Februar 2021 – fast ein Jahrestag.
Die Pandemie macht weiter, genau so, wie es Virologen, Chemiker, Epidemologen gesagt haben. Die Verbreitung ist ein Jahr nach dem ersten Lockdown global, die ersten Mutanten sind ein Jahr nach vermutlicher Entstehung des Virus ebenso zuverlässig aufgetreten, wie man sie totschweigen wollte und verbreiten sich mit gleicher Dynamik. Alles trifft ein, die Zwischentöne kann man sich wegdenken, es ist das Gebell von gestern.
Auch der vorhergesagte Impfstoff ist gekommen, etwas später als verkündet, nicht im Herbst, sondern erst im Winter 2020, dafür von mehreren Anbietern gleichzeitig. Das hat die Lage nicht übersichtlicher gemacht. Er ist Gegenstand einer endlosen öffentlichen Debatte , während vor allem eins sicher ist: einen Impfstoff machen bedeutet lage noch nicht , ihn zu haben. Da liegt der „dirty little secret“ der Pandemie.
Es ist eine Frage von Produktion, Kapazität, Logistik. Bekannte Faktoren, die in jeder industriellen Fertigung vorkommen – und selten kommuniziert werden. Und über die offenbar keine valide Information existiert. Denn niemand traut mehr niemandem. Mir aber vertraut man. Das ist die Situation, in der ich morgens aufbreche. Ich bekam den Auftrag ganz zufällig, so wie fast alle Aufträge. Man weiß, wo man mich findet, man kennt meine Technik. Kein Funk, kein GPS kein Tracker. OK.
Der Radfahrer bewegt sich im Terrain zwischen lockdown, Inzidenz und Ausgangssperren unbehelligt, hat in einem Jahr schon mindestens drei Generationen an Masken erlebt und bewaffnet sich nunmehr auf Ausfahrten mit dem typ FFP2. Der Sommer des bunten Stoffmasken mit individueller Ausdrucksmöglichkeit ist vorbei, nun sind wir dem chinesischen Einheitsdesign unterworfen : von dort stammen die meisten dieser eigenartigen Filtertüten mit dem Haltegummi einer Clownsnase. Sie sind unser Eintrittsbillett.
Das Koga Randonneur von 1986 ist die beste Tarnung, es verbindet die Möglichkeiten eines Rennpferds mit der Ästhetik eines von Gepäckträgern übertürmten Kaufhaussportrades. Außer an seiner Überhöhung wird niemand auf die Vermutung kommen, daß hier jemand damit 170 Kilometer unterwegs ist. Ein Exzentriker vielleicht, der wie viele sein altes Rad wieder entdeckt hat, ganz harmlos,

Ich soll Behrings Pferd finden. Alles weitere dort. Ja, ich kenne die Stelle, sie fiel mir schon einmal auf. Dann ist ja alles gesagt. Sie wollen Behrings Gold, sein neues Gold.
An die vier Stunden werde ich unterwegs sein. Das Jahr meint es gut: vor ein paar Tagen sind die ersten Kraniche durchgeflogen, sicheres Zeichen für kommende Wärme. Plötzlich ist Frühling , die Kilometer werden kürzer.
Mir ist fast schon zu warm, ein Zustand, den ich seit Monaten nicht mehr kenne, und es ist schön, wenn die Sonne streift, während der Stausee wieder die alte Marke aufweist. Auch der Untersee ist voll.
An den steileren Passagen nehme ich gleich das kleinste der drei Kettenblätter – ich weiß, wie lang der Tag noch ist und daß dieses Rad einfach 3 Kilo mehr wiegt. Aber es hat eine schöne Ruhe , rollt unerschütterlich geradeaus und erlaubt mir, schöne freihändige Passagen mit Pulle Tee in der Hand und dem Dattelriegel .
Ich variiere mal kurz die bekannte Route, umgehe die verlockende Agip Tankstelle von Ehringhausen und nutze einen kleinen Pass im Wald. Neuland, dunstige Aussichten überall Traktoren bei der Arbeit, es wird schon gedüngt. Keine Zeit verloren, neue Wege entdeckt.
Hin und wieder ein Radler – man grüßt den Kollegen.
Geschlagenes Holz, Weiden und Pappeln die schon wieder austreiben, Natur verliert keine Zeit, sie fragt nicht, sie handelt nach eigenen Gesetzen. Wir entschlüsseln immer noch.
Das Problem, das diese Fahrt lösen soll, ist Information. Besser gesagt: fehlende Information. Es gibt Dinge, die alle wissen, über die jeder spricht, am besten gleichzeitig. Und es gibt die facts, zu der die Informatioenen fehlen oder falsch gesendet werden. Wir leben seit einem Jahr in einer Situation großer Desinformation. Und das betrifft nicht nur kleine Fische, die wissen wollen, ob ihr Ferienflugzeug abhebt.
