Fallende Flocken II – wie der Schnee näherkommt

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Was man so braucht:

Wärme von innen, Kaffee, Koffein, warmen Nougatschmelz und die knusprige Hülle des Croissant. Die Nüsse aus einem Snickers Riegel. Kaffee nachschütten und noch ein Laugendreieck für mich. Danach ist der Bauch wieder fest und kompakt und liefert als Wärmekugel Energie bis in die Fingerspitzen.

Hier in Hachenburg haben wir den östlichen Teil der Westerwaldrunde hinter uns. Wir sind mittendrin und es geht weiter nach Norden.

Wir folgen dem Nistertal mit zusammengekniffenen Augen, weil in jeder Abfahrt Schnee ins Gesicht prasselt. Jeder Anstieg erleichtert davon – und in dieser Art geht es mal auf und mal ab. Mal rechts und mal links hören und sehen wir das Wasser zwischen Marienstatt und Kroppach entlangfließen. die wilde kleine Nister.

Die Abtei liegt verborgen und still wie im Mittelalter – wir huschen vorbei.

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Die Nister hat Zulauf gefunden und aus dem breiten Gebirgsbach ist jetzt ein schlammiger Strom geworden, der die Wiesen überschwemmt. Irgendwo hinter Astert. Dann, in der Auffahrt nach Kroppach verschwindet der Fluß nach Norden hinter einem Waldmassiv.

Nur der Wind ist unser Freund, und das enge, wärmende Tal in dem es nach Kroppach hinaufgeht. Dorther kommen die zwei Geschwister, die August Sander 1915 ablichtet – Quelle: Lempertz Auktionen.

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Weiter über den Kamm und Richtung Beulskopf.

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Wir erreichen den Beulskopf, den Nordpol unserer Reise. Wir haben uns über die Wiesen und Feldfluren herangepirscht, nordöstlich von Altenkirchen. Dieser große Aussichtsturm aus Holz war vor drei Jahren noch begehbar: die Aussicht von dort ist phänomenal: 360 Grad über den gesamten Westerwald, im Westen das Siebengebirge, im Süden der Taunus und Östlich das Rothaargebirge. Was den Weg hinauf versperrt, wird beim Blick nach oben deutlich: Wie eine Kaktee ist der Turm gespickt mit Antenen und Parabolschüsseln ; eine Relaisstation für die Welt rund um Altenkirchen.

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In kleinen Schuppen grummeln Generatoren, die die Kommunikation am laufen halten. Wir kauen Riegel, um Zucker in Zellen nachzuschaufeln, die uns am laufen halten. Dann machen wir uns auf nach Westen, grobe Richtung Wied.

Flocken sind nicht einmal schlimm, wenn der Wind schiebt. Sie sind viel besser als jeder Regen, auf Lycra bleiben sie nicht haften, werden davongetragen bevor sie auftauen und ins Gewebe eindringen. Nicht nur die alten Gebäude haben die Farbe gewechselt, auch der Stein an den Hängen ist jetzt ein anderer, ein Schiefer, senkrecht geschichtet wie Seiten aus einem Buch.

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Birnbach

Kaum Verkehr,  wie ein Urwald liegen im Tal die Bäume kreuz und quer über dem Birnbach, verfilztes Gestrüpp. Hier sind die Jagdgründe von August Sander. In Kroppach hat er Kunden gehabt, in Birnbach und Umgebung auch: er wird weiterempfohlen und 1915 ist die Welt hier noch kleiner, noch ärmer und verschlossener. Erst lange nach dem letzten Krieg werden sich „die Verhältnisse“ ändern. Schwarz -Weißes Fachwerk taucht auf.

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Diese Bild dieser jungen Frau Seinsch aus Birnbach stammt aus dem letzten Krieg – vielleicht gemacht, damit der Vater etwas für die Brieftasche hatte, dort hinten im Kursker Bogen, oder oben in Norwegen. Ich sehe den Jungen, der ungefähr so alt ist wie mein Vater. Ich phantasiere zuviel.

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Immer noch so um die Null. Schnee sehen wir keinen mehr, dagegen viel Wasser in der Wied. Der Bahndamm muß sich in acht nehmen Es ist ruhig auf den Dörfern, viele Läden sind für immer geschlossen, viele Rolläden bleiben unten. Sie sind nicht ausgewandert, es ist Demographie;

Und langsam ziehen wir wieder hinauf, Seelbach, Wambach, kleine Höfe, abgeplatzte Verblendungen, eine standhafte Kirche.Ein kolossaler Verfahrer kommt dazu, dann nehmen wir den Hang eben von der anderen Seite. Versteckte Farmen mit Pferden, dürftigste Landwirtschaft, eine Wellensittichzucht am Waldrand. . .manchmal Blicke von Hunden in Zwingern oder rätselhafte Passanten.

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Und dann und wann ein schöner Trafoturm.

Ein erheblich mächtigerer Turm steht in Steimel, direkt neben der Klinik Sonnenhang. …. Hier bieten wir unseren Patienten gemäß Vereinbarung die Möglichkeit zur aktiven Erholung in einer waldigen und ruhigen Umgebung. Die Zimmer sind in hellen Farben gehalten, die Nähe zu anderen Ortschaften ermöglicht Teilnahme am kulturellen Leben zum erfolgreichen Abschluß der Therapie. Auch Kinder mit Spielstörungen zählen zu den Patienten . . . .

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Wir machen weiter mit unserer Therapiefahrt durch den Westerwald – Wir gewinnen nichts, wir bekommen keinen Applaus und verausgaben uns dennoch. Doch so erleben wir einfach mehr.

