wir brauchen echte Kalorien etwas weiter unten in Rennerod, ca. 4500 Einwohner.
Geduldig stehen Renneroder im Schneeregen vor dem letzten Metzger Schlange.
Beim Bäcker haben wir etwas mehr Glück. Doch die gut belegten Brote müssen wir in einem Windfang essen, während der Verkehr an uns vorbeirauscht. Picknick in Zeiten des CoVid.
Weiter über die baumlose Hochfläche. Der Wind schiebt uns westwärts über die B255, die Unvermeidliche.Bis Höhn: dann hinunter zur Nister, die neue Belag der nassen Straße ist griffig, wir verlassen die hohe Straße für den Schutz des Tals.
Immer weiter hinab: an dieser schon lange umgewidmeten Tankstelle ist die Sohle erreicht. Am Nordhang der Nister wieder in den Tann zur alten Bahnstrecke. Ganz schwach kann ich im Schneetreiben das Schemen des Viadukts erkennen. Geduld, Mannheimer, bald siehst Du ihn auch. Minus 1komma 5,
Es ist nur eine kleine Öffnung mitten im Nadelwald. Hier herrscht allergrößte Ruhe. Über alten Basaltschotter führt der Weg durch ein Moniergitter ins Freie –
direkt auf die alte Brücke. Das Schneetreiben sprenkelt die Luft, von unten rauscht es mächtig. Die Räder lehnen am Geländer des Nistertalviadukts .Endlich. Wir fühlen uns leicht wie die Flocken, die unspürbar ihren Tanz aufführen. Fast 50 Jahre schläft dieses Bauwerk schon.
Moos und Flechten färben das Gemäuer. Blaugrün rauscht die Nister unter den mächtigen Pfeilern aus Stampfbeton. In den Wäldern werden erste neue Nuancen erkennbar – Zweige wachsen, die ersten Haseln blühen bald.
Zurück auf die Straße.
Hinter Nistertal wechseln wir vom Basalthang des Stöffel hinüber zur anderen Talseite. Schön zeichnet sich die Nullgradlinie ab, die den Hang hinter Alpenrod pudert. Jetzt südlich der Nister wieder hinauf, durch schützenden Wald nach Hachenburg, der großen Stadt auf dem Berg,
Unter uns liegt der Aussiedlerhof. In seinen Futterbunkern arbeitet eine Maschine. Sie schleudert Maissilage wie ein Wasserspeier, der vergorene Duft dringt hinauf. Dahinter das Panorama des Basaltbergs ,der Blick zurück auf die Täler, aus denen wir kommen.
Das Schneetreiben hat fast ausgesetzt, der Himmel könnte eine Nuance leichter sein. Gleich kommt Hachenburg, seine bibliophile Telefonzelle und ein heißer Kaffee.
Geduldig wartet der Mannheimer auf den Büchernarr. Wir müssen zur Tankstelle. Dort: nichts Neues, aber es wärmt . . . .
30 Januar 2021
Teil II in Kürze
Der Mannheimer hat ein schickes Rad, mit den gekreuzten Sitzstreben. Was für große Leute.
Ja, manchmal braucht es so eine Konstruktion, weil mit doppelt konifiziertem Rennrohr irgendwann die Statik am Ende ist.