Es läuft eine regelrechte, verdeckte Schlacht um das Virus, den Impfstoff und die Information darüber. Wieviel produzieren Sie? Wann produzieren Sie? Für wen produzieren Sie? Darum sitze ich auf dem Rad. Alle Kanäle, um an valide Informationen zu kommen sind kontaminiert. Keine Elektronik am Rad, Du bist das Medium. Du bekommst Fakten und reichst sie weiter –ohne eine Spur zu hinterlassen.
Die Kerben von Elb, Ullm und Dill liegen hinter mir, Fakten, die das laufende Wasser seit Jahrmillionen durch den Fels gräbt.
An Bermoll und Erda vorbei und an Hohenahr – weiter hinunter und hinauf -so ein schönes Land.
Diese wunderbare Ruhe unter der Eiche. In ihrem hohlen Stamm ist diesmal ein kleiner Stick. Jetzt führt die Route nach Nordost, die Felder werden größer, die Hofstätten auch.
Sorgfältig ist das Fachwerk nachgestrichen, es soll noch ein paar Generationen halten. Sie wissen, was es wert ist. In einer Stunde werde ich beim Pferd stehen, dem Freund des Menschen. Das Pferd wird vom verzinkten Rolltor verdeckt, als wolle man die lebensgroße Skulptur am Ausbruch hindern. Als Kunsthistoriker bin ich mit der Entstehungsgeschichte dieser sehr gelungenen, neusachlichen Plastik betraut, deren Ursprung sich leider verloren hat. So die Legende. Wenn dann ein schwarzer Mini an mir vorbeirollt, habe ich genug gesehen . . .
Noch ein par Wellen, noch ein paar Riegel, dann bei Niederwalgern ins Lahntal. Gleich ist die Stadt in Sicht, plötzlich wimmelt es auf den Radwegen von Fahrrädern. Es ist der erste sonnige, warme Samstag des Jahres. Frohlocket, Bürger, das Heil naht.
Sie nannten es Behrings Gold. Erst vor wenigen Jahren war die Isolierung der kleinen Wesen gelungen ,die man Bakterien nennt. Kaum zu glauben, daß so kleine Organismen so verheerend sein können, kaum zu glauben, daß der Tod unsichtbar kommt, er in der Luft schwebt und über das Blut wandert. Es war die erste Ursache für die Mortalität von Kindern zwischen 3 und 5 jahren, es war ein Schrecken, der keinen Unterschied zwischen reich und Arm machte.
Erreger ignorieren die Ständegesellschaft von 1900.An dieses Gesetz erinnert heute das Coronavirus. Die Krankheit nannte sich Diphterie und Behring war der Mann, der sie mit einem japanischen Kollegen besiegte. Er hatte erkannt, daß es resistente Patienten gab, auto-immunisierte. Ihr Blut erhielt das, was den anderen Kindern fehlte: Antikörper. Damit war das Prinzip erkannt.
Viren wirken anders, aber die Lösungswege gleichen sich. Das Wirkungsprinzip muß erkannt werden, dann muß das Gegenmittel rezeugt werden. Dann muß es produziert werden. Produktion kostet Geld. Produktion braucht Lieferanten, Verträge, Bauteile. Und da stecken die Geheimnisse. Da stecken die Fakten, die Fakten zu denen ich die Information besorge.
Die Stadt Marburg liegt in der unschuldigen Sonne. Paare schlendern über dien Ring und blicken zufrieden durch Sonnenbrillen auf Einkaufsstraßen, auch wenn die meisten Läden noch geschlossen sind. Aber der Eisverkauf hat begonnen. Eis ist ein prima Stimmungsbarometer- die Stimmung steigt. Die Stadt ist ein buntes gemisch aus historisierenden und mittelalterlichen Stücken, alles in rötölichem Sandstein, der an Heidelberg erinnert. Neubauten zeigen das Wachstum im Nachkrieg an. Hinter der gotischen Kirche geht es links hinauf – zum Zielort.
Es liegt am Ende des Tals, nur noch E-Biker fahren hier hoch, andere schieben. Zuerst kommt die Tankstelle, die Entscheidende. Dann noch ein paar Häuser, auch Villen .
Links dann die überschüssigen Gebäudeteile aus der großen Zeit der Hoechst AG, sie dienen der Fortbildung oder stehen zur Vermietung.
Schließlich das Hauptgebäude, dessen breite, weißverblendete Brust die talaufwärts liegenden Produktionsstätten verbirgt.
