Because the sky is blue – die Spur der Späne

Die Fahnen des großen Gewerbegebiets flattern munter im Ostwind. Seit über einer Woche  herrscht Polarkälte mit wechselndem Wolkenbild . Heute ohne Wolken – der Himmel ist vom reinsten Blau. Ich mache mich auf fürs Ausdauertraining und für einen Report vom Lockdown vor Ort. 

Der blaue Himmel ist  Grund genug, mit dem weißen Raleigh zum samstäglichen Faktencheck ins aktivste Gewerbegebiet des Landes aufzubrechen. Die Farbe des Rades mag das strahlende, harte Winterlicht. Das Gewerbegebiet liegt hinter 7 Hügeln in der Rheinebene, wo es oft um ganze 3 Grad wärmer ist, als im Tal, aus dem ich aufbreche. Nur noch Minus 2 drunten am großen Fluß!

Der Ostwind erleichtert manches – vor allem eine Fahrt nach Westen. Die gleißende Sonne macht Minustemperaturen vergessen, nach einer Viertelstunde ist die Betriebstemperatur dank der Hügel erreicht . Ab durch die Wälder, oder das, was von ihnen blieb.

Ruhig liegen die Dörfer und Straßen, so manche durch massenhaft gefallene Bäume entblößt. Es verändert bekannte Ansichten. Was aus dem Holz nun wird? Sägespäne oder Brennholz? Ich vermute :vor allem Späne. Maximale Wertschöpfung erfahren sie genau dort , wohin diese Fahrt führt.

Heute ist auch Brenntag, der Tag, an dem privates Schnittholz offen verbrannt werden darf. Manchmal sieht man nur einen zarten blauen Schleier, aber der Duft der Holzarten zieht aromatisch durch die Dörfer. Größere Stücke werden für den häuslichen Kamin gestapelt. Ich ziehe hindurch.

Das  Raleigh ist eigentlich kein Wanderrad, die beste Position hat man nicht als entspannter Randonneur, sondern gestreckt und mit Zug auf der Kette. Auch darum habe ich es heute gewählt, nicht nur der Farbe wegen: weil es mich fordert und  diese Position vor Unterkühlung schützt.

Hier über dem Sayntal erkennt man heute die vulkanischen Höhenzüge der Eifel bis zur hohen Acht.  Klar und deutlich. Der weiße Zacken ist die Rheinbrücke von Neuwied. Unter mir wartet das kleine Dorf mit seinem Schloß, der alten Ananaszucht und dem Schmetterlingsmuseum, das noch im tiefen Winterschlaf liegt und seine tropischen Gäste warm verschlossen hält. Gleich eine Rast dort unten.

Bei Aral herrscht Hochbetrieb, ein Umbau und  Pandemie treiben die Preise, aber die Kundschaft (Bild oben) ist treu. Während ich ein exklusives Körnerbrötchen im Anblick des Kreisverkehrs verspeise und mein Nougatcroissant im Cappuccino die geschmeidige Nachhut bildet, verläßt ein blitzendes Auto nach dem anderen die Waschanlage mit tropfendem Auspuff. Nicht wenige tun ihre Freude über die strahlende Sonne und das strahlende Fahrzeug mit durchdrehenden Reifen kund.

Der richtige Moment für eine kleine Werbeuternbrechung

Hinten im Gitter der phantastischen Rheinbrücke von Urmitz (das Schwesterschiff zur Remagener Brücke) mahnt der Schornstein des (totgeborenen ) Atomkraftwerks M-Kärlich noch an seinen bevorstehenden Abriß – dieser kleine Bleistift hinten rechts. Die Betonkuppel des Brüters ist im letzten Jahr schon aufwendig zu neuem Schotter verraspelt worden.

Beide Brücken übrigens waren aus strategischen Gründen angelegte Eissenbahnbrücken.

Der Rhein führt viel eisiges Wasser, ein Frachter kämpft gegen die Strömung an, wie das Raleigh gegen den Wind.  

Noch ein paar Kilometer im aufgewirbelten Staub der Salzkristalle und ich bin vor Ort.

Einzelne Autos patroullieren vor den verwaisten Gewerbehallen. Ungestört kann ich wie ein Kind mit dem Roller über die sonst vollgestauten Straßen Slalom fahren. So erkenne ich besser  das Ausmaß der Verlassenheit.