Manchmal frage ich mich, was wir denn tun, wenn wir so fahren. Hat jemand hinten im Gruppentherapieraum Eskapismus gerufen? Danke, er ist nicht der erste. Sind die Segler des Vendée Globe UltraEskapisten? Hypermasochisten der Selbstisolierung? Neue Eremiten? Sie nennen sich Sportler und wollen immer wieder, müssen aufs Meer hinaus. Ihr Vermögen setzten sie ein , um sich über 80 Tage unter dauernder Lebensgefahr aus der menschlichen Gemeinschaft abzusetzen. Nichts als Wasser und vielleicht einmal das Kap Hoorn.  Sie machen monatelang das, was wir nur einen Tag lang in Ansätzen unternehmen.

Einer der Segler, Jean Le Cam, sprach von der unglaublichen Intensität des Lebens auf See, allein mit den Elementen und dem Boot. Von der immensen Dankbarkeit, die man für die einfachsten Dinge -ein glas Rotwein, ein saftiges Steak – empfindet, wenn man endlich heimkehrt.

Einen Zipfel von diesem Gefühl: den bekommen auch wir nach etwa hundertundvierzig Kilometern . . .

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Anstiege und Abfahrten:wir sind am westlichsten Punkt der Fahrt auf Höhe von Selters. Es wird allmählich kälter, der Wind steht nun von seitlich vorn.

Hinter einem Feld raucht es dunkel. Es ist ein Wäldchen am Anglerteich, Menschen in Leuchtwesten stehen vor dem Wäldchen in dem meterhoch Flammen wie aus einem Ofen aufsteigen.

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Weiter an den Basaltgruben vorbei langsam setzt die Dämmerung ein.  Es müssen Kalorien her.

Miunus 2. In Maxsain machen wir Rast, als plötzlich Sirenen aufheulen. Ich denke erst an eine Übung und in einem Bushäuschen mitten im Ort packt der Mannheimer seine Brote aus.

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Während wir die letzten großen Kalorien einnehmen, rauschen die Feuerwehrwagen der Umgebung einer nach dem anderen an uns vorbei. Das Wäldchen mit dem Anglerteich.

Nun Kurs Südost, direkt dem Wind entgegen. Die Kalorien mögen helfen. Es sind jetzt noch einige zähe, nicht besonders steile Anstiege die uns zurückführen, aber sie bieten keine Deckung.

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Und dann ist es soweit: die Schneeflocken bleiben liegen. Der Wind hat die Straßen trockengeblasen und das Salz aufgelöst. Jetzt liegen die Wege blank und es schneit weiter, dünn und stetig. Feine schwarze Spuren hinterlassen die Reifen noch, doch mittlerweile folgen wir den dunklen Streifen, den Autos hinterlassen.

Längst haben wir beschlossen, die Runde abzukürzen. Aber das erspart weder Höhenmeter und Schnee, der sich überall ausbreitet . ich habe über die kürzeste Route nachgedacht und über die Bundesstraßen, weil ich hoffe, dort schon die Wirkung von Streusalz zu finden.

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Im Windschatten einer Baumgruppe klären wir die Lage.

Noch halten die Bremsen abwärts, doch Schnee setzt sich immer mehr unter die Schutzbleche und unter die Bremszangen. Dort vereist er. Dann kreuzen wir die B8, die Straße ist weiß wie ein Laken und im Hang erkennt man die Rücklicher eines festgefahrenen Autos.

Wir müssen immer noch höher, durch kleine Dörfer zur B255, dem flachen Everest der letzten Etappe. Manchmal taucht am Horizont das Licht eines langsamen Fahrzeugs auf. Auch die 255 ist völlig eingeschneit. Wir fahren jetzt hintereinander.

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 Das kräftige Licht des Nabendynamos wird vom Schnee reflektiert – das macht uns für andere sichtbar. Wir sind über die windige Kuppe und rollen auf die Abzweigung zu, die uns von der gefährlichen Strecke führt. Noch 200m, noch 100m, noch 20 Meter,  Schrittgeschwindigkeit und da rutscht das Rad unter mir weg – fast auf Höhe der Abfahrt legt es mich hin, zum Glück nicht auch den Churpfälzer. Die nächsten Meter gehe ich zu Fuß, denn unter dem Schnee spüre ich die gefrorene Fahrbahn. Dann weiter – noch 12 km mit eingefrorenen Schaltwerken.

Eine halbe Stunde später sitzen wir vor dampfenden Nudeltellern. Mit einem einzigen Gang sind wir heimgekehrt ins nasse Tal – erst unter 300 metern lag kein Schnee mehr. Der Tee ist heiß: es schmeckt

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5 Antworten zu Fallende Flocken II – wie der Schnee näherkommt

  1. dominik schreibt:

    Tolle Aktion, gefällt! Langweilig und bei Sonnenschein im Frühjahr kann jeder 😉

  2. monnemer schreibt:

    Schön war’s, sagt der Eskapist. Danke für diesen Einblick in den WW, ich habe einiges mitgenommen. Von wegen wir gewinnen nichts!

  3. crispsanders schreibt:

    Wir gewinnen noch mehr durch Wiederholung . . . hoffentlich bald .

  4. dominik schreibt:

    Schade, dass mein erstgemeinter Kommentar es nicht durch die Freischaltungs-Zensur geschafft hat. Ich mag Dein Blog und Berichte über lange Winterfahrten. Missverständnisse klären? –> Email me

    LG,
    Dominik

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