Und dort das Rolltor. Dahinter wartet ein einsames, großes, grünspaniges Pferd im neoklassischen Stil. Jetzt warte ich und sehe mir das Tier an, mit dem Behring damals sein Produktionsproblem löste: Pferde, die Antikörper bilden, bilden auch erheblich mehr Blut als Menschen. Dem Pferd als Blutspender verdanken die Kinder ihr Antitoxin, die kleine Ampulle, die sie vor der Diphterie schützt, vor dem tödlichen Ersticken.
Der Ursprung dieser neuen Krankheit dagegen ist verschwommener, vieles spricht für ein Tiervirus mit „gain of function“, eine besonders schöner Euphemismus für ein Laborprodukt. Eine menschengemachte Katastrophe. Ganz sicher wird die Lösung des Problems aus einem Labor kommen, das den Impfstoff unter anderem hinter diesem Pferd produziert. Und hier wissen sie auch, was sie unterschrieben haben.
Mit Ankündigung des ersten Impfstoffs neuen Typs war klar, das Rennen hatte begonnen. Brüssel war ein Kompromiß, damit es nicht allzu häßlich ausginge, wenn sich EU Staaten, die nach außen Einheit zeigten innen Bietergefechte austrugen. Dabei hatten wohl einige die Übersicht verloren – vor allem über die Nebenabreden und Vertragsklauseln, die nie ein Parlament sehen würden. Wer die Verträge aber kennt, hat die Macht – und so kamen die Behringwerke ins Spiel, dachte ich noch, während ein schwarzer Mini langsam durchs Tor rollte.
Sie trug eine dunkle Sonnenbrille unter dunklen Haaren und nach einer letzten kontemplativen Pause in Betrachtung der Bronzeplastik folgte ich dem Wagen, der jetzt die Tankstelle erreicht haben mußte.
Als ich mir an der Theke Croissants und einen Lattemacchiato geordert hatte, betrat sie den shop. Sie trug eine lange weiße Trainingshose aus Baumwolle mit Aufdruck, dazu weiße Socken und weiße Sneaker, wie sie gerade durch die ganze Stadt liefen. Ihre kurze braune Jacke aus Lackleder hätte Andy Warhol gut gepaßt. In der Hand hatte sie eine rosane Büchse eines Energy Drinks : das war das Erkennungsmerkmal. Mein Lattemacchiato, ihr Energydrink, die Getränke unserer Generation.
Sie sucht jetzt nach der anderen Sorte Energy drinks, die türkise, die im Regal weiter unten steht . Dann gleitet der Stick aus ihrem Jackenärmel. Ich bücke mich, tausche die Sticks aus und sage ihr: sie haben etwas fallengelassen. Oh, danke – ein kurzer Blick, sie nimmt meinen Stick und ich gehe hinaus auf den Vorplatz der Tankstelle Verzehr bitte draußen – Danke), um das Nußnougatcroissant in meinem Lattemacchiato zu verrühren, während sie mit der türkisen Dose zur Kasse geht. Auf ihrem Stick wird sie vermutlich ein paar Nummern finden, die sie nur einmal verwenden kann. Der Stick den ich jetzt habe, werden andere auswerten: möge er ihnen nutzen und der Produktion auf die Sprünge helfen.
Draußen stehen Autos wartend vor der kleinen Waschanlage, die Sonne wärmt uns alle. Autos tanken, Fahrräder ziehen vorbei. Langsam kaue ich auf meinem Croissant und dann auf einem kräftigen, belegten Brötchen, während ein Auto nach dem anderen im Samstag verschwindet, wie der schwarze Mini, der hinter dem schönen Fachwerkhaus neben der Tankstelle abgebogen ist.
Marburg liegt weit hinter mir. Parallel folge ich seit Wetzlar der B49, einer doppelspurigen Schnellstraße. Auf der Höhe von Oberbiel kann man die B49 verlassen, um nur ein paar hundert Meter später, nach der kleinen Ortschaft wieder hinaufzufahren. Hier könnten sich Wege kreuzen. Die Pizzeria Angelo ist geschlossen und wird renoviert. Daneben liegt der Schützenverein, auf dessen Parkplatz das Moos wächst, seitdem die Pandemie herrscht.
Mein Koga Miyata lehnt an einem Baum, während ich mir eine Jacke für die abendliche Kälte überstreife. In einer Stunde hat es seine Arbeit getan. An einem zinkfarbenen Mülleimer klebt mit dem guten Vorwerk Reifenband ein kleiner Stick.
Ich ziehe weiter, vorbei an Eisdielen, vor denen sie immer noch Schlange stehen, vorbei an den Schildern die den Weg zum Impfzentrum des Landkreises weisen. Ich schalte die Leuchte an.