Die Kunden der Outdoor Hallen sind heute outdoor, die Stützen des Fahrradbooms bleiben am wärmenden Ofen und die Bettensucher kommen nicht einmal für  54% Preisnachlaß wegen Schließung aus den Federn. Es ist halt seit Weihnachten alles anders.

Wie  zart und zerbrechlich so ein Rad vor der Fassade wirkt . Dünnes Rohr, zum Teil nur einen halben Millimeter dick. Dabei dürfte die Zerbrechlichkeit der Hallen und ihrer Ausstellungsstücke, die mehrheitlich aus Sägemehl bestehen, weitaus höher sein.

Ich jedenfalls traue weder diesen Gebäuden noch den Erzeugnissen von XXXL Möbel et. al. nicht die Lebensdauer meines 89er Raleigh Rahmens zu. Man kennt ja die Gegenstände, die sich regelmäßig am Straßenrand stapeln. Die maximale Wertschöpfung der Holzspäne. Ich bin ihrer Spur gefolgt: hier sind sie…..

Und wenn dies die Dimensionen sind, die ein Fahrradgeschäft erreichen muß, will es im Boom rentabel bleiben, dann fällt es einem kleinen Radwanderer schwer, es als Gewinn zu empfinden. Den anderen bleiben nur die Späne.

Because the sky is blue it makes me high.

Alles ist ruhig. Nicht ganz – außer dem Flattern der Fahnen vernehme ich deutlich das Summen und Brummen hunderter Klimageneratoren, die diese leeren Hallen auf  Überlebenstemperatur halten. Das Geld wird verbrannt und von oben schüttet unser Staat es in einen Trichter, damit weiter geheizt werden kann . 

Wie war es noch mit dem Kraftwerk drüben? Dreißig  Jahre hat es gedauert, um das Gehäuse eines arbeitslosen Meilers zu zersetzen.

Andere Imperien werden schneller vergehen. Noch gestern strahlte ihr Stern hell. Der Kunde ist ein untreues Wesen .

Aber vielleicht kommt er bald wieder -ausgehungert und auf der Suche nach seinen Bäumen aus dem Wald, die in dieser Saison  zersiebt wurden, weil ein kleiner Käfer sie besiegt hat. Wer weiß.

Hier reduziert man schon einmal Ausstellungsfläche und mauert die Tore vorsichtshalber zu.Nur eine kleine Vorsichtsmaßnahme, heißt es in einem internen Papier des Konzerns.

Und fünfhundert Meter weiter kümmert sich jemand liebevoll um die sterblichen Überreste einstiger Göttinnen  der Mobilität sowie anderer Produkte einer hoch angesehenen Automobilmarke.

Mir fallen die vierrädrigen Wertobjekte ein, die eben noch die Waschanlage (Alles Super) verließen und vor lauter Kraft kaum laufen konnten.  Nicht die Autos erschrecken, sondern die Verschwendung, die auf wenigen Kilometern so offenbar wird. Das, was unter gleißender Sonne und strahlendem Blau sichtbar wird. Die im UV Licht verblassenden Banner, Ikonen und Tafeln.

Und ich muß an mein zweirädriges, schlichtes Wunder denken, daß mich an all diesen potemkinschen Dörfern des Wohlstands vorbeigetragen hat und weiter lautlos rollt. Ein Tropfen Öl – hin und wieder, mehr nicht.

Schon läuft  es zurück über den Rhein, diesen großartigen Fluß. Es bläst tüchtig weiter.jetzt also beginne das eigentliche Training: mit konstanter Geschwindigkeit dem Ostwind die Stirn bieten. Obstriegel kauen, weitertreten.

Durchs Lahntal der langsam sinkenden Sonne hinterherjagen. Ihre Strahlen auf dem Rücken spüren: sie wärmen so schön. Und es läßt sich gut an – den Schmerz dosieren, die Position halten, Unterlenker üben. So läßt sich alles vergessen und das Schöne wieder gewinnen. Dieses schöne, stille Tal.

Der rauschende Gelbach und die letzten Sonnenstrahlen. Die allerletzen Sonnenstrahlen nehme ich mit, den Rest lasse ich hinter mir und behalte nur noch  den Fund von der Straße:

Eine kleine Kanne und ein Photoalbum, für all das, was ich sehen durfte. . . ..

 

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